Im Interview

Marley-Spoon-Gründer Fabian Siegel

01/04/2015
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Marley Spoon will Paaren das Kochen schmackhaft machen. Fabian Siegel erläutert die Strategie.

Was ist das Wichtigste, das man über Euch wissen muss?

Fabian Siegel: Wir kochen gern und wir essen gern. Und wir glauben, dass die Art und Weise, wie Lebensmittel an den Mann oder die Frau kommen, nicht wirklich effizient ist. Der Alltag ist so voll mit Berufs- und Privatleben, dass man nicht mehr zu den wichtigen Dingen wie dem Kochen kommt. Dabei ist der Wunsch da, toll zu kochen, sich gesund zu ernähren und nicht so viele industriell hergestellte Produkte zu essen. Wer aber in den Supermarkt geht, kauft am Ende meist die gleichen fünf Sachen. Bei uns dagegen erhalten die Kunden raffinierte Rezepte, die sich einfach nachkochen lassen. So lassen sich Kochabende ganz einfach in den Alltag einbinden. Unsere Zielgruppe sind Paare jeder Altersgruppe. Für sie wollen wir das Kocherlebnis einfach erfahrbar machen. Das heißt nicht nur: Essen, sondern auch: Ich koche für und mit jemandem.

Du hast durch Deine Vergangenheit – erst als Gründer, dann als Investor – extrem viele Geschäftsmodelle gesehen. Warum jetzt Marley Spoon?

Fabian Siegel: Das stimmt. 2000 habe ich ClickandBuy gestartet, einen Online-Bezahldienst. Da haben wir bereits einen Einblick in verschiedene Geschäftsmodelle erhalten. Später – nach meiner Zeit in den USA und meiner Gründung von Lieferheld zusammen mit Lukasz Gadowski – haben Oliver Samwer und ich angefangen, gemeinsam zu investieren. Till Neatby und ich haben schließlich beschlossen gemeinsam zu gründen. Ich hätte auch weitermachen können, was wir bei Global Founders Capital sehr erfolgreich angefangen haben und was auch weiterhin gemacht wird.

Und was war der Grund dafür?

Fabian Siegel: Wer Unternehmer ist wie ich und viel arbeitet, hat nicht viele Freunde. Da findet das soziale Leben im Beruf statt. Wenn man aber investiert, baut man keine Beziehung zu anderen Leuten auf. Genau das hat mir in meiner Zeit als Investor gefehlt. Es ist eben etwas anderes, ob du einmal im Monat mit jemandem über ein Unternehmen sprichst oder – wie hier – mit super Leuten was Tolles aufbaust. Die erste Entscheidung war also zu gründen. Dann kam die Frage: Was gründen wir? Das Thema Kochen ist etwas, woran wir wirklich glauben. Als Unternehmer weiß ich aus eigener Erfahrung, welche Sachen nicht funktionieren. Zum Beispiel baut man kein Geschäft für einen Markt auf, der viel zu klein ist. Das habe ich schon mal probiert. Das ist gescheitert. Daraus habe ich gelernt.

Welches Startup war das?

Fabian Siegel: Strateer, meine erste Gründung in den USA. Das war ein Consumer Finance Program Training für den durchschnittlichen Investor, Hedgefonds-Tools für Jedermann. Aber diesen ‚Jedermann‘ gab es nicht. Essen dagegen tun die meisten Leute regelmäßig. Hinzu kommt, dass die Lebensmittelindustrie riesig ist. Wir geben mehr Geld für Essen aus als für Autos und Fashion, 180 Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland. Und wir haben uns gedacht: Wenn wir gern kochen, tun das andere auch, nur fehlt vielen die Zeit dazu. Dieses Problem löst Marley Spoon, indem wir zweimal die Woche besondere Rezepte samt Zutaten liefern. Das Modell ist relevant, weil es jeder nutzen kann, und es ist ein großer Markt. Das war für uns ausschlaggebend.

Kunden sind es gewohnt, Lebensmittel und Gerichte selbst auszuwählen. Jetzt entscheidet Ihr für sie. Erzieht Ihr die Kunden damit ein Stück weit um?

Fabian Siegel: Wir wollen niemanden umerziehen. Ich glaube nicht an Geschäftsmodelle, die voraussetzen, dass du etwas anders machst. Wir wollen das, was die Leute heute schon machen, einfacher machen. Der Kunde erhält alle Zutaten samt Rezept. Er braucht nur Salz, Pfeffer und Öl vorrätig zu haben und kann unsere Rezepte direkt nachkochen. Wir rufen also kein neues Verhalten hervor, sondern bieten eine neue Lösung zu einem bestehenden Problem. Dafür müssen wir natürlich von den Kunden entdeckt werden, und das dauert länger. Wir stehen noch ganz am Anfang.

Wobei Ihr hier in Berlin bereits um die siebzig Leute seid.

