Celonis-CEO Alex Rinke:

„Unser Timing war echt gut“

12/12/2018
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Ein Funding in Höhe von 50 Millionen US-Dollar von Accel, die Unicorn-Bewertung und schließlich wurde Celonis von Linkedin als eines der Top-Unternehmen für Mitarbeiter ausgezeichnet: 2018 war für euch ein erfolgreiches Jahr. Wie wird es weitergehen?

Ich glaube, dass wir mit Celonis wirklich eine Chance haben, nachhaltig ein wichtiges und am Markt auch weiterhin führendes und internationales Softwareunternehmen aufzubauen, das weltweit vertreten ist. Was wir heute für Hunderte von großen Unternehmen tun, können wir auch für Zehntausende, Hunderttausende große Unternehmen tun. Unser Ziel ist es daher, einfach noch viel größer und relevanter zu werden und noch mehr Unternehmen dabei zu unterstützen, sich zu transformieren, sich weiterzuentwickeln, produktiver zu werden und einen besseren Service anzubieten. Und das macht richtig viel Spaß. Dabei stehen wir gerade noch ganz am Anfang dessen, wohin wir uns tatsächlich hin entwickeln können.

Die Unicorn-Bewertung ist ja der Traum vieler Gründer. Wie hat sich das angefühlt?

Wir haben uns sehr über das Vertrauen der Investoren gefreut und haben auch mit dem Team gefeiert. Andererseits geschieht so etwas ja nicht von heute auf morgen – und war auch nie unser Hauptfokus. Am Ende geht es ja nicht um die Bewertung, sondern darum, dass man die Kunden zufriedenstellt, am Markt erfolgreich ist und wächst. Die Unicorn-Bewertung ist weniger spektakulär, als man denkt, glaube ich.

Warum habt ihr New York als US-Standort ausgewählt und nicht das Silicon Valley?

Ein Grund für New York als Hauptquartier anstelle des Silicon Valleys war, dass es an der Ostküste liegt – also erheblich näher an Europa. Wir pendeln sehr viel zwischen München und New York. Natürlich denkt man bei den USA in Bezug auf Software zuerst ans Silicon Valley, aber an der Ostküste gibt es sogar noch mehr große Unternehmen, darunter viele unserer Kunden. Honeywell etwa oder auch Pharmaunternehmen wie Merck in New Jersey. Neben der Nähe zu einem großen Kundenstamm bietet New York natürlich auch einiges als Stadt. Unsere Leute aus anderen Büros kommen gerne für ein paar Jahre oder auch dauerhaft hierher. Gleichzeitig ist es in New York einfacher, passende Talente zu finden. Zudem ist New York natürlich auch die europäischste Stadt in den USA, was den Einstieg hier erleichtert hat.

Welche Herausforderungen gab es beim Einstieg in die USA?

Der Erfolg aus Deutschland interessiert die Amerikaner zunächst einmal sehr wenig. Damit muss man umgehen, sich dessen bewusst sein. Viele deutsche Startups sehen die Vereinigten Staaten einfach als weiteren Vertriebsstandort und schaffen es nicht, sich an die Unternehmenskultur in den USA anzupassen.

„Celonis ist ein DiagnoseTool für Unternehmen“

Wie habt ihr diese Herausforderung gemeistert?

Wir haben uns unter anderem Unterstützung geholt. Wir haben erst angefangen, mit Investoren zusammenzuarbeiten, als wir globalisieren und in den US-Markt eintreten wollten. Dabei ging es uns nicht nur um das Kapital, sondern es war uns auch sehr wichtig, dass die Investoren auch Know-how einbringen. Accel etwa hat in Dropbox investiert, in Slack, in Facebook, in viele Unternehmen, die dann wirklich groß geworden sind. Ähnlich ist es bei unserem zweiten Investor, 83North. Dieses Know-how konnten wir nutzen. Die Investoren haben uns am Anfang außerdem geholfen, etwa dabei, das richtige Talent zu finden wie zum Beispiel im Vertriebsmanagement.

