Cleantech:

Startups bringen die Energiewende voran

17/05/2017
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Es ist 7:30 Uhr. Ich stehe auf, knipse das Licht an, schalte die Kaffeemaschine ein, backe Brötchen auf und stelle mich unter die Dusche. Das tun um diese Zeit viele andere Menschen in Deutschland auch. Der Energieverbrauch steigt plötzlich an. Um Versorgungsspitzen einerseits und Produktionsschwankungen bei erneuerbaren Energien andererseits in Einklang zu bringen, ist eine komplexe Infrastruktur nötig. Das System entwickelt sich weg von großen Stromerzeugern hin zu kleineren, dezentralen – und auch intelligenteren Spielern auf dem Energiemarkt. Viele Startups treten an, mit neuen Geschäftsmodellen die Energiewende voranzutreiben und den Markt kundenfreundlicher zu gestalten.

Herausforderungen

Der wachsende Anteil der erneuerbaren Energien – insbesondere von Wind und Sonne – stellt die Energielieferanten vor neue Herausforderungen. Atom oder Kohlekraftwerke lassen sich steuern. Wind und Sonne dagegen nicht. Die Energiemengen, die sie liefern lassen, sind nur schwer vorauszusehen. Das kann zu Engpässen und Überkapazitäten führen. Lange Zeit wurde der zu viel produzierte Strom billig ins Ausland verkauft – teilweise sogar zu negativen Preisen. Gleichzeitig musste ein Backup-System mit fossilen Energieträgern aufrecht erhalten werden, um die Stromversorgung sicherzustellen.

CleantechDer aktuelle Stand der Technik lässt andere Modelle zu, mit denen der Anteil an erneuerbaren Energien im Netz noch gesteigert werden kann. „Ich sehe großes Potenzial bei neuen Modellen zur Vermarktung von Energie und bei Steuerungssystemen, die Schwankungen im Netz ausgleichen können“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

Das Startup Lumenaza etwa bietet eine Software an, die das smarte Management von fluktuierenden Energieströmen ermöglicht. Auf einem Marktplatz werden die verschiedenen großen und kleinen Produktionsanlagen einer Region abgebildet. Lumenaza kauft die Energie, die diese Anlagen produzieren, und fasst sie in einem Energiepool zusammen. Aus diesem Pool werden die Kunden des regionalen Stromproduktes bedient. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage findet innerhalb eines Pools oder zwischen den verschiedenen Pools statt, die Lumenaza managt. Gründer Oliver March ist überzeugt: „Der Anteil an erneuerbaren Energien kann noch deutlich gesteigert werden, wenn gleichzeitig auch die Intelligenz im Netz steigt.“

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Auch Energiespeicher funktionieren im Pool-Modell. Wie das geht, zeigt das Startup Sonnen. Das Unternehmen aus dem Allgäu verkauft Speicher, die kaum größer sind als ein Billy-Regal und zwischen zwei und 16 Kilowattstunden Energie aufnehmen können. Besitzer von Photovoltaik-Anlagen machen sich damit unabhängiger vom Stromanbieter. Eine intelligente Software sorgt dafür, dass Überkapazitäten gespeichert werden und zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Zusätzlich gibt es die Sonnen-Community. Hier werden Solaranlagen und Speicher zu einem virtuellen Energiepool zusammengeschlossen. Eine Software managt Angebot und Nachfrage im Pool und sorgt dafür, dass immer überall genug Strom vorhanden ist.

Neue Bezahlmodelle

Dieses Community-Modell ermöglicht Sonnen auch ein neues Abrechnungsmodell: eine Stromflatrate. Der Kunde bezahlt einen Community-Beitrag und wird dafür mit dem Strom beliefert, den er zusätzlich zur Energie aus seiner Solaranlage noch braucht. Da die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen nach der Investition in die Anlage quasi nichts mehr kostet, könnten sich ganz neue Bezahlmodelle für Strom durchsetzen. Neben einer Flatrate ist auch eine minutengenaue Abrechnung möglich. Die Technik, den realen Stromfluss zu messen, ist längst vorhanden.

