Disruption der Musikbranche

26/06/2018
header image

Neue Wege in der Musikbranche

Die globale Vernetzung, Social Media und neue Technologien wie die Blockchain eröffnen Musikern neue Möglichkeiten, mit ihren Fans zu interagieren – und sich zu finanzieren. Ein Beispiel ist Musicoin. Gründer Isaac Mao, ein Softwareentwickler aus Hongkong, will über die Blockchain die traditionelle Wertschöpfungskette der Musikbranche aushebeln.

„Musicoin revolutioniert die Wertschöpfung der Musikbranche.“

Musiker sollen in Zukunft entweder direkt von den Fans oder noch besser durch das Schürfen der Musiccoin bezahlt werden. „Menschen mögen es, Dinge zu erschaffen und diese zu teilen“, so Mao im März dieses Jahres beim South-by-Southwest-Festival in Austin, Texas, „aber wenn sie dafür nie etwas zurückbekommen, werden sie die Motivation dazu verlieren. Und das ist nicht nachhaltig. Musicoin leitet einen Paradigmenwechsel ein, der die Wertschöpfung der Musikbranche revolutioniert.“

Wie erfolgreich die Tokenisierung von geistigem Eigentum sein kann, zeigt auch das Beispiel von DJ Gramatik, der über einen ICO innerhalb von 24 Stunden Token im Wert von zwei Millionen US-Dollar verkaufte. „Ich brauche kein Major-Label, das das Leben aus mir saugt“, sagt der Künstler. Ohne Vermarktung geht es jedoch nicht. Hier helfen Plattformen wie etwa Gigmit, auf denen sich Musiker und Bands bei Festivals bewerben und über ihr Profil von Veranstaltern gefunden werden können.

Dabei stehen diejenigen Künstler hoch im Kurs, die auf Facebook und YouTube eine hohe Reichweite haben. YouTube ist das neue Musikfernsehen – und der Bildschirm des Smart - phones die Bühne der Welt. Eine Bühne, auf der heute je - der im Rampenlicht stehen kann. Social Media Apps wie musical.ly oder Smule machen Konsumenten zu Stars. Ein Konzept, das Spaß macht, aber auch nicht ganz ohne Probleme ist.

Wege zum virtuellen Ruhm

Auf musical.ly drehen vor allem Kinder und Teenager 15-Sekunden-Videos, in denen sie sich beim Lip-Syncing oder mit eigenen coolen Moves zu lizenzfreien MusikSnippets filmen. Dabei zeigen sich mittlerweile Siebenjährige unbedarft in Unterwäsche und werden so – wie das Infoportal Mobilsicher.de kritisierte – Opfer sexueller Nötigung. musical.ly will dem Missbrauch zwar mit einer Rund-um-die-Uhr-Moderation entgegenwirken, aber das ist bei 200 Millionen Nutzern nicht ganz einfach.

Dazu kommt, dass die Einhaltung des Mindestalters von 13 Jahren nicht überprüft wird und alle Konten automatisch auf öffentlich geschaltet werden. Die Kinder machen mit, denn mit privaten Konten könnten sie keine Likes und Herzchen sammeln. Auf Nachfrage von Spiegel.de sprach musical.ly von einem „komplexen Problem“, das es als Industrie zu lösen gelte.

Einen anderen Ansatz zum virtuellen Ruhm bietet die App Smule. Nutzer trällern hier gemeinsam mit großen Stars wie Ed Sheeran auf einem Smartphone-Bildschirm im Duett. Groovecat aus Mannheim lässt Nutzer die individuelle Foto- und Video-Sammlung mit den dazu gehörten Songtiteln zum „Soundtrack deines Lebens“ organisieren. Unterlegt mit künstlicher Intelligenz kann diese emotionsgeladene Datenbank Werbetreibenden und der Filmindustrie dabei helfen, die richtigen Titel für fröhliche Momente zu finden oder die Zielgruppe mit maßgeschneiderter Musik zu erreichen. So das Erfolg versprechende Geschäftsmodell. Und neue Modelle braucht die Musikbranche, um auch in Zukunft lukrativ zu bleiben.

Erfolg kann vorhergesagt werden

Was Erfolg haben wird oder nicht, das kann Hyperlife prophezeien, und das mit hoher Wahrscheinlichkeit. So sagte der Algorithmus von CEO Jeff Luck, Professor am Finnischen Zentrum für interdisziplinäre Musikforschung, die Streams und Verkäufe jeder einzelnen Single von Taylor Swifts Erfolgsalbum 1989 mit 80-prozentiger Genauigkeit voraus. Ebenso richtig waren die Prophezeiungen für Beyonce und die britischen Alternativ-Bands, die anlässlich des South-By-Southwest-Festivals im März dieses Jahres an der britischen Botschaft in Austin, Texas, spielten.

Sind wir Menschen so vorhersehbar? „Musik ist nicht nur etwas, was wir hören – Musik ist etwas, was wir mit Herz und Seele erleben“, so die Antwort von Luck. „Deshalb haben wir in unserem Algorithmus eine Reihe von neurobiologischen Reaktionen auf Musik integriert.“ Gerd Leonhard, CEO der Schweizer Futures Agency, glaubt, „dass wir in den nächsten 20, 25 Jahren dahin kommen, dass wir Dinge tun können, ohne unsere Sinnesorgane zu benutzen, dass wir mit Brain-Computer-Interfaces direkt ins Gehirn gehen.“ Auch Musik werde in Virtual Reality direkt erlebbar, „zum Beispiel als Dirigent eines Sinfonieorchesters“, fantasiert der Futurist.

