Im Interview

Niko Woischnik, Gründer des Tech Open Air

04/06/2015
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Niko, schaut man sich Deine Social-Media-Aktivitäten an, hat man den Eindruck, dass du jeden Tag in irgendeinem Restaurant in irgendeiner Stadt bist.

NIKO WOISCHNIK: Ja, ich bin ein großer Foodie. Nach Technologie ist das mein zweites großes Hobby.

Bist Du ein Food-Fetischist?

NIKO WOISCHNIK: Auf jeden Fall. Ich probiere viel aus. Body-Hacking-mäßig esse ich mal vier Wochen vegan, dann mal laktosefrei und so weiter, um zu sehen, wie mein Körper darauf reagiert. Momentan lasse ich Gluten, Laktose und Zucker so gut es geht weg. Damit fühle ich mich gut, aber das mag reines Placebo sein. Ich gehe aber auch einfach oft und gern essen. Da mein Herd seit zweieinhalb Jahren kaputt ist, bin ich auch gezwungenermaßen viel in Restaurants.

Eine gute Ausrede.

NIKO WOISCHNIK: Das stimmt. Ich genieße es einfach, mir Zeit fürs Essen zu nehmen und sich dabei zu unterhalten. Das ist für mich das perfekte Night out.

Du bist sehr viel unterwegs. Eine gewisse Rastlosigkeit?

NIKO WOISCHNIK: Ich reise gern und viel, um andere Ökosysteme kennenzulernen und ihre Vernetzung voranzutreiben. Ich halte es für nicht realistisch, dass sich einzelne Städte als die nächsten ganz großen Ökosysteme etablieren können. Dieser Gedanke gerade in Europa, Berlin sei das nächste Silicon Valley, ist überaus optimistisch. Viel wichtiger wäre es, im europäischen Raum ein zweites Silicon Valley aufzubauen, und dazu gehört die Vernetzung von Ökosystemen und Städten. Das steckt noch in den Kinderschuhen. Die meisten Berliner wissen eigentlich nicht, was in Hamburg vor sich geht, und die Hamburger wissen so ein bisschen, was in Berlin passiert. Silicon Valley ist dagegen viel vernetzter: Mountain View, Palo Alto, San Francisco – die sind teilweise auch anderthalb Stunden voneinander entfernt, und trotzdem weiß dort jeder von jedem. Das ist die Mission, die wir hier verfolgen.

Welche Ökosysteme könnten dabei eine Rolle spielen?

NIKO WOISCHNIK: Ich bin besonders beeindruckt von Lissabon. Die Stadt hat ein super Tech-Talent. Auch München: Ich habe dort Startups gesehen von einer Qualität, wie ich sie ganz selten sehe. Die sind dort oft mehr Research-getrieben. In Berlin fehlt dieser Austausch mit Universitäten noch. In München haben sowohl die LMU als auch die TU wirklich gute Entrepreneur-Programme. Die besten Startups in München sind aus diesen entstanden, zum Beispiel Stylight und NavVis. Und solche Hidden Champions gibt es in vielen anderen Städten auch.

Wie siehst Du Berlin?

NIKO WOISCHNIK: Berlin hat eine unique Position: diese kulturellen Einflüsse, die in der Stadt auch wertgeschätzt werden. Das ist einfach Teil des Lebens und der Wirtschaft. Diese Schnittstelle von Technologien zu den unterschiedlichen Disziplinen ist auch das, was wir beim Tech Open Air (TOA) verfolgen – für Berlin ein Alleinstellungsmerkmal in Europa. In der Form kenne ich keine Stadt, die das abdeckt.

Die Stadt entwickelt sich derzeit noch. Findet die Startup-Szene in diesem Prozess genug Gehör bei der Politik?

NIKO WOISCHNIK: Ich halte die Politik für nicht so wichtig für die Startup-Szene. Berlin hat gezeigt, wie sehr diese Szene hier ohne politischen Willen etabliert wurde. Bislang war das wirklich stark privatwirtschaftlich getrieben. Es gibt sicher Themen oder gewisse Firmen, bei denen Politik Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens haben kann. Aber was das Ökosystem an sich in der Breite angeht, ist Immobilienverfügbarkeit ein viel wichtigeres Thema.

Wie bist Du zur Startup-Szene gekommen?

NIKO WOISCHNIK: Mein erster Job waren Standortanalysen von Entwicklungsländern. Dadurch war ich sehr viel unterwegs und allein in Hotelzimmern und an Flughäfen und habe dann angefangen, über Reisen und Wirtschaft in Entwicklungsländern zu bloggen. Um herauszufinden, mit welchen Tools Bloggen besser funktioniert, musste man Tech-Blogs lesen, wodurch mein Interesse für das ganze Thema Technologie noch mehr zunahm. Nach zwei Jahren habe ich dann beim Zeitbild Verlag angefangen, ein Verlag, der auch als Agentur tätig ist, und habe dort sowohl den Digitalbereich aufgebaut als auch Produkte entwickelt. Und 2010 habe ich dann mein erstes Startup gemacht: Reduti, eine Plattform für Premiumdienstleistungen, die wir an DailyDeal verkauft haben. Anschließend war ich ein Jahr lang bei Catagonia Capital und habe sowohl VC-Partnering als auch Beratung gemacht.

