Johannes Schaback:

Seine Learnings aus 10 Jahren CTO

31/08/2018
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Wie sah dein Weg in die Startup-Welt aus?

Johannes Schaback: Ich habe 2002 an der TU Berlin Informatik studiert und bin im Rahmen eines Doppeldiplomabkommens für mein Hauptstudium und Master nach Shanghai gegangen. Schon während meines Studiums habe ich zahlreiche Projekte entwickelt, von denen aber keines ein Erfolg wurde. Ich war zwar gut in Software Engineering und Machine Learning, aber mir fehlte das Business-Know-how. Über Umwege habe ich Oli Samwer kennengelernt, der mich 2008 als Software-Entwickler zu dem eben erst gegründeten Rocket Internet geholt hat. 2009 habe ich dann gemeinsam mit Robert Maier den Mode- und Möbel-Aggregator LadenZeile.de gegründet, den wir 2011 größtenteils an Axel Springer verkauft haben. Seit April 2018 bin ich nun CTO des Online Home & Living Unternehmens Home24.

Bei Ladenzeile hast du wahrscheinlich sämtliche Facetten des Jobs erlebt?

Johannes Schaback: Am Anfang habe ich sehr viel mitgecoded und zeit - gleich alle Probleme wie nächtliche Systemabstürze und fehlende Skalierung hautnah erlebt. In der frühen Phase musst du bereit sein, dir ein blaues Auge zu holen, Dinge auszuprobieren und sie anschließend zu ändern. Das Gute ist, dass du da - bei Over-Engineering vermeidest, was für Startups essenziell ist. Als das Team wuchs, haben sich meine Themen verlagert. Teamführung, Product Development, Prozesse, Qualitätssicherung und Compliance wurden wichtiger. So ein Schritt hat aber immer auch eine Kehrseite. Denn sobald ein guter Entwickler eine Managementfunktion übernimmt, hat er so gut wie keine Zeit mehr, selbst etwas zu programmieren. Er ist dann in erster Linie Manager und nicht mehr Entwickler. Aber ohne einen Tech-Manager wäre auch wiederum kein Unternehmen in der Lage, über eine bestimmte Größe hinauszuwachsen.

Seit April 2018 bist du CTO bei Home24. Woher wusstest du, dass du der Richtige für die Aufgabe bist?

Johannes Schaback: Das ist eine gute Frage. Die beiden Vorstände Philipp Kreibohm und Marc Appelhoff und ich haben uns intensiv über alle Tech-Themen ausgetauscht, darunter Tech-Organisation, Machine Learning und Tech-Employer Branding, um nur ein paar zu nennen. Home24 ist ein pure play Online- und E-Commerce-Unternehmen, aber eben kein rein digitales Geschäftsmodell wie Google oder Facebook. Stattdessen ist Home24 eine tech-enabled Company, bei der die Technologie eine wesentliche Rolle für die Skalierung und Effizienz des Geschäftsmodells spielt und somit letztlich auch für den Erfolg des Unternehmens.

Sie haben daher jemanden mit viel Initiativkraft gesucht, keinen Verwalter. Unser Slogan bei Home24 ist ja: „We are Pioneers. We want to create happy homes.“ Und dafür ist Tech ganz entscheidend. Welche Erwartungen werden an dich gestellt? Home24 ist mittlerweile ein börsennotiertes Unternehmen mit mehreren Hundert Mitarbeitern allein in Deutschland, hat sich aber die dynamische Atmosphäre eines Startups erhalten. Das soll auch so bleiben und passt damit sehr gut zu meinen Vorstellungen.

Gleichzeitig habe ich eine starke Meinung zu Techkultur, zu Arbeitsweisen. Die Rollen eines CTOs sind „Productivity“ und „Continuity“, wobei Continuity bedeutet, dass die Plattform entsprechend den Spezifikationen und Service Levels 24/7 läuft. Productivity wiederum heißt, dass man die Plattform weiterentwickelt. Vereinfacht könnte man auch sagen: Aufbau, Wachstum und Pioneering. Alles Weitere lässt sich unter diesen beiden Punkten subsumieren. Home24 will weiter stark wachsen und Prozesse technologisieren und automatisieren. Dazu passt, dass ich mich gut im Machine Learning auskenne.

