Nachgefragt:

Vertreter der Szene über In-vitro-Fleisch

20/06/2018
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Fleisch aus dem Labor: Trend oder ein echtes Alternativ-Konzept zur Massentierhaltung? Das denken Vertreter der Verbandswelt, Wissenschaft und Öffentlichkeit über In-vitro-Fleisch.

Andrzej Pazgan über den In-vitro-Trend

Andrzej Pazgan

Koordinator für Osteuropa bei der Tierrechtsorganisation Peta

Als eine Organisation, die sich seit Jahrzehnten für ein besseres Leben von Tieren einsetzt, verfolgen wir natürlich die Entwicklungen rund um Clean Meat bzw. Fleisch aus dem Labor. Wir sind der Ansicht, dass kein Tier für Fleisch oder andere Produkte getötet werden darf. Wenn den verheerenden Konsequenzen der Tierhaltung durch technologischen Fortschritt Einhalt geboten werden kann, stehen wir dem positiv gegenüber. Ich glaube, dass künftige Generationen mit Fassungslosigkeit auf heutige Zeiten zurückblicken werden.

Hanni Rützler über den In-vitro-Trend

Hanni Rützler

Ernährungsexpertin, Trendforscherin und Autorin

Grundsätzlich sprechen viele gute Gründe fürFleisch aus dem Labor / In-vitro-Fleisch, vor allem ökologische und tierethische. Und für bestimmte kulinarische Anwendungen, etwa Burger-Pattys, Frikadellen, Sauce Bolognese etc., sogar auch kulinarische. Gut zubereitet und gewürzt schmeckt ein In-vitro-Burger nicht wirklich anders als ein traditioneller. Aber in Europa, besonders in Deutschland, sind Konsumenten eher skeptisch gegenüber technologischen Innovationen im Lebensmittelbereich. Wir werden In-vitro-Fleisch wohl erst akzeptieren, wenn es in Asien und Amerika schon ganz normal sein wird.

Josita Hartanto über den In-vitro-Trend

Josita Hartanto

Chefköchin im Restaurant Lucky Leek                                                                       

Das ist eine schöne Sache. Bisher war es den meisten Menschen egal, woher ihr Fleisch kommt. Der Preis und die Verfügbarkeit sind viel wichtiger. Das Thema klingt derzeit noch futuristisch, aber niemand hätte vor 30 Jahren geglaubt, dass Handys/Smartphones einmal so alltäglich und normal werden würden, wie sie es heute sind. Wer Fleisch essen will, müsste somit nicht mehr über Leichen gehen, sondern kann guten Gewissens in sein Steak beißen. Für mich ist das Thema entsprechend gar nicht so abwegig. Die Umwelt und die Tiere werden es uns sicherlich danken! Und eine Alternative zu Insekten stellt es auch noch dar.

Bernhard Krüsken über den In-vitro-Trend

Bernhard Krüsken

Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes

Retortenfleisch fällt nicht vom Himmel. Es ist ein Irrglaube, dass dieses synthetische Erzeugnis ohne den Verbrauch natürlicher Ressourcen zu haben ist: Auch hierfür müssen viele Nährstoffe, insbesondere Aminosäuren, in der Petrischale bereitgestellt werden und werden in großen Mengen benötigt. Damit ist das Fleisch aus dem Labor derzeit noch meilenweit entfernt von dem Versprechen einer nachhaltigen und effizienten Erzeugung. Es ist alles andere als sinnvoll, hochwertige Rohstoffe wie zum Beispiel Blutserum für die Züchtung von Laborfleisch zu verbrauchen. Klonfleisch wird abgelehnt, aber Retortenfleisch soll es sein? Das passt nicht zusammen! Das Wichtigste: Der Genusswert von echtem, gutem Fleisch von gesunden Tieren bleibt unschlagbar.

Renate Kühlcke über den In-vitro-Trend

Renate Kühlcke

Chefredakteurin Fleischwirtschaft                                                                   

Ich denke nicht, dass die Menschheit in 30 Jahren keine Tiere mehr tötet, um sie zu essen, und sauberes Fleisch in den kommenden Jahren Stück für Stück die Fleischtheke erobert. Verbraucher, die jegliche Nutztierhaltung für ethisch inakzeptabel halten, brauchen kein Kunstfleisch, sie leben besser vegan. Paradoxerweise mögen Veganer die Laborfleisch-Idee,
da diese die Diskussion über unser Verhältnis zum Tier als Nahrungsmittellieferant anregt. Die Funktionsfähigkeit eines Produktionssystem für In-vitro-Fleisch im großen Maßstab ist nicht wirklich absehbar und Skepsis am günstigeren Ressourcenverbrauch angebracht. Zumal die ökologischen Vorteile je nach Fleischart sehr unterschiedlich ausfallen würden. Kritisch sehe ich auch die Produktakzeptanz: Wenn die meisten Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel und das Klonen von Nutztieren ablehnen, weshalb sollten sie dann genetisch identisches Fleisch kaufen?

Arianna Ferrari über den In-vitro-Trend

Arianna Ferrari

Expertin für künstliches Fleisch, Agentur Adelphi in einem UBA-Projekt

Clean Meat verspricht eine schöne neue Welt, in der Fleischkonsum ohne Nebenwirkungen für die Umwelt, für die menschliche Gesundheit und vor allem ohne Tiertötung und Tierleid möglich ist. Bis es so weit ist, braucht es eine Vorstellung davon, wie eine Welt ohne Tiere in der Landwirtschaft und ohne Fleischindustrie aussehen kann. Zumindest in industrialisierten Ländern wird Fleisch zum Überleben nicht benötigt. Warum also an Fleisch
festhalten, wenn schon längst die Proteinversorgung durch pflanzliche Produkte nicht nur möglich ist, sondern sogar stetig wächst? Ich bin davon überzeugt, dass es gegenüber dem Versprechen so mächtiger ökologischer und kultureller Änderungen mehr technische sowie soziale Forschung braucht, mehr öffentliche Diskussion und die Bereitschaft dazu, den heutigen Lebensstil ernsthaft gänzlich zu überdenken.

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