Nepos

Will Senioren ins Netz bringen

17/08/2018
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Wie verrückt muss man sein, um als junges Startup sowohl Hardware als auch Software zu produzieren? Und das mit Nepos auch noch für einen nicht erschlossenen Markt, den man digital fast nicht erreichen kann.

Ja, das ist schon ein dickes Brett, das wir da mit Nepos angehen. Verrückt muss man auf jeden Fall sein. Vielleicht auch ein bisschen naiv. Ursprünglich wollten wir auch keine eigene Hardware produzieren, sondern nur eine App für herkömmliche Tablets, um unseren Nutzern eine vereinfachte Steuerung anzubieten. Doch wir haben schnell gemerkt, dass unsere Nutzer mit Tablets nicht klarkommen. Tablets sind flach. Man hat Angst, sie zu verlieren, und die kleinen Knöpfe an der Seite sind schwer zu sehen. Im zweiten Schritt haben wir eine Hülle für bestehende Tablets gebaut. Das kam bei unseren Nutzern gut an, aber Tablet-Hersteller sind natürlich nicht erpicht darauf, wenn man ihr Tablet neu verpackt als eigenes Produkt verkauft. So kam der Entschluss, mit Nepos die Hardware selbst zu bauen. Für uns ist die Hardware aber nur die Hülle für unsere Software.

Klingt nach einer komplexen Mission.

Das stimmt. Als die Idee zu Nepos 2014 entstanden ist, war das auch keineswegs absehbar. Damals wollte ich eigentlich nur eine App für meine Tante programmieren. Ein Jahr später habe ich mit Florian (Schindler, Anm. der Red.) die Firma gegründet. Heute haben wir glücklicherweise ein großartiges Team, darunter echte Spezialisten mit viel Erfahrung und großem Netzwerk. Ich suche immer Leute, die alles besser können als ich und mir dann in ihrem Bereich die Sorge und Angst nehmen.

Warum gibt es noch keine Konkurrenten, die etwas Ähnliches machen? Gibt es überhaupt einen Markt?

Paul Lunow erklärt seiner Tante, Luise Lunow, das Nepos Tablet. Foto: Darius Ramazani

Wir sprechen über eine spannende Zielgruppe, die vermeintlich Zeit und Geld hat. Daher kann man auch nicht behaupten, dass es im Seniorenmarkt keine Konkurrenzprodukte gebe. Sie sind aber oft sehr lieblos gemacht. Die meisten Unternehmen denken, es langt, die Schrift groß zu machen, einen Pillenalarm und Sudoku zu integrieren und schon haben wir den perfekten Seniorencomputer. Aber das ist einfach Quatsch. So gibt es beispielsweise auch viele Seniorenhandys, die aber größtenteils hässlich sind. Man darf die Zielgruppe nicht unterschätzen. Ältere Menschen werden von den gleichen Dingen getriggert wie wir auch. Die wollen sich unterhalten, Videos gucken und Spaß haben. Und sie wollen nicht von ihren Angehörigen bevormundet werden, wenn auf einmal ein technisches Gerät klingelt, um an die Pillen zu erinnern. Nur weil Leute alt werden, verlieren sie nicht ihren Sinn für Ästhetik. Das zieht sich ja auch durch die Apps, die es gibt.

Ihr habt viele Fokusgruppen für Nepos veranstaltet. Was hat sich im Lauf der Zeit verändert?

Die Nutzertests haben uns zu dem Punkt gebracht hat, wo wir heute sind. Parallel zur Firmengründung von Nepos haben wir die Rosenakademie gegründet, wo wir einmal im Monat unsere Ideen, Konzepte und Prototypen testen. Jeder neue Mitarbeiter muss mindestens einmal mitgehen, um als Versuchsleiter mit der Zielgruppe zu arbeiten. Im Endeffekt müssen wir ja Lösungsstrategien entwickeln für Menschen, die nicht automatisch glücklich sind über neue Technik. Dieser oft ablehnenden Haltung begegnen wir, indem wir versuchen, die Gründe dafür zu verstehen. So haben wir sehr viel gelernt.

Gibt es Beispiele für diese Learnings?

