Zwischen Tech und Emotion

25/06/2018
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Foto: Musik im Wandel

Zur Evolution der Musik

In der Musik verschmelzen gerade die Grenzen zwischen erlebbarer Emotion und technischer Perfektion. Hologramme füllen Konzerthallen, Roboter zeigen als DJs ihren goldenen Daumen, künstliche Intelligenzen komponieren neue Musikstücke. Algorithmen stellen uns individualisierte Streamingplaylists zusammen, die virtuelle Assistenten auf Zuruf abspielen – und sagen mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit die nächsten Hits voraus.

Wohin wird die datengetriebene Evolution der Musikbranche führen? Wer werden die Virtuosen der Zukunft sein? Und welche Instrumente werden sie spielen? Solche Fragen erforscht – unterstützt von der Europäischen Union, British Council, The BBC, MIT, Harvard, Berklee College sowie verschiedenen Plattenlabels, Unternehmen und Organisationen – das Music Information Research Consortium, kurz Mires, und stellt die Ergebnisse und Inno - vationen beim Music-Tech-Fest in wechselnden europäischen Städten vor. Sound-Installateure und Interpreten können sich jetzt für das #MTFStockholm, 3. bis 9. September 2018, bewerben.

Musik verbindet – seit Urzeiten

Das Spannende daran ist, dass neben Musikwissenschaften und Technologie auch Disziplinen wie Psychologie, Soziologie und Neurowissenschaften kulturübergreifend zusammentreffen. Musik verbindet und ist seit Urzeiten ein globales Phänomen. Melodien begleiten uns durch die Höhen und Tiefen unseres Lebens; mit dem ersten Schlaflied erfahren wir Musik als eine emotional geladene Form der Kommunikation.

Genau diese menschliche Komponente ist es auch, auf die viele der Music-Tech-Begeisterten nicht verzichten wollen. „Technologie fasziniert mich, aber sie ersetzt nicht, was entsteht, wenn man als Band miteinander interagieren kann“, erklärt Sängerin und Multimedia-Künstlerin Rahel Kraska, die auf der Republica 2018 in Berlin in ihrer Solo-Show zeigte, wie sie sich ihre Band als programmierten Comic mit auf die Leinwand holt.

Und die Berliner Jazz-Schlagzeugerin Lizzy Scharnofske personifiziert mit ihrem 3D-Drumdress die neue Identität der Musikbranche zwischen Mensch und Maschine, zwischen Tech und Virtuosität.

Mit DeepBach lernt der Computer zu komponieren

Gaétan Hadjeres stimmt zu. Dem Erfinder von DeepBach, quasi dem Vater all der Algorithmen-basierten Computer-Komponisten, geht es weniger darum, den kreativen Prozess an den Computer abzugeben, als vielmehr darum, „Musik in Interaktion mit dem Computer zu generieren“. Der Komponist und Mathematiker arbeitet an den Sony Computer Science Laboratories in Paris daran, „neue, spielerische und interaktive Möglichkeiten des Komponierens zu entwickeln“. Das erspare Profis viel Zeit und Mühe und lasse Laien, die keine Noten lesen können, Musik kreieren.

Der Computer dagegen kann durch Deep Learning mittlerweile völlig selbstständig in allen nur erdenklichen Musikstilen komponieren – vom Pop-Song bis zur Orchester-Suite. Beispiele sind Sonys Flowmachine mit dem von den Beatles inspirierten Hit „Daddy’s Car“ oder das an Nirvana angelehnte Album der beiden Mathematiker des Leipziger Max Planck Instituts, Ivan Yamshchikov and Aleksei Tikhonov, quasi ein Nebenprodukt ihrer AI-Forschung, wobei auch der Songtext maschinell generiert wurde. Das ist faszinierend, schafft aber andererseits Ängste.Buchtipp: „Die kreative Macht der Maschinen“ Warum künstliche Intelligenzen bestimmen, was wir morgen fühlen und denken. Holger Volland beschreibt, was der Einzug von Künstlicher Intelligenz in unsere Kultur mit uns macht. 253 Seiten, 19,95 Euro, beltz.de

Künstliche Kreativität?

