Ein Mann, ein Rad, ein Wort

Heinrich Strößenreuther

10/07/2018
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Heinrich Strößenreuther gilt als Fahrradaktivist im schwarzen Anzug. Heute ist der ehemaliger Greenpeace-Campaigner, Bundestags-Referent, Strategie-Berater, Interims-Geschäftsführer, Startup-Unternehmer, Business Angel und Initiator des Volksentscheids Fahrrad, der immer wieder mit radikalen Aktionen - teils sogar nackt - auf seine Ziele aufmerksam machte, wieder ganz seriös als Berater im Bereich Verkehrspolitik und CO 2-Reduktion unterwegs

Herr Strößenreuther, wie sind sie heute zur Arbeit gefahren?

Heinrich Strößenreuther: Jetzt haben sie mich erwischt. Diesmal bin ich tatsächlich mit dem Auto gefahren, das liegt aber daran, weil ich einiges transportieren musste - und morgen in den Urlaub fahre. Allerdings habe ich selbst kein eigenes Auto, sondern nutze Car-Sharing. Wohin wird sich der Verkehrssituation entwickeln? Wird es irgendwann gar keine Autos mehr in der Innenstadt geben? Genau das ist das Problem, dass ich bestehende Strukturen hineinbauen muss. Man kann nichts für den Radverkehr tun, ohne dem Autoverkehr Flächen zu entziehen. Kurzfristig kann das natürlich mehr Stau oder weniger Parkplätze bedeuten. Mittelfristig - und das ist die Idee der Verkehrswende - werden Straßen und Städte entlastet, indem immer mehr Leute vom Auto aufs Rad umsteigen.

Und wie wollen Sie das erreichen?

Heinrich Strößenreuther: Zuerst einmal muss ich Radfahren sicher machen, damit auch die Ängstlichen umsteigen. Und Radfahren muss schnell sein, das heißt wir brauchen zwei Meter breite Radwege, Radschnellwege für den Pendelverkehr und grüne Wellen für Radfahrer. Dazu haben wir 10 Ziele in unserem Volksentscheid festgelegt. Übrigens dem schnellsten Volksentscheid Berlins, in nur 3,5 Wochen haben wir 105.425 Unterschriften gesammelt - und dann noch 2017 gemeinsam mit dem rot-grünen Senat ein Radgesetz erarbeitet. Um die Umsetzung auf politischer Ebene voranzutreiben, hat Changing Cities, der Verein des Entscheids, 12 Bezirksgruppen gegründet, die direkt mit den Abgeordneten und Bezirksräten sprechen.

Wie erklären sie sich den langfristigen Erfolg des Volksentscheids Fahrrad?

Heinrich Strößenreuther: Es gab einen „politischen Markt“, ein Top-Gründerteam und ein „Produkt“, dass schnell aus der Seed-Phase heraus skalierte. Wenn sie so wollen ist Changing Cities ein per-excellence-Beispiel für eine political-entrepreneur-Startup-Gründung. Mit unserem Longtail-Business-Modell, nämlich über Mitgliedsbeiträge für den Verein, konnten wir langfristig ein Büroteam finanzieren. Tatsächlich haben wir den Eindruck, dass das Signal dieser Initiative Volksentscheid Fahrrad inzwischen weit über Berlin hinausgeht. In mehreren weiteren deutschen Städten gibt es mittlerweile ähnliche Bestrebungen, etwa in Bamberg und Darmstadt und Hamburg.

Laut ihrer eigenen Aussage könnte es in Berlin bis Ende diesen Jahres ein stadtweites Radwegenetz geben.

Heinrich Strößenreuther: Ich glaube selbst nicht dran, aber ich wiederhole es ganz oft, weil es möglich ist. Denn dazu müssten im Prinzip nur die Flächen umverteilt werden, so dass die Autos nicht direkt am Gehsteig parken. Es müsste also zwischen Straße und Gehweg ein Radweg ausgewiesen werden. Die parkende Autos würden dann eine Barriere zur Straße bilden und den Radfahrern Sicherheit bieten. Dazu müssten nur die bestehenden Markierungen übermalt werden, das wäre bis Ende des Jahres möglich und es würde grob gerechnet sechs Millionen Euro kosten, also sieben Euro pro Kilometer. Ein Witz im Vergleich dazu, was Berlin sonst für den Verkehr ausgibt. Allein beim BER fallen jeden Tag Stillstandskosten von einer Million an!#besserobenohne

Von einem, der gegen die Helmpflicht auszog

Fahrradaktivist Heinrich Strößenreuther macht auch gerne mal mit ungewöhnlichen Aktionen auf sich aufmerksam.
Fahrradaktivist Heinrich Strößenreuther macht auch gerne mal mit ungewöhnlichen Aktionen auf sich aufmerksam.

„Es ging um einen der Versuche Bundesverkehrsministeriums, die Helmpflicht einzuführen. Und da weiß man zwei Dinge. Eins: Der Radverkehr wird geringer, weil die Leute es als gefährlich empfinden. Zwei: Je mehr Leute Rad fahren, desto mehr gewöhnen sich die Autofahrer daran. Und: Studien in Großbritannien zeigen, dass Radfahrer mit Helm enger geschnitten werden. Das heißt: Der Helm verschlechtert die Sicherheit für alle. Im Rahmen der ersten Helm-Debatte habe ich dann mal die Helmpflicht für Autofahrer gefordert, weil viereinhalb mehr Autofahrer an Kopfverletzungen sterben als Radfahrer. Dann kam die #DankHelm Kampagne des Bundesverkehrsministerium. Spontan haben sich ein Kumpel und ich während des Eröffnungsvortrags beim Nationalen Radverkehrskongress nackt vor dieses Darth Vader-Plakat gestellt und den Hashtag umgedreht. Alle waren drinnen und wir sind schnell rausgeschossen, haben das Ding gemacht und nach einer Stunde wusste das jeder: eine fünf Milliarden teure PR-Kampagne geschreddert bevor sie losging.“

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