NKF Summit Vol. 2: „Corporates müssen sich auch mal was trauen“

08/09/2017
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Cool bleiben. Das gilt nicht nur für Macher des NKF Summits (zum ersten Teil), die seit Wochen auf diesen Tagen hingearbeitet haben, sondern auch für die Startups, die auf der Hauptbühne vor rund 500 Teilnehmern ihre Ideen präsentieren. Julia Römer ist auf diesem Gebiet Expertin. Sie hat mit ihrem Team ein Kühlsystem entwickelt, das statt mit Strom nur mit Wärme betrieben wird. Coolar kommt daher vor allem in ländlichen Regionen Asiens und Afrikas zum Einsatz, um dort Medikamente und Nahrungsmittel sicher zu kühlen. „Let’s change the way of cooling!“, ist ihre Aufforderung, Dinge einfach mal anders zu denken.

Das ist auch das Credo von Reto Wettach, Gründer von IXDS. Sein Team entwickelt im Berliner Lab gemeinsam mit Kunden und Nutzern Ideen, Szenarien, Services und Produkte für die Zukunft – unter anderem für BMW, Bosch, Deutsche Telekom, Siemens oder E.on. Für ihn ist Kommunikation ein Erfolgsfaktor. „Die Leute sind in ihren Prozessen sehr gefangen, und das frühe Pitchen, das Reden mit Anderen, findet viel zu wenig statt.“ Zurückhaltung kann nach hinten losgehen, denn „die Wettbewerber von heute werden die Partner von morgen sein!“

In zwei die Arbeit von zehn Jahren schaffen

Kunal Sachdeva von EY empfiehlt daher Anpassungsfähigkeit, Agilität und vor allem Kundennähe. „Corporates unterschätzen oft den Speed der Welt.“ Sachdeva sitzt zusammen mit Joachim Harms, Managing Director von Oetker Digital, und Lukas Neuß, Leiter des Digital Business Lab von der Bahlsen Gruppe auf dem Podum und diskutiert die Beweggründe für die Einrichtung unternehmenseigener Labs. Als ein solches Unternehmen versteht sich auch die Bundeswehr, die über den Cyber Innovation Hub neue Ideen in die Institution hineintragen und weiterentwickeln will. „Wir sind ein Team, das geschaffen wurde, um bewusst frei zu denken“, sagt Hub-Leiter Marcel „Otto“ Yon. „Wenn wir das richtige Team zusammenstellen, können wir in zwei Jahren erreichen, was sonst zehn Jahre braucht.“

Wie wertvoll solche Synergieeffekte sein können, macht der Mut von Arvato Financial Solutions deutlich. Das Unternehmen ist im Zuge der Series-A-Finanzierung bei der volllizensierten Banking-Plattform Solarisbank als Investor eingestiegen. „Wir bringen etwas mit, was Arvato nicht hat und umgekehrt“, sagt Marko Wenthin, CCO und Co-Founder der jungen Bank. Beide Kooperationspartner sehen keinen Kultur-Clash zwischen Corporate und Startup. Arvato-CEO Frank Kebsch empfiehlt etablierten Unternehmen, über eine Minderheitsbeteiligung bei Startups einzusteigen.

Ähnlich sieht das auch Norbert Muschong, Managing Director von Vorwerk Direct Selling Ventures. Er sagt: „Als Startup würde ich mich nie von einem Investor abhängig machen“. Andererseits bringt die Zusammenarbeit aber auch enorme Vorteile. Gemeint sind Fachexperten und Know-how, die Corporates in Startups einbringen können, erklärt Boris Kühn, Managing Director Deutsche Bahn Digital Ventures. Muschong und Kühn diskutieren mit Julius Bachmann von Redstone Digital unter der Leitung von T3n-Chefredakteur Stephan Dörner das strategische Investment, bevor es in die Kaffeepause geht.

„Nie vergessen, wo man herkommt“

Wie gelingt es, die Interaktion in Online-Medien qualitativ zu erhöhen? „Ganz einfach: Indem wir Fragen in die Artikel integrieren“, erklärt Pia Frey. Sie ist Co-Founder von Opinary. Die Lösung ermöglicht es Usern, sich blitzschnell in Debatten zu orientieren und zu positionieren. Der Vorteil: keine oder weniger unkontrollierte Kommentare unter Artikeln oder auf den sozialen Medien. „Wer will mehr erfahren?“, fragt Pia nach ihrem Pitch und erinnert an den Vorzug solcher Veranstaltungen: das Netzwerken und der persönliche Austausch am Rande der insgesamt 20 Sessions.