Das erstaunlichste Learning war, dass die Leitfähigkeit der Haut im Alter nachlässt, weshalb der Touchscreen die Berührung nicht mehr erkennt. Die älteren Leute haben auf unseren Nepos-Prototypen herumgetippt und es ist nichts passiert. Natürlich können wir als kleines Startup noch keinen eigenen Touchscreen entwickeln. Wir lösen dieses Problem, indem jedes Element in unserer universellen Bedienoberfläche nur eine Interaktionsmöglichkeit hat. Ich kann es entweder antippen oder verschieben. Das ist ein essenzieller Unterschied gegenüber herkömmlichen Smartphone-Anwendungen, die Unmengen an Möglichkeiten und Gesten bieten. Wenn ein Tablet altersbedingt nur die Hälfte der Eingaben erkennt, macht es immer etwas, das der Nutzer eigentlich nicht wollte. Das haben wir per Design ausgeschlossen. Ansonsten hat jede Fokusgruppe viel gebracht. Beispielsweise, dass sich ältere Menschen Funktionen nicht anhand der Beschriftung merken, sondern meistens anhand der Position auf dem Screen.

„Ältere Menschen werden von den gleichen Dingen getriggert wie wir”

Auf Langlebigkeit ausgerichtet: Das Nepos Tablet von Innen. Foto: Christian Werner

Wie viel Digitalwissen ist bei eurer Zielgruppe überhaupt vorhanden? Fangt ihr bei null an?

Die Leute sind sehr unterschiedlich. Das haben wir auch bei der Auswahl der Testnutzer  berücksichtigt. Wir haben Nutzer gesucht, die von sich aus motiviert sind und die von sich aus sagen: „Ich höre jeden Tag in der Tagesschau, ich soll auf tagesschau.de gehen und  mir da weitere Informationen holen, aber ich kann es nicht. Jetzt erklärt mir gefälligst, wie das geht“. Das ist auch der größte Teil der Zielgruppe. Die zweite Gruppe sind die, die schon Erfahrungen mitbringen. Die sind dann oft auf dem Windows XP-Level stehen geblieben, machen aber beispielsweise Onlinebanking. Und die dritte Gruppe will unbedingt damit arbeiten. Da kommen meistens Fachfragen wie „ich will in meine Wordvorlage einen anderen Hintergrund einbauen“ oder „ich will die Abrechnung von meinem Skat-Club in Excel machen“. Denen empfehlen wir dann den Kauf eines Computers. Unser Ziel ist es ja, Leuten ohne Erfahrung einen Einstieg zu ermöglichen. Das ist nur machbar, wenn wir uns voll auf die Grundfunktionalitäten fokussieren. Das Nepos-Versprechen, dass jede Anwendung gleich aussieht, können wir nur halten, wenn diese auch strikt in unserem Interface umgesetzt ist.

Kannst du euren Usability-Ansatz noch mal erklären? Ihr versucht ja, alles zu vereinheitlichen und zu simplifizieren. Kann das überhaupt funktionieren?

Den optimalen Aufbau haben wir mit einer Psychologin erarbeitet, die unsere Fokusgruppen leitet. Dadurch haben wir ernsthaft belastbare Ergebnisse als Grundlage, die wir über die Jahre perfektioniert haben. So haben wir bei Nepos absolut klare Regeln und befolgen diese auch stringent. Unser größter Implementierungsaufwand der neuen Services besteht darin, dass wir sie unserer Usability unterordnen und viele Funktionen entfernen. Das ist zwar manchmal schmerzhaft, aber dadurch entsteht bei unseren Nutzern Sicherheit. Sie wissen beim ersten Nutzen des Klick-Dummys, beispielsweise beim Onlinebanking, schon intuitiv, wie es funktioniert.

Was sind denn die Basisfunktionalitäten, die ältere Menschen brauchen?

Wenn wir Funktionalitäten auswählen, liegt unser Fokus vor allem auf Dingen, die unsere Zielgruppe bisher noch nicht hat. Die Möglichkeit, sich an Medikamente erinnern zu lassen, hat sie ja bereits – und sei es nur das Post-it am Kühlschrank. Natürlich sind einige Bedürfnisse der älteren Zielgruppe offensichtlich und wenn sie sich an unser Nepos-Gerät gewöhnt haben, kann unser Kalender zentrale Aufgaben übernehmen, sei es, um an Medikamente oder an Geburtstage zu erinnern. Aber das ist kein Feature, mit dem wir Menschen jetzt in diese Digitalisierung reinholen. Dieses Vertrauen muss erst aufgebaut werden.

