Digital Labs:

„Ein Geben und Nehmen“

30/03/2017
header image

Digital Labs liegen im Trend. In professioneller Umgebung identifizieren etablierte Unternehmen innovative Startups und fördern ihre Geschäftsideen. Das kann für junge Unternehmen Fluch und Segen zugleich sein.

Sie sind bereits das Ziel eigens organisierter Bustouren. Insbesondere mittelständische Unternehmer sollen sich angesprochen fühlen und einen Trip durch die Digital Labs der Hauptstadt buchen. Als Tech-Touristen können sie eine Reise durch die Labore der etwas anderen Art unternehmen. „Die etablierten Unternehmen sollen verstehen, welche Chancen und Risiken bestehen und welche Dinge keinesfalls übersehen oder gar ignoriert werden sollten“, sagt Bastian Halecker, Gründer von Startup Tour Berlin.

Ja, Berlin ist stolz auf die Ideenschmieden, die in Kooperation mit etablierten Unternehmen entstehen. Zwar hat ausgerechnet in der deutschen Hauptstadt kein Dax-Konzern seinen Hauptsitz. Und doch investiert die Old Economy jedes Jahr kräftig in die Metropole und sucht die Nähe zur Startup-Szene. Nach einer Studie des IT-Analysten Crisp Research hatten Mitte 2016 bereits 60 Prozent der Dax-Konzerne ein Digital Lab in Betrieb oder in Planung. Und mehr als die Hälfte der 61 untersuchten Labs hat seinen Standort im als hip und kreativ geltenden Berlin. 21 Prozent sind in München, Frankfurt und Hamburg folgen mit Abstand (je 4,8 Prozent).

Betrachtet man den Entwicklungsstand der Digital Labs in Deutschland von 2012 bis 2015, so lässt sich festhalten, dass sich die Anzahl verdreifacht hat. Typische Ausprägungen der Schnittstellen sind Innovation Lab, Company Builder, Accelerator und Inkubatoren. „Es kann sich heute fast kein größerer Konzern mehr erlauben, auf ein Digital Lab zu verzichten“, sagt Carlo Velten, CEO von Crisp Research. „Grundsätzlich ist es auch verständlich, dass derzeit so viele Hubs entstehen: Es zeigt, dass die Digitalisierung ernst genommen wird. Und Ideen wachsen dort einfach anders als in den starreren Strukturen eines Großkonzerns. Es gibt kaum eine Branche, die nicht in Digital Labs engagiert ist. Der Großteil, rund ein Drittel der Labs, ist laut Crisp Research dem Bereich IT, Telekommunikation und Medien zuzuordnen, gefolgt von der produzierenden Industrie (21,3 Prozent) und mit jeweils 9,8 Prozent Banken und Versicherungen sowie Groß- und Einzelhandel. Schlusslichter sind Versorger und Energiewirtschaft (3,3 Prozent) sowie der öffentliche Sektor.

„Es kann sich heute fast kein größerer Konzern mehr erlauben, auf ein Digital Lab zu verzichten“.

Zuarbeit für den Mutterkonzern

Die Deutsche Telekom beispielsweise hat mit dem Hubraum in Berlin eine beispielhafte Spielwiese für Entrepreneure geschaffen. In gemütlichen Sitzecken grübeln Gründer über Geschäftsmodelle, tauschen sich untereinander aus. Es gibt Konferenzräume und Mentoren, die die Gründer in beratender Funktion zur Seite gestellt bekommen haben, huschen über die Gänge. „Wir wollen die Kreativkraft von Startups für uns nutzbar machen und dadurch auch unsere Innovationspipeline beschleunigen“, erklärt Axel Menneking. Als Leiter des Hubraum-Programms, das auch in Krakau und Tel Aviv Ableger betreibt, ist er sicher: „Durch die Zusammenarbeit mit den Startups bekommen wir wertvolle technologische Insights.“