Nach dem letzten Pitch des heutigen Summits folgen noch drei erkenntnisreiche Case Studies. Zunächst stellen Sebastian Schwartze und Matthias Brendel als Doppelspitze der Audi Denkwerkstatt Berlin das Konzept vor und berichten von den Erfahrungen, die sie als Corporate im vergangenen Jahr in der Berliner Szene sammeln konnten. Dann erzählt Alexander Gerfer, CEO von Würth Elektronik Eisos, wie die Würth-Ausgründung von sechs auf 6000 Mitarbeiter gewachsen ist. Angefangen habe man in den 1980er Jahren in einer Garage, von der heute nur noch ein Modell existiert. „Man darf nie vergessen, wo man herkommt“, sagt Gerfer. Immer wieder geht es beim NKF Summit um den Mut, etwas Neues zu probieren. „Das fällt besonders schwer, wenn man groß und erfolgreich ist“, sagt Philipp Markmann, Chief Marketing Officer von L’Oréal Deutschland. Er sagt: „Corporates müssen sich auch mal was trauen und die Konsumenten entscheiden lassen. Für uns war diese Erfahrung Game-changing.“

Noch einmal kommen die Sessel auf die Hauptbühne. Zeit für das letzte Panel unter der Moderation von Andreas Winiarski, Ex-Rocket-Kommunikationschef und nun Partner beim Frühphaseninvestor Earlybird. Entscheidende Kriterien für ein Investment? „Team, Team, Team!“, sagt Anton Waitz, General Partner bei Project A Ventures und Johannes Bruder, COO von Rocket Internet, ergänzt: „Wenn du einen Werkzeugkasten hast mit Werkzeugen, die sonst niemand hat, hilft das enorm.“ Beide geben noch einen Ausblick auf die Investment-Trends der nächsten Monate: Digital Health, Industrie 4.0 und Travel (Project A) sowie Consumer Brands, B2B-SAAS-Tools und vertikal integrierte Marktplatzmodelle (Rocket Internet).

Was Sokrates sagt

Beispiel für ein solches Marktplatzmodell ist Movinga, das angetreten war, den fragmentierten Umzugsmarkt zu digitalisieren. Doch auf das Strohfeuer folgte der Absturz: angebliche Urkundenfälschung. Vertrauensentzug. Die Gründer mussten das Unternehmen verlassen. Dazu noch ein hitziger Schlagabtausch mit dem nahezu baugleichen Wettbewerber Move24. Geschäftsführer Finn Hänsel erzählt die ungeschönte Geschichte und weiß: „Man sollte nicht wachsen, bevor man nicht eine Plattform hat, die dem auch gewachsen ist. Für Corporates ist das wohl selbstverständlich, als Startup mussten wir das erst lernen.“

Wachstum bedeutet Risiko. Diversifikation bedeutet Risikominimierung. Aus diesem Grund engagiert sich Max Viessmann, CDO der Viessmann Group, auf vielfältige Weise. Viessmann arbeitet operativ eng mit Early-Stage-Companys zusammen und unterhält mit dem Innovation Boiler ein eigenes Kollaborationsprogramm sowie den Company-Builder WATTx. Zudem ist das Unternehmen über den Fonds Vito Ventures im Deep-Tech- und über Vito.One im Prop-Tech-Bereich investiert. Viessmann findet das passende Schlusswort für den NKF Summit Vol. 2 bei Sokrates: „Das Geheimnis der Veränderung ist, dass man sich mit all seiner Energie nicht darauf konzentriert, das Alte zu bekämpfen, sondern darauf, das Neue zu erbauen.“

Ein erkenntnisreicher Startup-Crashkurs für Corporates geht mit dem zweiten NKF Summit zu Ende. Der nächste soll im kommenden April – möglicherweise in Düsseldorf – folgen, verrät NKF-Herausgeber Jan Thomas. Fazit: Startups und etablierte Unternehmen können viel voneinander lernen und letztlich gemeinsam profitieren. Insgesamt gilt es, Unternehmertum stärker wertzuschätzen, globaler zu denken, Skepsis zu überwinden und sich für neue Ideen zu öffnen. Ganz wichtig: Fehler dürfen gemacht werden, aber nur einmal. Außerdem: Startups und Corporates sind nicht allein. Mit EY beispielsweise gibt es Ansprechpartner und Hubs, die helfen, die beiden Welten zu verbinden. Man muss einfach nur miteinander reden. Den Anfang können die Teilnehmer gleich im Anschluss bei ein paar Drinks im Foyer des Radialsystems V machen.