Testimonial

Harry Nelis, Partner bei Accel. Foto: Accel

„Immenses Potenzial“

50 Millionen US-Dollar hat Accel 2018 in Celonis investiert. Harry Nelis, Partner bei Accel, verrät, warum.

„Es ist wirklich eine Freude, mit Alex und dem Team von Celonis zusammenzuarbeiten. Sie haben uns vom ersten Tag an beeindruckt. Nicht nur mit dem Unternehmen, das sie aufgebaut haben, sondern auch dem Tempo, mit dem sie als Gründer lernen und arbeiten. Dazu kommt die globale Marktnachfrage nach dem, was sie geschaffen haben. Es ist wirklich selten, dass ein Gründungsteam den USMarkt so schnell erobert, wie Alex, Bastian und Martin es getan haben. Die schnell wachsende Zahl multinationaler Kunden des Unternehmens spricht für die globale Relevanz von Celonis und das immense Potenzial.“

„Fünf Jahre lang haben wir komplett gebootstrappt“

Und wie habt ihr euch davor finanziert?

Aus eigener Tasche. Celonis gibt es jetzt seit sieben Jahren, fünf Jahre lang haben wir komplett gebootstrappt, alles komplett ohne externes Kapital aufgezogen.

War es denn dein Plan, schon während des Studiums zu gründen?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe Mathematik studiert, weil es mich interessiert hat. Meine Affinität zum Unternehmertum habe ich vermutlich von meinen Großeltern geerbt. Sie hatten einen Landhandel, bei dem ich im Sommer immer ein wenig mitgearbeitet habe. Während der Schulzeit habe ich außerdem eine kleine Nachhilfe-Agentur gegründet. Die Zusammenhänge sehe ich aber erst jetzt. Als ich angefangen habe, Mathe zu studieren, hatte ich wirklich noch keinen Plan. Selbst als wir die ersten Ideen für Celonis entwickelt haben, dachten wir nicht in erster Linie daran, ein Unternehmen zu gründen. Das hat sich dann einfach so ergeben, wir haben die Chance gesehen.

Erzähl doch mal eure Gründungsgeschichte. Wie seid ihr denn auf die Idee für Celonis gekommen?

Wir sollten im Rahmen eines Projekts der studentischen Unternehmensberatung AcademyConsult den IT-Kundenservice, also den Help-Desk, des Bayerischen Rundfunks (BR) verbessern. Im Laufe des Projekts haben wir festgestellt, dass es schwierig ist, die nötige Transparenz über den Status quo zu erhalten, um daraufhin die Abläufe zu verbessern. Noch dazu waren wir nicht besonders gut darin, die nötigen Informationen zu beschaffen – wir hatten ja wenig Erfahrung mit Interviewtechniken. Aber im Grunde haben wir erkannt, dass der BR ein Ticketsystem hat, über das der gesamte Service abgewickelt wird. Aus den darin entstehenden Logdaten konnten wir automatisiert die Prozessabläufe bildlich rekonstruieren, vollständig ohne manuelle Prozessmodellierung. Wir haben die erstandenen Bilder katalogisiert, ausgedruckt und dann den Konferenzraum damit tapeziert. Das Spannende war, dass sich in den Führungsriegen dadurch auf einmal ein kollaborativer Geist gebildet hat. Es ging nicht mehr darum, welche Herausforderungen das Unternehmen hat, sondern darum, wie sie gelöst werden können. Wir hatten unseren ersten Kunden – mussten allerdings noch eine Firma gründen.

In welchem Semester wart ihr da?

Ich war im fünften oder sechsten Semester an der TU München – habe dann noch die Bachelorarbeit geschrieben und bin dann ausgestiegen, wie Martin auch. Bastian hatte damals schon seinen Master. Zuerst habe ich noch probiert, meinen Master nebenbei zu machen, aber das habe ich relativ schnell wieder aufgegeben. Das war einfach zu viel.

Habt ihr damals Unterstützung von Uni-Seite bekommen?