Jährlich pumpt der Mutterkonzern, der einen Jahresumsatz von knapp 70 Milliarden Euro macht, „einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag“ in den Innovations-Ableger. Im Gegenzug für Unterstützungsleistungen wie Mentoring, Zugang zu Technologien, Plattformen und die Vorstellung bei Kunden erwartet Hubraum, dass die Teams Zeit aufwenden, um an technologischen Schnittstellen zu arbeiten, die auch für den Mutterkonzern von Bedeutung sind. Die etablierten Unternehmen bewegen sich im Sog der Venture Capitalists. Sie beteiligen sich schon länger finanziell an aussichtsreichen Startups. Die Konzerne ziehen mit einiger Verspätung nach – und wollen die Sache selber in die Hand nehmen. „Natürlich ist da die Sorge, etwas zu verpassen. Es spricht sich herum, dass jedes Geschäftsmodell durch die Digitalisierung stark beeinflusst werden kann“, sagt Hendrik Brandis, Partner beim Venture Capitalist Earlybird. Für ihn gibt es aber Unterschiede bei der Herangehensweise: „Die Digital Labs der Konzerne sind mehr auf strategische Verbindungen zu Corporates aus als andere Investoren. Überspitzt gesagt: Sie geben Geld und Kooperationen, wir Geld, unabhängigen Rat und Netzwerk.“

Hubraum: Hier will die Telekom die „Kreativkraft von Startups nutzbar machen und dadurch auch unsere Innovationspipeline beschleunigen“ (Bild: Deutsche Telekom)

Und noch etwas fällt auf: „Für viele Konzernchefs ist ein Digital Lab ein Statussymbol“, erklärt Velten: „Es sieht gut aus, man kann dort schöne Events abhalten. Ein tiefer gehendes Interesse und auch ein Plan, wie man den Hub wirklich sinnvoll mit dem Kern-Unternehmen verzahnen kann, ist jedoch häufig nicht vorhanden.“ Einige Fälle aus der jüngeren Vergangenheit belegen diese Annahme: So hat der Getränkehersteller Coca-Cola sein Startup-Programm nach drei Jahren zum Jahreswechsel wieder eingestellt. Und auch Scout 24 hat seinen Accelerator You Is Now im Februar 2017 wieder geschlossen. Umstrukturierungen im Unternehmen wurden als wenig konkreter Grund genannt. Die meisten Konzerne sind nicht bereit, auch das umzusetzen, was die Labors produzieren, sagt der Schweizer Internetunternehmer und Investor Marc Bernegger in der Welt. „Radikale Innovation kann bedeuten, dass die Firma einige Aktivitäten komplett einstellen muss – und dafür fehlt oft der Wille.“

Nicht blenden lassen

Auf der anderen Seite stehen Unternehmen wie Otto Bock. Der Weltmarktführer für technische Orthopädie entwickelt in Berlin auf dem Gelände der alten Bötzow-Brauerei ein Innovationszentrum. Trotz eines vergleichsweise geringen Jahresumsatzes von „nur“ rund einer Milliarde Euro will Otto Bock insgesamt rund 250 Millionen Euro in sein Future Lab investieren. „Wir denken langfristig und sind nicht an kurzfristigen Exits interessiert“, erklärte CEO Hans Georg Näder bei der Vorstellung des Konzepts.

Wie ein konkreter Nutzen aus der Kooperation mit Startups erwachsen kann, zeigt BMW. In den Werken des Autobauers werden bereits 230 so genannter „Pro Gloves“ verwendet. Die Handschuhe haben einen integrierten Barcode-Scanner und verfügen unter anderem über Temperatur- und Bewegungssensoren. Hersteller der futuristischen Handschuhe ist das Münchner Startup Workaround, einem Teilnehmer von UnternehmerTUM. Das Zentrum für Gründung Zentrum für Innovation und Gründung an der TU München identifiziert innovative Startups und begleitet sie bei der Verwirklichung ihrer Geschäftsideen. Neben BMW gehören unter anderen auch Bosch, Airbus, Lufthansa und Infineon zu den Industriepartnern. Ein genereller Trend lässt sich nicht ausmachen. Während manche Unternehmen ihren Digital-Ableger mit großem finanziellen Aufwand und viel Ernsthaftigkeit betreiben, dient das angesagte Lab anderen nur als Prestigeprojekt. Für Startups bedeutet es, eine Zusammenarbeit nicht überstürzt einzugehen und sich von großen Namen nicht blenden zu lassen. „Als Startup sollte ich mir gut überlegen, ob und in welches Lab ich gehe“, sagt Velten: „Es gibt Fälle, in denen zwei Mann einen Großkonzern digitalisieren sollen. Dass das so nicht klappt, ist klar.“ Eine kritische Größe mit entsprechenden finanziellen Handlungsmöglichkeiten sei für die Entwicklung eines Labs und damit auch die Entwicklung der einbezogenen Startups ebenso wichtig wie eine entsprechende Führungsspitze in dem Innovations-Ableger. Die müsse sowohl im Startup-Sektor Erfahrung haben, als auch die Rückendeckung der Konzernspitze genießen und entsprechend frei agieren können.

