Finn Hänsel von Movinga :

„Da war eine Menge Aufbauarbeit nötig“

17/02/2017
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Finn, vor einem Jahr gab es einen riesigen Hype um Movinga. Dann kam der Absturz. Wie ist die Gefühlslage heute?

FINN HÄNSEL:Das war wie eine Pendelbewegung. Am Anfang herrschte große Euphorie, dann kam die Enttäuschung – und jetzt hat es sich auf einem vernünftigen Level in der Mitte eingependelt. So lief das auch bei den Investoren. Am Anfang war alles klasse, aber als Movinga dann in Schieflage kam, war das teilweise schon ein unschönes Erwachen. Zu unserem großen Glück haben die Investoren aber sehr konstruktiv reagiert und gemeinsam mit uns tragfähige Lösungen gefunden. Es war insgesamt ein sehr bewegtes Jahr, in dem Movinga schlussendlich erwachsen geworden ist.

Spätestens im Juni 2016 müsste jedem klar gewesen sein, dass es bei Movinga nicht mehr rund läuft.

FINN HÄNSEL:Es war klar, dass sich etwas ändern muss. Zum Schluss hat es sich angefühlt wie ein kleines Auto auf der Autobahn, das hoch motorisiert ist. Es fängt langsam an zu wackeln und schließlich drohen einige Teile abzufallen, und man fragt sich mulmig, wie man reagieren muss, damit man Kurs hält und keine unwiederbringlichen Schäden entstehen. Da haben wir auf die Bremse getreten, um mal im Bild zu bleiben. Wir haben festgestellt, dass unser IT-System nicht gut genug ist, und uns entschieden, es komplett neu aufzubauen. Mit Bastian Knutzen und Chris Maslowski haben die beiden Gründer das Unternehmen verlassen. Wir mussten rund 150 Mitarbeiter entlassen. Das war ein harter Schlag – gerade weil du bei Startups in der Wachstumsphase ein extrem starkes Wir-Gefühl im Team hast. Und plötzlich musst du dich von einigen dieser Leute verabschieden.

Finn Hänsel im Gespräch mit Berlin-Valley-Herausgeber Jan Thomas (Foto: Jann Venherm)

Was waren die Konsequenzen aus der Vollbremsung?

FINN HÄNSEL: Wir haben dann – was für ein Startup eher unüblich ist – sehr eng mit den Investoren eine neue Strategie definiert und operative Themen diskutiert. Es gab viel zu besprechen: Was ist die richtige Strategie? Was ist das richtige Geschäftsmodell? Wie schnell muss man eigentlich wachsen? Letztlich haben wir uns verkleinert und das Geschäft in einigen Ländern eingestellt.

„Alle staatsanwaltlichen Ermittlungen, die geführt worden sind, wurden eingestellt. Es gibt auch kein böses Blut“

Es kommt nicht häufig vor, dass Gründer gehen müssen. Könntest du diesen Prozess einmal erklären?

FINN HÄNSEL:Es war allen klar, dass sich etwas ändern muss. Der Prozess war recht unspektakulär. Es gab keine Streitereien und die Gründer haben sich mit den Investoren geeinigt, zu welchem Preis sie ihre Anteile verkaufen. Alle staatsanwaltlichen Ermittlungen, die geführt worden sind, wurden eingestellt. Es gibt auch kein böses Blut, wir haben noch ein gesundes Verhältnis.

Wie ist Euer Verhältnis zu Eurem Konkurrenten Move24?

FINN HÄNSEL:Zu Beginn herrschte eine emotionale Spannung zwischen beiden Unternehmen. Jetzt haben sich aber beide Managementteams komplett verändert, die Investoren mögen sich und haben gemeinsame andere Deals – die Berührungsangst ist verschwunden. Wir begegnen uns respektvoll und hatten auch einen fairen Austausch darüber, wie wir miteinander umgehen.

Was unterscheidet Euch von Move24?