Co-Founder und Co-CEO: Alex Rinke, Bastian Nominacher und Martin Klenk (v. r.). Foto: Celonis

Also, das war wirklich super. Das fing schon damit an, dass wir an der TU München zum Gründen ermutigt wurden, der Slogan der TU ist ja „die unternehmerische Universität“. Professor Kretschmer zum Beispiel war für uns ein sehr wichtiger Mentor. Sehr viel geholfen hat uns auch das Exist-Gründerstipendium, an dem wir 2010/2011 teilgenommen haben. Umgekehrt sind wir jetzt als Mentoren in verschiedene Kooperationsprogramme involviert. Ich bin häufig vor Ort, gebe Vorträge und erzähle unsere Geschichte. Im Rahmen eines MentorshipProgramms betreue ich ein paar Startup-Teams auch ein bisschen enger. Das macht Spaß. In Testbirds und Talentry habe ich auch investiert.

„Mein Tipp ist, gerade am Anfang extrem kundenfokussiert zu arbeiten“

Welches ist denn dein wichtigster Tipp für junge Gründer?

Als kleines Startup mit begrenzten Ressourcen muss man sich ja immer ganz genau überlegen, worauf man sich fokussiert: auf die Investoren, auf interne Themen, auf das Produkt? Mein Tipp ist, gerade am Anfang extrem kundenfokussiert zu arbeiten. Nur so kann man das richtige Produkt entwickeln und die richtigen Entscheidungen treffen. Das klingt zwar einfach – aber man sieht häufig, dass sich junge Unternehmen sehr stark auf die Investoren fokussieren und das Unternehmen dahingehend ausrichten, wie es auf die Investoren wirkt. Das ist aber falsch. Man sollte das Unternehmen so aufbauen, dass die Kunden es mögen. Dann kommen die Investoren von ganz alleine.

Ihr habt anfangs also voll auf Kundenakquise gesetzt?

Ja. Kundenakquise war für uns am Anfang – wie auch für alle anderen B2B-Unternehmen – extrem wichtig. Denn dadurch bekommst du die Möglichkeit, dein Produkt weiterzuentwickeln und zu verbessern. Doch trotz der Referenz vom Bayerischen Rundfunk war es für uns eine echte Herausforderung, neue Kunden zu gewinnen. Zwar kam dann der Hessische Rundfunk dazu, gefolgt von den weiteren Rundfunkanstalten, aber wir mussten uns trotzdem richtig ins Zeug legen. Wir sind auf Messen gegangen, auf kostenlose Veranstaltungen, einfach um mehr Leute kennenzulernen. Einmal haben wir in einer Aktion 2.000 Briefe verschickt. Wir haben alle mit der Hand geschrieben, weil wir dachten, dass sie dann eher vom Sekretariat zum Entscheider durchgestellt werden als irgendein Standard-Geschäftsbrief. Etwas Handschriftliches könnte schließlich eher wichtig sein, oder?

Und hat das funktioniert?

Das hat ganz gut funktioniert, ja. Wir haben an relativ hohe Entscheider geschrieben und tatsächlich so um die 20 Interessenten dadurch gewonnen. In dem Brief haben wir zusätzlich eine kostenlose Demo angeboten. Als ersten richtig großen Kunden konnten wir Siemens überzeugen. Allerdings hat Siemens uns nicht dazu genutzt, um die IT-Serviceprozesse des Unternehmens zu analysieren, sondern die Logistik- und Finanzprozesse sowie viele weitere wesentliche Abläufe. Da war dann natürlich noch mal viel mehr Mehrwert drin. Als Nächstes kam Bayer, ebenfalls sehr früh. Nach fünf Jahren hatten wir weit über 100 Großkonzerne als Kunden.

Welche Firmen nutzen denn derzeit Celonis?

Bayer, Siemens und der BR sind natürlich nach wie vor wichtige Referenzen, ebenso wie die Deutsche Telekom, Vodafone, die Deutsche Bahn, KPMG, AkzoNobel, das ist ein großer Chemiekonzern, Bosch, aber auch die REWE Group und Edeka, also auch Handelsunternehmen. Uber ist ein Kunde von uns, UBS, Novartis, in den USA unter anderem noch Honeywell, General Motors, Koch Industries, Cisco.

Das ist wirklich eine beeindruckende Liste. Wie lange dauert es heute so im Durchschnitt, um einen neuen Kunden zu gewinnen?

