Lernen aus Investorensicht

Anton Waitz und Mila Cramer von Project A zum Thema Edtech

26/10/2018
header image

Warum investiert ihr in den Bereich Bildung?

Anton Waitz: Bildung ist ein riesiger Markt, in dem Digitalisierung noch erhebliches Effizienzpotenzial hat. Wir bei Project A glauben, Bildung wird ihren Internet-Moment noch erleben. Es gibt viele Gründe, die uns daran glauben lassen, dass die Digitalisierung der Bildung ein noch viel größeres Thema wird, als es heute schon ist.

Welche Gründe sind das?

Anton Waitz: Das ist zum einen der gesellschaftliche Wandel: Das Thema Weiterbildung gewinnt immer mehr an Bedeutung, auch weil es viele Jobs, die es heute gibt, in rund 15 Jahren vermutlich nicht mehr geben wird. Zum anderen sind das technologische Innovationen, die neue Lernkonzepte wie Personalisierung ermöglichen. Zuletzt wird der Weg auch durch Staat und Institutionen geebnet, die langsam erwachen und die nötige Infrastruktur bereitstellen. Ein gutes Beispiel dafür ist der DigitalPakt.

Welche technologischen Entwicklungen sind für euch im Moment am wichtigsten?

Anton Waitz: Machine Learning spielt eine große Rolle, aber auch mit anderen Technologien wie etwa Virtual Reality können ganz neue Lernerfahrungen gemacht werden. Beides sind Technologien, bei denen in den nächsten fünf bis zehn Jahren irrsinnig viel passieren wird.

Wie geht ihr bei euren Investments vor?

Anton Waitz: Wir sehen uns etwa 3.000 Unternehmen pro Jahr an und sprechen mit 1.000. Die gesamte Startup-Welt auch hier in Europa wird immer komplexer, sowohl technologisch gesehen als auch hinsichtlich der Bandbreite an Geschäftsmodellen. Um da richtig zu investieren, müssen wir uns stärker auf bestimmte Themen fokussieren. Wir nennen das Deep Dives, von denen wir immer vier oder fünf parallel laufen haben. „Education“ ist seit einem Jahr dabei, einer unserer längsten Deep Dives. Daneben haben wir noch Themen wie „Digital Health“, „Mobility“, „Industrie 4.0“, „Construction Tech“ und „E-Sports“.

Seht ihr Parallelen zwischen einzelnen Deep Dives, zum Beispiel zwischen „Digital Health“ und „Education“?

Mila Cramer: Da gibt es tatsächlich sehr viele Parallelen, zum einen wegen der verkrusteten Strukturen und zum anderen, weil bei beidem immer eine große staatliche und politische Komponente dabei ist. Und sowohl für den Bereich Health als auch Education sehen wir mehr potenzielle Investitionen außerhalb von Deutschland. Wir hoffen aber, in Zukunft auch hierzulande mehr zu sehen und zu investieren.

Bildung ist ihr Thema: Anton Waitz und Mila Cramer vom Investmentfonds Project A in ihrem Büro in Berlin-Mitte. Fotos: Marcus Glahn

Wie würdet ihr das Potenzial für Edtech in Deutschland einschätzen?

Anton Waitz: Mit dem DigitalPakt soll jetzt viel Geld in die Infrastruktur von Schulen, teilweise auch von Universitäten, gesteckt werden. In anderen Ländern wie Großbritannien zum Beispiel spielt die Digitalisierung schon eine viel größere Rolle. Beim britischen „Teaching-Excellence-Framework“ werden die Unis nach ihrem Innovations- und Digitalisierungsgrad gerankt. Und wer im unteren Drittel abschneidet, bekommt weniger Geld. Das ist natürlich ein echter Anreiz, sich mit digitalen Themen zu beschäftigen. Eines der Portfoliounternehmen bei Project A ist zum Beispiel ein Learning-Management-System namens Aula, eine Art Slack für Universitäten. In Deutschland würde das ewig dauern, bis sich die Universitäten selbst dafür interessieren würden. In Großbritannien kommen viele Unis selbst auf Aula zu!

„Bildung wird ihren Internet-Moment noch erleben“
Anton Waitz 

Haben es dann Anwendungen leichter, die sich an private Nutzer und nicht an staatliche Institutionen richten?

