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„Wir präsentieren, was auf den Feldern passiert“

24/06/2017
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Miro, von außen betrachtet wirkt die Landwirtschaft traditionell. Wie viel Skepsis schlägt einem entgegen, wenn man mit einem Software-Startup in diese Branche vorstößt?

Miro Wilms: Erstaunlich wenig. Ich weiß auch: Bauern stellt man sich immer etwas gestrig, ein wenig angestaubt vor. Und ehrlich gesagt: In seltenen Fällen wurden wir auch vom Hof gejagt (lacht). Aber grundsätzlich ist das Gegenteil der Fall. Die meisten Landwirte sind extrem innovativ. Das zeigt auch die Technik: Da werden tonnenschwere Maschinen zentimetergenau über Richtfunksysteme gesteuert. Mähdrescher beispielsweise fahren mittlerweile komplett eigenständig. Da sitzt nur noch ein Mitarbeiter drauf, der kontrolliert, dass alles richtig läuft.

„Die meisten Landwirte sind extrem innovativ“

Wie habt ihr erkannt, dass im Bereich Software noch Nachholbedarf besteht?

Miro Wilms: Ein Freund von uns arbeitet beim Landwirtschaftsministerium und hat uns erzählt, dass es in dieser Branche einen Riesenbedarf an guter Unternehmenssoftware gibt – aber keine guten Lösungen. Mein Mitgründer kommt aus dem SAP-Bereich, hat vorher Informatik studiert. Von daher wussten wir, wie wir die technischen Fallstricke umgehen können. Und da sind wir neugierig geworden.

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Und ihr habt euch selbst ein Bild gemacht.

Miro Wilms: Richtig. Wir sind rausgefahren und haben uns das in Betrieben live und in Farbe angeschaut. Dort haben wir Geschäftsführer angetroffen, die in einer Tour am Handy hingen, weil sie das Business am Laufen halten müssen. Parallel waren die Büros übersät mit Zetteln und Dokumenten, auf denen Arbeitszeiten und alle möglichen weiteren Eckdaten vermerkt sind. Da haben wir gemerkt: Wir können wirklich einen drastischen Mehrwert stiften.

Wie genau ist euer Ansatz?

Miro Wilms: Man muss wissen: Die Großbetriebe arbeiten schon seit zehn, zwanzig Jahren mit einer Software, das ist gar nicht wegzudenken. Gerade weil sie auch eine offizielle Dokumentation führen müssen. Aber die meisten Landwirte sind damit enorm unzufrieden. Sie sehen das eher als notwendiges Übel. Unsere Software bündelt alle relevanten Bereiche: sei es Mitarbeiterverwaltung, Ackerschlagkarteien oder Kostenanalysen. Wir präsentieren modern und übersichtlich, was auf den Feldern wirklich passiert. Dadurch sparen sich unsere Kunden eine Menge Geld.

„Die Großbetriebe arbeiten schon seit zehn, zwanzig Jahren mit einer Software, das ist gar nicht wegzudenken“

An welchem konkreten Beispiel lässt sich das festmachen?

Miro Wilms: Ich habe beispielsweise kürzlich mit einem Landwirt gesprochen, der vor Berlin rund 2000 Hektar bewirtschaftet. Über die Software hat er herausgefunden, dass er auf manchen Schlägen weniger produktiv arbeitet, beziehungsweise deutlich höhere Kosten hat. Er hat dann weiter geschaut: Wie setzt sich das zusammen? Schließlich hat er festgestellt, dass der Tank seiner Pflanzenschutzspritze zu klein ist und er daher unnötig häufig zwischen Feld und Hof pendeln muss. Er hat sich jetzt für 50.000 Euro ein neues Tanklager in die Nähe des Feldes gestellt – durch die Zeitersparnis beim Weg amortisiert sich diese Investition in zwei Jahren.

Miro Wilms ist Betriebswirt und entwickelt eine Software für Landwirte, die ihre Produktion optimiert. (Bild: Jan Michalko)

Grundsätzlich: Wie viel Geld können Bauern dank eurer Software sparen?

Miro Wilms: Wir kommunizieren eine mögliche Ersparnis von bis zu zehn Prozent. In der Landwirtschaft wird sehr kapitalintensiv gearbeitet. In Flächen, Personal und Maschinen werden große Summen investiert. Daher haben diese Einsparungen einen enormen Hebel auf die Marge.

Durch einen globalisierten Markt herrscht ein großer Preiskampf, die Landwirtschaft in Deutschland steht unter Druck. Kommt euch das ungelegen oder entgegen?

Miro Wilms: Der Konsolidierungsdruck ist tatsächlich stark. Wir haben derzeit in Deutschland 280.000 Landwirte – in 20 Jahren wird die Hälfte nicht mehr da sein. Alle müssen schauen, dass sie sinnvoll und nachhaltig wirtschaften. Dieser Trend ist gut für unser Business. Wir unterstützen die Betriebe ja dabei, trotz des größer werdenden Drucks zu bestehen.

„Wir haben derzeit in Deutschland 280.000 Landwirte – in 20 Jahren wird die Hälfte nicht mehr da sein“

Und wie soll das funktionieren?

