Siemens-Vorstand Russwurm:

„Wir suchen einen Zugang, der unser Geschäft angreift“

24/11/2016
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NKF SUMMIT Vol. 1

BERLIN | 7. Dezember 2016

1 Tag / 20 Sessions
25+ Speaker
So arbeiten Corporates und Startups erfolgreich zusammen

Herr Russwurm, wo spürt Siemens die Disruption am stärksten?

Siegfried Russwurm: Der größte Treiber für Disruptionen ist die Digitalisierung. Sie trifft uns überall. Durch sie buchstabieren sich die Themen Energiesysteme, öffentliche Infrastruktur, Mobilität oder auch Gesundheitssysteme ganz anders. Diese Diskussion haben wir auch auf der politischen Ebene. Viele Leute aus der Startup-Szene sagen: ‚Erzähl mir nicht, wie das in der Vergangenheit war. Das hält mich nur auf. Wir machen es sowieso anders.‘ Diesen Teil von Innovation, muss Siemens genauso verstehen wie die konventionellen Innovationsprojekte. Dafür brauchen wir aber Menschen, die anders ticken. Die holen wir von außen. Wir finden jedoch auch unter den 350.000 Siemensianern genug Leute, die sagen: ‚Hey, ich habe da was anderes im Kopf.‘

Wie haben Sie bisher mit Startups zusammengearbeitet?

Siegfried Russwurm:Wir haben da eine ziemlich lange Tradition. Die ersten Wurzeln reichen bis in die Mitte der 90er-Jahre zurück. Seit dieser Zeit haben wir beispielsweise einen Startup-Outpost im Silicon Valley. Und wir haben seither eine Vielzahl an gemeinsamen Projekten mit Startups erfolgreich gemacht, aber immer im Auftrag unserer operativen Einheiten.

Was waren das für Projekte?

Siegfried Russwurm:Der Auftrag war: ,Mischt euch unter die Szene, hört euch um, was es Neues gibt, und schaut, ob man neue Lösungen in unseren Produkten verwenden kann.’ Nehmen Sie etwa unsere Simulationssoftware, mit deren Hilfe man Maschinen, ganze Anlagen und die Menschen darin in Virtual Reality sehen kann – bevor die erste Schraube eingedreht wird. Wir nennen das digitaler Zwilling. Die Simulation ist so realitätsnah, weil die Physics Engine von einem Startup aus dem Silicon Valley stammt. Sie wurde eigentlich für die Video-Gaming-Industrie entwickelt. Unsere Kollegen haben schnell erkannt, was da technologisch drinsteckt, und sie in unsere Simulation eingebaut. Dafür haben wir eine Lizenz erworben.

Was haben Ihre Kunden dazu gesagt?

Siegfried Russwurm:Das ist denen egal, solange Siemens dafür sorgt, dass es funktioniert. Wir waren eine Art Brückenbauer. Wir haben auch Firmen aus der Startup-Szene gekauft – und zwar dann, wenn wir überzeugt waren, dass ein großer Teil ihres Geschäfts im Siemens-Kontext noch besser laufen würde. Wir haben eine ziemlich gute Vertriebsmannschaft überall auf der Welt. Und viele Startups scheitern nicht zuletzt am Vertrieb. Außerdem haben wir uns an einer ganzen Menge von Startups beteiligt, um auch so an neuen Geschäftsideen oder Technologien teilzuhaben.

Russwurm: „Geld allein ist nicht alles, Geld ist da.“ (Foto: Jann Venherm)

Warum starten Sie jetzt Next47?

Siegfried Russwurm:Die neue Einheit soll unsere Startup-Aktivitäten bündeln und auf eine neue Stufe heben. Next47 gibt uns mehr Unabhängigkeit, um erfolgreich in der Szene unterwegs zu sein und Themen anders anzugehen, als wir das bei Siemens bislang tun.

Was ist Next47: Inkubator, Accelerator, Investor?