Tatsächlich hat sich das britische Virtual-Reality-Startup MelodyVR bereits darauf spezialisiert, Konzerte virtuell erlebbar zu machen. Die Möglichkeiten sind attraktiv: Zeitreisen, Zweitverwertungsrechte für ausverkaufte Konzerthallen. Während des virtuellen Live-Konzerts kann man wählen, ob man selbst im Publikum oder mit auf der Bühne stehen möchte. Und wem das nicht genug ist, der findet auf TheWaveVR, der weltweit ersten Plattform für VR-Musikkonzerte, eine breite Auswahl.

Das Schöne an der Musikbranche ist, dass hier trotz des Zwangs, lukrative Geschäftsmodelle zu entwickeln, auch noch auf eine spielerische und kreative Art mit künstlicher Intelligenz und technologischer Innovation experimentiert wird. Dabei werden die Fans nicht nur unterhalten, begeistert und inspiriert, sondern immer mehr in den kreativen Prozess miteinbezogen.

Der Körper als Dirigent

Serien-Gründer Matthias Strobel möchte Wege finden, um Musik durch Tech-Innovationen effektiver zu Therapiezwecken einsetzen zu können. Bei Nagual Sound war der heutige Gründer der ersten Assoziation für Musik-Technology in Deutschland mit daran beteiligt, ein Verfahren zu entwickeln, das Daten in Echtzeit in Musik verwandelt. Das können Wetterdaten sein, Gehirnströmungen oder über Sensoren aufgezeichnete Bewegungen. Heute stellt Nagual Dance den Prozess des Tanzens auf den Kopf: Anstatt auf die Musik zu reagieren, wird der Körper zum Dirigenten und Orchester des persönlichen Live-Performance-Konzerts.

Technologie macht Musik auf eine völlig neue Weise erfahrbar, nicht nur audiovisuell, sondern auch haptisch. Immer neue Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine revolutionieren nicht nur den Musikkonsum. Technisierte Instrumente und leistungsstarke Programme ermöglichen es auch denjenigen, die nicht über die Fingerfertigkeit verfügen, ein Instrument zu erlernen, Musik zu spielen.

1 | Ein Workerbot, der für Stimmung sorgt: Das Berliner Unternehmen Pi4_robotics schickt DJ Robo jetzt auf Kreuzfahrt. Foto: pi4_robotics

Die Demokratisierung der Musikproduktion

„Insgesamt können wir von der Demokratisierung der Musikproduktion sprechen“, so Daniel Haver, CEO von Native Instruments. Erklärtes Ziel des Unternehmens ist es, den Computer zum perfekten Instrument weiterzuentwickeln. „Damit geben wir viel mehr Menschen die Möglichkeit, Musik zu kreieren“, so Haver. „Die Revolution auf dem Musikmarkt kommt mit der Verfügbarkeit. Heute kann jeder mit relativ wenig Geld sein Homestudio bauen.“

Und das kommt an. Während legendäre Gitarren-Hersteller wie Gibson Insolvenz anmelden, freuen sich Musictech-Hersteller über steigende Umsätze. Den Grund dafür sieht CEO Haver darin, dass „wir in einer digitalen, hochtechnisierten Welt leben – und da noch viel herauszuholen ist. Der Gitarrenmarkt sieht eine Sättigung, während wir noch ganz am Anfang stehen.“ In den nächsten drei bis fünf Jahren erwartet Haver, zehn- bis 20-mal so viele Kunden zu haben wie heute. Glaubt er, dass der Computer die traditionellen Instrumente irgendwann ganz verdrängen wird?

Alles Analoge wird weiter existieren, aber eher als Sammlerstück, wie ein Oldtimer eben.

„Wahrscheinlich ja, es ist nur eine Frage der Zeit. Die Technologie ist nicht aufzuhalten. Eine Gitarre wird es wahrscheinlich auch in 20, 30 Jahren noch geben, aber sie wird die Signale sofort digital umwandeln und ins Internet und die Cloud stellen. Vermutlich wird es so sein wie bei den Platten heute. Alles Analoge wird weiter existieren, aber eher als Sammlerstück, wie ein Oldtimer eben.“

Wir leben in einer Zeit, in der Roboter wie der in der Schweiz gebaute YuMi Benefizkonzerte dirigieren und ein Workerbots-Hersteller wie pi4_robotics für eine TUI-Kreuzfahrt einen Robo-DJ konstruiert. Wir sind gespannt, wann es etwa bei „Jugend musiziert“ zum ersten Mal eine Tech-Kategorie geben wird. Und wer beim ersten Robo-Mensch-DJ-Battle den besseren Dreh raus hat. Alles ist möglich! Und das Beste ist: Über den Erfolg entscheidet letztlich nicht allein die Industrie - sondern vor allem wir, die Fans.

  • Musik - Teil 1: Zwischen Tech und Emotion
  • Streaming ist die neue Normalität
  • Demokratisierung der Verwertung
  • Mit ganz viel Gefühl: Musik Apps und Gadgets

Kommentare zur Disruption der Musik-Branche:

  • Lizzy Scharnofske: Zwischen Tech und Virtuosität
  • Carsten Schumacher: Es gibt keinen Punk in der KI, keine Emotionen
  • Gaètan Hadjeres: DeepBach lernt zu komponieren
  • Marcus Rüssel: Die Sehnsucht nach dem Plattendeal
  • Marc Westphal: Rechte-Management mit der Blockchain
  • Dmitry Evgrafov: Ein Klang für alle Bedürfnisse