Miro Wilms: Die Herausforderung ist tatsächlich riesig. Gerade weil wir perspektivisch zehn Millionen Menschen ernähren müssen. Auf Agrarflächen, die wegen der immer weiter wachsenden Städte eher kleiner werden. Das Ziel ist es, doppelt so viel Ertrag aus den Flächen zu holen. Das geht über Gentechnik – siehe Monsanto und Co. dder es geht über eine bessere Organisation – und da ist unserer Meinung noch sehr viel Luft nach oben. Das ist unser Ansatz, wir wollen viele, viele Details optimieren. Da geht es zunächst einmal darum, ein valides Datenfundament aufzubauen, sich einen Überblick über Kosten, Arbeit, Tätigkeiten zu verschaffen.

Im Berliner Büro steht an der Wand, wohin es gehen soll. (Bild: Jan Michalko)

Spielt Big Data eine Rolle in der Zukunft?

Miro Wilms: Eine unheimlich wichtige. Faktoren wie Wetter, Nährstoffe, Marktpreise liegen ja heutzutage bereits in Form von Daten vor. Es fehlt aber eine Verknüpfung, die all diese Daten zusammenbringt. Sobald das geschieht, passiert etwas extrem Spannendes: In dem Moment sind wir in der Lage, wirklich sinnvolle Handlungsempfehlungen auszusprechen: Was soll ein Landwirt anbauen? Welche Erntestrategie soll er fahren? Und, und, und … Das ist der größte Hebel, den wir haben, um wirklich dieses Welternährungsproblem zu lösen.

„Faktoren wie Wetter, Nährstoffe, Marktpreise liegen ja heutzutage bereits in Form von Daten vor. Es fehlt aber eine Verknüpfung“

Und ihr selbst zieht auch an diesem Hebel?

Miro Wilms: Klar. Wir integrieren immer mehr Datenquellen in unsere Software – zum Beispiel eine Wetterstation. Im zweiten Schritt werden wir einen Algorithmus draufsetzen, der es den Bauern ermöglicht, sich untereinander zu vergleichen. Aber es gibt mittlerweile auch Startups, die sich ausschließlich auf diese Daten-Problematik konzentrieren.

Bisher hast Du nur darüber gesprochen, was eure Kunden von euch haben. Mal andersrum gefragt: Was habt ihr von euren Kunden?

Miro Wilms: Wir haben letztendlich ein relativ einfaches Preismodell. Wir rechnen pro Hektar und pro Jahr ab. Darüber skalieren wir den Nutzen, den der Landwirt aus der Software zieht. Der Vorteil für uns ist, dass wir von einem Erdbeerhof mit zehn Hektar bis hin zu einem branchenübergreifenden Konzern mit 20.000 Hektar unterschiedlichste Kunden haben. Unser Sweetspot sind aber tatsächlich die größeren Betriebe mit professionellen Strukturen, denen aber bislang die Tools fehlen, das Ganze noch weiter zu optimieren.

Ihr seid in Deutschland gestartet. Habt ihr schon Expansionspläne?

Miro Wilms: Im Vertrieb sind wir bisher fast ausschließlich in Deutschland. Aber wir haben einige Kunden im Ausland, die sehr deutlich an unserer Tür gekratzt haben. Daher haben wir die App mittlerweile auch auf Polnisch, Rumänisch und andere osteuropäische Sprachen übersetzt.

„Unsere potenziellen Kunden haben unsere Prototypen zunächst einmal regelmäßig in der Luft zerrissen“

Wo siehst du eure größte Konkurrenz?

Miro Wilms: Es gibt viele europäische Anbieter. Alleine in Deutschland gibt es mehr als hundert Softwarelösungen mit ganz unterschiedlichem Fokus. Langfristig sehe ich allerdings die Vertreter aus den USA mit ihrem ganzheitlichen, datengetriebenen Ansatz als größte Rivalen.

Heute ist klar: Euer Projekt ist ein Erfolg. Bereits im November 2014 habt ihr in einer Finanzierungsrunde 2,1 Millionen Euro eingesammelt. Gab es zwischendurch auch Momente, in denen ihr am Erfolg gezweifelt habt?

Miro Wilms: Klar, Rückschläge gab es immer wieder. Wir kommen ja nicht aus der Landwirtschaft und mussten uns da viel erarbeiten. Unsere potenziellen Kunden haben unsere Prototypen zunächst einmal regelmäßig in der Luft zerrissen. Wir hatten auch keine großen Rücklagen und haben uns 2012 erst einmal in ein kostenloses Büro der Humboldt-Universität eingeschlossen. Alles, um die Kosten zu minimieren. Wir standen ein paar Mal vor Situationen, in denen wir nicht wussten: Schaffen wir es mit dem Geld, das wir haben, durchzukommen? Gleichzeitig sind all das die Punkte, an denen du rückblickend am meisten wächst. Die Momente, an denen du raus aus der Komfortzone musst und dir Gedanken machen musst, wie es weiter funktionieren kann. Und wie man heute sieht, kann es funktionieren.

Das Gespräch führte Jan Thomas.

MIRO WILMS

Miro Wilms schloss sich im Jahr 2012 mit Benedikt Voigt zusammen, um das Leben der Landwirte einfacher zu machen. Um Erfahrungen zu sammeln, packten die Gründer sogar selbst auf dem Feld an. Miro ist Betriebswirt, gündete zuvor Startwork.in und arbeitete bei Käuferportal als Head of Project Management.

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