Hat seine Mission klar vor Augen: Nepos-Gründer Paul Lunow. Foto: Christian Werner Hat seine Mission klar vor Augen: Nepos-Gründer Paul Lunow. Foto: Christian Werner

Wer sind Vorbilder für Nepos? Gehört Apple dazu?

Ja, das größte Vorbild ist tatsächlich Apple, und dabei vor allem die Einführung des iPhone. Damals haben sie gesagt: Wir nehmen die besten existierenden Dinge und kombinieren sie zu einem großartigen, neuen Produkt. Das war für mich die eigentliche Sternstunde.

Schaut man sich die Wachstumsstrategie von Apple an, dann war der App Store mit seinen extern entwickelten Apps ein wichtiges Element. Ihr hingegen wollt alles selbst entwickeln. Ist das sinnvoll?

Das erste iPhone hatte auch keinen App Store und keine Möglichkeit der Erweiterung. Perspektivisch planen wir, unsere Plattform zu öffnen. Der große Vorteil ist, dass dann jede Anwendung gleich aussieht. So müssen unsere Partner nur ihre Daten im richtigen Format anliefern und die Anwendung wird mehr oder weniger automatisch generiert. Im ersten Schritt fokussieren wir uns aber darauf, die Grundlagen dafür zu schaffen. Im nächsten Schritt bringen wir unser Produkt auf den Markt. Im dritten Schritt können wir Nepos für Drittanbieter öffnen.

Wer sind Vorbilder für Nepos? Gehört Apple dazu?

Wo steht Nepos gerade und wo in einem Jahr?

Die ersten Nepos-Funktionalitäten waren Kommunikation und Zeitvertreib, also YouTube-Videos gucken, News lesen, E-Mails schreiben und Videotelefonie. Das ermöglicht die Kommunikation mit der Familie, die sich über die ganze Welt verstreut. Das ist ein großer Motivationsschub. Auch Zeitvertreib ist wahnsinnig wichtig. Unser Grundsatz ist es, den Leuten etwas zu geben, was sie vor- her nicht hatten, und ihren Alltag zu bereichern. Unsere allererste Anwendung war der Browser, mit dem man jede Website besuchen kann. Als Nächstes haben wir Onlineshopping mit Fokus auf Lebensmittel integriert. Das hat mit unserem Interface großartig funktioniert. Zurzeit integrieren wir Hotelbuchungen mit HRS, nicht weil die Leute das unbedingt haben wollen, sondern weil der Vor- gang der Hotelbuchung für uns eine echte Herausforderung ist.

Klingt komplex. Wäre es nicht naheliegender, Pauschalreisen oder Butterfahrten anzubieten?

Es gab zwei Überlegungen: einmal die Herausforderung, das Interface sauber zu entwickeln. Zum anderen nutzen wir eine bereits definierte API und HRS hat die Verträge in der Schublade. Wir konnten also sofort loslegen und lernen dabei sehr viel. Nach und nach integrieren wir neue Partner, wodurch sich dann neue Möglichkeiten eröffnen.

Versteht der Nutzer, dass ihr Drittanbieter integriert? Oder ist dem Nutzer möglicherweise nicht klar, dass er bei HRS bucht und nicht bei Nepos? Wenn eine Reklamation über ein gebuchtes Zimmer kommt, könnte Unmut auf euch programmiert sein?

Wir haben das gleiche Thema auch bei unserem Browser. Das ist ein Punkt, den man unseren Nutzern öfter erklären muss. Aber wir kommunizieren klar, dass wir nur mit Partnern zusammenarbeiten, die wir auswählen und bei denen wir auch hinter dem Geschäftsmodell stehen. Bei diesen handeln wir auch die Konditionen für unsere Nutzer aus. Beispielsweise haben wir mit dem Versandhändler Klingel einen Test gestartet, bei dem unsere Nutzer alles auf Rechnung bezahlen können. Ob eine über unser Tablet gebuchte Reinigungskraft gute Arbeit macht, liegt natürlich nicht mehr in unserem Einflussbereich. Unsere Aufgabe ist es, den Reinigungsvermittler auszuwählen, der die besten Bewertungen hat. Wir wollen ihn aber nicht Nepos-Putzteam nennen und für alles die Verantwortung übernehmen.

Echte Ingenieurskunst: das Testlabor von Nepos. Foto: Christian Werner

 

Entspricht das der Logik einer achtzigjährigen Oma?