Welche weiteren Startups hast Du gemacht?

NIKO WOISCHNIK: Es gibt so ein paar Produkte, die auf dem Friedhof liegen.

Trial and Error also.

NIKO WOISCHNIK: Absolut. Jobs like me zum Beispiel war eine Job-Plattform, die wir mehr oder weniger zur gleichen Zeit gestartet haben wie Hessam Lavi Berlin Startup Jobs, aber mit einem etwas anderen Modell. Wir hatten ein Pay-Modell für jeden Job, der eingestellt wurde, und Hessam hatte ein Freemium-Modell – das war auf jeden Fall der bessere Weg. Das hat sich schnell abgezeichnet.

Da wart Ihr dann richtig Wettbewerber?

NIKO WOISCHNIK: Da waren wir freundschaftliche Wettbewerber und haben uns auch getroffen und uns ausgetauscht. Das Produkt von ihm war einfach sensationell gebaut, super SEO, viel besser in den Search-Rankings. Wir hatten ein relativ simples Portal, was wir versucht haben, über die Marke – die Selbsterfüllung mit „Jobs like me“ – emotional aufzuladen. Das ist uns nicht gut genug gelungen.

In einem Interview hast Du von Dir selbst sagst, dass Du Probleme und Möglichkeiten der Berliner Startup-Szene identifizierst.

NIKO WOISCHNIK: Das klingt, als wäre ich der Alchemist der Berliner Startup-Szene [lacht]. Das habe ich damit nicht gemeint. Ich wollte damit sagen, dass ich bei der Venture-Capital-Firma auch als Entrepreneur in Residence gearbeitet habe. Der Venture Partner sourct Deals und holt sie rein, der Entrepreneur in Residence versucht, auch selbst Ideen zu entwickeln und auszugründen, und ich habe beides gemacht. Die Idee des Ausgründens war in dieser Phase sehr VC-getrieben, sprich top-down. Man schaut sich verschiedene Märkte an und geht von oben nach unten und identifiziert gewisse Möglichkeiten in diesen Märkten. Ich habe recht schnell gemerkt, dass ich lieber organisch vorgehe. Der Blog, TechBerlin, den ich dann gemacht habe, war eine ganz organische Geschichte. Es kamen Leute auf uns zu, damals haben wir für internationale VCs Events in Berlin organisiert, und meinten: Mensch, geile Stadt, hier passiert was, aber leider schreibt niemand in Englisch darüber. So kam die Idee zu TechBerlin letztlich zustande. Ähnlich war es auch mit Ahoy Berlin. Wir merkten: es fehlt an Fläche für Startups. Die Coworking Spaces, die es gab, haben gut funktioniert - davon brauchte es mehr, also haben wir uns an die Umsetzung gemacht. TechBerlin hat übrigens jetzt mit Openers ein neues Zuhause und wurde gerelauncht.

Du hast vorhin Tech Open Air angesprochen. Was genau macht Ihr da?

NIKO WOISCHNIK: Tech Open Air ist eine Plattform für Austausch und Kollaboration zum Thema Technologie für alle Stakeholder des Technologie-Ökosystems. Wir sehen Technologie als gemeinsamen Nenner für Transformation in allen Winkeln unserer Gesellschaft: von Kunst über Musik bis hin zu Wissenschaft, Politik, Unternehmertum, Bildung, Pharma, Health. Alle diese Themen werden von Technologie in den nächsten Jahren – wenn sie es nicht schon sind – transformiert werden. Dafür wollen wir hier eine Plattform schaffen, und zwar nicht nur für diejenigen, die den Prozess treiben, wie das viele andere Konferenzen machen. Wir wollen auch diejenigen, die diese Veränderung spüren und das teilweise nicht auf die allersanfteste Art, mit einbinden, damit auch sie ihre Ideen und ihr Wissen teilen können. Wir wollen Künstler einbinden, Musiker, Großkonzerne und den deutschen Mittelstand, die Wissenschaft, die hier in Berlin noch nicht so verankert ist – alle diese verschiedenen Stakeholder wollen wir beim Tech Open Air zusammenbringen.

Und die kommen auch? Der Mittelstand ist ja insgesamt eher träge.

NIKO WOISCHNIK: Der Großteil unserer Besucher sind natürlich immer noch Startups und Leute aus der Szene. Aber wir merken, wie das Interesse steigt. Wir haben eine langfristige Vision, und das soll über viele Jahre hinweg organisch wachsen. Es wird sicherlich noch dauern, bis wir zufrieden sagen können, dass die meisten großen Stakeholder involviert sind.

Du sagst, das Interesse steigt. Wie ist die Entwicklung insgesamt?