FINN HÄNSEL:Wir haben recht komplementäre Geschäftsmodelle. Movinga hat strukturell marktgerechte Preise, mit denen wir hohe Qualitäts- und Servicestandards unserer Partnerspeditionen sicherstellen. Außerdem setzen wir sehr stark auf Tech und fokussieren uns auf die Kernmärkte Deutschland und Frankreich. Move24 hat dagegen eine breitere Länderbasis. Eigentlich kommen wir uns auch kaum in die Quere, weil wir unsere Leads unterschiedlich generieren.

Grafik aus the Hundert „Highlights 2015“: Die Gründer von Movinga und Movago (Move24). Alle vier Personen haben die Unternehmen inzwischen verlassen. (Grafik: the Hundert/Carmen Krüger)

Wie fielen die Reaktionen auf den Umbau des Geschäfts aus?

FINN HÄNSEL:Es war eine wichtige Erfahrung zu sehen, wie Movinga von außenstehenden Investoren wahrgenommen wird. Die haben gelesen: ‚Die Staatsanwaltschaft steht vor der Tür, die Filialen in einigen Ländern wurden geschlossen, die Gründer sind raus.‘ Klar, dass da das Außenbild etwas gelitten hat – deutlich mehr auch, als es intern wahrgenommen wurde. Wir haben uns dann im Sommer auf unsere eigenen Themen fokussiert, um verschiedene Prozesse zu optimieren. Als ich danach das erste Mal wieder bei Investoren-Events war, habe ich gemerkt, dass es noch viele offene Fragen von Investoren gab.

Wie stellt man in so einer Situation das verlorene Vertrauen wieder her, das Du bereits angesprochen hast?

FINN HÄNSEL:Da war eine Menge Aufbauarbeit nötig. Wir haben Tag und Nacht daran gearbeitet, die Zahlen zu verbessern – und haben schließlich geliefert. Ob Marge, Bundling, Kundenzufriedenheit oder Geld: Der September 2016 war bis dahin der beste Monat, den Movinga je hatte. Zunächst haben Investoren bei solchen Themen natürlich immer eine gesunde Portion Vorsicht. Sie haben gesagt: ‚Eure Veränderungen sind erst einige Monate her. Woher sollen wir wissen, dass es wirklich so gut um Euch steht?‘ Wir sind deshalb brutal ehrlich mit unserer Vergangenheit umgegangen. Das Wichtigste war, die Leute wieder dahin zu bekommen, sich unser Unternehmen anzuschauen. In dem Moment konnten wir zeigen: Das haben wir gelernt. Das ist unser Plan. Das ist unser Team.

Ist die Stimmung im Team nach der Konsolidierung denn so gut, dass Ihr damit bei Investoren punkten könnt?

FINN HÄNSEL:Natürlich haben sich die Leute in der Durststrecke gefragt: ‚Was kommt da auf uns zu? Was passiert mit dem Unternehmen?‘ Aber im September und Oktober hatten wir wieder gute Zahlen und viele Treffen mit Investoren. Klar, dass dann auch die Stimmung wieder besser wird. Einen weiteren Schub gab es, als wir Anfang November unsere neue TV-Kampagne intern präsentiert haben. Und spätestens als wir im Dezember eine neue Finanzierungsrunde abgeschlossen hatten, haben wir gemerkt: Jetzt ist der Bann gebrochen! Wir sind wieder da. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Stimmung ist so gut wie nie zuvor. Viele Leute sind den ganzen Weg mitgegangen: Das schweißt zusammen. Und diejenigen, die neu dazugekommen sind, bringen viel Enthusiasmus mit.

„ES WAR von Anfang an wichtig, nicht nur abzubauen, sondern aus der Situation ein neues Movinga zu entwickeln: Wir nennen es intern Movinga 2.0“

Zu den Neuzugängen zählt auch Personal auf Führungsebene.