Das ist eine Herausforderung und unser Kundenservice wird eine wichtige Rolle spielen. Es steht gewissermaßen in unserer Verantwortung, dass wir den Leuten freundlich und kompetent helfen, ihre Probleme zu lösen. Zeitgleich müssen wir Grenzen ziehen. Gerade liegt der volle Fokus auf dem Produkt, weshalb wir mit einer überschaubaren Anzahl an ausgewählten Partnern anfangen und mit ihnen gemeinsam lernen. Das ist auch ein Grund, warum wir nicht einfach den Nepos-App-Store öffnen. Das würde uns überrollen und wir hätten keine Chance, vernünftige Prozesse und Strukturen einzuziehen.

Habt ihr Angst, dass ihr mal mitverantwortlich gemacht werdet, wenn ältere Menschen plötzlich viel Geld beim Onlineshopping ausgeben? Das ist ja faktisch Neuland. Genau wie angebliche nigerianische Enkel, die einen um Geld bitten.

Mit Blick auf die Bedrohungsszenarien ist es unsere kommunikative Aufgabe, unsere Nutzer zur Vorsicht zu mahnen. Man könnte sich auch Modelle vorstellen, bei denen man nur E-Mails von Personen angezeigt bekommt, die im Adressbuch stehen. Ansonsten regeln  wir die Vertrauenswürdigkeit der Angebote, indem wir sagen: Allem, was in unserer universellen Bedienoberfläche ist, kannst du vertrauen. Diese Services funktionieren und du kannst gekaufte Sachen auch wieder zurückgeben. Grundsätzlich wollen wir es den Menschen ermöglichen, mit der digitalen Welt zu interagieren. Heute kommt man gerade noch so zurecht, aber was ist in fünf oder zehn Jahren, wenn ich beim Bürgeramt Termine nur noch online buchen oder meine Bordkarte nur noch online beziehen kann? Wenn die Banken zugemacht haben und so weiter? Dann führt einfach kein Weg daran vorbei. Wir sprechen ja über Menschen ab 65, die bisher wenig oder gar keine Berührungspunkte mit der digitalen Welt hatten und die eine Lebenserwartung von 15 bis 20 Jahren vor sich haben. Sich dagegen komplett zu verschließen, ist keine Lösung. Und wir sehen Nepos als Betriebssystem, um mit der digitalen Welt umzugehen.

Nepos-Gründer Florian Schindler und Paul Lunow (links). Foto: Darius Ramazani

„Unser Grundsatz: den Menschen etwas geben, was sie vorher nicht hatten“

Liegt nicht eine große Chance darin, ältere Menschen miteinander zu verbinden?

Christian Vollmann, der Gründer von nebenan.de, ist einer unserer Investoren. Daher ist es naheliegend, dass wir versuchen werden, ältere Menschen in diese digitalisierte Nachbarschaft zu integrieren. Viele sitzen jeden Tag zu Hause und haben nichts zu tun. Nehmen wir den pensionierten Mathelehrer, den man möglicherweise nur mit den Kindern zusammenbringen muss, die zwei Stockwerke über ihm wohnen. Wenn wir das schaffen, haben wir einen echten Mehrwert geschaffen. Es gibt so viele Dienstleistungen und Services, die genau diese soziale Vernetzung fördern. Die wollen wir alle online zur Verfügung stehen. Ein großartiges Beispiel ist auch dieses Au-pair für ältere Leute. So was wollen wir mit Nepos an die Oberfläche bringen und den Leuten die Möglichkeit geben, das auch wahrzunehmen.

Mit welchen anderen Features oder Produkten von euch kann man noch rechnen?

Der größte Meilenstein in der Roadmap ist die Produkteinführung, das Aufsetzen der Serienproduktion und die ersten Nepos-Geräte auf den Markt zu bringen. Wir haben die technischen Arbeiten abgeschlossen und können jetzt den Startknopf für die Produktion drücken. In drei bis vier Monaten gibt es dann die ersten Geräte. Wir starten den Markteintritt primär über Businesspartner, zum Beispiel Seniorenheime, wo wir eine gezielte Ansprache der Nutzer machen können und nah an den Nutzern sind. Der nächste große Schritt ist dann die Erweiterung des Funktionsumfangs über die Partner, mit denen wir bereits in Kontakt stehen. Im dritten Schritt öffnen wir die Plattform für Drittanbieter. Die Frage nach weiteren Produkten wird oft gestellt, beispielsweise nach Smartphones, Tastaturen oder Druckern. Aber natürlich könnten wir uns auch im Smart-Home-Bereich oder Internet of Things viele schöne Use Cases vorstellen.

