André Borschberg:

„Mit Skeptikern kannst du einfach nicht arbeiten“

02/10/2017
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André, du hast vor zwei Jahren gemeinsam mit Bertrand Piccard die erste Weltumrundung in einem Solarflugzeug geschafft. Wenn du heute auf das Projekt Solar Impulse zurückschaust: Was war für dich die nachhaltigste Erfahrung?

André Borschberg: Die Reise begann eigentlich schon vor 15 Jahren, der Flug war davon nur ein sehr kleiner Teil. Der entscheidendeMoment war, als die Flugindustrie uns sagte, unser Solarflieger sei ein Ding der Unmöglichkeit. Das war einerseits sehr motivierend, da wir komplett unseren eigenen Weg finden mussten. Wenn jemand dir sagt, etwas sei langweilig, weil viel zu einfach, dann stimuliert dich das nicht. Andererseits war das ein Schlag ins Gesicht, da weder mein Partner Bertrand Piccard noch ich Erfahrung mit dem Bau von Flugzeugen hatten. So waren wir gezwungen, alle Bereiche selbst neu zu erkunden, zu entdecken und zu verstehen. Für den Erfolg des Projekts war das ausschlaggebend.

Muss ein großartiges Gefühl gewesen sein, es geschafft zu haben.

André Borschberg: Klar! Es hat uns gezeigt, dass du nicht glauben sollst, wenn dir jemand sagt, etwas sei unmöglich. Es bedeutet nur, dass derjenige nicht die Lösung parat hat. Wenn du nur in eine Richtung schaust, heißt das nicht, dass nicht auch eine andere Richtung möglich ist.  Irgendwo gibt es immer eine Lösung. Wichtig ist, die Energie und Ausdauer zu haben, um genau diese Lösung zu finden. Unser Projekt war eine großartige Inspiration. Nicht nur für uns, sondern auch für viele andere. Vor allem das ist ein unermesslich wertvolles Geschenk.

Was sind die typischen Widerstände bei einem solchen Projekt?

André Borschberg: Es gibt natürlich viele Skeptiker. Mit denen kannst du einfach nicht arbeiten. Du brauchst Leute, die deine Vision teilen. Wir mussten Leute finden, die bereit waren, alles in Frage zu stellen, allen voran Prinzipien wie das Verbrennen fossiler Brennstoffe oder die Arbeit mit ineffizienten Technologien. Eine große Hürde ist generell, dass Menschen sich nicht gerne ändern. Die Angst vor Veränderung blockiert uns sehr oft. Die Autoindustrie hat jahrelang behauptet, es sei unmöglich, attraktive, elektrische Autos zu entwickeln. Und dann kam Elon Musk mit Tesla. Er hat uns gezeigt, dass rein elektrische Fahrzeuge eben doch attraktiv sein können und Absatz finden. Erst langsam sind alle anderen Hersteller auf diesen Zug aufgesprungen.

Geräuschlos, wartungsarm und umweltfreundlich: Aero1 von H55 (Foto: Jean-Marie Urlacher)

André Borschberg: Ein Ziel dieses Projekts war aufzuzeigen, dass es Lösungen gibt. Die Flugzeugindustrie von heute sieht anders aus als die Flugzeugindustrie von vor 15 Jahren. Elektrische Antriebe stehen vor einer großartigen Zukunft. Nicht so sehr als Ersatz für Verbrennungsmotoren in Flugzeugen, aber als Antrieb für komplett neue Lösungen.

Aber man kann Elektromotoren nicht einfach gegen Verbrennungsmotoren tauschen.

André Borschberg: Richtig. Ein gemeinsames Problem von Autos und Flugzeugen sind die Akkus. Die Batterien sind einfach noch nicht reif genug, um in einem konventionellen Flugzeug Verbrennungsmotoren eins zu eins durch Elektromotoren zu ersetzen. Neuartige Lösungen sind hingegen denkbar, beispielsweise Flugdrohnen. Die liegen stabiler in der Luft als Helikopter. Man könnte so die Vorteile eines Helikopters – die Möglichkeit zum senkrechten Start und zur Landung – mit der Effizienz eines Flugzeugs kombinieren. Das ergibt vollkommen neue Möglichkeiten, Menschen durch die Stadt zu transportieren. H55 befindet sich an dieser Schnittstelle und will dabei helfen, diese Zukunft mitzugestalten.

Wenn man sich den Prototypen eures Unternehmens anschaut und mit Lilium oder Volocopter vergleicht, ist euer Ansatz auf den ersten Blick nicht so revolutionär.

