Consensys:

„Ein dezentrales Ökosystem im Entstehen“

05/12/2018
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John, ihr seid dezentral organisiert, in 28 Ländern aktiv, unterstützt 50 sogenannte Spokes, also Firmen, die ihre Ideen und Geschäftsmodelle auf Ethereum entwickeln. Ihr betätigt euch als „Venture Lab“, habt eine eigene Academy, aber auch Community Manager, Designer, produziert Inhalte, du selbst bist für Marketing verantwortlich. Was genau ist eigentlich Consensys?

Es ist wirklich schwer zu sagen, denn Consensys ist keine traditionelle Firma, streng genommen sind wir nicht einmal eine Firma. Vielleicht wirken wir nach außen wie ein großes Unternehmen, aber im Grunde denken wir wie ein Startup, arbeiten wie ein Späti und sind ein Ökosystem im Entstehen. Und dafür ist Deutschland das perfekte Gebiet. Wir sehen großes Interesse an Blockchain-Technologien speziell im DACH-Gebiet, sowohl in der Entwickler Community als auch bei größeren Firmen Wir wollen herausfinden, was die Leute benötigen, aber wir wollen auch von ihnen lernen. Wir wollen verstehen was hier in Deutschland genau passiert, nicht nur im Bereich der Startup-Szene sondern auch innerhalb großer Unternehmen, an den Universitäten und auf Regierungsebene.

„Wir denken wie ein Startup, arbeiten wie ein Späti und sind ein Ökosystem im Entstehen“

Warum ist Deutschland für euch so spannend?

Deutschland ist ein perfektes Beispiel für Dezentralität. Wie kann ein Land gut funktionieren, und dabei dezentralisiert bleiben? Und natürlich bietet Deutschland einen sehr guten Mix aus Startups und großen Unternehmen.

Deutschland ist föderal organisiert.

Genau. Aber man kann doch sagen dass in Baden-Württemberg nicht das Gleiche passiert wie in Berlin. Außerdem sind Themen wie ein Grundeinkommen oder eine grüne Politik sehr interessant. Es ist spannend, dass es so eine Debatte gibt und ich glaube, dass man so etwas fördern und mehr darüber sprechen muss. Uns geht es bei Consensys darum, herausfinden, was Ethereum hier als Plattform machen oder erreichen kann, welche Leute und Gruppen bei uns mitmachen möchten. Und wir machen uns natürlich auch Gedanken darüber, wie wir unsere Verrücktheit, unsere Gedanken unsere Philosophie des Dezentralismus einbringen können. Denn, und das ist spannend, obwohl Deutschland selbst ein dezentralisiertes Land ist, sind viele Firmen massiv zentralisiert, hierarchisch und strikt strukturiert. Und viele Leute, nicht nur Startups sondern auch große Corporates fragen bei uns nach: Wie macht ihr das bei Consensys, wie organisiert ihr ein Unternehmen dezentral?

Und wie macht ihr das?

Wir tun es einfach. Ich habe keinen Chef, ich bin der Chef von niemandem. Anfangs ist es natürlich schwierig, aber innerhalb des Systems entsteht relativ schnell eine Komponente von Innovation und Kreativität. Es gibt bei Consensys zwar einen übergeordnete Leitfaden, der unser Ziel, unsere Marke definiert, aber ausgerichtet darauf, kann jeder das machen, was seiner Ansicht nach gut für das gesamte Unternehmen ist. Du identifizierst dich massiv mit deiner Firma, denn du bist deine Firma. Du bist ein Teil dieses Organismus und du willst nicht, dass dieser Organismus stirbt.

Und wie genau fördert und füttert ihr euren Organismus?

Wir haben verschiedene Kanäle, über die uns Leute erreichen können: unsere Webseiten, Meetup-Gruppen, Social Media, Konferenzen, Events, et cetera. Meine Erfahrung ist, dass die Leute sehr organisch auf uns zukommen. Viele haben erstmal einfach Fragen. Sie wollen wissen, wie wir es geschafft haben, was wir genau machen, was Web 3.0 eigentlich ist? Es besteht noch großer Erklärungsbedarf dahingehend, was Ethereum ermöglicht, was Dapps (dezentralisierte Apps) sind und Smart Contracts. Daneben kommen auch Leute auf uns zu, die schon eine Ahnung haben und auch Ideen, zum Beispiel Developers. Die bitten uns um Know How, um finanzielle Unterstützung oder auch um die Bereitstellung von bestimmten Tools. Dann sammeln und filtern wir all diese Informationen. Und ich sage nie „Nein“, das ist zum Beispiel auch Firmenpolitik, niemals „Nein” zu sagen, sondern lieber das Risiko einzugehen und erst mal zu schauen, ob sich daraus etwas entwickeln kann.

Und das funktioniert?