Nepos-Gründer Paul Lunow in seinem Büro in der Malzfabrik. Foto: Christian Werner

Wie groß ist eure Angst, dass sich ein Gigant wie Philips von euch inspirieren lässt, eure Idee kopiert und mit großem Budget und Marketingpower ausrollt?

Gering. Wir machen Nepos seit fast vier Jahren und dachten eigentlich immer, dass gleich einer um die Ecke kommt und uns wegfegt. Das ist jetzt drei Jahre nicht passiert. Stattdessen sehen wir immer mehr Anwendungen, die sehr sinnvoll für Senioren sind. Die großen Tech-Player stellen immer die Technik in den Mittelpunkt und nicht den Nutzer. Aus diesem Grund können wir mit Philips re- den und sagen: „Hey, ihr habt die geilste Technik, wir haben das beste Interface. Das zusammen, das bringt einen echten Mehrwert.“ Da sind wir recht offen.

Frische Lieferung für Nepos: Flachband-Display-Kabel aus China. Foto: Christian Werner

Wie steht es um die Lebensdauer der Geräte? Und auch mit Software-Updates? Ist das nicht kompliziert für die Nutzer?

Die Lebensdauer der Hardware ist auf einen dauerhaften Betrieb ausgelegt. Unsere Geräte sind etwas größer als andere Tablets. Dadurch mussten wir im Gerät nichts verkleben, weshalb man die Komponenten reparieren oder austauschen kann. Aber es ist auch kein Fairphone, wo sich jeder mit seinem Schraubenzieher ans Werk machen kann. Am Ende ist die Software der entscheidende Punkt. Das Betriebssystem ist ein Linux System und wir kontrollieren auf Betriebssystem-Ebene eine  geschützte Partition. Sobald ein Update bereitsteht, wird es im Hintergrund geladen und installiert sich selbst. Am Ende muss der Nutzer nur einmal Okay drücken. So können wir unser Versprechen abgeben, dass wir uns um die Technik kümmern, während die Nutzer und die Angehörigen sich mit sich selbst und dem Internet beschäftigen können.

„Wir sehen Nepos als Betriebssystem, um mit der digitalen Welt umzugehen“

Kannst du euer Geschäftsmodell noch mal erläutern? Ihr vermietet das Tablet. Außerdem gibt es einen Affiliate-Ansatz.

Genau. Den größten Revenuestream sehen wir in der Umsatzbeteiligung. Das ist auch überhaupt der Grund, warum wir es uns als kleines Startup leisten können, eine
eigene Hardware zu bauen. Würde man nur Hardware verkaufen, müsste man Leute dazu bringen, regelmäßig das Nachfolgegerät zu kaufen. Das funktioniert mit unserer Zielgruppe nicht und es entspricht auch nicht unseren Überzeugungen, noch mehr Müll zu produzieren. Wir wollen eine Hardware bauen, die lange benutzt werden kann und die sinnvolle Zugänge eröffnet. Diese Zugänge wollen wir monetarisieren, indem wir sinnvolle Angebote für eine nicht erschlossene Zielgruppe eröffnen. Trotzdem ist es uns wichtig, dass der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir wollen eine sinnvolle Lösung bauen und nicht als KPI-getriebenes Tech-Unternehmen gesehen werden. Es gibt ja viele, wahnsinnig wertvolle, Unternehmen, bei denen der Nutzer im Mittelpunkt steht und die trotzdem guten Umsatz machen.

Trotzdem bedeutet das eben auch, dass ihr ein gesteigertes Interesse daran habt, dass eure Zielgruppe viel Geld auf eurer Plattform ausgibt?

Man muss das weiterdenken. Wir wollen den alten Leuten nicht das Geld aus der Tasche ziehen, sondern eine Gesamtlösung bauen, bei der beispielsweise die Familie der Oma das Spotify-Abo schenken kann. Oder die ältere Person kauft Geschenke für ihre Verwandten. Generell geht es nicht nur um Konsum, sondern es ist auch denkbar, dass Businesspartner wie Banken bereit sind, für den Zugang zu einer Zielgruppe zu zahlen, die sie anders nicht mehr erreichen.

