Calm zum Erfolg:

Warum Achtsamkeit als Geschäftsmodell funktioniert

28/05/2019
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Als Steve Jobs in den 70er Jahren durch Indien reiste, roch Meditation noch nach Räucherstäbchen und esoterischem Humbug. Heute verknüpfen junge Unternehmen Meditation mit Tech und bieten so leicht konsumierbare Entspannungs-Snacks gegen den Dauer-Stress der digitalen Arbeitswelt. Beispiele sind neben Calm etwa Headspace, 7mind, Zenify, 10% Happier, Du hast Pause oder Stop, Breathe, Think.

Neben Calm haben sich bereits etliche weitere Mediations-Apps auf dem Markt etabliert. Ist das alles nur ein Trend oder steckt da mehr dahinter?

Alex Will: Unsere Welt hat sich verändert. Wir leben heute ganz anders als vor zehn oder sogar vor fünf Jahren. Der Stresslevel steigt. Wir sind rund um die Uhr vernetz. Langeweile gibt es nicht mehr. Nur auf den Bus zu warten oder zu Hause einfach mal nichts zu machen, das gibt es fast nicht mehr. Heute ist immer irgendetwas, wir sind den ganzen Tag lang Nachrichten und Werbebotschaften ausgesetzt, die mit allen Mitteln um unsere Aufmerksamkeit kämpfen. Dazu kommen die längeren Arbeitszeiten, vor allem in den USA und in Asien, aber auch in Deutschland. Die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit verschwinden, es wird schon fast von uns erwartet, auch am Abend und am Wochenende auf E-Mails zu antworten. Das ist der Kontext von Calm. Natürlich gibt es immer neue Player, sie merken, dass dieser Bereich heiß geworden ist.

Was unterscheidet Calm von anderen Mediations-Apps?

Alex Will: Wir machen das seit sieben Jahren, mit viel Liebe, Energie und Leidenschaft. Und das merken unsere Nutzer. Außerdem bieten wir neben Meditation auch Entspannung und Einschlafhilfen an, also ein Rundumpaket. Und das ist der größte Unterschied. Zusätzlich sind aber noch ein paar andere Sachen passiert, die großartig für Calm waren. Apple hat uns 2017 aus zwei Millionen Apps als App of the Year ausgewählt. Das war ein großer Moment für uns, weil wir da noch ziemlich klein waren. Wir wachsen auch schnell in den Bereichen Sales und Revenue, was für viele Startups ja auch immer schwierig ist. Wir sind die 19 schnellsten wachsende Privatfirma in den USA.

Kannst du konkret ein paar Zahlen nennen?

Alex Will: Aktuell haben wir mehr als 1,5 Millionen zahlende Nutzer weltweit. Wir bieten für sieben Tage eine Freemium-Version. Das Jahres-Abo kostet derzeit 39 Euro in Deutschland. Am Anfang war es allerdings ziemlich schwierig für uns, Investoren zu finden. Über einzelne Business Angels haben wir in mehreren Runden in den ersten Jahren gerade mal 1,5 Millionen Dollar erhalten. Die Frage war immer, ob Meditation als Markt groß genug ist. Erst 2018 hat sich das geändert und neulich sind wir mit einem Funding von 88 Millionen Dollar zum ersten Mental Health Unicorn der Welt aufgestiegen. Die Welt hat glaube ich erkannt, dass Meditation und Achtsamkeit nicht nur etwas für Yogis ist, sondern auch ein riesen Markt.

War das große Business von Anfang an euer Ziel?

Alex Will: Wir wollten immer eine Brand bauen, die global funktioniert. Damit man das schaffen kann, muss man das richtige Business Modell finden. Ich habe vor Calm schon einige Firmen gehabt, bei denen das Geschäftsmodell nicht so gut funktioniert hat. Und das war echt schwierig, für mich als Gründer und auch für die ganze Mannschaft, gegenüber der man natürlich auch eine Verpflichtung hat. Mit Calm haben wir jetzt eine Mission, durch deren Linse wir unsere Fans ansprechen.

Und was ist die Mission von Calm?

Alex Will: Unsere Mission ist es, die Welt glücklicher und gesünder zu machen. Und am Anfang hatten wir ganz wenig Geld dafür. Das war auch wichtig, denn dadurch waren wir gezwungen, ein richtig gutes Produkt zu kreiren. Wir haben acht Millionen Downloads geschafft, bevor wir nur einen Dollar in Marketing gesteckt haben. Das konnten wir nur erreichen, weil die Leute unsere Produkt mögen und uns weiterempfohlen haben. Natürlich war es am Anfang nicht leicht, es gibt uns ja schon seit 2013. Und die ersten drei Jahre waren wirklich hart. Erst dann wurde die Firma tatsächlich auch profitabel.

Wie fing eigentlich alles an?

