Überzeugungstäter

Ecosia- Gründer Christian Kroll

09/10/2018
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Ecosia hat sich von Anfang an dazu verpflichtet mindestens 80 Prozent des Gewinns in Baumpflanzaktionen zu stecken. Jetzt hast du das gesamte Unternehmen gespendet. Was heißt das eigentlich genau?

Gemeinwohlorientiert zu sein bedeutet, dass Ecosia jetzt für immer unabhängig bleiben wird, auch nach meiner Zeit. Mir ist es sehr wichtig, trotz unseres Erfolgs und der Skalierungsziele glaubhaft zu bleiben. Nur dann kann ich von den Nutzern erwarten, dass sie ihr Herz öffnen und wirklich sagen, „Mensch, das ist etwas, was ich richtig spannend finde, das liebe ich“. Wir haben Ecosia mit dem Ziel gegründet, eine grünere und bessere Welt für alle zu schaffen. Mit dieser Transformation ist das wirklich rechtlich verbindlich und irreversibel verankert. Ich persönlich sehe mich nicht länger als Ecosias Eigentümer, sondern als Anteilseigner einer Bewegung, die viel größer ist als ich selbst. Die Restriktionen, keine Gewinne zu entnehmen und Ecosia niemals zu verkaufen, gelten übrigens sowohl für mich als auch für Ecosias Mitgründer Tim Schumacher, der bislang fünfzig Prozent des Unternehmens gehalten hat. Tim hat uns sowohl finanziell als auch mit seinem Wissen sehr unterstützt hat, auch zu einer Zeit, als noch niemand wusste, ob diese verrückte Idee überhaupt funktionieren würde.

Wo steht Ecosia denn jetzt?

Also es sieht ja so aus, als könnten wir tatsächlich ein großes bedeutendes Unternehmen werden. Fünf Millionen Euro Jahresüberschuss sind ja schon eine Menge. Dadurch haben wir jetzt zum ersten Mal überhaupt die Freiheit, über solch fundamentale Sachen wie die Zukunft des Unternehmens nachzudenken und auch juristisch die entsprechenden Schritte in die Wege zu leiten. Das ist schon eine gewisse Luxusposition. Denn mit dem Wachstum der letzten Jahre und Monate ist auch die Verantwortung für mich nochmal größer geworden. Was passiert, wenn jetzt etwas schief geht? Oder wenn mir etwas zustößt und das Unternehmen dann an Microsoft verkauft würde. Dann wären ein paar Millionen Menschen ziemlich enttäuscht.

Ein ungewöhnlicher Schritt. Glaubst du nicht, dass du es irgendwann bereust, Ecosia zu gespendet zu haben?

Nein. Selbst wenn ich Ecosia verkaufen würde, würde ich anschließend genau das tun wollen, was wir jetzt mit Ecosia machen. Außerdem bin ich überzeugt, dass wir unsere Ziele nur erreichen können, wenn wir uns aus dem kapitalistischen System ausklinken. Damit schützen wir uns auch vor profitorientierten Investoren. Denn das würde nicht mit dem zusammenpassen, was wir als Unternehmer erreichen wollen. Wir haben jetzt mit der gemeinwohlorientierten Form einen echten Ausreißer geschaffen. So geben wir dem Unternehmen die Möglichkeit, Erfolg zu haben, ohne von Profit getrieben zu sein.

Ein buntes Team mit gemeinsamer Mission: mehr Grün für die Welt. Fotos: Patrick Desbrosses

Ich werde versuchen, Ecosia als Treuhänder in die richtige Richtung zu führen.Irgendwann, vielleicht auch erst in 50 Jahren, würde sich ohnehin die Frage stellen, was mit Ecosia passieren wird. Und diese Frage haben wir jetzt klar beantwortet. Ecosia wird nie verkauft werden können. So hat es die Möglichkeit, aus diesem Hamsterrad des Kapitalismus heraus zu kommen. Das könnte neben dem Pflanzen der Bäume vielleicht das wichtigste Zeichen sein, das wir setzen können. Es geht ja nicht nur darum, an Gewinnmaximierung zu denken, sondern auch um andere Dinge, die eine viel größere Rolle spielen.

Woher stammt diese Überzeugung?