André Borschberg: Der Aero1 ist nur auf den ersten Blick ein konventionelles Fluggerät. Aber in der Propellermaschine stecken 15 Jahre Technologieerfahrung von Solar Impulse. Aero1 ist ein sehr durchdachtes und leichtes Flugzeug und bietet ein tolles Erlebnis. Man drückt einfach den Hauptschalter und der Motor springt an. Man muss nicht warten. Man rollt auf die Startbahn und hebt ab. Das Drehmoment ist schneller und stärker und die Maschine ist leise wie ein Segelflugzeug. Es macht viel Spaß, es zu fliegen, und es braucht fast keine Wartung. Nebenbei entwickeln wir aber auch alternative Konzepte. Manche würden diese als fliegende Autos bezeichnen.

„Fluggeräte müssen extrem sicher sein. Du kannst dir nicht erlauben, ein Fluggerät über Los Angeles abstürzen zu lassen“

Welche Erkenntnisse könnt ihr von Solar Impulse bei H55 umsetzen?

André Borschberg: Was wir von Solar Impulse mitgenommen haben, ist das Wissen um den elektrischen Antrieb. H55 will die Luftfahrt leiser, sauberer, sicherer und natürlich günstiger machen. Ein Helikopter ist riesig, komplex, macht Lärm und braucht viel Wartung. Ein ähnliches Fluggerät ohne diese Nachteile eröffnet eine vollkommen neue Welt. Das ist unser Ziel. Diese Maschinen werden letztendlich autonom fliegen. Was heute noch Science-Fiction ist, ist bald schon Realität.

Wie weit seid ihr?

André Borschberg: Wir verbessern ständig unsere Technologie. Aktuell arbeiten wir an der dritten Generation. Wir befinden uns im Spannungsfeld zwischen zwei Welten: Auf der einen Seite stehen die großen Unternehmen wie Boeing und Airbus, die in ihrem Bereich extrem gut sind, aber Probleme mit Innovation haben. Auf der anderen Seite gibt es die typischen, kreativen Silicon-Valley-Unternehmen mit Innovationen, die aber nicht die Regelwerke für den Flugbetrieb verstehen. Fluggeräte müssen extrem sicher sein. Du kannst dir nicht erlauben, ein Fluggerät über Los Angeles abstürzen zu lassen. Innovation auf der einen und Zertifizierung und Sicherheit auf der anderen müssen zusammenkommen. Das haben wir 15 Jahre bei Solar Impulse gemacht und das wollen wir mit H55 erreichen. Und das geht nicht von heute auf morgen.

Du hast vorhin von Elon Musk gesprochen. Steht ihr in Kontakt?

André Borschberg: Elon war ein Unterstützer von Solar Impulse, wir kennen uns gut. Ich mag seine Art, wie er ehrgeizige Ziele voranbringt. Er weiß am Anfang nicht immer wie, aber er weiß, dass die Richtung und das Ziel stimmen. Wir brauchen starke Visionen, um neue Technologien in alten Industrien zu etablieren. Die Flugzeugbranche ist nur ein Beispiel für eine konservative Industrie – aus guten Gründen, weil Sicherheit hier eine große Rolle spielt. Ehrgeizige Visionen sind deshalb wichtig. Elon macht das gerade mit der Raketenindustrie. Softwarelösungen helfen dabei, Raketenphasen sicher zu landen und erneut zu verwenden.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen?

André Borschberg: Die größte Herausforderung ist noch immer die Denkart der Menschen. Neue Lösungen, neue Konzepte müssen akzeptiert werden. Das fliegende Auto zum Beispiel würde eine Reorganisation der Luftfahrt erfordern. Die urbane Infrastruktur müsste angepasst werden. Uber versucht in diesem Bereich die Führung zu übernehmen, da sie Technologie für ihr Business brauchen. Nicht nur am Boden, sondern auch in der Luft. Sie versuchen, viele Player zusammenzubringen. Es gibt also durchaus helfende Kräfte. Dennoch müssen wir den Widerstand jener Menschen überwinden, die sagen „Das ist unmöglich, weil …“. Das haben wir vor 15 Jahren genug gehört. Unsere Aufgabe ist es, Lösungen zu finden und die richtigen Leute so mit Technologie zusammenzubringen, dass Menschen Vertrauen haben und sich sicher fühlen. Dann werden sie neue Konzepte auch akzeptieren.

„Wir brauchen starke Visionen, um neue Technologien in alten Industrien zu etablieren“

Viele solcher Lösungen und auch Entwickler findet man im Silicon Valley. Wieso seid ihr in der Schweiz?