Fabian Siegel: Weil wir fest an das glauben, was wir machen, und wir sehen: Jemand, der bei Marley Spoon bestellt, liebt Marley Spoon. Wir haben nicht viele Kunden, aber die Kunden, die wir haben, die finden den Service toll. Für mich sind beim Gründen immer zwei Sachen entscheidend: das Produkt und die Distribution. Distribution bekommt jeder mit ein bisschen Geld hin. Beim Produkt ist das schwieriger – ebenfalls ein Learning, das ich in der Vergangenheit gemacht habe. Meine zweite Firma in den USA, Kikin, ist trotz einer riesengroßen Distribution mit Millionen von Kunden gescheitert, weil das Produkt schlecht war. Deshalb: Das Produkt muss toll sein, Distribution – das kommt.

Und wie sieht Euer Produkt konkret aus?

Fabian Siegel: Unser Produkt ist so etwas wie der iPod des Essens. 80 Prozent sind Markenerfahrung, das heißt, nicht Marketing, sondern unser Produkt, also die Website und die Box, die zu dir nach Hause kommt. Du machst die Box auf. Dort findest du als erstes eine Rezeptkarte, darunter einen weiteren Deckel. Das ist wie ein Geschenk, das du dir machst. Dann siehst du die Lebensmittel, in einer Papiertüte verpackt, als wärst du gerade vom Markt gekommen. Alles nach Rezept portioniert. Du kannst sofort loslegen.

Gerade bei Lebensmitteln wird viel weggeworfen. Wie ist das bei Euch?

Fabian Siegel: Wenn für ein Rezept zwei Stangen Sellerie benötigt werden, dann schicken wir dem Kunden auch nur diese zwei Stangen. Dadurch bleibt nichts übrig, was am Ende im Zweifel weggeworfen wird. Wir wiederum bestellen nur das, was wir auch tatsächlich weiterverkaufen. Das erfordert Planung. Wer mittwochs eine Lieferung erhalten möchte, muss bis Montagabend bestellen.

Und will das der Mensch? Zwei Tage vorher sagen: Ich plane jetzt meine Woche durch?

Fabian Siegel: Du musst dich entscheiden. Wenn du nachhaltig leben willst, kannst du nicht sagen, ich will jetzt einen Burger. Das ist nicht nachhaltig, das ist Fastfood. Da die Produkte bei uns frisch ankommen und direkt weitergeleitet werden, halten sie auch weitere fünf Tage im Kühlschrank. Natürlich sind wir alle Gewohnheitstiere. Aber ein- bis zweimal in der Woche kochen, das wollen wir eigentlich alle. Wenn ich es schaffe, zweimal in der Woche das Kochen nach Hause zu bringen, hat das einen guten Impact.

Aber Kunden sind in der Regel eher affektgetrieben. Insofern ist das schon eine Form von Umerziehung.

Fabian Siegel: Wir sehen, dass Kunden sich ganz bewusst für Marley Spoon entscheiden. Das ist eine Entscheidung, die greift auch nicht innerhalb einer Sekunde, sondern braucht Zeit. Zwischen dem Anmelden und dem ersten Einkauf können vier, fünf Wochen vergehen.

Und Ihr bleibt in der Zwischenzeit in Kontakt?

Fabian Siegel: Wir haben jede Woche tolle Rezepte, die wir den Kunden mitteilen. Da sagt keiner nein. Unsere Abmelderate der E-Mails ist sehr gering. Der Content, unsere Rezepte, die wir verschicken, haben einen Mehrwert. Irgendwann passt es dann und der Kunde sagt: Diese Woche will ich kochen, Marley Spoon ist toll, ich probiere das aus. Dann können wir meistens auch überzeugen.

Ihr liefert Kochboxen, bezeichnet Euch aber als Tech-Firma.

Fabian Siegel: Um das Produkt so hinzubekommen, braucht es viel Technologie. So gesehen sind wir eigentlich zwei Firmen in einer: eine Software-Company und eine Firma, in der jeder Mitarbeiter einen starken emotionalen Bezug zum Essen hat, zu Lebensmitteln, zu Qualität. Wir beziehen unsere Lebensmittel direkt vom Erzeuger. Zum Beispiel gibt es bei uns Saiblinge aus der Müritz. Das sind die besten Saiblinge in ganz Deutschland. Die bekommt man so frisch nur beim Fischer – und bei uns. Und wie schaffen wir das? Weil wir die Gerichte sechs Wochen im Voraus planen. Wir wissen genau, was wir in sechs Wochen liefern müssen. Das gibt uns Zeit, Zulieferer zu testen und die besten auszuwählen. Deren Produkte kommen dann morgens zwischen sechs und acht Uhr im Produktionscenter an und gehen am selben Tag zum Kunden.

Und wie kann man sich dann die Skalierbarkeit vorstellen?