Ich überschlage das mal: Ein Rentner gibt bei euch perspektivisch vielleicht 200 Euro im Monat aus. Davon bekommt ihr vielleicht zehn Prozent.

Ich würde heute sagen, dass das durchaus realistisch ist. Vor allem, wenn man sich überlegt, wie die Digitalisierung noch voranschreitet und dass wir in ein paar Jahren nur noch online mit dem Arzt sprechen und die Medikamente aus der Online-Apotheke direkt geschickt bekommen. Im Hintergrund wird noch viel mehr passieren. Zeitgleich wollen wir aber auch keine Werbeplattform für Pharmaunternehmen oder Ähnliches werden. Einer unserer wichtigsten Ansprüche ist es, unsere Nutzer nicht zu stigmatisieren und etwa Werbung für Heizdecken und Prostata-Medikamente anzuzeigen. Wir verstehen uns als Tech-Unternehmen, das eine coole Tablet-Lösung baut. Deswegen wollen wir uns jetzt auf die Dinge konzentrieren, die Spaß machen, cool sind und auch uns interessieren.

„Die Tech-Player stellen die Technik in den Mittelpunkt, nicht den Nutzer“

Wie viele Tablets müsst ihr installieren, damit euer Modell funktioniert?

Im ersten Schritt bauen wir 5.000 Tablets. Konservativ gerechnet kann man damit schon bei plus/minus null rauskommen, wenn man nicht weiter in Wachstum investiert. Aber das ist natürlich keine Strategie für ein zukunftsorientiertes Unternehmen. Perspektivisch wollen wir in den nächsten Jahren 50.000 Tablets ausliefern. Am liebsten würden wir die Hardware kostenlos herausgeben und dann über die Dienstleistungen und die Umsatzbeteiligung Geld verdienen.

Gab es Momente, an denen du dachtest, dass es scheitert?

Eigentlich nicht. Aus unserer Sicht funktioniert das Konzept, wenn man es ganzheitlich angeht. Dazu braucht es den Mut, etwas wirklich Großes bewegen zu wollen. Einzig das Feedback von Investoren war teilweise frustrierend. Sie fanden das privat immer positiv und meinten: „Wow, das ist super! Das brauche ich unbedingt für meine Eltern.“ Und dann kam immer ein kategorisches „Aber investieren werden wir nicht. Baut doch erst mal eine App.“ Auch von Social-Impact-Investoren. Das ist dann schon deprimierend.

Welche Bedenken wurden dabei geäußert?

Vor allem die kategorische Ablehnung gegenüber Hardware. Es sind ja viele Hardware-Startups gescheitert, allen voran Panono. Aber wir verstehen ja die Hardware nicht als Selbstzweck, sondern nur als Verpackung für unsere Software.

Und trotzdem habt ihr eine beeindruckende Riege an Investoren überzeugen können.

Die Investoren, die wir jetzt haben, verstehen das riesige Potenzial und die riesige Chance. Und sie haben natürlich Portfolio-Unternehmen, die perfekt auf unsere Plattform passen würden. Christian Vollmann ist mit ne- benan.de das beste Beispiel. Und auch ProSieben hat die Herausforderung der Content-Distribution im Zeitalter nonlinearen TVs erkannt.

Hat eure Mission auch interne Effekte?

Unser Team ist komplett von der Mission getrieben, Technologie für alle zugänglich zu machen. Dafür geht es auch mit uns ins Risiko und verzichtet auf Gehälter, die es anderswo leicht kriegen könnte. Wir haben ja noch viele Themen zu lösen und als junges Team müssen wir unsere Kosten im Griff haben. Bei der Wahl der Mitarbeiter war die Motivation ein wichtiges Kriterium. Viele haben gesagt: „Hey, ich hab´ jetzt jahrelang für irgendwelche Tech-Buden gearbeitet, ich will mal was machen, was ich meinen Eltern und Großeltern auch in die Hand drücken kann.“ Und technisch an der Entwicklung eines kompletten Betriebssystems inklusive eigener Hardware beteiligt zu sein, ist nicht alltäglich. Und das für eine dankbare und große Zielgruppe.

Nepos Gründer Paul Lunow. Foto: Darius Ramazani

Paul Lunow ist Gründer von Nepos. Er studierte Informatik und beschäftigt sich seit Jahren mit den sozialen Aspekten der Digitalisierung. 2015 gründete er mit Florian Schindler die Nepos GmbH. Er ist Geschäftsführer des Berliner Tech-Startups.

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