FINN HÄNSEL:Richtig. Jochen Cassel war zum Beispiel zuvor Head of Financial Reporting bei Zalando. In der Phase, in der es bei uns am Schlimmsten war, hat er sich entschieden, zu uns zu kommen. Das war ein wichtiges Zeichen, ein großer Vertrauensbeweis. Außerdem ist Christoph Müller-Guntrum nach dem Abgang der Gründer in die Geschäftsführung aufgerückt. Als Dreier-Team arbeiten wir gut zusammen. Uns war es von Anfang an wichtig, nicht nur abzubauen, sondern aus der Situation ein neues Movinga zu entwickeln: Wir nennen es intern Movinga 2.0. Die Leute haben gemerkt, dass wir wirklich einen Plan haben. Der Turnaround scheint geschafft.

Zeit, sich wieder mit Expansion zu beschäftigen?

FINN HÄNSEL:Sicher, ja. Im vergangenen Jahr haben wir rund 20 Millionen Euro Umsatz gemacht. In diesem Jahr wollen wir das mehr als verdoppeln. Und das ist auch möglich. Wenn ich eines bei Movinga gelernt habe, dann ist es, dass Wachstum nicht das große Problem ist – sondern eher, das Wachstum zu bändigen. Dafür haben wir jetzt die Basis geschaffen. Wir werden jetzt vorsichtiger wachsen.

Gerüchteweise sind die USA ein Ziel?

FINN HÄNSEL:Das ist in jedem Fall ein spannender Markt (lacht). Seit dem vergangenen Jahr sind wir aber bescheiden und vorsichtig geworden. Das Geschäftsmodell war super, aber es wurde an vielen Punkten nicht ideal skaliert. Jetzt haben wir das richtige IT-System und die richtigen Prozesse, kurz: die Basis, mit der wir es wagen können, unser System auch in anderen Märkten auszurollen.

Abgesehen von der Expansion in weitere Länder: Wo steckt noch Potenzial?

FINN HÄNSEL:Ich glaube stark daran, dass man in diesem Markt mit Technologie noch mehr erreichen kann. Momentan ist noch ziemlich viel manuell. Viele in der Branche arbeiten nicht mit Computern, sondern mit Telefon und Faxgerät. Wenn man diesen Markt technisiert, bieten sich Chancen für uns, Margen zu gewinnen und Geschäftsmodelle zu erschließen, die sehr dicht an unserem Kerngeschäft sind. Das ist spannend. Und wir haben einiges in der Pipeline.

Du hast nicht nur durch Movinga viel über das Startup-Geschäft gelernt. Was ist Dein wichtigster Tipp für Gründer: Wie soll man am besten mit Investoren umgehen?

FINN HÄNSEL: Ich würde gerade Berliner Gründern empfehlen, mehr Fokus auf Tech zu legen. Noch bevor man beim Pitch über Zahlen spricht, würde ich einmal meine Tech-Struktur zeigen – und klarmachen, was ich damit erreichen will. Meine Erfahrung ist, dass man darauf gutes Feedback bekommt. Dieser Punkt wird immer wichtiger für Investoren – vor allem, wenn das Unternehmen einmal verkauft werden soll.

Und wie weiß man, ob man den richtigen Investor gefunden hat?

FINN HÄNSEL:Bei der Akquise sollte man darauf achten, dass die Investoren gleiche Interessen haben. Wenn für den einen Wachstum, für den anderen Kundenzufriedenheit und für den nächsten die Entwicklung des technischen Unterbaus an erster Stelle stehen, sind das keine guten Voraussetzungen. Natürlich kann man jedem dieser Investoren ein Deck bauen, in dem er seine Interessen wiederfindet – aber das halte ich für unklug. Mein Rat: Baut nicht Eure Vision um die Interessen der Investoren. Sucht Euch Investoren, die helfen, Eure Vision mit aufzubauen. Zu unserem großen Glück haben wir genau solche Investoren.

Das Gespräch führte Jan Thomas.

[td_block_text_with_title custom_title=”FINN HÄNSEL”]Finn Hänsel ist seit November 2015 Managing Director von Movinga. Nach seinem BWL-Studium in Deutschland, Ungarn und Neuseeland war er zunächst bei BCG, dann MD von Rocket Internet in Australien. Anschließend leitete er den Prosiebensat.1-Inkubator Epic Companies. 2015 gründete er die Berliner Berg Brauerei und engagierte sich als Business Angel.