Artenvielfalt: „Jedes Zehntelgrad zählt"

10/04/2019
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Bei der Diskussion um die Erderhitzung machen viele Menschen einen groben Fehler: Sie unterschätzen ihre Folgen massiv. Das kann schnell passieren, wenn über Unterschiede von wenigen Grad gesprochen wird. Ob nun zwei oder drei Grad mehr, fühlt man das überhaupt?

Beim Wetter mag das tatsächlich wenig relevant sein. Beim Klima aber ist ein Anstieg der durchschnittlichen Temperatur von nur wenigen Grad gravierend. Er entscheidet darüber, welche Regionen der Erde unbewohnbar werden. Oder im Falle mancher Inselstaaten ganz verschwinden. Er entscheidet darüber, welche Tier- und Pflanzenarten überleben – und welche nicht.

Klimawandel: Jedes zehntel Grad zählt

Im Oktober 2018 veröffentlichte der Weltklimarat dazu einen Sonderbericht. In ihm analysierten zahlreiche wissenschaftliche Experten, welche Folgen eine Erderhitzung von 1,5 Grad im Vergleich zu 2 Grad hätte. Denn auf dieses Maximum hat sich die Weltgemeinschaft mit dem Pariser Klimaschutzabkommen 2015 geeinigt. „Deutlich unter 2 Grad – möglichst 1,5 Grad“ – so das Ziel.

Vom Klimawandel bedroht: Die Korallenriffe und ihre Vielfalt. Foto: WWF
Vom Klimawandel bedroht: Die Korallenriffe und ihre Vielfalt. Foto: WWF

Das Ergebnis: Schon bei 1,5 Grad müssen wir mit massiven negativen Folgen rechnen. So würden wir bis zum Jahr 2100 zum Beispiel mindestens 70 Prozent der weltweiten Korallenriffe verlieren. Bei 2 Grad wären es nahezu alle. Was wiederum Implikationen hat auf die Tiere, die nur dort leben. Und die Menschen, die – sei es nun für die Ernährung oder für ihr Einkommen aus dem Tourismus – auf die Riffe angewiesen sind.

Jedes zehntel Grad zählt

Und derzeit steuern wir noch nicht einmal auf eine Erderhitzung von 1,5 oder 2 Grad hin, sondern auf 3 Grad und mehr, wenn nichts geschieht. Arten werden verschwinden Der WWF und die Universität East Anglia in Großbritannien haben sich in einer umfangreichen Studie angesehen, was diese Temperaturveränderungen für die Artenvielfalt in einigen der bedeutsamsten Naturregionen wie dem Amazonas oder den Galapagosinseln bedeuten würde.

Wenn wir so weitermachen wie bisher, würde demnach bis 2080 fast die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten in diesen Gebieten dem Klimawandel zum Opfer fallen. Und selbst wenn das obere Limit aus dem Pariser Klimaschutzabkommen von zwei Grad eingehalten wird, würde noch jede vierte Art aus diesen Regionen verschwinden.

Insgesamt wurden für die Studie „Artenschutz in Zeiten des Klimawandels“ die Auswirkungen der Klimakrise auf fast 80.000 Tier- und Pflanzenarten in 35 Regionen untersucht, die zu den artenreichsten und ökologisch bedeutsamsten der Welt zählen. Dass dort so viele Arten durch die Erderhitzung vor dem Aus stehen, liegt daran, dass sich die Lebensbedingungen für viele Tiere und Pflanzen zu gravierend und schnell ändern, um sich anpassen zu können.

Ein Elefant braucht täglich bis zu 300 Liter Wasser. Foto: WWF
Ein Elefant braucht täglich bis zu 300 Liter Wasser. Foto: WWF
Und häufig gibt es auch keine passenden Gebiete, in die sie abwandern könnten. Beispiel Afrikanischer Elefant Der Afrikanische Elefant bekommt die Erderhitzung unter anderem am sinkenden Niederschlag zu spüren – für ein Tier, das pro Tag 150 bis 300 Liter Wasser trinkt und entsprechend auf eine verlässliche Wasserverfügbarkeit angewiesen ist, eine bedrohliche Entwicklung. Für die Tiger in den Sundarban-Mangroven Bangladeschs und Indiens würde ein Weiter-so bei der Erderhitzung bedeuten, dass 96 Prozent ihres Verbreitungsgebiets mittel bis langfristig unter dem steigenden Meeresspiegel verschwänden.

„ELEFANTEN TRINKEN PRO TAG 150 BIS 300 LITER WASSER“

Und warum, werden jetzt einige fragen, ist der Verlust der Artenvielfalt überhaupt relevant für den Menschen? Weil die Welt dadurch nicht nur ärmer wird an Genen, Farben, Formen, Geräuschen. Über kurz oder lang geht damit auch der Verlust wichtiger und unbezahlbarer Ökosystemfunktionen wie die Photosynthese oder die Bestäubung von Pflanzen einher.

Wir sind Teil der Artenvielfalt

Außerdem können wir als Teil dieser einzigartigen Artenvielfalt einfach nicht hinnehmen, der Grund für deren Verschwinden zu sein. Wir müssen also dringend die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad begrenzen, um den Biodiversitätsverlust aufzuhalten – der nur einer der vielen Gefahren ist, die die Klimakrise mit sich bringt. Was dafür getan werden muss, schildert Lisa Storcks von der WWF Jugend in ihrem Beitrag zum Thema CO2 & Klimawandel: Kohleausstieg – es ist eine Frage des Wollens

Arnulf Köhncke ist Ökologe und leitet den Bereich Artenschutz beim WWF Deutschland. Er hat in Kambodscha gelebt und sieht eine Herausforderung darin, Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung zu vereinbaren. blog.wwf.de/autoren/arnulf-koehncke

Arnulf Koehncke, Leiter für den Bereich Artenschutz beim WWF: Daniel Seiffert / WWF
Arnulf Koehncke, Leiter für den Bereich Artenschutz beim WWF: Daniel Seiffert / WWF