Das Rollerpotenzial

13/12/2018
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Während in den USA die Roller schon fast zum Stadtbild gehören, wird sich in Europa erst noch rausstellen, wer das Rollerrennen machen wird. Erst in wenigen europäischen Städten gibt es die Roller bereits, von der Firma Lime in Paris oder die Roller von Tier Mobility in Wien.

Hinter Tier Mobility steckt Rebuy-Gründer Lawrence Leuschner, zusammen mit Angel-Investor Julian Blessin und Matthias Laug von Takeaway. Erst im Oktober sammelte das Startup 25 Millionen Euro ein von Investoren wie Northzone, Point Nine und Speedinvest. Tier habe das Potenzial, einer der großen Player in Europa zu sein, sagt Paul Murphy, Partner bei Northzone gegenüber dem Forbes Magazin. Insgesamt räumt er zwei bis drei großen Playern Platz ein im europäischen Rollersegment.

Viele Player, skeptische Investoren

Neben Tier steht eine ganze Reihe an weiteren Roller-Ventures in den Startlöchern. So etwa Go Flash des Seriengründers Lukasz Gadowski oder Leihfahrradanbieter Byke, der nun unter dem Namen Wind Roller anbietet. Mytaxi, der Uber-Konkurrent von Daimler, will laut Techcrunch noch in diesem Jahr eine Testphase für E-Scooter in Südeuropa starten. Und auch Taxify gab jüngst bekannt, mit E-Scootern in Europa starten zu wollen. Natürlich nicht zu vergessen die amerikanischen Riesen Bird und Lime.

Tier Mobility ist im Herbst 2018 in Wien gestartet.

Angesichts dieser großen Konkurrenz bleiben manche Investoren skeptisch. Einige entscheiden sich deshalb auch, nicht in den Verleih von Rollern zu investieren, sondern stattdessen in Firmen, die Roller produzieren. So wie etwa Gogoro aus Taiwan oder Govecs aus München. Doch ob die Roller auch in Europa wirklich das neue große Ding werden, muss sich noch herausstellen. Noch ist die rechtliche Lage nicht geklärt. In Deutschland soll die eKFV, die Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr, Anfang nächsten Jahres in Kraft treten.

Zudem ist der öffentliche Nahverkehr in Europas Großstädten sehr engmaschig. Es gibt bereits Transport­optionen, gegen die sich die Roller durchsetzen müssten. Schlechtes Wetter kann auch zum Problem werden. Außerdem gelten Europäer und vor allem die Deutschen als sehr preissensibel, sagt Sebastian Stigner, der Gründer von Urmo.

Viele europäische Großstädte haben mit der Masse der Leihräder zu kämpfen.

Eine Fahrt mit einem Tier-Roller in Wien kostet einen Euro plus 15 Cent pro Minute. Bei einer halben Stunde Fahrt sind das schon fünf Euro. Ganz schön viel Geld für ein Gefährt, das es als einfaches Modell schon für 300 Euro zu kaufen gibt. Die Seite Oversharing rechnet am Beispiel von Lime in den USA vor, dass ein Roller seine Investitionskosten schon nach zwanzig Tagen wieder eingefahren hat.

In den USA sind die elektrischen Tretroller von Bird, Lime und Co. schon seit über einem Jahr unterwegs. Auch dort lief nicht alles glatt – die Firmen zogen den Ärger der Anwohner und Stadtverwaltungen auf sich, weil die Roller achtlos im Weg geparkt oder in den Straßengraben geworfen wurden. Als Antwort auf den häufigen Vandalismus installierte Lime ein Update, mit dem der Roller Alarm schlägt, sobald jemand versucht, ihn unsachgemäß zu öffnen. Ob ein aggressiver Roller das Akzeptanzproblem löst, ist allerdings fraglich. In Deutschland gab es ähnliche Probleme mit den Leihfahrrädern. Als die chinesische Firma Obike diesen Sommer pleite ging, hinterließ sie in den Innenstädten Tausende der gelben Billigfahrräder. Um die Probleme mit den Tretrollern aus den USA nicht in Deutschland zu wiederholen, werden die Verwaltungen strenge Regeln für die Anbieter aufstellen müssen.

Wachstum um jeden Preis

In den USA hat vieles bei der Strategie der Leihrollerfirmen an Uber und Lyft in ihren Anfangszeiten erinnert, wie das Nachrichtenportal The Verge feststellt: unangekündigt irgendwo auftauchen, Kunden gewinnen und im Nachhinein um Entschuldigung bitten.

Bird wurde vor kurzem auf mehr als zwei Milliarden US-Dollar bewertet.

Das hat nicht überall funktioniert. In einigen Städten wie Beverly Hills sind die Roller mittlerweile komplett verboten. In San Francisco erschienen die Roller im März dieses Jahres wie aus dem Nichts und waren drei Monate später genauso schnell wieder verschwunden. Ein paar Wochen später erteilte die Stadtverwaltung nur den beiden Firmen Scoot und Skip die Erlaubnis, die Scooter in der Stadt zu testen. Sehr zum Missfallen der beiden großen Player Bird und Lime. Das tat deren Erfolg jedoch keinen Abbruch. Bird etwa wurde jüngst auf mehr als zwei Milliarden US-Dollar bewertet. Die Firma ist schon in mehr als 100 Städten vertreten und konnte mehr als 10 Millionen Fahrten verbuchen.

Auch die Ride-Sharing-Anbieter Uber und Lyft wollen ihr Angebot nun auf Roller ausweiten. Lyft hat seinen ersten Roller-Sharing-Dienst dieses Jahr in Denver gestartet. Unternehmen wie Uber, Lyft oder Mytaxi haben den großen Vorteil, dass sie bereits auf ihren bisherigen Kundenstamm aufbauen können. Und durch die geringen Kosten für die Roller ist der Markteintritt einfacher als etwa für Carsharing-Anbieter.

Entscheidung auf der letzten Meile

Laut einer Studie von Roland Berger soll der globale Bike-Sharing-Markt bis 2021 ein Volumen von bis zu acht Milliarden Euro erreichen. Ein Grund, weshalb Investoren gerade so verrückt nach Mobility-Startups und insbesondere nach den Roller-Ventures sind, ist laut Martin Mignot von Index Ventures auch die sogenannte letzte Meile. Damit sind die kurzen Wege zwischen Wohnung, U-Bahnstation und Arbeit gemeint. Die könne ein Leihroller viel besser abdecken als ein Carsharing-Angebot, so Mignot zum Portal Techcrunch.

Wer sich beim Rennen um die letzte Meile wirklich durchsetzen kann, wird sich jedoch erst im nächsten Jahr zeigen, wenn das Wetter wieder Tretroller-tauglich wird.