Startup-Hotspots:

Warum Stuttgart in den kommenden Jahren enorm aufholen dürfte

22/09/2016
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Ja, es gibt inzwischen so etwas wie eine Startup-Kultur in Stuttgart. Vom regelmäßigen Gründergrillen, das inzwischen in seine vierzigste Runde geht, über das erste Gründer-Speed-Dating vor wenigen Wochen bis zu den Fuck-up Nights, Corporate Startup Meetups und Hackathons füllt sich der Kalender inzwischen problemlos mit allen Events, die zu einer lebendigen Szene gehören.

Das war nicht immer so, sondern ist eine Entwicklung der vergangenen fünf Jahre. Denn ein Charakteristikum der stark auf das produzierende Gewerbe, insbesondere der Autoindustrie, ausgerichteten Region ist, dass das Geschäft von Gründern ein ganz anderes, leiseres ist als etwa in Berlin. Startups richten sich häufig an Firmenkunden. Dazu kommen noch ein paar kulturelle Eigenheiten, welche die – auch in Stuttgart selbst durchaus beklagte – fehlende Außenwirkung verstärken. In Schwaben schwätzt man nicht, man schafft. „Die meisten schaffen lieber erst einmal drei Jahre im Keller, bevor sie rauskommen und jemandem von ihrer Idee erzählen“, sagt Kathleen Fritzsche von Accelerate Stuttgart.

Diskret in Geldfragen

Am allerdiskretesten ist der Schwabe, wenn es ums Geld geht, selbst wenn er prinzipiell für Startup-Finanzierungen aufgeschlossen ist. Selbst von erfolgreichen Investments in der Stadt erfahren oft nur Eingeweihte, auch wenn es etwa mit den Business Angels Region Stuttgart (BARS) oder VC-Fonds wie Grazia Equity durchaus potente Investoren gibt, welche aggressiver vorgehen als die gut dotierten traditionellen Fördereinrichtungen.

Dazu kommt noch ein weiterer, historisch bedingter Charakterzug: Im Südwesten dreht – im Gegensatz etwa zum straff regierten Bayern – jeder gern sein eigenes Ding. So gibt es beispielsweise immer noch zwischen dem stärker auf die IT-Branche fixierten (badischen) Karlsruhe und dem (württembergischen) Stuttgart keine enge Vernetzung, obwohl die beiden Städte nur eine Fahrstunde voneinander entfernt liegen. Dieser Hang zum Eigensinn setzt sich auch bei der Förderung von Startups fort. Eine Übersicht für IdeenwerkBW.de erbrachte vor kurzem 84 Institutionen, die sich allein in der Region Stuttgart diesem Thema verschrieben haben. „Das Startup-Ökosystem Stuttgart ist unglaublich fragmentiert“, sagt Martin Allmendinger, selbst Gründer und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Stuttgart-Hohenheim. „Es gibt viele Initiativen, aber wenig Kooperation, es zieht niemand am gleichen Strang.“

Baden-Württemberg ist ein sehr reiches Land – das kann auch ein Nachtteil sein, weil der Druck zur Konsolidierung geringer ist. Dass dennoch seit 2010 eine sich zunehmend stärker vernetzende Szene aufgebaut wurde, ist auch dem hartnäckigen Engagement von einigen Einzelnen zu verdanken. Zu nennen sind hier Johannes Ellenberg und Kathleen Fritzsche, die mit der Organisation des ersten Stuttgarter Startup-Weekends begannen, dann für die diversen (potenten) Förderer im Land verschiedene Startup-Wettbewerbe, etwa den Elevator Pitch Baden-Württemberg organisierten. Ende 2014 stießen sie die Gründung des Vereins Startup Stuttgart an, aus dessen Leitung sie sich inzwischen verabschiedet haben und sich ganz Stuttgarts erstem privaten Accelerator namens Accelerate Stuttgart widmen. Dessen erste fünf Startups sind Mitte April nach Abschluss des sechsmonatigen Programms sozusagen in die freie Wildbahn entlassen worden.

Code_n ist global aktiv

Zu den Pionieren von Startup Stuttgart gehört auch Harald Amelung, der den ersten echten Stuttgarter Coworking Space eröffnet hat – ein Modell, das inzwischen auch an anderen Standorten, etwa bei Coworking Profitable in Stuttgart-Degerloch Schule gemacht hat. Es gibt generell immer mehr Plätze in der Stadt, an denen sich Startups heimisch fühlen können. Neben Accelerate Stuttgart ist der Startup Campus Stuttgart auf dem Gelände der Merz Akademie zu nennen, der sich einer für Stuttgart charakteristischen Aufgabe verschrieben hat: die schwäbisch-zurückhaltenden etablierten Firmen mit der Startup-Kultur vertraut zu machen – und umgekehrt. Hier ist mit Activatr gerade ein Projekt gestartet, das ein Accelerator-Programm für gemischte Teams aus erfahrenen Gründern und kreativen Mitarbeitern aus etablierten Firmen anbietet.

Eine weitere Besonderheit Stuttgarts ist, dass es in Gestalt von Ulrich Dietz, dem Chef des auf Finanzinstitute spezialisierten IT-Dienstleisters GFT Technologies, einen umtriebigen Unternehmer gibt, der kulturell sowohl in der Startup-Welt als auch in der schwäbischen Unternehmerkultur verankert ist. Aus dem vor einigen Jahren auf der Cebit hochgezogenen, globalen Startup-Event Code_n sind jetzt die Code_n Spaces hervorgegangen, ein direkt am Firmensitz untergebrachtes Startup-Zentrum, das zwar in einem Industriegebiet an der Peripherie liegt, dafür mit guter Infrastruktur und Betreuung punkten kann.

Daimler macht den ersten Hackathon 

Immer mehr verlassen auch diverse Innovations-Initiativen die Mauern der Unternehmen. Daimler hat in Stuttgart gerade seinen ersten offenen, sich an Studierende richtenden Hackathon veranstaltet. Auch an den Universitäten tut sich einiges: So macht die Universität Stuttgart-Hohenheim ihre Start-up Garage auf, ein innovatives Lehrformat, bei dem Studierende von der Pike an mit den praktischen Notwendigkeiten des Startup-Daseins vertraut gemacht werden. Die Hochschule der Medien hat inzwischen das Startup Center Generator, das Studierende auf dem Weg zur Gründung begleitet. Die Universität Stuttgart ist – ganz regionaltypisch –mit ihrer Transfer Technologie Initiative (TTI) stärker auf den Hightech-Transfer ausgerichtet.

Große Chancen bei Industrie 4.0

Stuttgart dürfte einer der Startup-Standorte in Deutschland sein, der auch dank Trendthemen wie Industrie 4.0 und dem autonomen Fahren in den kommenden Jahren enorm aufholen wird – denn der schwäbische Mittelstand sei mental dem Startup-Denken näher, als es auf den ersten Blick erscheine, sagt der Stuttgarter Berater Mattias Götz, der mit seiner Agentur Wert8 etablierte Firmen und Gründer zusammenbringt „Schauen sie sich die schlanken Strukturen in inhabergeführten Unternehmen an: Sie haben oft eine Führungsperson, die schnell Entscheidungen fällen kann – ganz wie bei Gründern. Unser Mittelstand schaut auf Innovation und Technologie. Er muss schnell sein. Ganz wie bei einem Startup.“

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