Design Thinking:

Empathisch Probleme lösen

09/11/2016
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Bei Corporates gilt Design Thinking als Wundermittel gegen Ideenlosigkeit, aber auch Startups können von der Innovationsmethode lernen. Erfunden wurde sie bereits 1991 von der kalifornischen Design- und Innovationsagentur Ideo. 2004 wurde die erste D-School für Design Thinking am Hasso Plattner Institute of Design in Stanford gegründet. Dort lernen Studierende in Projekten, wie Design Thinking funktioniert und angewendet wird. Seit 2007 gibt es auch in Potsdam eine D-School.

„Das Wertvolle an Design Thinking ist nicht der Prozess an sich, sondern das Mindset“, sagt Abraham Taherivand. Er ist ein erfahrener Design Thinker, studierte 2009 an den D-Schools in Potsdam und Stanford, gründete mehrere erfolgreiche Unternehmen und ist im Design-Thinking-Coaching und der Programmentwicklung an der HPI Academy in Potsdam involviert. Er erklärt den Kern von Design Thinking so: „Es geht um nutzerzentrierte Problemlösung und Ideengenerierung.“ Vom Nutzer her zu denken sei aber nicht das Gleiche, wie kundenorientiert zu denken, sagt Taherivand im Gespräch mit Berlin Valley.

Empathie-Arbeit

Sich am Nutzer zu orientieren bedeutet auch, potenzielle Nutzer einzubeziehen, die ein Produkt bisher vielleicht gar nicht verwenden. Ein gutes Beispiel ist der Pizzaschneider. Er wurde entwickelt, nachdem die Hersteller Kinder und Menschen mit Gicht beobachtet hatten, die mit dem normalen Messer nicht zurechtkamen. Diese Extremnutzer gaben die Inspiration für die runde Klinge, die heute einen Platz in vielen Küchen hat.

Der Prozess ist ein Kernelement des Design Thinkings. Die Empathie-Arbeit während der ersten Schritte unterscheidet Design Thinking wesentlich von anderen Innovationsmethoden wie Lean Startup oder Open Innovation.

„Bei den ersten beiden Schritten des Prozesses geht es darum, sich in die Schuhe des Nutzers zu begeben, seine Probleme, Emotionen und Motivationen zu verstehen und zu beobachten, wie ein bestehendes Problem bisher gelöst wird“, erklärt Taherivand. Für eines seiner Projekte, die wachmachende Guarana-Brause, ist er genau so vorgegangen. Das Ziel war es, etwas Neues im Energy-Drink-Markt zu entwickeln. Taherivand wollte sich von Extremnutzern inspirieren lassen und landete schnell bei Software-Entwicklern, die überdurchschnittlich viele Energy Drinks, Kaffee oder Mate konsumieren.

In Interviews und bei der Empathie-Arbeit konnten er und seine Mitgründer herausfinden, warum ihre Testpersonen so viel Wachmachendes konsumieren, was sie daran mögen und welche Emotionen damit verbunden sind. Aus den Ergebnissen entstand die Idee, die aufputschende Wirkung in Form einer Schleckbrause anzubieten. Extremnutzer sind eine gute Inspiration, weil sie sich oft schon sehr intensiv mit einem Problem auseinandergesetzt haben und sich gut mit den bisherigen Lösungen auskennen“, sagt Taherivand.

Von Software-Entwicklern inspiriert: wachmachende Guarana-Brause von Moonshots (Foto: Moonshots)

Für Gerald Dissen, Gründer der Firma Room in a Box, bedeuten die ersten beiden Schritte im Design-Thinking-Prozess, Experte für ein bestimmtes Thema zu werden. „Um ein Problem wirklich nutzerorientiert zu lösen, muss man sich mit dem aktuellen Stand der Technik gut auskennen“, sagt Dissen. Für das neueste Produkt von Room in a Box, den Monkey Desk, wurde er zum Experten für Tische. „Ich habe gelernt, dass es so etwas wie eine Sitz-Steh-Dynamik gibt, dass es einen optimalen Blickwinkel auf den Monitor und eine optimale Ellenbogen-Position zum Arbeiten gibt, auch dass Tische standardmäßig 75 Zentimeter hoch sind und früher nur 70 Zentimeter hoch waren und noch viel mehr. Das alles hat geholfen, den Monkey Desk so zu entwickeln, dass jeder damit seine Arbeitsposition verbessern kann.“

