Craft Beer Round Table:

Von der Prime zur Premium Time des Biers

07/01/2018
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Wo in Deutschland finden wir die Anfänge des Craft-Beer-Marktes und wie habt ihr eure Leidenschaft dafür entdeckt?

Thorsten Schoppe: Nachdem ich mich entschlossen hatte, zu brauen und mich hier in Berlin niederzulassen, bin ich an die erste Craft-Beer-Brauerei in Deutschland geraten – die Bier Company in Kreuzberg. Die hat mich für die große Industrie versaut. Dort haben wir 150 verschiedene Biersorten in einem winzigen Kessel gebraut. Wir haben alles reingeschmissen, was „Kräuter Kühn“ im Angebot hatte. 1996 hat die Brauerei bereits Hanfbier gebraut und damit eine riesige Welle ausgelöst, woraufhin sie vom Deutschen Brauer-Bund angefeindet wurde. Sie waren einfach viel zu früh dran und der Markt war noch nicht so weit. Sie mussten mangels Nachfrage zur Jahrtausendwende schließen. Heute sind die Aufmerksamkeit und das Interesse der Öffentlichkeit ganz anders. Damals war es den Menschen schon revolutionär genug, wenn das Bier unfiltriert war. Heute ist eine ganz andere Klientel für uns entstanden.

Katharina Kurz: Die Idee, Craft Beer herzustellen, hatte ich auf einer Australienreise im Januar 2014. Craft Beer war dort schon längst angekommen. Es gab dann diesen Moment, als ich in einem Bottleshop stand und ein Sixpack kaufen wollte. Die Sortenvielfalt war so groß, dass ich mich nicht entscheiden konnte. In Deutschland ist mir das zwar auch schon passiert, nur aus anderem Grund: Hier war es mir immer egal, welches Bier ich nehme, weil sie einfach austauschbar waren. Und das ist seltsam, denn jeder machte coole Limos, Wodkas und Gins, aber beim Bier passierte in Deutschland nichts. Die Wahrnehmung hat sich erst in den letzten Jahren geändert.

„Du fühlst dich wie ein Kind im Schokoladenladen und weißt gar nicht, wo du zugreifen sollst“

Michele Hengst: Bei mir war es nicht Australien wie bei Katharina, sondern Kanada. Dort habe ich die Biertheken kennen- und lieben gelernt. Man hat hunderte Biere zur Auswahl, jedes sieht schöner aus und schmeckt fantastischer als das andere. Du fühlst dich wie ein Kind im Schokoladenladen und weißt gar nicht, wo du zugreifen sollst. Dann kommst du zurück nach Deutschland und alles, wonach du greifst, schmeckt am Ende gleich. Diese Gleichförmigkeit haben wir getestet. Als wir loslegten, haben wir uns Menschen von der Straße geschnappt und mit fünf Standardbieren aus dem Supermarkt eine Blindverkostung gemacht. Viele waren davon überzeugt, ihre Lieblingsbiere erkennen zu können. Mit dem Ergebnis, dass niemand auch nur ein einziges Bier richtig zuordnen konnte. Das ist bezeichnend für den deutschen Biermarkt. Das zu ändern und die deutsche Biertradition – selbst die lokale Berliner Biertradition – wieder aufleben zu lassen, ist eine große Motivation. Hinzu kommt, dass sich bei den Konsumenten ein neues Premiumverständnis entwickelt hat. Vor zehn oder 15 Jahren war der Besitz von Statussymbolen noch wichtig. In unserem Kosmos ist das gar nicht mehr gefragt. Wir definieren uns über Produkte des täglichen Konsums. Das fing mit Lebensmitteln und dem Bio-Boom vor 30 Jahren an. In den letzten Jahren hat der Trend auch die Getränkeindustrie erreicht. Plötzlich sind kleine Manufakturen im Bereich Limonade relevant. Dieser Prozess ist jetzt am Biermarkt angekommen. Die Menschen fragen nicht mehr so stark die Massenbiere nach, sondern kaufen Bier von kleineren Brauereien. Damit grenzen sie sich ab. Sie schauen sehr viel genauer hin, wie nachhaltig ein Produkt entwickelt wird und wie groß der Impact dahinter ist. Ganz nach dem Motto: Man ist, was man isst.