Da muss ich etwas ausholen. Mit 16 Jahren habe ich angefangen, mit Aktien zu spekulieren. Natürlich ging es nicht um große Summen und ich habe auch viel Geld verloren - aber irgendwie habe ich Blut geleckt. Auf der Suche nach unterbewerteten Unternehmen habe ich Stunden vor dem Computer verbracht, komplett ohne Gewissen. Das war schon eine merkwürdige Beschäftigung. Während des BWL-Studiums wurde mir bewusst, dass meine Kommilitonen weder sonderlich glücklich noch reflektiert wirkten - und der reine Fokus auf Geschäftsdenken viel zu eng ist. Niemand hat hinterfragt beziehungsweise erkannt, dass man Unternehmen auch nach ganz anderen Gesichtspunkten entwickeln kann als auf die reine Profitmaximierung hin. Etwa, ob die Mitarbeiter glücklich sind oder ob man möglichst viel Gutes tut für die Welt. Das hat mich schon gewundert. Damit war für mich klar, dass dieser typische Karriereweg nichts für mich ist. Weil ich nach dem Studium aber auch keinen besseren Plan hatte, bin ich erstmal viel herumgereist, habe ein halbes Jahr in Nepal gelebt und dann zehn Monate in Südamerika. Dort habe ich diese sozialen globalen und ökologischen Ungerechtigkeiten hautnah miterlebt und realisiert: „Mensch, da muss man doch irgendwas machen!“. Dort wird derart viel Regenwald für Rinderzucht oder Soja-Plantagen abgeholzt. Man fährt stundenlang im Bus und hunderte von Kilometern siehst du nichts anderes als Soja. Und irgendwann kommst du im Regenwald an und es ist auf einmal fünf Grad kühler, die Vögel zwitschern und du merkst, dass da auch Leute leben und alles wirklich schön und im Einklang ist. Und dann kommst du ein paar Jahre später nochmal dorthin und auch dieses Stück Regenwald ist weg. Das tut dann richtig weh. In Indonesien passiert das gleiche, nur dass es dort statt um Soja um Palmöl geht.

„Du musst das System verstehen, um es verändern zu können“

Und so ist die Idee für Ecosia entstanden?

Auf Umwegen, ja. 2006/2007 haben mein Mitbewohner und ich gemeinsam an Webseiten herumgebastelt. Wir hatten viele blöde Ideen, von denen aber nichts richtig funktioniert hat. Aber so habe ich begonnen, das Internet zu verstehen - und auch, welche Macht Google hat. Mit der fixen Idee im Hinterkopf, dass Google ja unglaublich viel Geld verdient, habe ich während meiner Zeit in Nepal versucht, eine Suchmaschine aufzuziehen. Das ging natürlich prächtig schief, denn erstens nutzen in Nepal nicht sehr viele Menschen das Internet. Es ist extrem langsam und wir hatten auch nur an vier Tagen in der Woche Strom. Außerdem hatte ich keine Ahnung, wie man ein Unternehmen aufzieht - und schon gar nicht vor dem dortigen interkulturellen Kontext. So gab es Tage, an denen ich als einziger ins Büro gekommen bin, weil ich nicht wusste, dass Feiertag ist. Aber es war toll, etwas aufzubauen. Mein erstes Experiment mit eigenem Geld. Und weil Miete und Mitarbeiter in Nepal nicht so teuer sind, konnte ich das noch aus meiner Reisetasche finanzieren.

Und wie ging es dann weiter?

Ich bin weiter nach Südamerika. Zwar hatte ich nicht mehr das Geld, um mir Leute einzustellen, aber ich hatte viel Zeit und habe mich daran erinnert, dass ich den Code meiner Suchmaschine noch auf dem Laptop hatte. Irgendwie habe ich mir aber beigebracht, das selber weiter zu programmieren - und das dann fokussiert durchgezogen. Ich bin zwar abends auch mal weggegangen und habe ein Bier getrunken, habe aber ansonsten tagsüber nichts anderes gemacht, meinen Freiraum dafür genutzt, mich um etwas zu kümmern, woran ich geglaubt habe. Das war eine extrem glückliche Situation. So entstand Forrestle, was so etwas wie der Vorläufer von Ecosia war.

Bäume statt Millionen: Christian Kroll auf dem Cover der aktuellen Berlin Valley.