„Als Startup sollte ich mir gut überlegen, ob und in welches Lab ich gehe.“

Abhängigkeit vermeiden

Und schließlich ist da noch das Thema Gegenleistung. „Es kann der Fall sein, dass wir selektiv auch Minderheitsbeteiligungen durch Seed Investments an Startups eingehen. Aber das variiert von Fall zu Fall“, sagt Hubraum-Leiter Menneking. Er betont: „Bei Hubraum ist das Engagement oftmals nicht an Anteile gebunden. Und wir verlangen ohnehin nicht, dass Exklusivverträge geschlossen werden.“ Das ist nicht in jedem der Unternehmens-Labore so.

Und gerade die finanziellen Abhängigkeiten können für die weitere Entwicklung des Startups zum Hemmschuh werden. „Für uns kann es ein Problem sein, wenn ein Startup bereits ein Lab-Programm durchlaufen hat“, sagt Hendrik Brandis von Earlybird: „Das kommt immer auf die bestehende Abhängigkeit vom Unternehmen an.“ Die Befürchtung: Hängt ein Startup einmal am Tropf eines Großkonzerns, ist die generelle Handlungsfähigkeit des jungen Unternehmens eingeschränkt. Und auch das kreative Potential werde durch eine allzu enge Bindung an die vom „großen Bruder“ vorgegebenen Strukturen beengt. Für weitere Investoren wird das Jungunternehmen so zunehmend uninteressant. Er rät: „Gründer sollten versuchen, von den Vorteilen eines Digital Lab zu profitieren – so lange ich mich nicht in eine Abhängigkeit begebe.“ Geht es nach der Prognose von Crisp Research haben Startups die Wahl. Der Anteil derjenigen mittelständischen und Großunternehmen nahezu verfünffachen. Folglich werden die Ausgaben für den Betrieb von Digital Labs in Deutschland auf bis zu rund 1,5 Milliarden Euro jährlich steigen. Parallel geht Velten aber auch von einer Konsolidierung aus. „In den nächsten zwei Jahren werden wieder Labs schließen. Ich glaube, dass wir in eine Phase der digitalen Ernüchterung reinlaufen könnten.“

„Für uns kann es ein Problem sein, wenn ein Startup bereits ein Lab-Programm durchlaufen hat.“

Weckruf für die Old Economy

Viel wird davon abhängen, ob die mit den Digital Labs verknüpfte Vision in den Führungsebenen ankommt. Die von Startup Tour Berlin organisierten Trips durch die Szene haben das Zeug, bei den Teilnehmern einen Weckruf auszulösen. Die Touren lassen sich individuell konfigurieren. Bastian Halecker und sein Team zeigen den Managern, wie diese neuen Ökosysteme aufgebaut sind und funktionieren.

Das bleibt nicht ohne Wirkung. ,,Wir finden uns selbst wieder interessanter, haben uns gedanklich geöffnet, und alle wollen mitmachen. Startups sind für uns auch eine Innovationskraft“, sagt zum Beispiel Christopher Rheidt, Geschäftsführer des Dokumentenservice-Anbieters Triumph-Adler in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Regelmäßig schickt das fränkische Unternehmen seine Mitarbeiter auf Tour durch Berlin. ,,Im Vordergrund steht für das Unternehmen die Suche nach innovativen Partnern, welche radikal neue Technologien mit uns umsetzen können“, sagt Rheidt.

Mittlerweile betreibt das Unternehmen ein eigenes Lab in der Hauptstadt. Im Coworking-Space St. Oberholz konnten bereits strategische Kooperationen mit Startups ins Leben gerufen werden. Ein Beleg, dass eine Symbiose zwischen dem Traditionsunternehmen und der Gründerszene den Weg in die digitale Zukunft für beide Seiten ebnen kann.