New Work

Holt New Work aus der Wohlfühlecke raus!

04/04/2019
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Kannst du zu Beginn eine weniger positive Arbeitserfahrung mit uns teilen, die dich dazu inspiriert hat, etwas anders zu machen?


Inga Höltmann: Eine besonders schlimme Erfahrung habe ich bisher nicht gemacht, aber mein erstes Praktikum im Journalismus war ziemlich hart. Da musste ich in kurzer Zeit sehr viel lernen – und das auch noch ziemlich auf mich allein gestellt. Ganz grundsätzlich fühle ich mich auf Dauer dort nicht wohl, wo ich merke, dass ich entweder nicht gehört werde oder wo es keine Entwicklungsmöglichkeiten für mich gibt.

Mitbestimmung und Entwicklungsmöglichkeiten – ist das schon New Work für dich?


Inga Höltmann: Für mich persönlich ist ein wichtiger Teil von New Work der individuelle Einfluss auf die Art und Weise, wie ich arbeite. Der Charakter von New Work ist auch eine bestimmte Haltung, mit der ich in Veränderungsprozesse gehe. Eine der Kernfragen ist: Habe ich die Möglichkeit, zu gestalten? Das setzt ganz individuell an den Bedürfnissen jedes Einzelnen an. Man kann eigentlich nur für sich selber herausfinden: Bietet mir das Unternehmen ein Umfeld, in dem ich mich wohl fühle, in dem ich arbeiten und mich entwickeln kann?

Muss denn New Work immer Spaß machen?

Inga Höltmann: Das glaube ich nicht. Ich denke, dass New Work ein sehr anstrengender und schmerzhafter Veränderungsprozess sein kann, der tief in die DNA der Unternehmen eingreift. Das ist ein ganz grundlegender struktureller Wandel, der da draußen stattfindet und es ist auch nichts, was freiwillig ist, wo Unternehmen sich aussuchen können, ob sie da mitmachen oder nicht. Es wird Leute geben, die sich schneller darauf einstellen können, und Leute, die sich weniger darauf einstellen können. Mir tut es immer in der Seele weh, wenn so getan wird, als sei New Work der Kicker und die Mate und dass alle nach Feierabend etwas trinken gehen. Das kann auch alles New Work sein, das allein ist es aber noch nicht. Ich denke außerdem, dass wir schon bald erkennen werden, wie wichtig anders arbeiten für Innovationen sein wird und damit auch darüber mitentscheidet, ob es ein Unternehmen in Zukunft noch geben wird oder nicht.

New-Work-Pionier Frithjof Bergmann wird mit dem Satz zitiert: „Sex muss schon sehr gut sein, um den Vergleich mit Neuer Arbeit auszuhalten.” Übertreibt er damit nicht ein wenig?

Inga Höltmann: Gerade in Deutschland beziehen wir neue Arbeit oftmals ausschließlich auf die Arbeitswelt. Für Bergmann steht dahinter aber eine ganz neue Art zu leben und zu arbeiten. Er war insofern schon ein paar Schritte weiter. Er hat auch kritisiert, dass wir neue Arbeit oft noch in diesem Wohlfühlkontext betrachten.

„New Work muss nicht immer Spaß machen – es kann anstrengend und schmerzhaft sein“

Wie könnte denn diese neue Form zu leben und zu arbeiten aussehen?

Inga Höltmann: Was wir sowieso schon sehen, ist, dass die Arbeit zunehmend auch in die Freizeit schwappt, wir nennen das Work-Life-Blending. Und das wird weiter zunehmen: Arbeit wird einen anderen Stellenwert, andere Zeiträume und Orte in unserem Leben erhalten. Und das beschränkt sich nicht nur auf die Arbeit allein. Denn in dem Moment, in dem wir anders leben und arbeiten, werden wir uns auch anders fortbewegen – zu anderen Zeiten und auf andere Art und Weise. Deshalb ist Mobilität auch ein sehr wichtiges Thema in diesem Zusammenhang. Wir müssen uns also überlegen, wie wir denn vernetzt leben können. Wie gehen wir damit um, dass Leute vielleicht keinen festen Wohnsitz mehr haben, sondern unterschiedliche Wohnkonzepte realisieren? Ich hoffe, dass damit auch eine andere Raumnutzung einhergeht: Ein normales Büro steht ja einfach zwei Tage in der Woche leer. Diese verschwenderische Art von Raumnutzung – gerade in urbanen Regionen - ist mir schleierhaft.