Am Anfang haben wir sogar mit Google zusammengearbeitet, die uns aber leider schon nach zwei Wochen die Suchergebnisse abgeschaltet haben. Wir hatten direkt am Anfang ein paar Tausend Nutzer, aber durch Googles Kündigung fiel alles wieder in sich zusammen. Googles offizielle Erklärung war, dass sie nicht nachvollziehen konnten, ob die Leute wirklich aus Interesse auf die Werbung geklickt haben oder nur um den guten Zweck zu unterstützen. Ich glaube, dass diese Erklärung fadenscheinig war und sie nur keine Lust hatten, dass ihnen jemand das Wasser abgräbt. Mit 95 Prozent Marktanteil hat Google in Deutschland ein absolutes Monopol und wollte nicht, dass Ecosia davon einen Anteil bekommt. 
Aber wir hatten Blut geleckt und fanden die Idee weiterhin toll. Und so sind wir bei Yahoo gelandet. Das war dann nicht mehr so ein Boom am Anfang, sondern die Nutzerzahlen sind erst langsam nach oben geklettert.

Wie wurde Ecosia dann so richtig erfolgreich?

Ecosia war lange nicht in der Lage, ein Gehalt zahlen zu können. Am Ende der Durststrecke kam dann meine Schwester dazu und hat sich ein bisschen um Kommunikation gekümmert. Sie hat dann Kinder bekommen, weshalb ihr die Mischung aus Familie und stressigem Startup-Leben zu viel wurde. Gleichzeitig hatte ich Tim Schumacher kennengelernt, dem die Idee von Ecosia gefallen hat. Und so hat Tim meine Schwester rausgekauft und noch ein bisschen Kapital ins Unternehmen gesteckt. Viel wichtiger war jedoch, dass wir mit Tim nun einen Partner an Bord hatten, der genau weiß, wie man ein Unternehmen groß macht. Ich habe Tim auch von Anfang an gesagt, dass Ecosia ein Nonprofit-Unternehmen ist und er sein Geld wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen wird. Aber das war okay für ihn und das rechne ich ihm wahnsinnig hoch an. Auch wenn er nicht am Hungertuch nagt, aber hätte er seine Meinung geändert und auf Gewinnmaximierung gepocht, hätte ich ihn rechtlich nicht dazu zwingen können, sein Versprechen einzuhalten. Erst die Spende des Unternehmens hat sein Versprechen verbindlich gemacht.

Nonprofit mit Gewinn



Was hat sich durch Tim bei Ecosia geändert?

Am Anfang, also 2013, hat Tim ungefähr zwei Tage pro Woche in Ecosia gesteckt. Das wurde schrittweise weniger, weil Ecosia erwachsen wurde. Aber am Anfang hat Tim extrem viel Wissen eingebracht. Manchmal waren es kleine Dinge wie der grüne Rahmen um unsere Anzeigen, den wir auf Anraten von Tim entfernt haben. Das hat sofort zu 25 Prozent mehr Umsatz geführt. Um etwas verändern zu können, muss man erstmal das System verstehen. Mit Tim haben wir angefangen, uns richtige Ziele zu setzen. Wir waren zwar innerhalb von vier Jahren schon soweit gekommen, eine Million Bäume zu pflanzen, aber solange jedes Jahr Milliarden von Bäumen abgeholzt werden, bleibt das nur ein kleiner Tropfen. Deshalb haben wir dieses irrsinnige Ziel ausgerufen, bis 2020 eine Milliarde Bäume zu pflanzen. Wir wollten Skalierung erzwingen, weshalb wir einige Dinge geändert haben. So haben wir am Anfang etwa 80 Prozent des Umsatzes in das Pflanzen von Bäumen gesteckt. Nach den Fixkosten blieb dann fast nichts mehr übrig, um Mitarbeiter und Büro zu bezahlen. Dieses Modell hat uns wirklich kaum Luft zum Atmen gelassen, weshalb wir es geändert haben, was wir auch transparent kommuniziert haben. Heute stecken wir 80 Prozent des Gewinns in Pflanzaktionen und dürfen auch Rücklagen für größere Investitionen bilden.

Nachhaltig programmieren zwischen viel Grün. Die meisten Möbel im Ecosia-Büro sind gebraucht gekauft.

Für mich bedurfte es ein radikales Umdenken, denn plötzlich war Nonprofit nicht etwas, womit man sich selbst bestraft, sondern ein Modell, mit dem man vernünftige Gehälter bezahlen kann. Nur wenige Monate später konnten wir wieder dieselbe Summe wie vorher in Pflanzaktionen stecken. Der Anteil am Kuchen wurde zwar kleiner, aber der Kuchen insgesamt wurde viel größer. Und so lief das eigentlich die ganze Zeit. Wir sind weiter gewachsen, indem wir dort Investitionen getätigt haben, wo es Sinn machte: Marketing etwa, wodurch wir mehr Nutzer gewinnen konnten. Oder unser Team, das wir jetzt innerhalb von einem Jahr verdoppelt haben.