Fabian Siegel: Wir sind derzeit in drei Märkten jeweils national vertreten, in Deutschland, Großbritannien und in den Niederlanden. Um das zu stemmen, braucht es einiges an Technologie. Die Website ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter ist enorm viel Technologie, die wir aufbauen. Der Logistikaufwand ist enorm, alles ist just-in-time geplant. Das ist nicht ohne, und genau das ist auch unsere Chance. Die Lebensmittelindustrie ist immer noch eine sogenannte Non-Tech-Industrie.

Kochboxen liefern auch HelloFresh und Kochzauber. Inwiefern unterscheidet sich Marley Spoon von diesen Anbietern?

Fabian Siegel: Die Abgrenzung ist relativ einfach. HelloFresh und Kochzauber lösen folgendes Problem: Ich als Elternteil fühle mich schlecht, dass ich meinen Kindern nicht regelmäßig gutes Essen vorsetze. ‚Wir sollten häufiger kochen.‘ Dreimal die Woche kochen, gesund und ausgewogen essen, und den Kindern schmeckt es. Marley Spoon ist Kochen, toll Kochen. Zweimal die Woche reicht da schon. Und nicht der Anbieter, sondern ich entscheide, was ich will und wann ich es will. Unser Modell ist flexibler.

Sprichst Du aus eigener Erfahrung?

Fabian Siegel: Als ich das erste Marley Spoon nach Hause gebracht habe, fanden meine Kinder das super. Inzwischen freut sich meine Frau zwar über eine Kochbox, meine Kinder aber nicht so sehr. Das ist die Abgrenzung: Familien und Paare. Unser eigentlicher Wettbewerber sind aber die Supermärkte. Diese Riesenunternehmen, die Milliarden umsetzen bei null Marge, weil sie so viel wegschmeißen müssen, und wo die Lebensmittel zweifelhafter Qualität sind. Das ist unser Wettbewerb und wir glauben, wir können bessere Produkte anbieten.

Wer hat Euch finanziert?

Fabian Siegel: Zum Start hatten wir 1,5 Millionen Euro. Eine halbe Million kam von Family and Friends und eine Million Euro von Global Founders. Im Herbst kamen weitere vier Millionen Euro Finanzierung dazu.

Ihr seid also voll auf Expansionskurs?

Fabian Siegel: Genau, weil wir von Marley Spoon überzeugt sind. Wir merken einfach, dass Kunden unser Produkt toll finden, und sehen hier noch sehr viel Potenzial. Daher versuchen wir auch, unser Konzept in so viele Küchen wie möglich zu bringen.

Und wofür braucht Ihr so viel Kapital?

Fabian Siegel: Als Technologiefirma haben wir einen großen Anteil an Software-Ingenieuren. Hier suchen wir laufend weiter Mitarbeiter. Der Bereich Kommunikation und Marketing ist ein weiterer großer Schwerpunkt. Schließlich muss unser Produkt gefunden werden, wir müssen den Kunden erreichen. Und dann haben wir natürlich auch ein Content- und Operations-Team, Köche, die toll kochen, und Leute, die den Einkauf machen und die Produkte erstellen. Schließlich sind wir eine Firma, die nicht rein digital ist, sondern auch einen Anker in der „Real World“ hat.

Wo seht Ihr Euch Ende des Jahres?

Fabian Siegel: Momentan stehen wir noch ganz am Anfang. Kunden entdecken uns gerade. Ich hoffe, dass wir am Jahresende weiterhin die gleiche Qualität an Produkten liefern, aber an wesentlich mehr Kunden. Das ist das Ziel.

Und Länder?

Fabian Siegel: Wir sind ja bereits in drei Ländern. Das ist für ein junges Unternehmen wie uns eine Herausforderung, hier auch alles richtig zu machen. Gleichzeitig gibt es natürlich auch andere spannende Märkte. Wir schauen uns laufend alles an. Wir sind überzeugt von dem, was wir machen, und wir sind auch in der Lage – weil wir ein exzellentes Team haben – sehr, sehr viel zu machen. Das wird ein sehr spannendes Jahr für uns.

Du hast vorher Lieferheld gemacht, einen Lieferservice für Fastfood. Mit der Betonung von Genuss bietet Marley Spoon ein Gegenmodell dazu an. Ist das nicht ein Angriff auf Lieferheld und die Fastfood-Kultur?

Fabian Siegel: Nein. Wenn man ehrlich ist, will man beides. Es gibt Tage, da will man einfach eine Pizza. Dann gibt es Tage, da will man toll kochen. Und für diese Tage sind wir die Lösung. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass das Potenzial so groß ist. Wenn man sich anschaut, wie viele Leute Pizza bestellen, und diese Zahl mit der Menge an Leuten vergleicht, die abends kochen oder zumindest kochen wollen – das sind viel mehr. Außerdem: Das Pizzaproblem ist gelöst. Aber das Kochproblem, das ist nicht gelöst und das tun wir gerade.

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