Die Auswertung der Daten zeigt, welche Prozesse gut funktionieren und wo es Engpässe gibt. Foto: Celonis

Man hat im Durchschnitt schon Vertriebszyklen von mehreren Monaten bis zu einem halben Jahr und in manchen Fällen sogar länger. Das ist einfach so im B2B-Bereich. Mit guten Referenzen verkürzt sich das natürlich, vor allem in der gleichen Industrie. Aber am Ende dauert der Entscheidungsprozess bei großen Unternehmen natürlich ein bisschen länger.

Kannst du noch mal erklären, was Process Mining ist und welchen Mehrwert Prozessanalyse euren Kunden bringt?

In jedem Unternehmen werden IT-Systeme genutzt, über die alle Prozesse abgewickelt – und auf denen letztlich alle Abläufe abgebildet werden. Denn alle Mitarbeiter, egal ob in der Buchhaltung, im Einkauf, im Vertrieb oder in der Logistik, alle arbeiten mit diesen IT-Systemen. Dadurch entstehen permanent Daten darüber, was im Unternehmen passiert. Und genau diese Daten nutzen wir, um automatisiert die Abläufe und die Prozesse zu rekonstruieren. Daraus lässt sich dann schnell lesen, wo etwas zu lange dauert, wo Dinge hängen bleiben und Ineffizienzen in den Abläufen entstehen. Warum kann eine Kundenservice-Anfrage erst nach zehn Tagen behoben werden? Wo kommt ein Zulieferteil nicht rechtzeitig an und verzögert die Produktion? Im Grunde automatisieren wir das, was Unternehmensberater machen. Wir zeigen, wo es Möglichkeiten gibt, produktiver zu arbeiten und besseren Service anzubieten. Statt das Problem zu suchen, kann man gleich Lösungen entwickeln. Celonis ist ein Diagnose-Tool für Unternehmen, ähnlich wie ein MRT-Gerät für den Arzt.

„Ein neues Thema ist Industrie 4.0, in dem wir Produktionsprozesse abbilden“

Woran machst du euren Erfolg fest?

Unser Timing war gut. Das Thema Transformation ist sehr aktuell. Jedes große Unternehmen macht sich momentan Gedanken darüber. Für mich bedeutet Transformation, ein bestehendes Unternehmen zu nehmen und zwei Fragen zu beantworten. Wie können wir mithilfe von moderner Technologie produktiver werden? Und wie können wir unseren Kunden einen besseren Service bieten? Zwei Fragen, die sich Unternehmen stellen, und bei beiden Fragen kann Celonis sie unterstützen.

Könntest du dir weitere Bereiche vorstellen, in denen Prozessanalyse in Zukunft zur Anwendung kommen kann?

Es gibt immer neue spannende Anwendungsfelder. Ursprünglich haben wir uns sehr stark auf klassische Prozesse fokussiert, also auf Einkauf, Logistik, Buchhaltung, Auftragsverwaltung und ganz primär den Bereich Kundenservice. Ein neues Thema ist Industrie 4.0, in dem wir Produktionsprozesse abbilden. Da sieht man wirklich, was genau im Werk passiert, wie das Produkt von Anfang bis Ende durch die Fertigung läuft. Es geht also nicht mehr nur um die Kommunikation einzelner Mitarbeiter, sondern tatsächlich um Sensorik und Maschinendaten, die wir in die Prozesskette integrieren. Außerdem geht es auch immer mehr darum, die Prozesse zwischen den Unternehmen zu optimieren. Es gibt ja wahnsinnig viele Lieferanten- und Kundenbeziehungen zwischen den großen Konzernen. Und da ist es schon spannend, hier einmal die Effizienzpotenziale transparent zu machen.

CEO Alex Rinke. Foto: Celonis

Alexander Rinke

Gemeinsam mit Bastian Nominacher und Martin Klenk hat Alex Rinke 2011 Celonis gegründet – und dafür seinen Masterabschluss aufgegeben. 2018 wurde die Idee der drei Studenten mit der Unicorn-Bewertung des Unternehmens gekrönt. Ein toller Erfolg. Doch Alex, heute 28 Jahre alt, schaut weiter in die Zukunft. celonis.com