„IM ERSTEN TEIL DES PROZESSES GEHT ES DARUM, SICH IN DIE SCHUHE DES NUTZERS ZU BEGEBEN“

An diese ersten Schritte schließt sich die Definition des Standpunktes an. Alle Erkenntnisse werden zu einer These verdichtet, aus der im nächsten Schritt Ideen entwickelt werden. Im weiteren Prozess wird aus einer Idee ein Prototyp. Er wird getestet und nach dem Kundenfeedback verändert, bis ein funktionierendes Produkt mit funktionierendem Geschäftsmodell entsteht. Dieser zweite Teil des Prozesses funktioniert wie der Lean-Startup-Ansatz. Es geht darum, Produkt und Geschäftsmodell früh zu testen, um möglichst schnell aus eventuellen Fehlern zu lernen und damit weniger Ressourcen zu verbrauchen.

Design Thinking für interne Prozesse

Im Gegensatz zu Lean Startup lässt sich Design Thinking auch in kleinem Rahmen in Workshops gewinnbringend einsetzen und ist daher optimal, um Veränderungen innerhalb von bestehenden Firmen anzustoßen. „In einem Startup wird es dann spannend, wenn das Unternehmen wächst“, sagt Martin Güther, Gründer von Spacedeck und D-School-Alumni. Spacedeck ist eine Browser-Anwendung, in der Teams ihre Brainstorming-Ergebnisse festhalten können. „Das Team wird größer und die lockere, innovative Startup-Atmosphäre droht verloren zu gehen“, sagt Güther. „Strukturen wie Personalmanagement oder Buchhaltung wachsen und sind meist sehr spezialisiert in ihren Fachbereichen, Platz für Innovation wird so immer kleiner.“

In Design-Thinking-Prozessen entstanden: das digitale Whiteboard von Spacedeck und der Monkey Desk von Room in a Box (Foto: Spacedeck, Room in a Box)

Design Thinking gibt Managern die Möglichkeit, an solchen Problemen zu arbeiten: Mitarbeiter sind quasi Extremnutzer der aktuellen Unternehmenskultur. Die meisten sind Experten für ihre Abteilungen. Von Vorteil ist, möglichst diverse Mitarbeiter-Teams verschiedener Abteilungen, verschiedener Standorte oder mit unterschiedlichem fachlichen Hintergrund zu bilden. Denn so gibt es viele Blickwinkel auf ein Problem und viele Lösungshorizonte, aus denen Synergien entstehen können.

Im ersten Schritt geht es dann mit den Teams an die Empathie-Arbeit: Wie sieht das Problem eigentlich aus, wie lösen die Betroffenen es bisher, warum lösen sie es so, welche Randbedingungen spielen eine Rolle? Erst danach geht es an die Lösung: Gemeinsam entwickelt das Team verschiedene Ansätze, diskutiert sie und baut einen Prototypen. Meist wird es sich bei den Lösungen nicht um Produkte zum Anfassen, sondern um Prozesse oder Services handeln. Einen solchen Prozess durchzuspielen gilt ebenfalls als Prototyp. Mit den Ergebnissen dieser ersten Tests kann das Team die Lösung weiterentwickeln und sie schließlich in größerem Rahmen in der Abteilung testen.

Bei regelmäßigen Design-Thinking-Workshops können verschiedene Probleme angesprochen werden, und die Mitarbeiter beginnen gleich mit der Lösung. Das hilft in jedem Fall, die Old-Economy-Frustration fernzuhalten, und das Team nutzt seine kreativen Fähigkeiten, um die eigenen Prozesse effektiver zu gestalten.