Risikoinvestor Albert Wenger:

„Wenn es uns nicht mehr gebe, wäre das auch okay“

20/12/2016
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Albert, Risikoinvestoren haben nicht immer den besten Ruf. Bei Union Square, wo Du als Partner arbeitest, ist das anders. Bei diesem Namen bekommt jeder leuchtende Augen. Warum?

Albert Wenger: Weil wir ein paar Dinge machen, die uns am Herzen liegen – und die etwas ungewöhnlich sind. Dazu gehört, dass wir bei gewissen Themen politisch engagiert sind. In erster Linie sind das Themen, die innovativ sind. Bei den meisten Investitionen, die wir tätigen, haben wir eine ganz bestimmte These. Und dann versuchen wir auch, gezielt Teams zu treffen, die in diesem Bereich unterwegs sind.

Bekannt ist, dass Union Square früh in Twitter investiert hat. Was war in diesem Fall die These?

Albert Wenger: Wir waren einer der ersten Investoren. Unsere Vorstellung war, dass Twitter ein Netzwerk der Netzwerke sein könnte. Wir verbringen viel Zeit damit, darüber nachzudenken: Wie können wir eine digitale Identität haben, die wirklich von einem selbst kontrolliert wird? Aber nicht auf eine Art und Weise, die hoch technisch ist, also ohne eigenen Server, ohne irgendwelche kryptografischen Schlüssel. Deshalb gab es damals dieses ‚Sign in with Twitter‘. Bedeutet: Du kannst deine Twitter-Identität zu anderen Diensten mitnehmen.

Mittlerweile bist Du als Investor ausgestiegen.

Albert Wenger: Ja. Die Vorstellung, die wir hatten, deckt sich nicht unbedingt mit dem, was das Unternehmen heute ist. Und ich glaube auch nicht, dass es das noch werden kann. Im Rückblick hat es eine Reihe von Fehlschritten gegeben. Twitter hat beispielsweise alle Third-Party-Clients verboten. Der Grundgedanke ging verloren – und letztendlich war Facebook in diesem Bereich besser. Ich halte aber immer noch private Anteile und bin auch optimistisch, dass Twitter ein wichtiges Netzwerk der Welt sein kann.

In Berlin bist Du auch an Soundcloud beteiligt …

Albert Wenger: Wir haben in der Series B in Soundcloud investiert, das ist rund sieben Jahre her. Die These war in dem Fall, dass Künstler ihre Musik ohne Umwege beitragen können und dementsprechend die Vielfalt und der Reichtum an Inhalten deutlich größer ist, als es bei den großen Labels der Fall wäre. Wir glauben generell daran, dass das Internet Menschen die Möglichkeit bietet, ihre Produkte, ihr Wissen und ihre Kunst direkt miteinander zu verbinden.

Albert Wenger: „Es fällt vielen Menschen einfach unglaublich schwer, sich vorzustellen, dass es etwas Neues geben könnte.“ (Foto: Saskia Uppenkamp)

Eine Welt ohne Mittler?

Albert Wenger: Nicht unbedingt ohne Mittler, das wäre zu extrem. Der Mittler kann dann bestehen, wenn er genug zusätzlichen Wert schafft. Aber er sollte nicht unbedingt das Sagen darüber haben, wer beispielsweise Musik herausgeben oder verlegen darf.

Mit Onefootball seid Ihr an einem weiteren Berliner Startup beteiligt: Fußball statt Musik – ein ganz anderes Feld.

Nicht unbedingt. Auch Fußball ist eine globale Sache. Unsere These ist, dass es die Möglichkeit gibt, ein Netzwerk zu schaffen, in dem Menschen auf der ganzen Welt zusammenkommen – und das wegen eines Sports. Ob das dann auch so passiert, wird sich noch zeigen.

Welche Rolle spielen die Zukunft und deren Technologien bei deiner Arbeit?