Automatisieren bedeutet, dass wir den Einkaufsprozess bei Home24 für die Kunden noch leichter machen, also von der Suche nach dem perfekten Produkt über die Bestellung und Auslieferung. Und natürlich muss ein CTO dafür sorgen, dass das Unternehmen technologisch up to date bleibt.

Wie wichtig ist denn der Cultural Fit bei der Einstellung eines CTOs

Johannes Schaback: Im Endeffekt ist es ein gegenseitiges Suchen und Finden. Bei Home24 haben wir ein sehr gutes Tech-Team. Wichtig ist neben der fachlichen Qualifikation aber auch, dass die Unternehmenskultur zu einem passt. Grundsätzlich hat es ein Startup-CTO etwas leichter, weil er auf Greenfield anfängt. Legacy zu verwalten, kann dagegen etwas schwieriger und mühsamer sein.

Dieses Problem habe ich als CTO von Home24 nicht, obwohl das Unternehmen kein reines Startup mehr, sondern im Juni erfolgreich an die Börse gegangen ist. Das liegt zum einen daran, dass hier noch eine Startup-Kultur herrscht, also die Mitarbeiter Neuem gegenüber aufgeschlossen sind. Und dass jeder den Vorteil sieht, wenn Prozesse vereinfacht werden, sodass die von mir angestoßenen Veränderungen gut angenommen werden.

Fällt die technische Infrastruktur auch in deinen Bereich?

Johannes Schaback: Das fällt in den Continuity-Bereich. Dazu gehört auch die Infrastruktur, mit der nicht technische Mitarbeiter arbeiten, also die Rechner, das Asset-Management, das Schließsystem und das VPN-Netzwerk. Unsere Aufgabe ist ja, das Business effizienter und stärker zu automatisieren. Wir wollen unseren Kollegen möglichst wirkungskräftige Werkzeuge an die Hand geben. Diese sollten ganzheitlich gedacht werden.

Vielschichtige Einblicke in einen vielseitigen Job gibt Johannes Schaback im Interview. Foto: Hirofumi Nobukuni

Wie wichtig ist der Track Record des CTOs bei der Neueinstellung und wie könnte man einem Kandidaten auf den Zahn fühlen?

Johannes Schaback: Das kommt aufs Stadium des Unternehmens an. Am Anfang ist das Risiko des kompletten Scheiterns relativ gering, denn der CTO kann in dem Tech-Stack seiner Wahl beginnen. Wichtig ist, dass er sich in dem Bereich wohl fühlt, in dem er gebraucht wird. Möchte man eine App entwickeln, dann ist App Development wichtig. Er sollte vorweisen können, in welchem Zeitraum, mit welcher Qualität und unter welchen Umständen er bereits Apps gebaut hat.

Bei einem klassischen Webshop muss er seine E-Commerce-Kompetenz vermitteln. Beherrscht er die Online-Marketingpalette, Performance-Marketing, Suchmaschinenoptimierung und Logistik? Neben den fachlichen Elementen ist es wichtig, ob er schnell Trial and Error macht. Am Anfang ist Speed entscheidend und Pivots sind die Regel.

Ab wann muss man eher auf Verlässlichkeit statt auf Trial and Error setzen?

Johannes Schaback: In einer idealen Welt musst du auch in einer großen Organisation sehr schnell sein. Allerdings ist hier die Systemintegration aufwendiger und teurer. Sie erfordert mehr Abstimmungen und Schulungen. Daher muss man sich bei größeren Organisationen der erhöhten Komplexität bewusst sein. Der Startup-CTO kann mit vergleichsweise weniger Perfektionismus leben.