Mila Cramer: Ja, das ist generell einfacher. Aber speziell in Deutschland ist die Bereitschaft, für Bildung zu zahlen, extrem niedrig, weil wir einfach sehr daran gewöhnt sind, Bildung staatlich subventioniert zu bekommen. In anderen Ländern, in denen ein Studium bereits hohe Kosten verursacht, stehen private Ausgaben für das Lernen in einem ganz anderen Verhältnis. Auch hier sehen wir wieder Parallelen zum Health-Bereich.

Wie definiert ihr Edtech überhaupt?

Mila Cramer: Edtech ist eigentlich alles, wo Technologie uns hilft zu lernen. Eine Möglichkeit, das Thema anzugehen, ist die Unterteilung nach Lebensabschnitten. Das beginnt in sehr frühem Alter, auch für Kleinkinder gibt es schon sehr viele iPad-Applikationen. Dann natürlich K12 – das umfasst eigentlich alles vom Kindergarten bis zum Schulabschluss. Der Kunde hier ist in der Regel eine staatliche oder halbstaatliche Institution, nämlich die Schule. Dann gibt es den Bereich Higher Education, also den ganzen Universitätsbereich. Es geht weiter mit dem Weiterbildungsbereich, mit Corporate Education und dem etwas unbestimmten Begriff des Life-Long Learnings. Unter Life-Long Learning fallen auch zum Beispiel Sprachlern-Apps wie Babbel.

Wo liegen die Schwerpunkte von Project A?

Anton Waitz: Wir konzentrieren uns vor allem auf die Bereiche Higher Education und Corporate Learning. Wir haben uns viele Themen im Universitätsbereich angeschaut. Wir glauben zwar nicht daran, dass die Universität durch virtuelle Tools und Technologien komplett ersetzt wird. Wir denken, dass sie als soziale Struktur immer bestehen bleiben wird, genauso wie die Schule. Da geht es vor allem um sogenannte Soft Skills, beispielsweise, wie man sich im Team verhält oder klar kommuniziert. Und das funktioniert nur durch soziale Interaktionen. Diese komplett digital abzubilden, ist schwierig, wird aber durch Edtech-Tools wie Aula oder Peergrade unterstützt. Beide erlauben es Studenten und Dozenten, so zu kommunizieren, wie es bisher nur offline möglich war.

Ist das Konzept der MOOCs also gescheitert?

Anton Waitz: MOOCs waren auch deshalb nicht so erfolgreich, wie man damals gedacht hätte, weil sie keinerlei Interaktionsmöglichkeiten bieten. Nach dem ersten oder zweiten Kurs gehen die Teilnehmerzahlen signifikant nach unten. Denn du brauchst auch analoge Strukturen, um Bildung zu überliefern. Ich erinnere mich an nur noch sehr wenig, was ich in der Schule im Biologie-Unterricht gelernt habe. Aber ich erinnere mich noch genau, wie ich damals mit Leuten interagieren musste, um im sozialen Gefüge wahrgenommen zu werden oder mich durchzusetzen. Das prägt viel stärker, egal in welchem Alter.

Einer der Ursprungsgedanken bei MOOCs war es ja, Bildung zu demokratisieren.

Anton Waitz: Ja, eigentlich schon. Das Interessante ist, dass mittlerweile der Großteil der MOOCs Bezahlschranken einzieht, wenn es sich nicht gerade um ein Leuchtturmprojekt von MIT oder Harvard handelt.

Mila Cramer: Der Wille dieser Universitäten, der breiten Masse Zugang zu bieten, ist auf jeden Fall noch da –aber einen Abschluss bekommt man dabei nicht, und der ist heute eben immer noch viel wert.

Aber trägt Edtech denn zur Demokratisierung von Bildung bei?

Anton Waitz: Durch die Digitalisierung ist es zumindest möglich, etwas qualitativ Hochwertiges skalierbar anzubieten. Wenn man sowohl Inhalte als auch Tools einer breiten Masse zur Verfügung stellen kann, muss auch der Preis nicht so hoch angesetzt werden. Solche Angebote können dann einen echten Mehrwert für die Gesellschaft bedeuten. Wahre Demokratisierung findet allerdings nicht statt. Zwar hat jemand in Bolivien jetzt eher die Möglichkeit, sich einen MIT-Vortrag anzuhören, was eine super Entwicklung ist – trotzdem wird ein Großteil an Edtech-Produkten für Menschen in Industrieländern entwickelt. Bildung ist ja aktuell sehr demokratisch in Deutschland, da geht der Trend leider eher Richtung Privatisierung – das sehen wir an den zahlreichen Privatschulen, die besonders hier in Berlin-Mitte aus dem Boden sprießen.