Albert Wenger: Eine entscheidende. Ich habe das Glück, dass das, was ich jeden Tag mache, dem entspricht, was mich auch intellektuell reizt. Für mich ist die große Frage: Wie kann die Zukunft aussehen, welche Rolle spielt die Technologie dabei und welche Rolle spielen wir Menschen dabei, indem wir diese Zukunft kollektiv und auch individuell schaffen. Meine große Überzeugung ist, dass wir in der Geschichte der Menschheit bisher drei große Phasen hatten und dass wir jetzt am Anfang einer nächsten Phase stehen. Im Prinzip waren da erst die Jäger und Sammler. Dann haben wir die Landwirtschaft erfunden, der Beginn der Agrargesellschaft. Anschließend hatten wir die Aufklärung und den wissenschaftlichen Fortschritt, den das Industriezeitalter gebracht hat. Die Computer bringen uns jetzt in ein neues Zeitalter – ich nenne es das Zeitalter des Wissens.

Und was erwartet uns in diesem Zeitalter?

Albert Wenger: Ich bin optimistisch in Bezug darauf, wo wir langfristig hinkommen könnten. Pessimistisch bin ich hingegen bei der Frage, wie wir dahin kommen. Der Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft war mit einem enormen Umbruch verbunden – es gab Revolutionen und ultimativ zwei Weltkriege, bevor wir wirklich dort angekommen sind. Und momentan stecken wir wieder in einer Phase des Umbruchs. Dabei fällt mir auf, dass es momentan viele Beispiele dafür gibt, wie die Demokratie zurückgefahren wird: sei es Duterte, Putin, Erdogan oder Orbán – in den USA geht Trump in eine ähnliche Richtung. Das sind Menschen, die Meinungen haben ohne Basis in Bezug auf wissenschaftlichen Fortschritt oder rationalen Dialog.

„FÜR VIELE MENSCHEN HAT DIE INDUSTRIEGESELLSCHAFT IN DEN LETZTEN 20 JAHREN SCHON NICHT FUNKTIONIERT“

Warum hängt der von Dir skizzierte Umbruch mit dem Erstarken von autoritären Staatenlenkern zusammen?

Albert Wenger:Die Politiker, die die großen Parteien in der Mitte der Gesellschaft vertreten, haben diesen Umbruch noch nicht verstanden. Sie glauben, dass die Industriegesellschaft wieder funktioniert, wenn man an ein paar Schrauben – zum Beispiel dem Zinssatz – dreht. Aber das ist ein Irrtum! Für viele Menschen hat die Industriegesellschaft schon in den letzten 20 Jahren nicht funktioniert. Sie haben das Gefühl, dass es den Eliten gut geht, während ihnen niemand zuhört. Ob das jetzt tatsächlich stimmt oder nicht: Bei vielen Leuten bleibt der Eindruck, dass eine Veränderung stattfindet, die ihnen nicht gefällt. Genau deshalb ist jetzt auch einer der wichtigsten Zeitpunkte, um zu beweisen, dass wir weiterhin demokratisch bleiben können und gemeinsam ein positives Bild der Zukunft entwickeln.

Wie könnte diese Zukunft funktionieren?

Albert Wenger:Man könnte zum Beispiel über ein Grundeinkommen nachdenken. Andy Stern, Autor und früher Leiter einer großen Gewerkschaft in den USA, hat jetzt die These aufgeworfen: Wir brauchen keine Arbeitsplätze. Die Frage der Zukunft ist: Wie können wir alle wenig oder gar nicht arbeiten?

Und wie soll das finanziert werden?

Albert Wenger:Das ist das Problem mit diesen Phasenübergängen. Es fällt vielen Menschen einfach unglaublich schwer, sich vorzustellen, dass es etwas Neues geben könnte. Klar, der Westen war so erfolgreich, weil wir eine bessere Methode der Kapitalakkumulation und -allokation haben, eben durch freie Märkte, auf denen sich Kapital vermehren kann. Der Fehlschluss ist, dass Kapital auch das Wichtigste für die Zukunft ist. Wir müssen davon wegkommen, darüber nachzudenken, wie etwas innerhalb des jetzt bestehenden Systems funktionieren kann. Wir müssen überlegen, was wir für eine Gesellschaft bauen können, jetzt wo wir den technologischen Fortschritt haben.

