Chiara Sommer:

„In Deutschland gibt es zu wenig große Runden“

06/10/2017
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Chiara, ihr habt das finale Closing für den High-Tech Gründerfonds auf 310 Millionen erhöht und Ende September die ersten Investments bekanntgegeben. Was verändert sich mit dem neuen Fonds?

Chiara Sommer:Ich beginne mit dem, was gleich bleibt: Wir machen nach wie vor Seed-Investments. Geändert hat sich zunächst unsere LP-Struktur: Wir haben jetzt mehr als 30 Corporates an Bord. Das ist für unsere Startups sehr wertvoll, weil sie so Zugang zur deutschen Wirtschaft erhalten, um ihre Produkte zu verkaufen, Partnerschaften zu schließen und somit schneller skalieren zu können. Dann werden wir ein bisschen flexibler in der Form, wie wir investieren. Wir können mit dem neuen Fonds in der Seed-Phase bis zu einer Million Euro investieren und in Folgefinanzierungsrunden bis zu drei Millionen. Wir haben am Markt gesehen, dass die Runden größer werden, dem wollen wir uns anpassen. Ganz wichtig ist, dass wir unseren Seed-Begriff erweitert haben. Wir können jetzt auch in Firmen investieren, die bei Erstkontakt bereits bis zu drei Jahre alt sind. Dabei werden wir der erste nennenswerte Investor sein. Wenn bereits mehr als 500.000 Euro Equity in ein Startup investiert wurden, bleiben wir draußen.

Hat sich an den Terms etwas verändert?

Chiara Sommer: Wir haben ja unser Standardmodell, das wir vor zwei Jahren schon einmal angepasst haben. Für ein Nachrangdarlehen mit Wandlungsoption von 600.000 Euro zeichnen wir 15 Prozent der Anteile. Wir werden das Standardmodell nach wie vor vorgeben, aber nun auch die Möglichkeit haben, offen (zu einer Bewertung) zu investieren, ohne einen privaten VC dabei spiegeln zu müssen.

Wie stark mischen sich die Corporates bei euren Entscheidungen oder den Terms ein?

Chiara Sommer:Wir als das Investment-Management stellen unserem Investmentkomitee die einzelnen Deals vor, in die wir investieren wollen. Die Corporates haben jeweils einen Vertreter im Investmentkomitee. Aber einzelne Corporates können ein Investment nicht kippen. Das Investmentkomitee ist hauptsächlich dazu da, um aus dem Erfahrungsschatz der Corporates schöpfen und die Schnittstelle zu unserem Portfolio bilden zu können. Dagegen ist der Einfluss der Corporates auf strategische Fragen des Fonds begrenzt. Sie sind aber in unserem Board vertreten, wo viele strategische Themen entschieden werden.

„Wenn man heute zum Beispiel sagt, VR ist das nächste große Ding, dann ist VR als Thema für Seed-Investments eigentlich schon durch“

Habt ihr einen Fokus auf bestimmte Branchen oder Technologien?

Wir wollen ganz bewusst keine Trendthemen vorhersagen. Das hat zwei Gründe: Erstens glauben wir, dass Innovation über Entrepreneure getrieben wird und nicht über Investoren. Und zweitens: Wenn man heute zum Beispiel sagt, VR ist das nächste große Ding, dann ist VR als Thema für Seed-Investments eigentlich schon durch.

Ihr steigt ein, bevor Themen Trend werden?

Chiara Sommer:Genau. Wir lassen uns tragen von unserem Dealflow und neuen Themen, die wir sehen. Es sind die Entrepreneure, die diese Themen entdecken und eine These entwickeln, wieso das ein Zukunftsmarkt ist. Wir haben aber einige Bereiche, in denen wir bis jetzt sehr erfolgreich gefahren sind.

Wieso brauchen wir hier einen Fonds, der zum Großteil vom Staat finanziert wird?

