Retorio:

Die KI wird zum Personaler

15/01/2019
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Es sind die HRler dieser Welt, die über unser Glück und Unglück entscheiden. Zumindest wenn es darum geht, ob unsere Bewerbungen erfolgreich sein werden oder nicht. Das stimmt nicht immer. Gerade bei großen Unternehmen treffen zunehmend Algorithmen eine Vorauswahl der Bewerbungen, noch bevor Recruiter sie überhaupt zu sehen bekommen. Laut einer Untersuchung der Universitäten in Bamberg und Erlangen-Nürnberg nutzen fast 20 Prozent der 1000 größten Unternehmen Deutschlands bereits einen Algorithmus oder planen es, zu tun.

Diese scannen die Bewerbungen und gleichen sie mit den Voraussetzungen der jeweiligen Stellenanzeigen ab. So bekommen die menschlichen Recruiter eine Auswahl der Kandidaten, die am besten auf das Stellenprofil passen könnten.

Christoph Hohenberger ist promovierter Psychologe und einer der drei Gründer von Retorio.

Doch Algorithmen können nicht nur die „Hard Skills“ auf den Lebensläufen der Bewerber beurteilen, sondern auch die „Soft Skills“. Das Münchner Startup Retorio hat eine Software entwickelt, mit der die Firmen einen Eindruck über den Charakter der Bewerber bekommen sollen: Wie offen ist die Person gegenüber anderen? Wie kommuniziert die Person?

Passt der Bewerber auf die Stelle?

„Wir treffen keine Aussage darüber, ob jemand gut oder schlecht ist, sondern nur darüber, wie gut jemand in eine bestimmte Rolle passt,“ sagt Christoph Hohenberger, einer der Gründer von Retorio. Könne sich beispielsweise jemand nicht so gut artikulieren, sei derjenige nicht unbedingt für den Vertrieb geeignet, dafür aber vielleicht für die Strategieabteilung.

Firmen können ein Plugin von Retorio in ihre eigene Bewerbungsplattform integrieren, Bewerber nehmen damit kurze Videos von sich auf. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) analysiert die Software diese Videos auf die Sprache, Mimik und Gestik der Bewerber hin. Rede jemand langsamer, sei das vielleicht ein Zeichen, dass die Person reflektierter sei. Um die Software zu trainieren, wurde sie mit zehntausend Beispielvideos gefüttert. Laut Hohenberger sollen immer weitere Beispiele hinzukommen. Als Basis der Analyse dienen die sogenannten Big Five – das psychologische Modell bewertet, wie offen, gewissenhaft, gesellig, verträglich und neurotisch jemand ist.

Das Startup wirbt damit, dass ihre Software weniger diskriminierend sei als menschliche Personaler. Denn das System erkennt, dass der Bewerber beispielsweise männlich und weiß ist und bewertet ihn nur im Vergleich mit anderen weißen Männern.

Doch auch Algorithmen können diskriminieren. Erst im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass der Konzernriese Amazon sein Recruiting-Tool nicht mehr verwendet, weil es sexistisch war. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters brachte sich der Algorithmus bei, Männer bei der Auswahl zu bevorzugen.

Den Algorithmus austricksen

Und könnte man nicht auch die Retorio-Software beim Aufnehmen der Videos täuschen? Schwierig, sagt Hohenberger. „Es ist sehr schwer, auf alles gleichzeitig zu achten – sowohl auf die Stimme, als auch auf Inhalt oder Haltung.“ Hinzu komme, dass die Bewerber die Fragen vorher nicht kennen und nur eine begrenzte Anzahl an Aufnahmeversuchen haben.

Digitale Auswahlverfahren, sei es für Bewerbungsvideos oder Lebensläufe, werden immer alltäglicher. Das wissen mittlerweile auch Bewerber. In Onlineforen kursieren Tipps, wie man die Algorithmen am besten austricksen könne. Zum Beispiel, in dem man möglichst viele relevante Schlagwörter in weiß ins Anschreiben integriert, die nur von der Software erkannt werden, nicht aber vom HRler. „Da muss man mit Vorsicht darauf schauen,“ sagt Retorio-Gründer Hohenberger, schließlich gebe es ja immer zwei Seiten. Verfälschte Bewerbungen führen letztendlich zu mehr Arbeit für die Recruiter.

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