Kann ein System, das sich auf technologischen Fortschritt stützt, funktionieren?

Albert Wenger:Wir sind stark beeinflusst durch die Erfahrungen unserer Lebenszeit. Davon kommen viele fehlerhafte Argumentationsstile. Viele Leute sagen: ‚Maschinen sind schon die letzten hundert Jahre immer leistungsfähiger geworden, trotzdem hat es immer Arbeit gegeben.‘ Das ist so ein falsches Argument der Vergangenheit. Die Art der Maschinen, die wir früher hatten, unterscheidet sich komplett von der Art der Maschinen, die wir jetzt haben. Ein Computer ist eine universelle Maschine, die alles berechnen kann, was berechenbar ist. Viele Dinge sind auf ihre Art eine Rechnung: Ob das ein Vertrag ist oder eine ärztliche Diagnose – am Ende kriege ich einen Input, muss etwas machen und bekomme dann einen Output.

Und ausgerechnet die Menschen, die in einem solchen System keine Arbeit mehr haben, sollen plötzlich zufrieden sein?

Albert Wenger:Warum nicht? Wir haben die Arbeit immer bewusst mit vielen Dingen verknüpft und gesagt: ‚Wer keine Arbeit hat, ist faul und trägt nichts zur Gesellschaft bei.‘ Wir haben im Prinzip fast den Zweck des Lebens mit der Arbeit gleichgesetzt. Aber das ist nicht immer so. Über den Zweck des Lebens gab es beispielsweise früher ganz andere Ansichten: Früher sollte man noch zur großen Kette des Seins beitragen, Gottes Willen erfüllen. Mal ganz davon abgesehen, ob das jetzt die bessere Vorstellung ist: Es zeigt, dass man von festen Vorstellungen loslassen sollte statt zu sagen: ‚Naja, das ist halt so.‘

Ein Grundeinkommen alleine garantiert aber der Mitte der Gesellschaft, die in den letzten Jahren finanziell abgerutscht ist, keinen Wohlstand. Müssen also die Besitzenden bereit sein zu investieren oder abzugeben, um die von Dir angesprochene Version der Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen?

Albert Wenger:Wenn man ein bisschen vorwärts denkt, muss man davon loskommen, rein auf das Finanzielle fixiert zu sein. Dadurch wird der enorme physikalische Fortschritt, den wir machen, verschleiert. Ich esse kein Geld, ich wohne nicht im Geld und ich fahre nicht mit Geld. Wir müssen überlegen, wie einfach man den Menschen Transport zugänglich machen kann, wenn wir selbstfahrende Autos haben. Wir müssen schauen, was für Fortschritte wir bei der Ernährung machen, zum Beispiel mit Indoor und Vertical Farming. Wir müssen uns vor Augen führen, wie billig es geworden ist, ein Gebäude schnell und mit hoher Qualität zu bauen.

USV: Das Unternehmen sitzt am Broadway in New York unweit des Union Squares, der ihm seinen Namen gegeben hat. (Foto: Saskia Uppenkamp)

Technische Errungenschaften auf jeder Ebene.

Albert Wenger:Ja. Wenn ich mir die Errungenschaften anschaue, dann ist die Frage: Wie können wir die Früchte dieses Fortschritts so vielen Menschen wie möglich zur Verfügung stellen? Wenn man von dieser Seite anfängt zu denken, dann eröffnen sich viel mehr Möglichkeiten. Wenn ich zuerst an einen Haushalt denke und daran, dass ich erst jemanden besteuern muss, um jemand anderem Geld zu geben, dann bin ich schnell in bestehenden Zwängen gefangen. Irgendwann aber werden uns Industriegesellschaft und Kapitalismus keinen weiteren Fortschritt garantieren. Was sind die neuen Systeme, die wir schaffen müssen?