Gibt es Tricks, wie man Geschwindigkeit aufbaut?

Johannes Schaback: Man muss so früh wie möglich die richtigen Entscheidungen treffen. Das klingt zwar wie eine Binsenweisheit, ist aber gar nicht so leicht. Mit Rapid Prototyping kann man Probleme oder Opportunitäten verstehen, um sie einzugrenzen und sich schnell Feedback zu holen, am besten ohne schon etwas gebaut zu haben. Das ist eine übliche Herangehensweise, die auch in großen Unternehmen immer mehr Anwendung findet: Feedback bekommen, sehr schnell testen und datenbasierte Entscheidungen treffen. Das gilt für kleine und große Unternehmen gleichermaßen.

Wie wichtig ist Kommunikation und mit wem tauscht man sich als CTO am meisten aus?

Johannes Schaback: Klarheit ist sehr wichtig. Je größer die Organisation, desto klarer müssen bestimmte Dinge sein. Die Rollen und das Interface eines Teams mit dem Rest des Unternehmens müssen genau definiert sein. Man kann in der Kommunikation nicht eindeutig und offen genug sein. Ich versuche, nicht mehr als sieben Direct Reports zu haben. Besser nur fünf. Mit jedem Direct Report sitze ich mindestens eine halbe Stunde pro Woche zusammen und stimme mich sehr eng mit ihnen ab. Bei Home24 bin ich auch der Produktlead, wodurch ich zusätzlich die Organisation der Productmanager unter mir habe. Daraus ergeben sich gute Synergien.

Wie werden Entscheidungen über Managementmethoden oder Technologien getroffen?

Johannes Schaback: Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen einem Frühphasen- und einem Spätphasen-CTO. InFrühphasen spielen Themen wie Security und Compliance noch keine so große Rolle. Natürlich müssen sich auch junge Unternehmen daran halten, aber vereinfacht gesagt: Sie haben einfach noch nicht so viel zu verlieren wie große Unternehmen und verwenden daher vergleichsweise wenig Zeit dafür. Grundsätzlich möchte man aber in jedem Unternehmen unabhängig von der Größe Komplexität und Silos vermeiden.

Das gilt auch bei Programmiersprachen. Bei Home24 haben wir verschiedene Sprachen im Einsatz, die alle gut sind. Trotzdem muss man stets alles hinterfragen. Im agilen Mindset ist es wichtig, dass Entscheidungsbefugnis in die Teams übergegeben wird. Idealerweise hat man autonome Teams, denen man Ziele vorgibt und nach einem Quartal überprüft. In der Realität gibt es natürlich Abhängigkeiten, OKRs, Roadmapping, Scrum of Scrum und andere Methoden, die ein Team eingrenzen.

„Klarheit ist sehr wichtig. Je größer die Organisation, desto klarer müssen Dinge sein.“

Haben technologische Veränderungen wie das Streichen einer Programmiersprache nicht Auswirkungen auf das Personal?

Johannes Schaback: Uns ist es wichtig, dass wir Software-Engineers einstellen und nicht reine Java- oder Java Script-Engineers. Wir erwarten eine gewisse Flexibilität in der Software-Craftsmanship. Wie ein Handwerker, der mit unterschiedlichen Holztypen oder Werkzeugen arbeiten kann, können gute Software-Engineers auch mit unterschiedlichen Sprachen arbeiten. Bei jungen Startups ist das weniger relevant, denn sie fangen in der Regel mit ein, zwei Leuten an und entsprechend mit zwei Sprachen.

Die Herausforderungen entstehen erst, wenn man sich mit dem Berliner Recruitingmarkt beschäftigen muss und kaum Leute findet. Die Gründe können sein, dass deine Sprache total exotisch ist und sie keiner beherrscht. Oder dass die Sprache so populär ist, dass der Markt leergefegt ist und man die Gehälter nicht zahlen kann. Die richtige Balance ist nicht immer leicht. Generell nimmt Recruiting übrigens einen großen Teil der Zeit des CTOs in Anspruch.

