Warum Schachweltmeister Kasparov sich für KI interessiert

24/10/2018
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Garry Kasparov, der ehemalige Schachweltmeister, setzte sich schon früh mit dem Thema Künstlicher Intelligenz (KI) auseinander. In Schachwettkämpfen trat er gegen den IBM-Superrechner Deep Blue an. Nur wenige Monate nach einem ersten Sieg unterlag er 1996 der Software medienwirksam.

Mehr als 20 Jahre später beschäftigt ihn das Thema KI noch immer. Mittlerweile ist der ehemalige Schachweltmeister Botschafter des Herstellers für Sicherheitssoftware Avast. Auf der diesjährigen IFA präsentieren Avast und Kasparov den Live-Hack eines Sicherheitssystems. Der zeigt, wie schnell sich das smarte Zuhause zur bösen Überraschung entwickeln kann: Vermeintlich vertrauensvolle Alltagshelfer wie Sprachassistenten oder das Tablet verwandeln sich in Sekundenschnelle vor aller Augen in unberechenbare Spitzel, die private Daten wie Standorte, Google-Suchpräferenzen oder den liebsten Smartphone-Kontakt offen legen.

Die Zahl der hackbaren Geräte in unseren vier Wänden wachsen stetig, das zeigen die technischen Neuheiten der IFA-Aussteller zu Genüge. Bis 2020 sollen weltweit 38 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Nur einen Bruchteil davon machen klassische Computer oder Smartphones aus.

Eine Entwicklung, die zwei Schlüsse zulässt: Der Alltag wird uns durch unsere smarten Helfer um einiges vereinfacht, gleichzeitig machen wir uns und unsere Daten zunehmend verwundbar. „Cyberkriminalität wird ein größeres Problem als Drogen- oder Menschenhandel“, prophezeit Kasparov, nachdem die gehackten Geräte auf der Bühne endlich zum Stillstand gekommen sind.

Freund oder Feind?

Die Notwendigkeit, sich diese Risiken bewusst zu machen, ist nun auch in der Wirtschaft angekommen. Als erstes europäisches Technologieunternehmen hat SAP im August einen externen Beirat mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Industrie für einen ethischen Umgang mit KI geschaffen. Deren ausgearbeiteten Leitlinien sollen Deep Learning in einen ethischen Kontrollrahmen einbetten. Ob dies eine direkte Antwort auf eine im Juli veröffentlichte KI-Strategie der Bundesregierung ist, ist nicht offiziell bestätigt. Doch die Agenda des Beirats schweigt vor lauter Innovationshunger die notwendige Diskussion um Verantwortung und Risiken von KI aus. Zu groß scheint der Ehrgeiz um eine Vorreiterrolle beim Wettkampf um sogenannte Sprunginnovationen zu sein.

Gleichzeitig boomt der Markt rund um Smart Home. So schätzt die Geschäftsstelle Smart Living des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) das weltweite Marktvolumen bis 2021 auf bis zu 30 Milliarden Euro; davon allein 4,14 Milliarden in Deutschland. Sprachassistenten wie Alexa, Saugroboter, die selbstständig die Wohnung reinigen oder die Remote-Kontrolle über die heimische Waschmaschine sind schon längst Alltag.

Dass sich daraus immer neue Situationen für den Menschen ergeben, in denen der Nutzer sich über den Vertrauensgrad zu diesen Geräten klar werden muss, ist dabei aber nur den wenigsten bewusst. Zwar belegt eine aktuelle YouGov-Umfrage, dass die Mehrheit der Deutschen dem Thema KI trotz Digitalisierungstrend immer noch kritisch gegenübersteht. Dennoch mausert sich die Automatisierung von Alltagshilfen wohl als viel zu bequem, als dass wirklich darauf verzichtet werden möchte.

Auf Seiten der Hersteller auf Ernüchterung in der Euphorie rund um computergesteuerte Assistenz zu setzen, ist selbsterklärend töricht: So gelten personenbezogene Daten bekanntlich als die neue Währung auf dem globalen Markt. Anhand dieser lassen sich schließlich Informationen und damit Prognosen zum Konsumverhalten der Kunden ziehen. Sicherheitslösungen für den Datenverkehr sind nach wie vor Mangelware, die Diskussion um verbindliche Standards spätestens seit dem vermeintlichen KI-Masterplan der Bundesregierung passé.

Garry Kasparov auf der diesjährigen IFA. Foto: Avast

Der Kreislauf, in dem Daten von smarten Assistenten gesammelt, verarbeitet und weitergegeben werden, ist allerdings schon jetzt unüberschaubar. Private Fotos, Videomaterial, Social Media-Posts: All das dient dem Computer als Lernmaterial und gibt ihm mehr Macht über unsere Daten und damit über unsere Leben. Je weniger wir jedoch davon merken, dass die Dinge miteinander kommunizieren, desto mehr sind wir darauf angewiesen, dass dies sicher passiert.

Doch wie lange wird es noch dauern, bis die Maschine den Menschen in jeder Hinsicht intellektuell übertrumpft? Heute ist es so weit, dass gar Technologisierungs-Pioniere wie Tesla-Gründer Elon Musk vor KI als „größte Gefahr für unsere Zivilisation“ warnen. Es sind jedoch gerade dystopische Horror-Szenarien wie aus Sci-Fi-Klassikern à la „2001: Odyssee im Weltraum“ oder „I, Robot“ in denen sich maschinelle Intelligenz über seine menschliche Schöpfer hinweg setzt, welche zu oft die Debatte in Ping-Pong-Manier zwischen Argwohn und Sensationslust befeuert und gleichzeitig entwertet.  

Garry Kasparov: „Es liegt schlussendlich in der Hand des Menschen“

Fernab aller Desillusion und Skepsis schließt Kasparov seinen Impulsvortrag mit einem Appell: Bis Maschinen den Menschen in jeder Hinsicht intellektuell übertrumpfen werden, sei nur eine Frage der Zeit – das zeigte schon seine Niederlage gegen Deep Blue zu Genüge. Dass regelmäßige Sicherheitsupdates nicht den Kern des Problems lösen, ist in dieser Stunde Null ein Umstand, dessen sich auch Kasparov bewusst ist. Umso wichtig sei es demnach für den Menschen, seine gesunde Skepsis wiederzuerlangen und sich seiner Vormachtstellung als Schöpfer der künstlichen Superintelligenz abermals bewusst zu werden.

Aus maschinellen Schwächen lassen sich Impulse zur Frage von Fortschritt versus Risiko, Integrität versus Werte ableiten – und genau das ist der Punkt, an dem der Mensch ansetzen muss. „Die Rolle des Menschen wird sein, herauszufinden, wie wir mit unserem Intellekt und unserer Intuition die Schwächen der Maschinen ausgleichen können. Hier ließe sich möglicherweise die Kontrolle zurückgewinnen? Es liegt schlussendlich in der Hand des Menschen!“

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