Sind es nicht Kreativität, der künstlerische Ausdruck von Emotionen, in dem der Mensch bisher den Maschinen überlegen war? Ein Thema, das Holger Volland, Gründer des Kulturfestivals THE ARTS+ der Frankfurter Buchmesse in seinem aktuellen Buch „Die kreative Macht der Maschinen“ thematisiert. Werden in Zukunft Algorithmen darüber entscheiden, was wir hören wollen? Diejenigen Geschäftsmodelle den Markt regieren, die uns dank alternativer Einnahmen durch die Verwertung von Nutzerdaten und schlauen Marketing-Modellen umsonst die angenehmste Musikerfahrung bieten?

„Noch haben wir Zeit, uns zu entscheiden, in welcher Art von Zukunft wir leben möchten“, schreibt Holland. „Wir selbst stehen in der Verantwortung. Wir müssen wieder lernen, Geld dafür zu bezahlen, dass jemand eine Dienstleistung für uns erbringt. Nur so zwingen wir Unternehmen dazu, uns als ihre Kunden zu betrachten – und nicht als ihr Produkt.“

Streaming ist die neue Normalität

Kaum ein Markt war in den vergangenen Jahren solch riesigen technologiegetriebenen Schwankungen ausgesetzt. Erst starb die Platte, dann die CD. Streaming ist die neue Normalität – und hat trotz pessimistischer Prognosen die Musikindustrie gerettet. Mit Streams zum Platinalbum Erfolgreichstes Beispiel ist Kanye Wests „The Life of Pablo“, das als erstes Album der USA alleine durch Streams zum Platinalbum wurde – und das, obwohl Kanye auch dies anfangs auf Tidal, die Plattform seines Kumpels Jay Z, beschränkte. Kanye kann es sich leisten, auf Einnahmen aus Albumverkäufen auf iTunes zu verzichten. Denn Bling und Kohle macht er längst über Alternativprojekte wie sein Modelabel und Deals mit Adidas.

Die Streaming-Dienste kämpfen ums Überleben und suchen nach neuen Geschäftsmodellen zur Sicherung ihrer Marktanteile. Trotz der hohen Markteinschätzung von Spotify (30 Milliarden US-Dollar) beim Börsengang im April 2018 schreibt der Streamingdienst bis heute keine schwarzen Zahlen. Und für die Künstler selbst bleibt nicht einmal ein halber Cent pro Stream.

Die Top 5 Musikvideos auf YouTube

Gibt es Alternativen? 47 der 50 meistgesehenen Clips auf YouTube sind Musikvideos, wobei die Top-Fünf (Luis Fonsi: „Despacito“, Wiz Khalifa: „See You Again“, Ed Sheeran: „Shape of You“, PSY: „Gangnam Style“ und Mark Ronson featuring Bruno Mars: „Uptown Funk“) mittlerweile einige Milliarden von Streams verzeichnen. Statistisch gesehen hat Luis Fonsi (5,13 Milliarden Streams, Stand Mai 2018) mehr als die halbe Weltbevölkerung erreicht, zumindest aber jeden, der Internetzugang und ein Smartphone hat.

Wie Musiker heute ihre Fans am besten erreichen und wie neue Technolgien wie Krypto und Blockchain die Interaktionsmöglichkeiten und Lizenzierungsmodelle verändern, darum geht es im zweiten Teil unseres großen Musik-Features.

  • Musik - Teil 2: Disruption der Musikbranche
  • Streaming ist die neue Normalität
  • Demokratisierung der Verwertung
  • Mit ganz viel Gefühl: Musik Apps und Gadgets

Kommentare zur Disruption der Musik-Branche:

  • Lizzy Scharnofske: Zwischen Tech und Virtuosität
  • Carsten Schumacher: Es gibt keinen Punk in der KI, keine Emotionen
  • Gaètan Hadjeres: DeepBach lernt zu komponieren
  • Marcus Rüssel: Die Sehnsucht nach dem Plattendeal
  • Marc Westphal: Rechte-Management mit der Blockchain
  • Dmitry Evgrafov: Ein Klang für alle Bedürfnisse
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