Immer mehr Craft-Beer-Anbieter drängen auf den Markt. Seht ihr euch untereinander eher als Konkurrenten oder als gemeinsame Wegbereiter eines neuen Biertrends?

David Griedelbach: Die Industriebiere sind immer noch stark beim Verbraucher verankert. Wenn eines unserer Biere gekauft wird, ist das schon viel wert. Da ist es fast egal, welche Marke es ist. Hauptsache es ist nicht mehr Beck’s, Pilsener Urquell oder Radeberger – und das ist der erste Schritt. Der Konsument ist oftmals noch nicht aufgeklärt genug, um die Unterschiede zwischen unseren Brands zu kennen. Von daher funktionieren wir sicher gut zusammen aber in dem Moment, wo sich der Konsument für eine Marke entscheidet, tut es einem von uns weh.

Michele Hengst: Konkurrenz belebt das Geschäft. Der Markt wird immer größer und ich freue mich auf die Herausforderungen, die der Trend mitbringt. Für uns als Brauerei ist es gut, dass so viele Player auf dem Markt sind und jeder seine Nische besetzt. Und auch für den Verbraucher ist es fantastisch, dass es mittlerweile eine solche Biervielfalt gibt. Außerdem arbeiten wir ja alle auf das gleiche Ziel hin: weg von den standardisierten Industriebieren und hin zu einer neuen Biervielfalt in Deutschland.

Katharina Kurz: Einen gewissen sportlichen Ehrgeiz gibt es sicherlich. Aber im Verbund funktioniert die Vielfalt besser. Wenn du als Craft Beer alleine neben Beck’s und Warsteiner im Supermarktregal stehst, hast Du einen schweren Stand. Hast du aber ein gut gepflegtes Craft-Beer-Regal mit 20 anderen Brauereien und 100 verschiedenen Sorten, sieht das natürlich anders aus. Daher befinden wir uns an einem Punkt, an dem wir tatsächlich gemeinsam vorangehen sollten, um den Markt zu entwickeln. Es gibt ja noch viel Luft nach oben.

Was fehlt Euch, um von Gastronomie und Handel akzeptiert zu werden?

Thorsten Schoppe: Mir geht die Gastronomie inzwischen auf den Geist. Ich stehe kurz davor, es bleiben zu lassen, da es so schwierig ist, überhaupt reinzukommen. Es gibt ein paar Craft-Bars in der Gegend. Wenn du ein neues Bier hast, darfst du mal zwei Fässer vorbeibringen. Wenn die leer sind, war es das dann meistens aber auch.

„Deutschland ist dafür bekannt, lange Zeit nicht auf die Qualität der Produkte geachtet zu haben. Der Preis war entscheidend“

Michele Hengst: Vor allem die Preissensibilität spielt eine Rolle. Deutschland ist dafür bekannt, lange Zeit nicht auf die Qualität der Produkte geachtet zu haben. Der Preis war entscheidend für den Kauf eines Produktes. So bestimmt der Verbraucher den Markt und wenn er es billig will, dann bietet der Markt das enstprechend an – sowohl im Supermarkt als auch in der Gastronomie. Das Interesse, wie wir es gerade haben, wird schon schwächer. Für bestimmte Bierstile wird der Craft-Beer-Trend dennoch nachhaltig sein, da sich die Biervielfalt langfristig breiter etablieren wird.