Alex Will: Unser Gründer, Alex Tew, hat schon mit 15 Jahren angefangen zu meditieren, also vor 20 Jahren. Damals musste er, wie er selbst sagt, sich immer CDs aus so komischen Buchläden kaufen. Und dann kam das Internet, Alex war damals 21. Er hat eine Website online gestellt, milliondollarhomepage.com, auf der er eine Million Pixel verkauft hat, jeden Pixel für einen Dollar, so als Werbung. Damit hat er tatsächlich eine Million Dollar verdient, wurde darauf natürlich viel interviewt, in Fernsehshows eingeladen und ging in England richtig durch die Medien. Bevor wir mit Calm angefangen haben, hatte er dann noch eine weitere Idee, donothingfortwominutes.com. Das ist einfach ein schönes Bild von einem Sonnenuntergang und ein Timer, der immer wieder von vorne beginnt, sobald du deine Maus bewegst oder dein Keyboard berührst. Du musst also wirklich für zwei Minuten nichts mache. Damit haben wir tatsächlich die ersten 100.000 E-Mails für Calm generiert.

Moby war für einen Monat exklusiv auf Calm zu hören.
Homescreen der Calm-App.
Deutsche Schauspieler wie Sebastian Koch leihen Calm ihre Stimme.

Was waren die weiteren Bausteine auf dem Weg zum Erfolg?

Alex Will: Eine Sache die uns mit Calm richtig geholfen hat, war die steigende Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen zum Thema Meditation. Das hat Mediation aus der esoterischen Ecke herausgeholt und wir konnten unsere Geschichte ganz rational erzählen. Auch beim Design von Calm haben wir darauf geachtet, ganz klar und simpel zu bleiben und alles sehr liebevoll zu gestalten. Außerdem haben wir gemerkt, dass die Leute unsere App am häufigsten zwischen neun und zehn Uhr am Abend benutzen, also bevor sie Schlafen gehen. Das hat uns dazu bewegt, Schlafgeschichten zu integrieren, genauso wie entspannende Klänge, Bilder, Atemübungen und auch Musik. Eine gute Mischung also.

Wer macht denn die Inhalte für Calm?

Alex Will: Wir haben tatsächlich Komponisten, die für uns Musik machen. Außerdem gehen wir Partnerschaften ein, gerne mit bekannten Musikern. Ein gutes Beispiel ist Moby. Sein neues Album war exklusiv für einen Monat auf Calm zu hören, bevor es auf Spotify und anderen Streaming-Diensten veröffentlicht wurde.

Damit generiert ihr bestimmt auch Nutzer, oder?

Alex Will: Ja, klar. Für ihn ist es aber auch eine schöne Partnerschaft.

Macht ihr das auch in anderen Bereichen?

Alex Will: Weniger, aber schon auch. In Deutschland arbeiten wir mit Schauspielern zusammen, die unsere Inhalte lesen, etwa mit Sebastian Koch. Und wir achten natürlich darauf, dass sich die Nutzer die Inhalte in ihrer Muttersprache anhören können. Es soll ja der Entspannung dienen und nicht beim hören anstrengen, weil ich erst übersetzen muss. Aktuell sind wir neben den USA und England in Deutschland und seit diesem Jahr auch in Frankreich.

Und wer schreibt die Meditationen und Texte für Calm?

Alex Will: Wir schreiben alle Inhalte selber, für Mediation gibt es eine Head of Mindfulness und zum ersten Mal fangen wir an mit Gast-Vorträgen. Es gibt Meditations-Lehrer, die sich sehr gut mit Trauer auskennen. Wichtige Themen sind auch Zufriedenheit, Stressmanagement oder Angsterleichterung. Aber die meisten Autoren mit denen wir hier zusammenarbeiten, sind nicht so berühmt wie Moby. Wie wir mit Meditation tatsächlich die große Menge erreichen, ist unser Daily Calm. Jeden Tag eine neue etwa 10 Minuten lange Mischung aus Atemübungen, einer Mediation und einer Lesson oder einem Zitat. Und das schöne ist, du musst die App nur aufmachen und Start klicken. Also ganz einfach.

Und wenn ich es vergesse, erinnert mich Calm dann daran?

Alex Will: Damit gehen wir natürlich sehr achtsam um. Jeder Nutzer kann selbst entscheiden, ob er Benachrichtigungen möchte oder nicht. Sonst wird Meditation noch zum Stress.   

Was sind eure nächsten Schritte?

Alex Will: Ich bin grade dabei eine Partnerschaft mit einer der größten Health Care Provider einzugehen. Denn für die Krankenversicherungen in den USA ist das Thema Mental Health ein echtes Problem. Immer mehr Menschen suchen Hilfe, eine Therapie ist sehr teuer, also was können sie allen Leuten geben, das im Alltag hilft? Calm wäre eine Option. Außerdem haben wir auch einige großen Firmen als Kunden, die Calm in ihrem Benefit-Package für Arbeitnehmer anbieten.