Madison Bell:

Was Gründer vom Burning Man lernen können

22/10/2018
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Madison Bell. Foto Y. Tincelin

MADISON BELL
Sieben Mal hat Madison Bell bereits das Burning Man Festival erlebt. Jedes Jahr ist sie wieder überrascht, was quasi aus dem Nichts heraus entstehen kann. Was die Gründerszene von dieser Erfahrung lernen kann, berichtet sie hier. Bevor sie in Berlin bei Kontist ins Gründerteam einstieg, hatte sie bereits im Silicon Valley verschiedene Startups wie Nextdoor und Apartmentist mit aufgebaut.

Wenn ich am Standort unseres Lagers aus dem Auto steige, stockt mir jedes Mal wieder der Atem. Denn was ich sehe, ist nur ein leeres Stück Land – markiert mit blauen Vermessungs-Flaggen. In diesem Moment wird mir klar, dass wir unser Camp von Grund auf aus dem Nichts heraus neu aufbauen müssen. Alles, was wir haben, sind unser Wissen, unser Können, unser Körper und die Vorräte, die wir zur Veranstaltung mitgebracht haben. Sieben Mal war ich jetzt dabei und merke immer mehr, dass sich vieles, was ich hier beim „Burning Man” in der Wüste lerne, auch auf mein persönliches und berufliches Leben übertragen lässt.

Gerade wenn es ums Gründen und das Startup-Leben geht: Die Kernprinzipien von „Burning Man” sind ein Leitfaden, der mich immer wieder inspiriert und auf den richtigen Weg bringt. Alleine für den Aufbau des Camps brauchen wir mit neun Leuten 18 Stunden an zwei Tagen. Neben der körperlichen Arbeit muss die Gruppe auch schnell Entscheidungen treffen, die sich auf die Gesundheit und das Wohlergehen des gesamten Lagers für die kommende Woche auswirken. Wo sollen wir aufbauen? Ist es wichtiger, die Sonne oder den Staub zu vermeiden? Sollen wir schnell und riskant bauen oder es langsamer angehen lassen? Sind unsere Strukturen gegen Regen und starken Wind geschützt?

Foto: Y. Tincelin

Zwischen radikaler Selbstständigkeit und Gemeinschaftsgeist

Diese Entscheidungen sind überlebenswichtig und werden selten allein getroffen, doch außer oberflächliche Meinungsverschiedenheiten sind ernsthafte Auseinandersetzungen selten. Es ist die Balance zwischen radikaler Eigenverantwortung und Gemeinschaftsgeist, die den Fortschritt des Prozesses fast magisch erscheinen lassen. Wir bauen alle gemeinsam, obwohl die meisten nicht einmal erklären könnten, wie man baut.

Foto: B. Guez

Unsere Fähigkeiten sind so unterschiedlich, einige sind ausgezeichnete Statiker, andere haben mehr praktische Erfahrung im Bauwesen. Einige wollen den Bau oder einzelne Bauabschnitte leiten, während andere einfach nur angeleitet werden wollen. Letztlich sind wir aber einem gemeinsamen Ziel verpflichtet: dem Aufbau des Camps.

Madison Bell: „Wir Gründer haben die Möglichkeit, eine neue Kultur zu entwickeln“

Ich habe viel darüber reflektiert, wie gerade diese Spannung zwischen radikaler Eigenverantwortung und Selbstständigkeit auf der einen sowie dem Engagement für die Gemeinschaft auf der anderen Seite dazu führt, dass wir am Ende ein sicheres Lager haben. Ein Thema, das mich auch in meiner Rolle als Gründerin immer wieder beschäftigt. Als Gründer muss man extrem selbstständig sein. Es gibt Tage, an denen andere deine Vision nicht teilen und du deine Idee gegen enormen Druck von außen verteidigen musst.

Aber auch Gründer schaffen es nicht alleine. Du musst deine gnadenlose, dickköpfige Selbstständigkeit ausbalancieren mit dem Vertrauen in dein Team, deinem Glauben an Gemeinschaft. Ein Team, das mit dir kollaboriert und an deine Vision glaubt, aber gleichzeitig „Ownership”, also Verantwortung für sich und die entsprechenden Projekte übernimmt, kann über den Erfolg oder das Scheitern deines Unternehmens entscheiden. Und vielleicht noch wichtiger: Es kann dir helfen, dich nicht total verrückt zu machen und einen Burn-out zu vermeiden.

Was würdest du für eine Essiggurke tun

Was würdest du für eine Essiggurke tun

Dieses Jahr habe ich Hunderte von Teilnehmern bei Burning Man gebeten, etwas von sich im Tausch für eine saure Gurke zu geben, die übrigens der perfekte Snack ist inmitten des alkalischen Wüstenstaubs. Der Ansturm war ziemlich groß: Die Leute posierten, parodierten, fotografierten und partizipierten mit den verrücktesten Ideen. Im Tausch dafür, dass sie sich uns gegenüber öffneten und etwas von sich teilten, sei es ihr Humor, ihre Passion oder einfach nur ihr Bedürfnis, etwas zu essen, bekamen sie von mir dann ihre Gurke.

Bei Aktionen wie dieser wird mir immer wieder klar, wie wichtig zwei weitere Prinzipien des „Burning Man” im gegenseitigen Umgang miteinander sind: mitzumachen (participation) – und das direkt, persönlich und im Moment (immediacy). Denn die meisten Menschen wollen ihre Ideen, Geschichten, ihr Können und ihre Expertise teilen, aber die meisten brauchen erst einen Anstoß dafür. Daran versuche ich mich nach dem Burning-Man-Festival, für den Rest des Jahres zu erinnern, besonders als Gründerin.

In einer Berufswelt, in der Menschen manchmal dafür bestraft werden, dass sie anders sind, haben wir Gründer die Möglichkeit, eine neue Kultur zu entwickeln. Eine Kultur, in der wir Vielfalt und Individualität als positive Werte schätzen und dazu einladen, sich einzubringen. Wir sollten in unserer Rolle als Gründer auch nicht vergessen, immer wieder mal innezuhalten und richtig hinzuhören, was andere zu sagen haben.

Nur so können wir eine echte, offene Kultur schaffen und deren Vorteile nutzen. Letztlich ist Burning Man das, was man daraus macht. Das Festival hat mehr zu bieten als Partys, Musik und Kunst. Wenn du glaubst, dass jetzt die Zeit für dich gekommen ist, es selbst einmal zu erleben, dann habe ich hier noch ein paar Ratschläge für dich: Informiere dich gut, wähle deine Campmates mit Bedacht – und erwarte das Unerwartete.