Wie viele Mitarbeiter habt ihr jetzt?
Momentan sind wir 50 Leute, vor allem Programmierer und Designer aber auch Kommunikation, Marketing, Social Media - und natürlich unser Happiness Officer und unseren Tree Planting Officer Pieter. Jeder, der bei uns anfängt, darf nach der Probezeit auch zu einem unserer Projekte reisen, um ein Gefühl von unserer Arbeit zu bekommen.

Wie funktioniert die Technik hinter Ecosia?

Bisher nimmt uns Microsoft die wichtigste Komponente ab. Wir bekommen die Suchergebnisse von Microsoft geliefert. Würden wir das selber machen, müssten wir wohl einen ganzen Stadtteil anmieten. Meines Wissens arbeiten bei Google immer noch die Hälfte der Leute am Suchalgorithmus. Es wäre unmöglich, das selber zu schultern. Und natürlich profitieren wir von den Werbekunden Microsofts.

Und was, wenn Microsoft euch den Hahn abdreht?

Visionär für eine bessere Welt: Christian Kroll hat sein Unternehmen gespendet.

Natürlich birgt diese Partnerschaft ein fundamentales Risiko. Wir schließen unsere Verträge aber mit einer Laufzeit von zwei Jahren ab, so dass wir uns darauf einstellen und reagieren könnten. Strategisch gesehen sind wir für Microsoft sehr sinnvoll. Im Vergleich zu den 95 Prozent Marktanteil bei Google hat Microsoft in Deutschland vielleicht fünf und sieht durch uns eine Chance, mehr Anteile zu holen. Unsere Aufgabe ist es, Nutzer für unsere Suchmaschine zu gewinnen. So verliert Microsoft durch unsere Partnerschaft zwar Geld, aber der strategische Gewinn überwiegt. Das größere Risiko ist aus meiner Sicht, dass wir es nicht schnell genug schaffen wirklich fundamental etwas an der Welt zu ändern, bevor es zu spät ist. Wir als Gesellschaft müssen verstehen, dass wir ein paar Dinge nicht mehr so machen können wie bisher. Auch wenn wir mit Ecosia mal eine Milliarde Bäume pro Jahr pflanzen können, wird trotzdem weiterhin Regenwald abgeholzt. Weltweit gibt es rund drei Billionen, also 3000 Milliarden, Bäume, von denen wir jedes Jahr ungefähr 15 Milliarden verlieren.

Was sind eure Pläne für die Zukunft? Wo siehst du Ecosia in fünf Jahren?

Bis 2020 haben wir das Ziel, eine Milliarde Bäume zu pflanzen. Momentan sind wir bei mehr als 38 Millionen. Um das Ziel zu erreichen, müssten wir unsere Nutzerzahlen verzehnfachen. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Erreichen wir das, haben wir nochmal eine ganz andere Schlagkraft, auch für technologische Investments. Und jetzt träume ich mal: Bei uns kostet ein Baum durchschnittlich 20 Cent. Würde Google unser Modell adaptieren, dann wäre das Thema Klimawandel schlagartig gelöst. Generell finde ich das Thema Suchmaschine sehr spannend, weil es uns alle direkt beeinflusst. Allerdings berät uns Google ohne Moral oder ethische Komponente. Das muss sich ändern. Deshalb arbeiten wir an verschiedenen kleinen Maßnahmen, um uns in der Praktikabilität näher an Google anzunähern, damit der Wechsel weg von Google für den Nutzer einfacher wird. Es mag albern klingen, aber wir haben gerade für den englischen Markt eine Wettervorhersage im Browserfenster integriert. Google bietet das seit sieben Jahren, aber für die Nutzer ist das wichtig. In den nächsten Monaten wollen wir weitere Zusatzfeatures entwickeln - vor allem im Öko-Bereich. Dadurch werden wir uns abheben.

Ecosia als nachhaltiger Ratgeber

Aus der Suchmaschine, die Bäume pflanzt, kann also ein grüner Berater werden?