NIKO WOISCHNIK: Wir haben uns jedes Jahr hinsichtlich Besucherzahl und der Anzahl an Satelliten-Events verdoppelt. 2015 werden es um die 4000 Besucher und über 100 Satelliten-Events sein. Deshalb verlängern wir Tech Open Air von zwei auf drei Tage. Die Pfeiler, die uns definieren, sind: Interdisziplinarität, wir schaffen eine offene Plattform – über die Satelliten-Events kann sich jeder selbst aktiv einbringen – und Qualität: Wir achten bei den Präsentationen stark darauf, dass es wirklich neuartige Sachen sind, die auch nicht marketinglastig sind. Wir wollen inspirativen Content und Inhalte, die wirklich effektiv Wissen transferieren.

Was nimmt der Besucher bei Euch mit?

NIKO WOISCHNIK: Drei Sachen: Er soll inspiriert worden sein. Manchmal hat man ja diese Momente, bei denen man Gänsehaut auf einer Konferenz bekommt, auf der South by Southwest habe ich die zum Beispiel jedes Jahr. Der Besucher soll aber auch was gelernt haben und etwas mitnehmen, was er anwenden kann. Und drittens: Er soll tolle Menschen kennengelernt und Freundschaften geschlossen haben. Deshalb positionieren wir uns auch von der Atmosphäre anders als andere Konferenzen. Wir würden niemals in ein Messezentrum gehen. Wir wollen eine Umgebung schaffen, in der man eine tolle Zeit hat. Deswegen gibt es auch Livemusik und Open Bars, es wird auch gefeiert. Dadurch sind in den vergangenen Jahren viele Freundschaften entstanden.

Was unterscheidet Euch noch von anderen Events?

NIKO WOISCHNIK: Die Nähe zu den Speakern. Es gibt bei uns weder eine VIP-Area noch eine Speaker-Area. Wir sagen: Geht raus, sprecht mit den Besuchern. Die freuen sich, mit dir zu quatschen. Und die Speaker mögen das. Wir achten deshalb bei den Speakern auch darauf, dass sie eine gewisse Offenheit mitbringen. Dadurch passen die Speaker ganz gut zusammen.

Am 15. Juli beginnt das Tech Open Air 2015. Welche Highlights erwarten die Besucher dieses Jahr?

NIKO WOISCHNIK: Dieses Jahr öffnen sich uns Unternehmen, die in den letzten Jahren noch ein bisschen unter dem Radar gefahren sind, vielleicht auch noch nicht so in Erscheinung treten wollten. Zalando zum Beispiel wird dieses Jahr mit einem eigenen Satelliten-Event sehr aktiv bei uns sein. Auch Rocket Internet organisiert mehrere Satelliten-Events. Beide hatten sich vorher im Grunde genommen mit dem Ökosystem nicht wirklich auseinandergesetzt, obwohl sie den meisten Impact auf die Szene haben. Das beginnt sich jetzt zu verändern und es ist schön, dass wir als Plattform eingebunden sind. Auch aus den USA werden viele tolle Speaker dabei sein. Wir haben den Gründer von Hyperloop, den Managing Director von Elite Daily aus New York und viele im Bereich Hardware und Wearables.

Neben Tech Open Air und Ahoy Berlin bist Du auch noch Mitgründer von Openers. Wie kam es dazu und wie seid Ihr da aufgestellt?

NIKO WOISCHNIK: Ich habe Openers Anfang 2014 zusammen mit Kerstin Bock und Carolin Lessoued gegründet, und auch das hat sich ganz organisch aus Tech Open Air heraus entwickelt. Wir arbeiten bei Tech Open Air mit vielen Menschen zusammen, halten den Großteil des Teams aber nicht das ganze Jahr über, sondern arbeiten vier bis sechs Monate an diesem Festival. Kerstin war von Anfang an involviert und im dritten Jahr kam sie auf uns zu und hat mir ihre Idee mit der Agentur vorgeschlagen. Und das machte einfach Sinn, denn durch das Festival und unser Netzwerk haben wir immer mehr Inbound-Anfragen bekommen. Anfangs haben wir vieles davon als Tech Open gemacht, jetzt haben wir dafür ein perfektes Vehikel.

Und welche Vision habt Ihr für Tech Open Air?

NIKO WOISCHNIK: Wir wollen zum einen in andere Städte gehen und zum anderen ein Tech Open Air in Entwicklungsländern, in Afrika, Südamerika, Asien. Das mag noch fünf, zehn Jahre dauern. Vielleicht kriegen wir schon nächstes Jahr ein zweites Event hin, das hängt von der Finanzierung ab. Wir sind bereits in Gesprächen mit Partnern vor Ort, um alles vorzubereiten. Mein Background ist dabei ganz hilfreich. Viele meiner ehemaligen Kollegen meines ersten Jobs sind jetzt in diesen Ländern in regierungsnahen Positionen. Und ein weiteres Ziel ist die Vernetzung dieser Ökosysteme, und das mit verschiedenen Produkten und Dienstleistungen: Openers als Dienstleister, Tech Open Air als inhaltliche Plattform, Openers TechBerlin als Portal und Ahoy als Space. Wer weiß, vielleicht werden wir da auch noch mal irgendwo einen aufmachen.

Das Gespräch führte Jan Thomas.