Gründerinnen vor:

Für mehr Frauen in der Startup-Szene

03/09/2018
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Mehr als 50 Prozent der deutschen Bevölkerung sind weiblich. Frauen sind hoch qualifiziert, in Führungspositionen und als Gründerinnen aber unterrepräsentiert. Dabei bleibt viel Potenzial auf der Strecke. Was ist zu tun? Eine Bestandsaufnahme.

Warum denn eine Finanzplattform speziell für Frauen überhaupt notwendig sei, kommt die Frage des männlichen Jury-Mitglieds. FinMarie-Gründerin Karolina Decker ist nicht überrascht, denn diese Frage komme häufig. Noch adrenalingeladen von ihrem Pitch bei der Berliner She-Loves-Tech-Konferenz schießt ihr Zeigefinger in Richtung Kritiker: „Wenn du und ich mit 25 Jahren die gleiche Karriere starten, mit den gleichen Voraussetzungen, in exakt denselben Positionen, dann hast du mit 65 trotzdem mehr Geld in der Tasche als ich”, sagt sie.

Ein Argument, das global zutrifft und sich statistisch belegen lässt. In Deutschland betrug die sogenannte Gender Pay Gap 2017 laut Statistischem Bundesamt 21 Prozent. Eine Zahl, die auch reflektiert, dass Frauen weniger häufig in Führungspositionen arbeiten, dafür öfter in Teilzeit und in weniger gut bezahlten Berufen. In gleicher Position verdienen Frauen im Schnitt sechs Prozent weniger als Männer. Die Frauenquote in den Vorständen der deutschen Dax-Konzerne liegt laut einer aktuellen Studie der Albright-Stiftung gerade einmal bei 12,1 Prozent. Und der vom Bundesverband Deutsche Startups herausgegebene Females Founder Monitor 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass nur acht Prozent der Startups in Deutschland von Frauen gegründet werden. Bei weiteren 20 Prozent ist immerhin wenigstens eine Gründerin im Team.

„Ohne Frauen wäre der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht Weltspitze“

Gründe dafür, dass es so wenig Startup Gründerinnen gibt, sind oftmals subtil. Offensichtlich ist nur eines: So emanzipiert sich die heutige Gesellschaft auch gibt: Die Bedingungen für Männer und Frauen sind nicht dieselben, vor allem nicht, wenn es um die Karriere geht.

Positiv ist, dass diese Problematik mittlerweile allgemein anerkannt wird und Unterstützung findet, etwa von Brigitte Zypries. Als Schirmherrin für das neu gegründete Startup-Unternehmerinnen-Netzwerk (SUN) mit Hashtag #starkefrauenstarkewirtschaft wirbt sie für mehr Frauen in Führungspositionen. „Denn ob Gründerin oder Managerin, ob freiberuflich oder angestellt – ohne Frauen wäre der Wirtschaftsstandort Deutschland nicht Weltspitze“, weiß die ehemaligen Bundesministerin für Wirtschaft und Energie.

50 Prozent der Wirtschaftsmacht

Allein schon deshalb, weil in Deutschland zwei Prozent mehr Frauen als Männer leben. „Das bedeutet, dass Frauen zu 50 Prozent die wirtschaftliche Macht haben und die Gesellschaft auch so abgebildet werden sollte“, erklärt David Noël, der gemeinsam mit Isa Sonnenfeld Gründerinnen im Role Models Podcast zu Wort kommen lässt.

„Es gibt einfach keinen Grund, weshalb Frauen nicht genauso viel gründen sollten wie Männer”, sagt Lea Vajnorsky, Mitgründerin von Wo/men Inc., einem Neuzugang zu den bereits existierenden Plattformen und Netzwerken mit Frauen-Fokus, der schnell auf Erfolgskurs ging. Idee ist es, ein Netzwerk aufzubauen, um karrierefokussierte Frauen zu unterstützen und zu inspirieren – egal, was sie machen, woher sie kommen – und auch Männer sind herzlich eingeladen.

Inklusion als Alleinstellungsmerkmal. Und es funktioniert. Wie bei Lea, die übrigens mit einem männlichen Mitgründer auf Erfolgskurs geht. Gemischte Teams sind erfolgreicher und laut einem McKinsey-Bericht mit einem 56 Prozent höheren Betriebsgewinn auch produktiver. Dennoch: „Weibliche Fähigkeiten werden nicht in dem Maße eingesetzt, wie es für Wirtschaft und Gesellschaft förderlich wäre“, beklagen Janina Mütze und Stephanie Renda, Vorstandsmitglieder beim Bundesverband Deutsche Startups und Vorsitzende des Startup-Unternehmerinnen-Netzwerks.