Siegfried Russwurm:Die entscheidende Frage ist: Inwiefern muss Next47 anders sein als die anderen Inkubatoren? Geld allein ist nicht alles, Geld ist da. Es gibt viele, die in die Startup-Szene investieren wollen. Nur weil wir eine Milliarde Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren investieren, macht uns das nicht anders. Aber wer in Themen wie Logistik, Produktion und große technische Systeme rein will, dem können wir viel bieten. Wir haben mehr als 300 Werke in der Welt. Wenn jemand zum Beispiel eine Lösung hat, die Werkzeuge in einer Fabrik ,wiederfindbar’ macht, dann können wir das in einer unserer Fabriken testen.

„Wir wollen nicht noch einen Inkubator aufmachen, sondern eher mit Inkubatoren zusammenarbeiten.“

Next47 ist also ein Inkubator?

Siegfried Russwurm:Wahrscheinlich wäre Business Angel der bessere Begriff. Wir wollen nicht noch einen Inkubator aufmachen, sondern eher mit Inkubatoren zusammenarbeiten. Wir wollen eher Business Angel in dem Sinn sein, dass wir Rat geben. Wenn ein Startup zum Beispiel einen Brief bekommt von einem großen Konzern, der mit seinem Patent wedelt und erklärt: ‚Du betrittst gerade vermintes Gelände, du verletzt mein Patent.‘ Was kann ein Startup da machen? Da gibt es zwei generische Optionen. Erstens: ,Okay ich mach’ es halt nicht.’ Oder zweitens: ‚Mir egal, wir machen es und schauen dann.’ Wir bieten eine dritte Option. Wenn jemand seine 200 Anwälte losschickt – die haben wir auch.

Wie sieht die neue Einheit aus?

Siegfried Russwurm:Der erste Anlaufpunkt für Next47 ist eine Webpage. Hinter der Organisation stehen knapp 100 Leute. Das sind erst mal die, die bisher bei Siemens schon mit Startups weltweit zusammengearbeitet haben. Wir wollen aber auch neue Leute von außen anheuern, die sich in dieser Szene auskennen. Wahrscheinlich haben wir nicht alle Kompetenz, die man braucht, schon heute an Bord. Auch hier verbinden wir das Beste aus zwei Welten. Und so ergänzen wir unsere Experten, um qualifizierte Leute aus der Startup-Szene. Wir haben eine gute Home Base dort, wo wir bisher auch schon waren, in Berkeley, Schanghai und München, zusätzlich ein kleines Büro in Tel Aviv. Und wir werden weitere Büros eröffnen. Wir überlegen zum Beispiel, Südamerika in den Fokus zu nehmen.

Wie risikobereit sind Sie?

Siegfried Russwurm:Wir suchen nach einem anderen Zugang zu den Dingen, einem Zugang, der unser bestehendes Geschäft richtig angreifen kann. Es ist besser, das selber zu verstehen und im Zweifelsfall selber zu tun, als zu sagen: ‚Das wird nie passieren.’ Ich sage immer zu meinen Entwicklern: ‚Nie ist in der Innovation ein verbotenes Wort.‘

„Der Extremfall ist, wenn Leute sagen: ‚Hey, wir müssen hier sparen und die kriegen eine Milliarde Spielgeld.‘ Auch damit muss man umgehen.“

Siemens hat rund 32.000 Entwickler. Was sagen die zu Next47?

Siegfried Russwurm:Bei 32.000 Leuten gibt es alle möglichen Gefühle und Spielarten. Die Guten verstehen es und sind hochgradig interessiert, zu lernen und zu schauen, was wir von Next47 übernehmen sollten. Es gibt natürlich auch eher konservativ Gestrickte, die sagen: ‚Das ist doch Spielerei!‘ Der Extremfall ist, wenn Leute sagen: ‚Hey, wir müssen hier sparen und die kriegen eine Milliarde Spielgeld.‘ Auch damit muss man umgehen. Meine Antwort darauf ist sehr klar: Es ist kein Spielgeld, es ist Investitionsgeld für die Zukunft!