Blockaden

„Die Energiewelt der Vergangenheit war geprägt von Energieriesen, die wir in Zukunft nicht mehr brauchen“, sagt Claudia Kemfert vom DIW. Sie sieht die Zukunft eher bei Unternehmen die klein und wendig sind, dezentral und schnell, digital und innovativ. Der Markt strukturiert sich gerade um: „Im Moment sind die Türen weit offen und neue Anbieter aus dem IT-Bereich betreten die Bühne“, sagt Kemfert. Das werde aber nicht ewig so sein, meint sie. „Es besteht die Gefahr, dass die Großen sich durchsetzen und die Kleinen wegbeißen.“

Eon, RWE, EnBW und Vattenfall versuchen, ihre Stellung aus dem alten – stark regulierten – Energiesystem zu bewahren. Die Taktik, die gegen Uber funktioniert hat, hätten auch die großen Player auf dem Energiemarkt versucht, erläutert Kemfert: Veränderungen einfach nicht zulassen. „Das Ziel der Energiewende sind 80 Prozent erneuerbare Energien im Netz. Dazu braucht es aber neue Modelle. Die alten Player haben versucht zu verhindern, dass das erfolgreich wird.“

Besonders bei der politischen Regulierung sieht Energieökonomin Kemfert Gefahren: „Startups haben einfach nicht die größte Lobby.“ Der Strommarkt ist stark reguliert, um die Versorgung sicherzustellen. Deswegen sind auch neue Modelle in diesem Bereich abhängig von der Politik. „Die Politik macht im Moment eine Vollbremsung und folgt dem Lobby-Geschrei der Energieriesen“, kritisiert Kemfert. Der Anteil der erneuerbaren Energien im Markt soll begrenzt werden. Dies sei das Ergebnis von Gespensterdebatten um Kosten und Gefahren für das Netz, die es mit intelligenter Steuerung nicht gebe. „Das Ziel der Großen ist es, die Kleinen regulativ aus dem Markt zu drängen“, meint Kemfert. Nötig sei eine politische Begleitung des Marktumbaus und ein weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien.

CleantechDie Großen teilen sich

Die großen Akteure haben bereits begonnen, sich auf Veränderungen einzustellen. 2008 gründete RWE seine Öko-Sparte Innogy. Sie beteiligt sich seit 2016 über Innogy Ventures an Startups und hat bereits sechs Investitionen getätigt. In einem Innovation Hub sucht das Unternehmen außerdem nach neuen Service-Lösungen für seine Kunden und legt Projekte mit Startups auf. Auch Eon hat sich 2014 in zwei Teile gespalten. Mit dem Agile-Accelerator hat Eon schon mehr als 40 Startups unterstützt. EnBW wiederum unterstützt Gründungen aus dem eigenen Unternehmen auf dem Innovationscampus und beteiligt sich mit EnBW New Ventures an Startups. Der Corporate-VC ist unter anderem in Lumenaza investiert. Und auch Vattenfall hat mit Greenfield eine Schnittstelle geschaffen, die Ausgründungen unterstützt und externe Startups mit den richtigen Leuten im Unternehmen verbindet. Der Energiekonzern arbeitet dazu unter anderem mit Cavalry Ventures zusammen.

Ideenexport

Erneuerbare Energien sind besonders auch für die Entwicklungsländer ein spannendes Thema. Staaten wie Kenia, Tansania oder Ghana entwickeln gerade eigene Industrien, die Strom brauchen. Doch nicht alle Regionen sind ans Netz angeschlossen. Das Unternehmen Mobisol verkauft Solar-Home-Systeme in Ostafrika und bietet den Menschen dort Zugang zu sauberer und günstiger Energie. Um die Investition für die Kunden möglich zu machen, bietet Mobisol eine Finanzierung über 36 Monate an. Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen bereits 70.000 Solar-Home-Systeme installiert.

Das Berliner Startup Ecoligo baut Solarkraftwerke für Unternehmen in Afrika und finanziert die Projekte über Crowdinvesting vor. Durch solche Unternehmen entsteht in Entwicklungsländern aktuell eine dezentrale Energieinfrastruktur, die auf erneuerbaren Energien basiert. Sie starten den Aufbau dieser Infrastruktur auf einem sehr viel höheren technischen Niveau als wir.