Wie viel Potenzial sie haben, zeigen die auf Berlin Valley vorgestellten Gründerinnen – übrigens auch Potenzial, auf das viele männliche Gründer nicht mehr verzichten wollen. Problematisch sei jedoch, so Messe Rocks-Gründerin Natascha Hoffner, dass die genderübergreifende Vernetzung noch nicht so ausgereift sei. „Es gibt genug qualifizierte Frauen, aber oft wagen sie nicht alleine den Schritt zur Gründung und sind gleichzeitig nicht bei den Männern auf dem Radar.“

Gründerinnen im Nebenerwerb

Wenn Frauen gründen, dann meist im Nebenwerb, so die Zahlen des KfW-Gründungsmonitors. Insgesamt haben im Jahr 2017 in Deutschland 557.000 Menschen eine neue selbstständige Tätigkeit begonnen. 37 Prozent der Gründerinnen in diesem Bereich waren Frauen – drei Prozent weniger als noch im Vorjahr. Diese Schwankung liege zum einen daran, dass mehr Männer gegründet haben und sich gleichzeitig der Arbeitsmarkt – auch für Frauen – verbessert habe, erklärt Iris Kronenbitter, Leiterin der bundesweiten Gründe­rinnenagentur.

Zwar müssen sich Frauen heute nicht mehr zwischen Familiengründung und Karriere entscheiden, aber wer beides möchte, der ist auf eine verlässliche Kinderbetreuung, familienfreundliche Arbeitszeiten und einen Partner, der einen Teil der Elternzeit für sich beansprucht, angewiesen. Das funktioniert zwar immer öfter, aber noch lange nicht immer. Und so erscheint die Selbstständigkeit, vor allem im Nebenerwerb, als ein passabler Weg, um Familie und Beruf zu vereinbaren. „Viele Frauen, die zu uns kommen, gründen, weil sie sich so selbst verwirklichen können“, sagt Anke Ripkin, Projektleiterin der Berliner Gründerinnenzentrale.

Oft werden Gründerinnen auch von eigenen Problemen inspiriert. Ein Beispiel ist das Startup der drei Schwestern Anna, Henrike und Ulrike Gerber. Geboren aus der Notwendigkeit, selbst nicht genug Zeit für das Kind und zu wenig Geld für einen Babysitter zu haben, entwickelten sie Siteinander.de. Mit der App können sich Familien untereinander vernetzen und gegenseitiges Babysitten organisieren.

Männer werben Frauen auf C-Level

Deshalb hat sie auf der von ihr ins Leben gerufenen herCAREER-Messe mit dem „Gründer-Pitch“ ein neues Format initiiert. Hier können Männer ihre Business-Idee vor interessierten Frauen pitchen, um Frauenpower auf C-Level anzuwerben. Eine Chance für beide Seiten, denn obwohl laut einer internen Umfrage von herCAREER 29 Prozent der 4.500 Teilnehmerinnen bereit seien zu gründen, fehle ihnen nach eigenen Angaben der Mut, das Team, ein Netzwerk und häufig auch das Geld.

Letzteres sei ein echtes Problem, so Hoffner. „Besonders hoch ist die Hürde, einen Kapitalgeber zu finden, wenn es sich um ein Produkt für die weibliche Zielgruppe handelt.” Ein Beispiel sei Judith Gampe. Die Mathematikerin hat einen Perlenohrring entwickelt, in den ein Headset eingebettet ist – und findet dafür auf den traditionellen Wegen keine Investoren.

„Im vergangenen Jahr konnten reine Frauenteams lediglich zwei Prozent des gesamten, global verfügbaren Risikokapitals sichern”, schreiben Mayra Frank, Leiterin der Google for Entrepreneurs globalen Diversitäts- und Inklusions-Strategie, und Rowan Barnett, Head of Google for Entrepreneurs in Deutschland, im Vorwort des Female Founder Monitors. „Es ist dabei kaum verwunderlich, dass Frauen gerade in den Firmen besonders unterrepräsentiert sind, die Gelder für Startups zur Verfügung stellen. So liegt die Zahl der weiblichen Partner laut dem Crunchbase Women in Venture Report 2017 bei den Top-100-Venture-Kapital-Firmen bei gerade mal 8 Prozent. In Deutschland ist die Lage kaum anders.“

Ein weiteres Problem sei, so Isabelle Trautmann, Projektmanagerin der ersten Female Edition des Pitch Clubs, „dass Frauen zwar oftmals sehr gute und kreative Ideen haben, sich aber weniger zutrauen, familiär gebunden sind oder nicht die Risikomentalität haben und somit gar nicht erst den ersten Schritt wagen.“