Russwurm: „Auch Siemens muss sich ändern.“ (Foto: Jann Venherm)

Was muss ein Startup für Next47 mitbringen: Reicht ein Gründer, der eine tolle Idee hat, oder muss da schon ein Prototyp sein?

Siegfried Russwurm:Einen Prototypen braucht es nicht. Wir haben ganz bewusst gesagt: Wir sind offen. Das kann eine überzeugende Idee sein und ein Gründer, der sagt: ‚So stelle ich mir das vor.‘ Zunächst muss es dann darum gehen, den Proof of Concept zu bekommen oder den Businessplan auszuarbeiten.

Wie messen Sie den Erfolg von Next47?

Siegfried Russwurm:Das ist eine interessante Diskussion, die in der Szene tobt. Wir haben uns viele Meinungen angehört und unseren eigenen Plan gemacht. Erstens: Next47 soll auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Mit dem Argument von Strategie und Langfristigkeit kann man zwar entschuldigen, warum Dinge finanziell nicht funktionieren, aber es ist ein schwacher Ansatz. Die Truppe von Next47 sollte schon zeigen, dass Wert generiert wird. Doch Next47 wird nicht allein auf den monetären Wert optimiert. Es gibt noch einen zweiten Aspekt: Ist die Truppe disruptiv genug? Wenn die Sache nur finanziell incentiviert ist, besteht das Risiko, dass alles Late Stage und Safe Bets sind. Deshalb wird es auch ein Expertengremium geben. Das wird kein formeller Aufsichtsrat sein, aber wir haben einen kleinen Zirkel von Leuten aus der Szene als Berater. Die geben ein Votum ab, ob die Truppe mutig genug ist. Ein guter Indikator dafür wird sein, ob es auch Themen gibt, die scheitern. Zugegeben, das ist für Siemens eine ziemlich ungewohnte Entwicklung.

Wie wird das Siemens verändern?

Siegfried Russwurm:Unser Geschäft, die Märkte und die Menschen ändern sich. Auch Siemens muss sich ändern. Im konventionellen Geschäft müssen wir aber mit der Veränderungsgeschwindigkeit vorsichtig sein. Das ist das alte Innovator-Dilemma: Wann schaltest du um? Du hast neue Kunden, die du anders bedienen musst, aber du hast natürlich auch ganz viele Kunden, die eher konventionell sind.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

SIEGFRIED RUSSWURM

ist seit Januar 2008 Mitglied im Vorstand der Siemens AG und Chief Technology Officer des Unternehmens. Der 53-Jährige arbeitet seit 1992 für Siemens, viele Jahre davon in verschiedenen Positionen im Bereich Medizintechnik. Russwurm stammt aus Oberfranken und hat an der Universität Erlangen-Nürnberg Fertigungstechnik studiert.
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SIEMENS AG

NAME: Siemens AG
GRÜNDUNG: 1847
GRÜNDER: Johann Georg Halske, Werner von Siemens
MITARBEITER: 348.000
STANDORTE: Berlin und München
SERVICE: Siemens ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit dem Fokus auf Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung. Das Unternehmen ist in mehr als 200 Ländern tätig und setzte im Geschäftsjahr 2015 75,6 Milliarden Euro um.
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NEXT47

Siemens wurde 1847 in einem Hinterhof in Berlin-Kreuzberg gegründet. Mit Next47 versucht das Unternehmen, diesen Gründergeist neu zu entfachen. Die eigenständige Einheit mit Sitz in München hat ihre Arbeit am 1. Oktober 2016 aufgenommen. Sie soll disruptive Ideen fördern und neue Technologien in den Feldern künstliche Intelligenz, autonome Maschinen, dezentrale Elektrifizierung, vernetzte Elektromobilität und Blockchain-Anwendungen vorantreiben. Das Unternehmen ist überzeugt, dass in diesen fünf Bereichen viel und vor allem anderes passiert, als es Siemens bisher gemacht hat. Mehr Informationen: next47.com

Zuerst erschienen in Berlin Valley 10-11/2016

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