Merkt man denn den „War of Talent“ in Berlin?

Johannes Schaback: Bei Home24 haben wir das Problem nicht, aber grundsätzlich spüren auch wir, dass das Finden und Halten von Tech-Experten kein Selbstläufer ist. Das betrifft aber alle in Berlin ansässigen Online-Unternehmen. Viele Tech-Aufträge wandern nach Osteuropa ab, wo auch eine hohe Nachfrage ist und eben auch viele Expertensitzen oder sie werden an Freelancer abgegeben.

Welche Perks sind für Programmierer besonders wichtig?

Johannes Schaback: Viele der kursierenden Vorurteile stimmen nicht. Wir Programmierer sind weder alle tätowiert noch trinken wir die ganze Zeit Kaffee. Es muss vor allem das Umfeld stimmen. Jeder möchte doch in einem Team arbeiten, das produktiv und enthusiastisch zusammenarbeitet. Die Aufgabe muss interessant sein, so dass man eine Erfüllung findet. Parallel muss sichergestellt sein, dass man sich weiterentwickelt. Man will lernen und sich nicht nur beim Gehalt verbessern. Und man ja auch selbst mit Leuten zusammenarbeiten, von denen man etwas lernt.

CTO, CIO, CDO, Chief Architect, Chief Engenier… In der Techwelt wimmelt es nur so vor schillernden Titeln.

Johannes Schaback: Für manche Techies ist das ein total wichtiges Thema, aber Junggründer sollten Titel so spät wie möglich einführen und dann auch nur in homöopathischen Dosen. Titel sind Gift. Sie kosten nichts, können aber den Wert eines Titels diluten oder sogar toxisch wirken. Beispielsweise wenn plötzlich jemand Senior wird, nur weil er droht, das Unternehmen zu verlassen, während seine Kollegen in ihm aber keinen Senior sehen.

Du bist auch Teil des Frühphasen-Investors Saarbrücker21. Wie verifiziert Du, ob junge Teams in der Lage sind, ihren Pitch auch technisch umzusetzen?

Johannes Schaback: Häufig dreht es sich um dieselben Fragen. Wie schafft ihr es, Euer Tech Stack aufzubauen? Wie schätzt ihr den Zeitaufwand? Wie viele Entwickler seid ihr? Wie sehen eure Unit Economics aus? Was glaubst du, wie viele Gehälter du zahlen kannst? Gerade in der frühen Phase ist das Team der entschiedenste Faktor, denn es gibt ja keine weiteren Belege für das Potenzial. Neben den allgemeinen Fragen zu Markt und Idee fragt man sich vor allem, ob das Team in der Lage kann, Themen umzusetzen. Leider fällt die Antwort oft negativ aus, vor allem wenn es keinen Techie im Team gibt.

Sollte man einen CTO durch Anteile incentivieren?

Johannes Schaback: Bei den meisten Digital-Gründungen ist der CTO extrem entscheidend und hat eine langfristige Rolle, weswegen er bestenfalls Teil des Gründerteams wird. Dann ist er völlig inkludiert und am Erfolg und Misserfolg des Unternehmens beteiligt. Aber diese Entscheidung kann man nicht verallgemeinern, sondern muss von jedem Unternehmen im Einzelfall selbst getroffen werden.

Johannes Schaback

Home24 CTO Johannes Schaback Foto: Hirofumi Nobukuni

Der Diplom-Informatiker und Ladenzeile.de-Mitgründer ist seit April 2018 Chief Technology Officer (CTO) des Home- und Living-Unternehmens Home24. Im Verbund mit Saarbrücker21 ist er als Business Angel aktiv. Zuvor war er am Fraunhofer Institut mit Softwaretechnik und Machine Learning betraut und anschließend als Entwickler bei Rocket Internet tätig. home24.de