Ähnliche Erfahrungen macht auch Regina Hodits, Managing Partner bei Wellington Partners. „Frauen, die sich bei uns bewerben, kommen mit relativ viel Sicherheitsdenken“, sagt sie. „Frauen haben klare Pläne, keine großen Visionen.” Diesen Unterschied zwischen Männern und Frauen sieht die Investorin nicht als Problem. Visionen könnten fast immer nachträglich gefunden werden, sagt sie. Wichtig ist für sie, dass Frauen von weiblichen Investoren gefördert werden, von Mentorinnen, die sich in sie hineinversetzen können. Problematisch sei aber, dass sich sehr wenige Frauen bewerben würden.

Auch für Sabrina Spielberger war die Gründung von Digidip „die logische Konsequenz meiner damaligen Situation. Mein Blog ließ sich mit den vorhandenen Affiliate-Möglichkeiten nur schwer monetarisieren und so ging es vielen Kollegen.“ Also suchte sie sich gute Programmierer und baute eine Plattform auf, die heute in über 40 Ländern Influencern und Bloggern Zugang zu 40.000 werbetreibenden Firmen gibt und den Affiliate-Marketing-Prozess automatisiert.

„Frauen sollten schon alleine deshalb mehr gründen, damit sie ihre Ideen und ihre beruflichen Qualifikationen umsetzen können“, plädiert Katja von der Bey, die mit der Weiberwirtschaft in Berlin Mitte Europas größtes Gründerinnen- und Unternehmerinnenzentrum etabliert hat. Ein zweiter Grund sei die positive Auswirkung auf die Volkswirtschaft. „Würden Frauen genauso viel gründen wie Männer, wäre ein Wirtschaftswachstum von vier Prozent möglich“, erklärt die Geschäftsführerin.

Grundlage dafür ist der Bericht zum „Wachstumspotenzial inhaberinnengeführter Unternehmen“. Hier führte das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie bereits 2013 an, dass die entsprechenden sozioökonomischen Rahmenbedingungen für Gründerinnen direkt mit dem Wirschaftswachstum korrelieren. „Wir haben heute die am besten qualifizierten Frauen“, sagt Iris Kronenbitter, Leiterin der bundesweiten Gründerinnenagentur. „Doch ihre Zahl in Führungspositionen ist verschwindend gering, eine Verschwendung von Potenzial.“

China scheint dies erkannt zu haben. „Alibaba ist auch deshalb so erfolgreich, weil 47 Prozent der Mitarbeiter weiblich sind“, zitiert She-Loves-Tech-Organisatorin Jasmine Zhang Alibaba-Gründer Jack Ma. Seit 2017 organisiert die Mitarbeiterin eines chinesischen Investors als unbezahlte Mentorin das alljährliche She-Loves-Tech-Bootcamp. 30 Bewerbungen habe sie jeweils in diesen beiden Jahren bekommen. Überzeugt hat Oculid, ein Start­up, das biometrische Authentifizierungs-Verfahren auf Basis von Augenbewegungen entwickelt. Oculid-Gründerin Antje Venjakob winkt eine Reise zur Konferenz in Peking.

„Für mich als Gründerinnen-Großmutter ist es toll zu sehen, was sich da mittlerweile alles tut”, meint Weiberwirtschafts-Gründerin Katja von der Bey. 1989 von 17 arbeitslosen Akademikerinnen gegründet, ist die Frauengenossenschaft heute eine Instanz, die jährlich über 2.000 Frauen auf ihrem Weg in die Gründung oder Selbstständigkeit verhilft – und nur eines der vielen Frauen-Netzwerke, über die wir rechts einen Überblick geben. Übrigens: Auch Männer sind herzlich willkommen. ▪Das Aufmacherbild zeigt. Sabrina Spielberger, Digidip : Antje Ripkin, Gründerinnenzentrale : Brigitte Zypries, Schirmherrin SUN : Janina Mütze, Civey : Jasmine Zhang, SheLovesTech : Judith Gampe, Nova Products : Karolina Decker, FinMarie : Katja von der Bey, Weiberwirtschaft : Lea Vajnorsky, Wo/men Inc.: Maxi Knust, Female Founders Book : Mayra Frank, Google for Entrepeneurs : Regina Hodits, Wellington Partners 14: Anna, Henrike und Ulrike Gerber, Siteinander : Stephanie Renda, R3lation : Val Racheeva, Female Founders Book : Natascha Hoffner, Hercareer (von oben links nach unten rechts)[Gender]