Ja, genau. Wenn du in fünf Jahren eine Waschmaschine suchst, würde dir Ecosia diejenige mit dem niedrigsten Stromverbrauch anzeigen. Statt Produkte nach Provision und Gewinnmaximierung zu priorisieren, würde Ecosia danach filtern, wo die Rohstoffe herkommen, oder ob der Hersteller faire Löhne bezahlt und auf Kinderarbeit verzichtet. Also eher so eine grüne Variante des Suchalgorithmus. Das sind aber Themen für die Zukunft. Insgesamt hoffe ich, dass Ecosia als Marke irgendwann nicht mehr nur für eine Suchmaschine steht, sondern für eine Bewegung, eine Art Postkapitalismus. Für die Überzeugung, dass man Dinge anders machen kann und nicht abhängig sein muss vom aktuellen System. Und ich hoffe, dass wir irgendwann mal Webseiten nach ethischen und ökologischen Werten hervorheben können, weil wir uns eben nicht auf Profitmaximierung konzentrieren müssen. Damit stehen wir zwar noch ganz am Anfang, aber perspektivisch wollen wir den Leuten helfen, wirklich gute Entscheidungen zu treffen - nicht nur für sich selbst, sondern für die Menschheit.

Für mich ist Altruismus der Kern, der über Ecosia als Suchmaschine hinausgeht

Wie funktioniert das eigentlich mit den Pflanzaktionen? Seid ihr selber vor Ort?

Momentan machen wir die Baumpflanzungen noch nicht selber. Man muss ja den Kontext vor Ort verstehen, die ökologischen Komponenten und auch in die Gemeinschaft eingebunden sein. Ohne langjährige Erfahrung ist das nicht möglich. Im Grunde geht es darum, einen nachhaltigen Kreislauf aufzubauen. Der Schlüssel zum Erfolg wird es sein, den Leuten vor Ort eine Alternative zu bieten, um ihr Land nicht an eine Palmöl-Firma verkaufen zu müssen. Um Krankenhausrechnungen bezahlen zu können oder die Kinder in die Schule zu schicken. Unser Ziel ist es, den Leuten die Grundlage für ein Lebenskonzept zu geben. Damit wir nicht nur Bäume pflanzen, sondern daraus auch ein Geschäftsmodell für die Leute vor Ort entsteht. Im Idealfall so lukrativ, dass sie damit ihr Land von den großen Unternehmen zurückkaufen können. Es ist wichtig, dass unsere Baumpflanzaktionen für die Leute vor Ort Sinn machen, etwa weil ihre Ziegen dazwischen Gras finden oder sie Nüsse verkaufen können.

Wo seid ihr derzeit aktiv?

Ecosia gemeinsam weiterentwickeln ist Christian Kroll (l.) wichtig.

Momentan unterstützen wir über 60 verschiedene Projekte in 16 verschiedenen Ländern. Die Partner vor Ort schlagen Projekte vor und wir finanzieren das dann. Natürlich kontrollieren wir die Umsetzung, teilweise mit Satelliten, teilweise über Nachzählungen. Dazu arbeiten wir zusätzlich mit Zertifizierungs-Organisationen zusammen.Ein spannendes Fallbeispiel ist Burkina Faso. Durch die langen Dürreperioden und die Übernutzung waren dort alle Bäume verschwunden. Der Boden dort ist so hart wie Beton. Wenn du etwas pflanzen willst, musst du mit einer Spitzhacke ein Loch in den Boden schlagen. Es regnet zwar genauso viel wie hier in Berlin, das aber stark konzentriert in zwei Monaten im Jahr. Dann gibt es kurzzeitig ein bisschen Grün und dann ist wieder alles trocken.

Um das Wasser länger zu speichern, sind wir mit einem Traktor kreuz und quer durch die Wüste gefahren und haben viele kleine Löcher gebuddelt, damit das Wasser sich dort sammelt. So macht man aus den zwei Monaten vier Monate - und Schritt für Schritt baut sich so wieder eine Vegetation auf. Der Boden kann Wasser speichern, der Wasserspiegel steigt und viele Brunnen sind wieder voll. Dieser ökologische Aspekt der Pflanzaktionen ist genauso wichtig wie die ökonomischen Komponenten. Wenn wir es schaffen, diesen Trend der Verwüstung umzukehren, haben wir wirklich einen großen Beitrag geleistet.

Was tust du ganz persönlich für die Umwelt?

