Angriff als beste Verteidigung

05/09/2019
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Pünktlich zum Jahreswechsel 2018/2019 endete eine Ära: Nach 250 Jahren ist Schicht im Schacht in Saarland und Ruhrgebiet, dann schließen die letzten beiden Zechen Deutschlands. Es ist das sang- und klanglose Ende der Steinkohleindustrie, die in nie da gewesenem Ausmaß für Wohlstand und Fortschritt, aber auch für Krieg und Elend gesorgt hat. Gut 300 Kilometer von den monströsen Fördertürmen der letzten aktiven Zeche in Bottrop entfernt, im Osten Richtung Berlin, liegt ein backsteinerner Riesenkomplex. Unter ungünstigen Umständen könnte er als Symbol für den Niedergang einer weiteren großen deutschen Industrie in die Geschichte eingehen: das in den 1930er-Jahren errichtete Volkswagenwerk in Wolfsburg. Die Ära des Autos, wie wir es heute kennen, sie soll noch im nächsten Jahrzehnt zu ihrem Ende kommen. Anders als die Steinkohleindustrie, die schon vor Jahrzehnten nur noch mit hohen staatlichen Subventionen überlebensfähig war, stemmen sich VW und andere deutsche Autobauer allerdings mit eigener Kraft gegen den Bedeutungsverlust. Der wird nicht mehr nur prognostiziert, er hat bereits begonnen: „Die enorme Stärke der Deutschen, ihre Dominanz bei Verbrennungsmotoren, ist im sich anbahnenden Elektrozeitalter immer weniger wert“, kommentiert Jürgen Pieper, Analyst beim Bankhaus Metzler, im Handelsblatt die jüngsten Gewinneinbrüche bei BMW. Dass die Konzerne zum Handeln gezwungen sind, beweist auch ihr zunehmendes Engagement im Startup-Bereich. Doch was genau bedroht die Autobauer, die so lange die Mobilität der Menschen dominiert haben? Und mit welchen Konzepten wollen sie die Branche, mit deren Schicksal Hunderttausende Arbeitsplätze verbunden sind, fit für die Zukunft machen?

Anzug- und Hoodie-Träger

Angesichts der herausfordernden Zukunftsprognosen und hausgemachter Krisen wie dem Diesel-Skandal sind die deutschen Autobauer, nach Jahren des Zögerns, mittlerweile regelrecht gezwungen, neue Wege zu gehen. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen dabei eigens gegründete Digital- und Startup-Labs (siehe Übersicht auf der vorherigen Seite), die als eine Art Brückenkopf zwischen der traditionellen, konservativen Unternehmenskultur und der kreativen Welt der Programmierer und Hoodie-Träger fungieren sollen. Auch millionenschwere Investitionen in Startups sind keine Seltenheit mehr. Daimler etwa stattete den estonischen Sharing-Dienst „Taxify“ im Frühjahr mit einem 175-Millionen-Dollar-Investment aus. Dem Uber-Konkurrenten soll damit eine Expansion auf den Märkten in Europa und Afrika ermöglicht werden. Außerdem verspricht sich Daimler Synergieeffekte: „Die mobilen Dienste von Daimler haben 22 Millionen Nutzer auf der ganzen Welt und die Dienstleistungen reichen vom kombinierten Verkehr bis zur Fahrgemeinschaft.

Ex-Opel-Chef Karl-Thomas Neumann hat beim Startup Evelozcity angeheuert. Ex-Opel-Chef Karl-Thomas Neumann hat beim Startup Evelozcity angeheuert. Foto: Karl-Thomas Neumann

Investitionen in die Zukunft

Taxify ist eine schnell wachsende Fahrgemeinschaftsplattform mit globalen Ambitionen und wird eine Erweiterung unseres wachsenden Netzwerks von Mobilitätsdiensten sein“, unterstreicht Jörg Lamparter, Leiter im Bereich Mobile & Financial Services bei Daimler. Eine Rekordinvestition im zweistelligen Milliardenbereich plant man unterdessen offenbar bei Volkswagen. Wie Ende Oktober bekannt wurde, wäre Vorstandsvorsitzender Herbert Diess bereit, bis zu zwölf Milliarden Euro für eine Beteiligung an Waymo auszugeben, dem Robotertaxi-Unternehmen im Besitz von Alphabet. Diess fehlt allerdings noch die Unterstützung des Aufsichtsrats. Nach Berichten des Nachrichtenportals Bloomberg hatte der Wolfsburger Konzern dieses Jahr bereits versucht, das auf Robotaxis und autonomes Fahren spezialisierte Silicon-Valley-Unternehmen Aurora zu kaufen – erfolglos allerdings. Aurora will unabhängig bleiben und belässt es bei einer Partnerschaft mit Volkswagen.

Die Automobilbranche braucht vor allem eines: Zukunftsvisionen. Foto: Karl-Thomas Neumann

Am Ende entscheiden die Daten

Dass am Ende Daten die alles entscheidende Währung für die Zukunftstechnologien der Mobilität sind, auch das scheinen die deutschen Autobauer erkannt zu haben. Ein gutes Beispiel dafür ist der im Sommer erstmals organisierte „Blockchained Mobility Hackathon“ in München. Gemeinsam mit der mittlerweile in Berlin ansässigen IOTA-Stiftung, die an der Blockchain-Alternative Tangle arbeitet, traten Volkswagen, BMW und Bosch als Sponsoren der Veranstaltung auf. In einem Interview am Rande des Hackathons äußerte sich Dominik Pietsch von BMW zu dem ungewöhnlichen gemeinschaftlichen Engagement der Großkonzerne: „Die Mobilitätsprobleme in den Städten von heute können nur von allen Playern gemeinsam adressiert werden.“