Chiara Sommer:Es gibt viele Investoren, die sagen, sie würden Seed investieren, aber de facto investieren sie in Series A. Sie wollen einfach sehen, dass schon eine Vielzahl von Kunden da ist, wie viel umgesetzt wird, ob dies nachhaltig ist und ob es mehr als einen Marketingkanal gibt. Dann ist es aber kein Seed-Investment mehr. Gerade in technologieintensiven Themen gibt es nach wie vor viel zu wenig Seed-Investment. Im Allgemeinen gibt es mehr als zehnmal so viel Venture Capital in den USA wie in Deutschland. Das liegt unter anderem daran, dass die Pensionskassen hier nicht in Venture Capital investieren und es kein Kapital von Universitäts-Stiftungsfonds gibt, was beides einen Großteil des Venture Capital in den USA ausmacht. Wir haben in Deutschland also erheblichen Nachholbedarf. Da der Wohlstand in unserem Land stark von Innovationen abhängt und diese von Startups vorangetrieben werden, sieht der Staat sich in der Pflicht, die Finanzierung von Startups zu unterstützen. Für viele Corporates lohnt es sich nicht, ein eigenes Seed-Vehikel aufzumachen, deswegen nutzen sie den HTGF.

Ihr seid also Dienstleister für Unternehmen?

Chiara Sommer:Wir transferieren das Know-how zu den Corporates und unterstützen sie bei ihrem Beteiligungsmanagement. Dabei stoßen wir auf großen Zuspruch, denn die Zahl der beteiligten Corporates ist von 18 auf mehr als 30 gestiegen. Wir sind aber auch wichtig für den Markt insgesamt. Mister Spex ist ein gutes Beispiel. Während der Finanzkrise wollte und konnte kaum jemand in Mister Spex investieren – außer uns. Wir können auch antizyklisch investieren. Sonst würde es Mister Spex heute vielleicht nicht geben.

Chiara Sommer: „Wir sind aber auch wichtig für den Markt insgesamt.“ (Foto: Patrick Morarescu)

Die KfW legt den Tech Growth Fund auf. Macht ihr euch Konkurrenz?

Chiara Sommer: Wir sind in enger Absprache mit der KfW, die ja auch am HTGF beteiligt ist. Sie würde kein Konkurrenzprodukt auf ihr eigenes Investment machen. Der Tech Growth Fund wird, so wie ich das verstanden habe, ein Venture-Debt-Fonds, um Unternehmen in der Wachstumsphase fördern zu können. Das soll pari passu mit privaten Geldgebern passieren, aber eben in einer weitaus späteren Phase als der HTGF investiert. Andere Aktivitäten der KfW sind Investitionen in andere Fonds, um damit die Venture-Capital-Fonds-Seite zu unterstützen. In Deutschland gibt es zu wenig große Finanzierungsrunden in den späteren Phasen, weil die Fonds nicht groß genug sind.

Wie hoch ist eure Ausfallquote?

Chiara Sommer:Wir haben bis dato circa 470 Investments gemacht und mehr als 80 Exits. Aktiv sind noch 260. Die Differenz ist ausgefallen. Für den Seed-Bereich ist das eine sehr, sehr gute Quote.

Was ist euer nächstes Ziel?

Wir wollen IPOs mit unserem Portfolio haben. Bisher haben wir nur Trade Sales gemacht. Aber wir haben einige Unternehmen mit IPO-Potenzial. Wir hoffen, dass sich das in den nächsten Jahren realisieren lässt.

Pusht ihr die Firmen in die Richtung?

Chiara Sommer: Die Companys müssen es natürlich auch wollen. Es muss sinnvoll sein. Trade Sales haben den Nachteil, dass man als Unternehmer oftmals Teil eines Corporates wird. Die Frage ist, ob man das wirklich will. Ein IPO ist daher eine sehr gute Option für Entrepreneure, die ihr Unternehmen langfristig leiten wollen.

Das Gespräch führte Corinna Visser.[td_block_text_with_title custom_title=”Chiara Sommer”]Chiara Sommer ist Senior-Investment-Managerin für den HTGF in Berlin. Die primären Investitionsfelder der Wirtschaftswissenschaftlerin und Gründerin eines Online-Beratungs-Startups sind Marktplätze, Apps, Software as a Service und Fintech. Zu ihrem Portfolio gehören Coredinate, Juniqe, Moberries und Skoove.