Um jetzt einmal den großen Bogen zurückzuschlagen: All diese Überlegungen lässt Du also auch in Deine Arbeit einfließen?

Albert Wenger:Ja. Wir haben zum Beispiel unsere Fonds relativ klein gehalten, damit wir sehr viel Freiheit haben, um über diese Themen nachzudenken. Wir wollen nicht durch das Kapital getrieben sein, sondern überlegen, wie wir Kapital in eine Zukunft investieren, in der Kapital vielleicht weniger wichtig ist. Wie genau ist die Struktur der Fonds? Wir sind ganz einfach organisiert: Wir sind fünf Partner. Und wir investieren jetzt aus unserem fünften Fonds – in den letzten drei Jahren lag die Höhe der Fonds bei je 175 Millionen Dollar.

Wie viele Firmen habt Ihr im Portfolio?

Albert Wenger:Wir versuchen, 20 bis 25 Firmen aufzunehmen. Geografisch gesehen investieren wir in Nordamerika und Europa. Unser Fokus ist die Series A und die meisten Firmen, in die wir investieren, haben schon ein bisschen Geld zur Verfügung und auch ein Produkt am Markt.

„WIR INVESTIEREN KAPITAL IN EINE ZUKUNFT, IN DER KAPITAL WENIGER WICHTIG IST“

Weil Du gerade Europa und Nordamerika ansprichst: Wie groß sind die Unterschiede zwischen der Startup-Landschaft in Berlin und New York?

Albert Wenger:Ich glaube die Unterschiede sind gerade dabei zu verschwinden. Der Grund dafür ist einmal mehr das Internet: Der Standort einer Firma wird immer weniger wichtig, solange es eine Internet-Firma ist. Klar, im Silicon Valley gibt es immer noch die meisten Leute mit großer Erfahrung im Internet – aber in allen anderen Teilen der Welt gibt es die auch zunehmend. Was außerdem spannend ist: Die meiste Aktivität an der US-Westküste hat sich vom Valley in die Städte verlagert.

Siehst Du in diesem Trend zur Stadtflucht auch eine Chance für andere Metropolen außerhalb der US-amerikanischen Westküste?

Albert Wenger: Auf jeden Fall. Für interessante Städte wie Berlin ist das eine enorme Wachstumsmöglichkeit. Viele junge Menschen haben ohnehin nicht mehr die Vorstellung, dass sie zu einer Firma gehen und dort 20 Jahre arbeiten. Gerade deshalb denken sich derzeit viele qualifizierte Leute: ‚Berlin ist eine tolle Stadt. Da gehe ich jetzt für zwei, drei Jahre hin.‘

Was auffällt: Viele Investments habt Ihr in Unternehmen getätigt, die sich wiederum zur Aufgabe gemacht haben, den Zugang zu Kapital einfacher zu gestalten.

Albert Wenger: Richtig. Wir haben beispielsweise in Kickstarter investiert oder auch in Circleup, in Deutschland in Funding Circle und Auxmoney. Daran arbeiten wir ganz bewusst.

Schneidet Ihr Euch damit nicht ins eigene Fleisch?

Albert Wenger:Wenn alles richtig funktioniert, werden tatsächlich die Kapitalerträge geringer werden. Irgendwann wäre das am Limit, und damit würde es auch uns als Geschäft so nicht mehr geben. Das wäre dann aber auch okay.

Das Gespräch führte Jan Thomas

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NAME: Union Square Ventures
GRÜNDUNG: 2003
GRÜNDER: Brad Burnham, Fred Wilson
MITARBEITER: 15
STANDORT: New York
SERVICE: Union Square Ventures verwaltet eine Milliarde Dollar in sechs Fonds und investiert in Unternehmen, die das Potenzial haben, wichtige Märkte grundlegend zu verändern