Gefühlt macht mittlerweile jedes zweite Unternehmen irgendwas mit New Work. Würdest du sagen, dass es zum Hypethema geworden ist?

Inga Höltmann: Ja schon, aber ich bin über diesen Hype nicht unglücklich. Die Tatsache, dass New Work momentan so ein modernes Thema ist, macht es natürlich viel leichter darüber zu reden. Und es führt dazu, dass sich auch Unternehmen damit auseinandersetzen, die vielleicht vor ein paar Jahren noch nichts mit dem Thema zu tun haben wollten. Das kann aber nur ein Anfang sein.

Und was bedeutet New Work für moderne Führung?

Inga Höltmann: Führung und New Work sind für mich ganz eng miteinander verknüpft, das eine geht nicht ohne das andere. Ich kann nicht mit einer veralteten Vorstellung von Führung New Work machen und ich kann New Work auch nicht einfach von oben verordnen. Für mich ist Führung eher Begleitung und Räume schaffen, in denen Mitarbeiter ihre Fähigkeiten entfalten und in den Austausch kommen können.

Aber was kann man denn als Mitarbeiter tun, wenn von der Führung aus dieser Richtung nichts kommt? Muss man einfach auf einen Generationswechsel warten?

Inga Höltmann: Es ist tatsächlich am besten, wenn die Führungskraft mit an Bord ist. Ich glaube aber auch, dass Mitarbeiter nicht warten müssen, ob das Management mitzieht. Ich würde immer das Gespräch suchen. Das sind krasse Lern- und Anpassungsprozesse für alle – für Führungskräfte genauso wie für alle anderen. Und das sind keine Sachen, die von heute auf morgen passieren. Ich würde die Leute immer ermuntern, für das einzustehen, was ihnen wichtig ist und mit einem gewissen Selbstbewusstsein in diese Arbeitswelt reinzugehen. Genauso wichtig ist es aber auch, irgendwann vielleicht einen Schlussstrich zu ziehen, wenn man feststellt, dass man seine Vorstellungen von Arbeit in dem Unternehmen nicht umsetzen kann. Es ist leider auch Realität in der Arbeitswelt, dass Menschen jahrelang ungeliebte Jobs machen – und das macht uns krank und unglücklich.

Der Studierendensurvey hat ergeben, dass für etwa die Hälfte aller Nachwuchsakademiker eine Stelle im öffentlichen Dienst in Frage käme. Wie geht dieses Sicherheitsbedürfnis mit der Veränderung der Arbeitswelt zusammen?

Inga Höltmann: Ich glaube, dass manche in die vermeintlich sicheren Strukturen von Festanstellung oder Verbeamtung zu streben, um dieser zunehmenden Unsicherheit und Komplexität etwas entgegen zu setzen. Dieses Sicherheitsbedürfnis ist ein ganz menschliches und das ist auch vollkommen okay.

Wie könnte man jungen Leuten die Angst vor der neuen Arbeitswelt nehmen?