Katharina Kurz: Wenn du dir den Alkoholmarkt anschaust, ob Spirituosen oder Bier, ist es interessant zu sehen, dass Marken in der Regel über die Gastronomie aufgebaut werden. Im Kontext der Gastronomie müssen wir Craft-Beer-Brauerein zusammenarbeiten. In Berlin hast du Glück, wenn der Wirt einen Hahn frei hat. Da kommt dann einer von uns dran – für mehr ist kein Platz. Und die vielleicht 15 ernsthaften Craft-Beer-Bars unterstützen nicht nur die Berliner Szene, sondern jagen auch immer neuen, seltenen, ausländischen Craft-Bieren hinterher. Nur von diesen Bars kann man als Brauer nicht leben. Es gibt aber immer mehr wegweisende Gastronomen, die sich auf die Kombination von Bier und Essen einlassen. Sie binden das Bier aktiv in ein Menü ein. So wird das Thema den Konsumenten Stück für Stück näher gebracht. Und dann folgt irgendwann der Einzelhandel. In Deutschland agiert der Handel teilweise zu schnell. Viele Einzelhändler wollen ein Craft-Beer-Regal machen. Ich würde lieber noch ein bisschen warten, denn wir wissen nicht, ob der Verbraucher schon so weit ist. Das Schöne ist aber, dass Craft Beer mit Bier-Klischees aufräumt und wir die Biere genauso spannend präsentieren können wie andere Spirituosen. In Berlin gibt es schon viele Vorreiter. Wir brauchen aber noch mehr und müssen der Gesellschaft erklären, was es mit dem Trend auf sich hat.

„Die Menschen fragen nicht mehr so stark die Massenbiere nach, sondern kaufen Bier von kleineren Brauereien. Damit grenzen sie sich ab“

David Griedelbach: Der Schritt in den Supermarkt ist gerade für junge Biermarken eine Herausforderung. Ab einer gewissen Größe des Partners macht man sich unter Umständen abhängig. Man muss vorfinanzieren, die kapazitären Grundlagen schaffen und braucht Kisten und Flaschen. Zudem muss man wissen, ob es eine Listungsgebühr gibt. Gibt es offiziell keine, kann es durchaus sein, dass diese nachträglich erhoben wird. Von diesen Spielchen hört man oft, auch aus anderen Branchen. Daher muss man abwägen, ob der Weg in den Handel wachstumsfördernd ist oder eher ein Risiko darstellt. Trotzdem sind wir beispielsweise in der Bio Company, bei LPG und Alnatura.

Thorsten Schoppe: Es ist sinnvoll, sich relativ breit aufzustellen. Wer weiß, wie lange die Craft-Beer-Welle noch rollt. Ich war vorher am Markt und würde auch gerne hinterher noch da sein. Aber wenn wir in den Einzelhandel gehen, bekommen wir Probleme mit den Fachhändlern. Ein Supermarkt kann das Bier günstiger anbieten. Die Fachhändler bestellen dann noch die Blaubeer-, Rosmarin-, Chili- und Sauerbier-Sorten. Die Standardbiere gibt es dann im Einzelhandel. Die Specials gibt es in den Craft-Beer-Läden.

Wie steht es um die Etablierung eurer Marken? Kennen Euch die Verbraucher schon und gibt es schon echte Fans?

David Griedelbach: Wahrscheinlich sind es noch viele Impulskäufe von Menschen, die Craft Beer mal im Fernsehen gesehen oder davon gehört haben. Dann gehen sie in den Edeka und sehen ein Craft-Beer-Regal, finden es zwar teuer, nehmen aber mal eine Flasche mit. Und plötzlich ist das Regal leer. Momentan gibt es großes Interesse – dank der Presse – aber auch dank einer gewissen Neugier der Verbraucher.

Michele Hengst: Der Berliner Craft-Beer-Markt ist differenziert vom Rest der Republik zu betrachten. In Berlin ist das Thema schon sehr weit. Hier hast du im Supermarkt definitiv Kunden, die ganz explizit nach unseren Marken greifen, also echte Fans. National sieht es ganz anders aus.

„Du brauchst Geschichten, die du um deine Marke herum erzählen kannst“

Katharina Kurz: Wir alle haben Fans von unseren Marken. Da ist ein wirklicher Markenaufbau erfolgt. Unsere Biere sprechen nicht nur die Nerds an, sondern viele neue Leute, die an das Thema Craft Beer herangetragen werden. Die fragen nicht nur nach den ausgefallenen Sorten, sondern auch nach unseren „normalen” Bieren, die du im Supermarkt bekommst. Darüber hinaus bieten wir ein echtes Gastronomie-Erlebnis. Wer uns besucht, kann BRLO erleben. Unser Brauhaus ist unsere Heimat. Da bekommst du Tee-Bier oder Berliner Weiße mit Stachelbeeren. Und in der Folgewoche haben wir dann irgendetwas anderes Tolles. Es ist diese Mischung, die den Unterschied macht und Storytelling ist natürlich auch wichtig. Du brauchst Geschichten, die du um deine Marke herum erzählen kannst. Aber zuerst muss natürlich die Bierqualität auch stimmen. Sonst trinkt man es einmal und kauft es nicht wieder.