Wieso setzt Project A den Fokus gerade auf Universitäten?

Anton Waitz: Auf universitärer Ebene gibt es wahnsinnig viele Möglichkeiten, durch Digitalisierung Effizienzen zu schaffen. Die Strukturen sind längst nicht so verkrustet wie im Bereich K12. Bei den Schulen ist immer gleich der Staat involviert. Universitäten sind autarke Gebilde, bei denen man zwar den Vizepräsidenten überzeugen muss, aber das ist immer noch besser als gleich das Land Mecklenburg-Vorpommern. Der Bereich, den wir uns am intensivsten anschauen, ist aber Corporate Learning, weil da unfassbar viel Geld drinsteckt. Als Fonds müssen wir am Ende auch wirtschaftlich denken und können nicht nur die Welt verbessern, auch wenn wir das gerne würden. Der Fachkräftemangel treibt viele Arbeitgeber um, dadurch spielt das ganze Thema Weiterbildung eine große Rolle.

„Deutsche sind es gewohnt, Bildung staatlich subventioniert zu bekommen“
Mila Cramer

Den Bereich Corporate Learning haben also auch die Startups für sich entdeckt?

Mila Cramer: Weil im Corporate-Learning-Bereich so viel Geld steckt, versuchen viele Startups, den High-er-Education-Bereich mit dem Corporate-Learning-Bereich zu verbinden. Ein Beispiel dafür sind private Developer Schools, bei denen Schüler mit verschiedensten Hintergründen zusammenkommen, um programmieren zu lernen. Viele dieser Schulen monetarisieren nicht durch klassische Studiengebühren, sondern sichern sich einen Anteil am zukünftigen Gehalt – wie eine Headhunter-Gebühr. Der zukünftige Arbeitgeber finanziert also die Bildung.

Anton Waitz: Diese Development Schools sind übrigens auch der perfekte Beleg für meine These, dass die virtuelle Universität die physische Universität nicht ersetzen wird.

Wie meinst du das?

Anton Waitz: Zu Beginn der MOOCs gab es eine Zeit, in der sich alle sicher waren, dass es in zehn Jahren keine Unis mehr gibt. Und jetzt haben wir diese Developer Schools, die natürlich viel mit digitalisiertem, skalierbarem Material arbeiten, das man sich von zu Hause aus aneignen kann. Wichtiger Bestandteil ist aber auch, den Großteil der Zeit mit Leuten in einem Raum zu sein und physisch zu interagieren, auch wenn am Ende alle nur nebeneinandersitzen und coden.

Wie misst man denn den Erfolg von Edtech?

Mila Cramer: Der Effekt von Änderungen im Bildungssystem ist oft erst über Generationen nachweisbar. Im ganzen Education-Bereich ist es deshalb extrem schwierig, Erfolge messbar zu machen. Unser zweites Edtech-Startup Peergrade zum Beispiel nutzt sogenanntes formatives Feedback. Da bekommt der Lernende während des Lernprozesses von anderen Lernenden Feedback. Wir bei Project A glauben, das hat einen positiven Einfluss aufs Lernen, und wissenschaftliche Studien geben uns da recht – wirklich wissen können wir es aber nicht. Deshalb stützen sich viele Institutionen auf das sogenannte Evidence-Based Learning, also die Anwendung von Lernkonzepten, die über Generationen hinweg erwiesenermaßen effektiv sind.

Anton Waitz: Wir als profane Investoren messen natürlich auch die monatlich wiederkehrenden Umsätze, die gemacht werden.

Als Investoren müsst ihr natürlich auch immer an einen Exit denken. Wer käme denn da für eure Edtech-Startups infrage?

Anton Waitz: Einerseits große Verlage, die in der Lage sind, so große Investments zu tätigen. Pearson etwa oder Bertelsmann, das den Education-Bereich als strategisches Feld für sich identifiziert hat. Im Fall von Aula zum Beispiel gäbe es noch die alten, großen Learning-Management-Systeme, die sich irgendwann erneuern müssen. Die kaufen dann oftmals lieber etwas, damit sie es nicht selbst entwickeln müssen. Eine ganz große Rolle spielen aber auch hier Google, Apple und Microsoft, die sich ihren eigenen Kampf im Education-Bereich liefern. Beispielsweise stellen sie ihre Hardware zu günstigeren Preisen zur Verfügung, um so Zugang zu den Schulen zu bekommen und dann vor allem auch ihre Software zu etablieren.