Mittlerweile sind wir in 28 Ländern aktiv, haben über 1200 Mitarbeiter. Und wenn etwas nicht funktioniert, dann versuchen wir es eben einfach nochmal. Wir sehen niemals etwas negativ, jedes Mal wenn wir eine negative Komponente haben, dann flippen wir es in etwas Positives. Nehmen wir etwa das Wetter, wenn es kalt ist, dann brauchst du eine wärmere Jacke, wenn du kein Geld dafür hast, dann suche dir jemanden, der dich umarmt. Ist niemand da, der dich umarmen kann, dann beweg dich, geh laufen. Hast du keine Laufschuhe, dann mache Yoga. Wir suchen immer nach den Tools, die nicht nur deine Arbeit verbessern, sondern auch dein Leben. Das dauert natürlich. Aber früher oder später wird das menschliche Gehirn lernen, selbst zu merken, was zu tun ist - ohne dass ein Manager oder Boss es dir befehlen muss. Du als Individuum wirst merken, was gerade wichtig ist - und davon profitiert die Firma. Denn du als Mitarbeiter bist ein selbstverantwortlicher Teil des Systems - und willst das Beste für dieses System.

Ihr kreiert also ein Wertesystem, das intrinsisch motiviert und kreiert als Arbeitsumfeld eine Art realer Blockchain?

Sozusagen. Jedes Mal, wenn jemand etwas gemeinsam mit Consensys macht, mit uns auf irgendeiner Ebene zusammenarbeitet, wird er Teil des „Mesh“, also des Netzwerks - und kann auf all unsere Ressourcen zurückgreifen, unsere Tools, unser Wissen, unsere Räumlichkeiten, unsere Infrastruktur, wir nennen das auch Circles, etwa Marketing, Project Management, PR, Buchhaltung. Unsere eindeutige Vision und Funktion ist die eines dezentralen Venture Labs. Gemeinsames Ziel ist es, das Web 3.0 aufzubauen und wir sehen unsere Verantwortung darin, Ethereum als erfolgreichste Plattform dafür zu unterstützen. Wir glauben, dass Ethereum die Zukunft ist und unsere Tools spannende Innovationen in Unternehmen  sein werden, aber auch dabei helfen werden, unsere Gesellschaft zu verbessern.

Gibt es da bereits erste Beispiele?

Ja, wir haben mittlerweile 50 Beispiele, Metamask, uPort, Truffle Suite, das Bounties Network, aus Berlin etwa Gnosis, eine Plattform für Prognosemärkte. Wir suchen aber natürlich auch immer noch weitere Ideen.

„Zentralismus, das klingt für mich sehr, sehr altmodisch“

Warum ist Dezentralisierung so wichtig?

Wir leben im 21. Jahrhundert, dem Jahrhundert des Wissens und der Wissenschaften. Zentralismus, also ein Muster zu haben, das die Regeln für jeden Einzelnen vorgibt, das klingt für mich sehr, sehr altmodisch. Dezentralisierung macht es möglich, dass Menschen, ganze Gesellschaften gründlicher über sich und ihre Umwelten nachdenken, weil sie dann für sich selbst verantwortlich sind.

Und das dank Blockchain global, und über alle Grenzen hinweg?

Genau, warum nicht? Ich selbst bin sozusagen als dezentralisiertes Kind aufgewachsen. Meine Mutter ist aus Venezuela, mein Vater aus Argentinien, ich wurde in Kalifornien geboren, habe in Südamerika gelebt und bin jetzt seit zehn Jahren in Europa zu Hause.

Das klingt nach jeder Menge bürokratischen Herausforderungen.

Ja - und einer unglaublichen Menge an Papierkram. Wir brauchen die Blockchain, um das zu lösen. Dabei habe ich einen amerikanischen Pass, was es angeblich leichter macht. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn du einen Pass aus einem Land hast, mit dem einige Regierungen nicht gerne kooperieren. Das macht das Ganze noch viel komplizierter. Solche Hürden vernichten Träume, Hoffnungen, Kreativität und Innovation. Kannst du dir vorstellen, was Menschen aus Nationen, die scheinbar nicht so entwickelt sind wie andere, erreichen könnten, wenn es diese Hürden nicht gäbe? Dezentralisierung geht weit über den technologischen Aspekt hinaus. Dezentralisierung ist eine Philosophie, eine politische Sichtweise und es ist etwas, das wir bei Consensys umarmen, verbreiten und ermöglichen wollen.

John Izaguirre, DACH Senior Community Lead bei Consensys. Foto: privat

John Izaguirre

John Izaguirre ist als DACH - Senior Community Lead Teil des Consensys-Ökosystems. Der Marketingprofi ist ein Web 3.0-Enthusiast und seit über sieben Jahren in der Berliner Startup-Szene unterwegs. Er ist immer auf der Suche nach neuen, auf Ethereum basierten Ideen und Modellen, die an einer Kooperation interessiert sind. Derzeit hofft er besonders auf einen Blockchain-Lösungsansatz, mittels dem Kunst, Kultur und Kreativität in der Hauptstadt gefördert und nachhaltig unterstützt werden können.