André Borschberg: Weil es in der Schweiz großartige Talente gibt. Wir sollten uns nicht verstecken mit dem, was wir können und was wir machen. Wir haben tolle Kollegen aus ganz Europa, auch aus Deutschland. Wir arbeiten mit dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum zusammen. Europa und die Schweiz im Speziellen hat viel Talent und viel Know-how. Wir sind in der Lage, Lösungen zu finden die genauso gut, wenn nicht sogar besser sind als das, was man im Silicon Valley findet. Ein Vorteil des Silicon Valley ist, dass die vor nichts Angst haben. Wenn etwas nicht klappt, dann ist das so. Wir als Europäer trauen uns oft nicht, weil wir zu viele Bedenken haben. Hinsichtlich der Einstellung gibt es Einschränkungen, nicht aber bei der Technologie.

Wie kann man diese Zurückhaltung überwinden?

André Borschberg: Was manchmal fehlt, sind Ambitionen und der Mut voranzugehen, auch wenn du nicht die richtigen Schritte kennst. Das ist keine Qualität der Schweizer. Wir sind konservativ. Für große Schritte vorwärts brauchst du das Selbstvertrauen, dass du etwas Großes erreichen kannst. Deshalb brauchen wir Partner aus verschiedenen Kulturen. Ich glaube an Diversität. Nicht jede Kultur hat jedes Talent, jede Qualität. Jede Kultur bringt etwas Wichtiges ein und wenn du viele zusammenbringst, hast du einen riesigen Vorteil. Das ist für H55 wichtig.

Was zeichnet euren Standort aus?

André Borschberg: Der Kanton Wallis ist dabei, die Experten aus dem Energiebereich, etwa aus Universitäten, zu bündeln. Wir haben Entwicklung, Labore und Ingenieure in diesem Teil des Landes. Es ergibt viel Sinn, genau hier zu sein. Solar Impulse hatte drei verschiedene Unternehmensstandorte. Mit H55 haben wir uns einen Ort gesucht, der ganz natürlich zu uns passt …

Einen Flughafen.

André Borschberg: Genau. Unser Ziel ist aber nicht, ein Schweizer Unternehmen mit Schweizer Mitarbeitern in der Schweiz zu sein. Wir haben schon jetzt ein internationales Team und wollen in den kommenden Monaten auch verstärkt auf Partnerschaften mit internationalen Unternehmen setzen. Es ist ein guter Startpunkt, aber mit Sicherheit nicht der einzige Ort, an dem wir sein werden.

André Borschberg: „Du brauchst Leute, die deine Vision teilen.“ (Foto: André Borschberg)

Ein wichtiger Faktor ist die Finanzierung. Wie läuft das?

André Borschberg: Wir sind gerade dabei, neue Geldquellen zu finden. Die Regierung unterstützt uns auf verschiedenen Ebenen. Venture Capital wird eine Rolle spielen. Aber auch bei der Finanzierung denken wir global. Details kann ich noch nicht nennen. Nur so viel: Die Pitch-Phase liegt hinter uns, der Stein rollt bereits.

Wie lange wird es dauern, bis die ersten elektrisch betriebenen Passagierflugzeuge in Serie gehen?

André Borschberg: Das wird Schritt für Schritt passieren. Es wird anfangen mit Lösungen, wo die Vorteile des elektrischen Fliegens eine besonders große Rolle spielen. Kleine Transport-Flugzeuge zum Beispiel, die für Start und Abflug elektrisch leise fliegen und für die Langstrecke auf einen Hybrid-Antrieb setzen. Wenn die Vorteile auf der Hand liegen, wird es relativ schnell gehen. Ich erwarte nicht, dass ein Airbus A380 in zwei Jahren elektrisch fliegt. Das ist viel zu früh.

Ist euer Ziel eine eigene Flotte?

André Borschberg: Nein. Wir entwickeln technische Lösungen für Elektroantriebe. Es ist nicht unser Ziel, Flugzeuge zu bauen und zu verkaufen. Wir wollen Lösungen verkaufen, um die Flugindustrie zu elektrifizieren.

Das Gespräch führte Justus Zenker.

NAME: H55
GRÜNDUNG: 2017
GRÜNDER: André Borschberg, Thomas Pfammatter, Dominique Steffen,Sebastien Demont, Gregory Blatt
MITARBEITER: 5
STANDORT: Wallis, Schweiz
SERVICE: Entwicklung elektrischer Antriebe für Flugzeuge
URL: h55.ch