Inga Höltmann: Wir müssen sie fit machen für diese komplexe Welt, in der sie sich bewegen werden. Aber unser Schulsystem ist noch auf eine ganz andere Arbeitswelt ausgelegt, dort bekommen sie diese Fähigkeiten momentan nicht unbedingt vermittelt. Ich hoffe, dass wir schnell den Mut finden, unser Bildungssystem zu verändern. Man muss aber auch als Einzelperson diese Verantwortung annehmen. Ich betone diese Eigenverantwortung allerdings nicht im Sinne eines „Hyperkapitalismus“ - jeder kämpft für sich allein – sondern ich habe eher das Gefühl, dass uns Eigenverantwortung im Berufsleben in den vorherigen Jahrzehnten ein Stück weit abtrainiert wurde. Heute sollte sich jeder fragen, was er oder sie ganz persönlich tun kann, um in dieser Welt anstellungsfähig zu bleiben. Da sind wir beim Stichwort Employability, auch wenn das kein besonders schönes Wort ist.

„Der Fachkräftemangel ist für Unternehmen ein guter Moment sich zu überlegen, was genau sie eigentlich ausmacht“

Bleiben wir bei diesem Stichwort: Es wird immer die geben, die zurückbleiben, wenn große Berufsgruppen wie etwa Taxifahrer wegfallen. Was passiert mit denen?

Inga Höltmann: Wir stehen gerade an einem Scheidepunkt. Und je nachdem, wie wir diesen Prozess gestalten, kann es so oder so ausgehen. Und ja, es kann auch ganz dystopisch werden mit vielen Arbeitslosen, weil wir ganz viele Tätigkeiten mit Robotern oder Künstlicher Intelligenz automatisiert haben. Aber es ist auch unsere Aufgabe, diesen Prozess zu gestalten. Arbeit verändert sich, die Jobs verändern sich, unsere Tätigkeiten, und je schneller wir uns darauf einstellen, umso besser. Und wie sich unsere Tätigkeiten verändern, so verändert sich auch die Bedeutung und die Rolle von Arbeit - nicht ohne Grund ist beim Thema Digitalisierung auch die Frage nach dem Bedingungslosen Grundeinkommen so hoch geschwappt in den letzten Jahren.

Das bedingungslose Grundeinkommen könnte auch ein gutes Tool sein, wenn man bedenkt, dass bezahlte Arbeit weniger werden wird.

Inga Höltmann: Ich weiß gar nicht, ob ich dem unbedingt zustimmen würde. Mit technologischen Innovationen ist uns bisher eigentlich nie Arbeit verloren gegangen. Es sind eben andere Dinge entstanden dadurch. Arbeit wird sich verändern und ganz neue Berufe werden entstehen. Und da sind wir auch wieder beim Ausbildungssystem. Unsere aktuellen Schüler müssen wir auf Jobs vorbereiten, von denen wir noch nicht einmal wissen, dass es sie geben wird. Es geht also nicht darum sich davor zu fürchten, dass uns die Jobs ausgehen, sondern wie wir neue Jobs schaffen und wie wir die Menschen darauf vorbereiten können.

Du hast mal geschrieben, dass du den Fachkräftemangel hausgemacht findest. Was meinst du damit?

Inga Höltmann: Ich höre oft von Unternehmern, dass der Markt wie leergefegt sei. Gleichzeitig kenne ich viele hochqualifizierte Leute, die lange nach einem Job gesucht haben. Da scheint es ein Kommunikations- oder ein Konnektionsproblem zu geben. Unternehmen tun gut daran zu erkennen, dass Bewerbungsprozesse mittlerweile anders funktionieren und auch anders kommuniziert werden sollten. Oftmals fehlt in den Stellenanzeigen zum Beispiel der Aspekt, was die Bewerber eigentlich von den Unternehmen bekommen, außer vielleicht der finanziellen Entlohnung und manchmal noch dem Obstkorb. Schlimm finde ich auch die Floskel von der „herausfordernden Arbeit in einem tollen Team“. Das Problem des Fachkräftemangels kann für Unternehmen auch eine Chance darstellen. Es ist ein guter Moment, sich zu überlegen, was genau sie eigentlich ausmacht und wie sie wollen, dass bei ihnen gearbeitet wird – und diese Geschichten dann auch zu erzählen.