Auf welche Herausforderungen muss sich ein junger Craft-Beer-Brauer einstellen, womit hattet ihr zu kämpfen?

Katharina Kurz: Die letzen Jahre waren ein wilder Ritt und wahnsinnig viel Arbeit. Das Allerschwierigste sind Logistik und Effizienzen. Logistik is a Bitch. Bier ist ein Produkt, das schwer ist, bewegt werden muss und zügig verbraucht werden muss. Das ist nicht wie bei einem Gin, von dem eine Bar eine kleine Kiste kauft und die ein paar Monate dasteht. Du brauchst genug Kisten zum Abfüllen und die verschiedenen Braustätten müssen koordiniert werden. Ständig geht irgendetwas schief. Wir haben jetzt eine Fuck-up-Liste eingeführt, um zu prüfen, was alles schiefgeht. Das gibt uns Aufschluss über die Sparpotenziale gesetz den Fall, es würde alles reibungslos laufen.

Michele Hengst: Generell ist es so, dass wir neue Wege gehen und versuchen, smartere Lösungen für Probleme zu finden. Das ist der Gründer- und Unternehmergeist, der noch in uns steckt und den wir auch brauchen. Wir haben unsere Brauerei in einem denkmalgeschützten Gebäude gebaut. Das war natürlich ein Riesenakt. Ansonsten ist die Logistik auch bei uns ein großes Thema. Wir stehen in einer Abhängigkeit zu kartellartigen Strukturen. Es ist egal, wen du anfragst, du bekommst von jedem den gleichen Preis. Nehmen wir beispielsweise den Bereich Rahmen. Die Lieferanten reden einfach nicht mit dir, wenn du nicht eine halbe Million Leerrahmen auf einmal bestellst, wie es Beck’s und Co. machen. Du bekommst nicht mal einen Ansprechpartner, mit dem du einen Preis verhandeln kannst, sondern einen Listenpreis – friss oder stirb.

„Um Craft zu sein, musst du deinen Kessel mit einem drei Meter langen Holzlöffel umrühren“

Wie steht es um euer Wachstumspotenzial? Any last words?

Thorsten Schoppe: Der Verbraucher will, dass wir klein bleiben. Sobald du den Prozess digitalisiert hast, bist du schon nicht mehr Craft. Um Craft zu sein, musst du deinen Kessel mit einem drei Meter langen Holzlöffel umrühren. Vor ein paar Tagen war der Brauer der Brooklyn Brewery, Garrett Oliver, bei mir. Er hat erzählt, dass es immer interessanter wird, je größer sie werden, da sie mehr experimentieren können. Sie haben das Geld, um sich auszuprobieren. Es muss in den Markt investiert werden. Ich war früher auch kleiner und habe nur für mich alleine sorgen müssen. Es ist schön zu wachsen. Das ist nicht nur unternehmerisch gesund, sondern dein Produkt wird auch immer besser.

Katharina Kurz: Wir sind in Deutschland noch ganz am Anfang. Da ist noch unglaublich viel Luft nach oben und wir müssen aufpassen, dass wir uns jetzt nicht kaputtreden, bevor es richtig angefangen hat. Brauereien, die jetzt die Botschafter der Szene sind, wird teilweise vorgeworfen, sie seien schon zu groß. Betrachten wir die Hektoliter, ist dieser Vorwurf einfach lächerlich. In diesem Kontext müssen wir aber aufpassen und müssen diese deutsche Erwartung, man müsse noch mit einem Löffel dastehen und selbst rühren, überwinden.[td_block_text_with_title custom_title=”DAVID GRIEDELBACH”]

Unternehmen: Quartiermeister - korrekter Konsum GmbH
Person: David Griedelbach, Geschäftsführer & Mitgründer
URL: quartiermeister.org
Gründung: 2010
Mitarbeiter: 7 + 25 Ehrenamtliche im Verein
Biere im Sortiment: 4