Ich bin Vegetarier und versuche möglichst wenig und nachhaltig einzukaufen. Auch in meiner Wohnung gibt es nicht so viele Dinge und vieles davon ist gebraucht gekauft  – wie auch in unserem Büro. Nicht, weil ich mir das Geld sparen möchte, sondern weil ich glaube, dass es so reicht. Ich will nicht hungern müssen und auch mal essen gehen können und mir einen Kaffee kaufen. Aber um ehrlich zu sein, ein normales Gehalt reicht dazu schon. Alles darüber hinaus fände ich für mich irgendwie obszön. Ich verdiene bei Ecosia auch nicht das höchste Gehalt, sondern bin eher so an der unteren Grenze vom oberen Drittel. Grundsätzlich ist Reisen natürlich schwierig, denn es ist das einzige, worauf ich nicht verzichten kann und weshalb ich auch ein schlechtes Gewissen habe. Natürlich neutralisiere ich meinen CO2-Ausstoß, aber eine wirklich gute Lösung hat man da noch nicht gefunden –obwohl wir da an so einem Baum-Projekt dran sind …

Wie passt es zusammen, dass ihr euch über ein System finanziert, das du eigentlich ablehnst?

Du musst das System verstehen, um es ändern zu können. Und das finde ich so spannend an den Werten der eher dunklen Seite der Macht. Es gibt im Prinzip zwei Richtungen, in die wir gehen können. Ich habe früher viel Star Trek geschaut und dort wird eine Welt gezeigt, die viel von dem hat, wo ich gern hin möchte. Es gibt keine Hierarchien und einen sehr starken ethischen und moralischen Kodex. Außerdem habe ich bei Star Trek noch nie jemanden über Geld sprechen hören, das heißt es muss abgeschafft sein. Um in der Filmwelt zu bleiben, wäre die andere Richtung etwa Mad Max, also eine Welt, in der jeder von reinem Egoismus getrieben wird und so viel wie möglich für sich selbst anhäuft. Dort gibt es keine Bäume und kein Wasser mehr, Mitgefühl und Altruismus fehlen völlig. Für mich ist Altruismus die Kernidee, die über Ecosia als Suchmaschine hinausgeht.

Leider sind wir in großen Teilen auf dem Weg in die andere Richtung, in der wir uns Schritt für Schritt - vermutlich aus Bequemlichkeit - mit den Angeboten der großen Konzernen in Richtung Abgrund bewegen. Deshalb liegt meiner Meinung nach die große Chance auch im Bereich Finanzen - in Modellen, aus denen Leute einen direkten finanziellen Nutzen ziehen, wenn sie in Bäume investieren. Deswegen konzentrieren wir uns derzeit darauf, Aufforsten als Business-Modell zu etablieren. Und ich hoffe natürlich, dass wir uns in Zukunft noch mehr für gesellschaftlichen Wandel engagieren, unsere Stimme erheben und Leute mobilisieren können, um so eine relevante kritische Masse zu erreichen, die von der Politik nicht ignoriert werden kann. Momentan haben wir beispielsweise kein Budget, um Aktionen wie etwa den Hambacher Forst zu unterstützen. Ich bin jetzt auch kein Aktivist und es gibt auch charmantere Wege, etwa die Leute vor Ort dazu zu bewegen, zu einem grünen Stromanbieter zu wechseln.

Warum ist denn nicht schon früher jemand auf diese eigentlich simple Idee gekommen?

Es gab viele Versuche, das Konzept zu kopieren. Aber man muss es groß ziehen und skalieren. Dazu brauchst du Durchhaltevermögen, Glück und eine gewisse Aggressivität. Aggressivität schadet auch einem sozialen Unternehmen nicht, um die nötige Skalierung konsequent umzusetzen. Das fehlt vielen Leuten, die gute Ideen haben. Ein bisschen was Gutes zu tun fühlt sich zwar gut an, aber wenn ringsherum hundertmal so schnell Bäume abgeholzt werden und man den Kurs der Menschheit verändern möchte, dann reicht „ein bisschen“ eben nicht aus.

Christian Kroll

In Wittenberg aufgewachsen, studierte Christian Kroll nach dem Abitur in Nürnberg Betriebswissenschaften, Ernüchtert von dem starken Fokus auf Gewinnmaximierung im Studium beschloss er, seine Energie für etwas Sinnvolleres zu nutzen - und gründete 2009 Ecosia.Die Geschichte von Ecosia erzählt Christian Kroll beim NKF Summit Vol. 4 am 15. November im Radialsystem in Berlin.