Cal Henderson von Slack:

„Wir stehen noch ganz am Anfang"

19/02/2018
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Slack ist eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Worauf führst du den Erfolg zurück?

Cal Henderson: Wir hatten keinen Masterplan oder eine herausragende Idee, Slack war vielmehr eine Frage des Timings. Es war die Phase, als Consumer Messaging einen neuen Boom erfahren hat. Im Privaten wurden Messenger wie Whatsapp oder Facebook immer relevanter. Heute erscheint es lächerlich, seinen Freunden eine E-Mail zu schicken, um ein Treffen zu arrangieren. Parallel dazu haben sich unterschiedliche Business-Software-Tools immer weiter etabliert. Dank unzähliger SaaS-Lösungen und der rasanten Mobile-Entwicklung konnte man beobachten, dass Nutzer heute eher hunderte unterschiedlicher Tool-Anbieter verwenden anstatt einen einzigen Service-Provider. Was fehlte, war ein Ort, an dem all diese Tools zusammengeführt werden. Es war uns am Anfang gar nicht klar, aber Kommunikation ist ein Thema, innerhalb dessen es Sinn macht, diese ganzen Tools zusammenzuführen.

Streng genommen existierte der Markt, den ihr adressiert habt, nicht. Ist das eine Voraussetzung für Slacks großen Erfolg?

Cal Henderson: Das ist keine einfache Frage. Natürlich gab es einen Markt für Kommunikation am Arbeitsplatz, es hat nur niemand an ein Tool wie Slack gedacht, das eine eigene Kategorie darstellt. Eine neue Kategorie zu etablieren ist nicht einfach, da Menschen immer dazu tendieren, Neues mit Bestehendem zu vergleichen. Wenn man der erste einer Kategorie ist, fehlt der Kontext. Heute ist das einfacher, da Unternehmen wie Microsoft Produkte in derselben Kategorie bauen.

Welche Wachstumsfaktoren waren ausschlaggebend für euren Erfolg?

Cal Henderson: Mundpropaganda bleibt sehr relevant für uns. Solange wir eine Erfahrung bieten, die Nutzer mögen, teilen sie diese mit anderen Menschen. Das ist ein starker Treiber. Wenn dir in einem großen Unternehmen gesagt wird, dass du ein bestimmtes Tool nutzen sollst, fühlt sich das anders an, als wenn du dich selbst zur Nutzung entscheidest. Entsprechend schwieriger ist es, empfohlen zu werden. Unsere ersten Anwendergruppen waren Entwicklerteams, was nicht überrascht, denn in diesem Kontext ist Slack entstanden. Unser zweiter großer Wachstumsmarkt war in der Medienbranche und deren Newsrooms, also kleine Teams, die hoch kollaborativ arbeiten und daher ein inhärentes Interesse an Slack hatten. In traditionellen Branchen, in denen neue Technologien langsamer angenommen werden, verläuft unsere Akzeptanz langsamer.

Was sind eure wichtigsten Learnings bei der Entwicklung?

Cal Henderson: Wir haben immer die User-Experience in den Fokus gerückt. Bei Slack hatten wir den großen Vorteil, dass wir selbst die ersten Nutzer waren. Mit Business-Software ist es meistens schwierig, da man nicht konstant nachvollziehen kann, was der Kunde wirklich braucht. Oft wird Unternehmenssoftware nicht für die eigentlichen Nutzer entwickelt, sondern vor allem, um es dem CIO zu verkaufen. Wir hatten das Tool für uns selbst gebaut. So konnten wir konstant verstehen, was der User braucht. Die Konzentration darauf, was das Tool für den Endnutzer leisten muss, war sicherlich entscheidend. Man muss verstehen, was Menschen erreichen wollen und ob Slack ihnen dabei hilft oder ob es ihnen vielleicht im Weg steht.

Welchen Tipp kannst du anderen Gründern geben, die auch schnell wachsen wollen? Gibt es irgendein Geheimnis?

Cal Henderson: Wenn man nicht etwas entwickelt, das jeden Tag benutzt wird, hat man automatisch einen Nachteil. Unabhängig davon muss man immer daran denken, dass die Nutzer vor allem ihre Arbeit erledigen wollen. Die Early Adopters interessieren sich vielleicht noch dafür, was man baut. Aber alle weiteren – sie hatten vielleicht einen schlechten Tag, haben sich mit ihrem Chef gestritten oder eine Deadline, die ihnen im Nacken sitzt – wollen einfach nur ihre Arbeit erledigen. Es hilft, wenn man sich vor Augen führt, dass diese Menschen die Software nicht bestaunen sollen, sondern vor allem einen Job erledigen müssen. Außerdem ist es eine Frage der Einstellung. Bei Slack haben wir die gesunde Einstellung, dass unsere Software per se nichts taugt. Man muss sich darüber klar sein, dass es immer noch viel zu tun und verbessern gibt.

„Wir hatten keinen Masterplan oder eine herausragende Idee”

Ihr seid also nicht zufrieden mit eurem Produkt?

Cal Henderson: Man könnte fast sagen, dass wir uns ein bisschen dafür schämen, wie dürftig die Software ist im Vergleich dazu, wie viel besser sie sein könnte. Dabei dürfen wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Die Gefahr, sich selbstgefällig zurücklehnen, ist theoretisch gegeben. Wir stehen ja noch ganz am Anfang einer neuen Kategorie von Software. Daher wissen wir auch nicht, wie es für Unternehmen sein wird, Slack so zu nutzen, wie sie es heute mit E-Mails machen. Zu verstehen, wie die Menschen diese Tools nutzen wollen und wie wir es schaffen können, dass sie Slack sinnvoll finden, ist eine große Herausforderung. Wir stehen vor einer riesigen Chance. Gleichzeitig gibt es viele Wege, auf denen man es vermasseln könnte. Im Fokus unserer Arbeit muss daher die User-Experience stehen. Wir stehen über unterschiedliche Kanäle mit unseren Nutzern in Kontakt, um zu erfahren, wie sie Slack und andere Tools nutzen. Wie arbeiten sie im Marketing oder Sales? Wie integrieren sie diese Tools in Slack? So wollen wir sicherstellen, dass ihre relevanten Arbeitstools durch Slack ein bisschen besser funktionieren.

Wie wird sich eurer Meinung nach die Kommunikation in Unternehmen ändern und welche Rolle wird Slack dabei spielen?

Cal Henderson: Ein Großteil der Unternehmen mit Wissensarbeitern wird in den nächsten fünf Jahren eine Channel-basierte Kommunikation einführen. Das wird unabhängig von Slack passieren. Die Frage ist, ob wir mit Slack das Standardtool etablieren können. Das bestmögliche Produkt zu bauen, bleibt also die größte Herausforderung. Eine andere Herausforderung für uns ist die Veränderung der Kundengröße – von kleinen zu großen Teams. In kleinen Teams wird Software organisch implementiert. Wird die Software als nützlich empfunden, etabliert sie sich dauerhaft. In größeren Unternehmen gilt es, hohe Sicherheitsstandards und Compliance zu berücksichtigen. Nehmen wir beispielsweise IBM. Slack an IBM zu verkaufen, gestaltete sich anders als bei einem Startup mit zehn Personen. Sie haben unterschiedliche Anforderungen an den Sales-Prozess und auch die Implementierung verhält sich anders. Trotzdem gehen wir auch hier nicht zum CIO und präsentieren ihm die Software, sondern IBM reagiert auf Mitarbeiter, die Slack nutzen und von sich aus zum CIO gehen. Bei der Implementierung im Unternehmen helfen wir dann.

Wie helfen euch neue Technologien wie AI dabei, Slack noch attraktiver für eure Nutzer zu machen?

Cal Henderson: Die Vorstellung, dass AI alles verändern wird, gibt es schon lange. Die Vision von Robotern, die uns töten und unsere Jobs übernehmen, wird so wohl nicht eintreten. Stattdessen sehen wir aber, dass maschinellem Lernen eine wichtige Rolle zukommen wird – auch bei uns. Sofern eine auf Channels basierte Kommunikationsstruktur in der Arbeitswelt Realität werden sollte, werden hier unheimlich viele Informationen gespeichert: Wie arbeitet das Unternehmen? Wer trifft Entscheidungen? Von wem und woher kommen Informationen? Wissensarbeiter verbringen viel Zeit damit, Antworten auf Fragen zu finden oder die Person ausfindig zu machen, die die Antwort kennt. Es handelt sich dabei um Informationen, die bereits existieren. Im besten Fall wäre die Antwort parat, ohne dass mit jemanden darüber gesprochen werden müsste. Im zweitbesten Fall würde die Person genannt, die eine Antwort weiß. So wird eine Zeitersparnis für die Mitarbeiter geschaffen. Persönlicher wird es, wenn wir analysieren, wie eine Person mit Slack interagiert, welchen Personen sie antwortet, bei welchen Nachrichten sie Threads startet, was sie anklickt, über welche Themen sie spricht und welche Kanäle sie nutzt. Sollte diese Person beispielsweise für ein paar Tage nicht arbeiten, würden wir ihr auf Grundlage des Nutzerverhaltens bei ihrer Rückkehr vorschlagen, in welcher Reihenfolge sie ihre Channels lesen soll.

Was ist mit anderen Trends sowie Technologien wie Blockchain und was ist euer Ziel?

Cal Henderson: Wie die meisten Trends ist Blockchain in aller Munde. Ich denke, es wird einige Zeit brauchen, um herauszufinden, wo die Implementierung Sinn macht. Trotzdem müssen wir verstehen, was die aktuellen Trends sind und wohin sie sich möglicherweise entwickeln. Der wichtigste Trend für uns bleibt aber die Ausbreitung von Software und dass Menschen immer mehr Tools nutzen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen und sicherstellen, dass wir bei Slack die richtige Oberfläche anbieten, um sie zu integrieren. Die meisten Unternehmen nutzen bereits feste Services für Voice oder Video-Calls. Sie werden nicht zu uns wechseln, nur weil wir das auch anbieten. Deshalb müssen wir das Tool sein, das diese bestehenden Services einfach integriert. Slack ist für viele Menschen bereits heute das erste Tool, das sie am Morgen einschalten. Natürlich wünschen wir uns, dass das noch mehr Menschen machen.

Das Gespräch mit Cal Henderson führte Jan Thomas.