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Beacons als Teil des Marketing-Ökosystems

18/08/2016
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Die Wunderwaffe sieht aus wie ein Wecker. Sie liegt leicht in der Hand, ein Plastikding mit zwei Batterien und einem Chip. Schwer vorstellbar, wie dieser kleine Kasten den stationären Handel retten soll. Michael Kappler sitzt auf einem breiten Ledersofa und dreht sein Produkt nachdenklich in den Händen. Kappler ist Mitgründer und Geschäftsführer des Berliner Startups Beaconinside. Das Unternehmen gehört zu den führenden Anbietern von Beacon-Technologie. Es vertreibt die Bluetooth-Funksender inklusive passender Software an Kunden in mehr als 50 Ländern.

Dazu gehört Ikea Österreich, das seinen Besuchern derzeit Coupons für Gratiskaffee auf die Smartphones sendet. Oder McDonalds in Deutschland, wo Kunden per Push-Nachricht auf lokale Angebote hingewiesen wurden und die angezeigten Rabatte direkt an der Kasse einlösen konnten. Vor zwei Jahren, als der Hype um die neue Technologie besonders groß war, weckten Überschriften wie „Beacons, die neue Wunderwaffe der Werbewirtschaft“ viele Erwartungen. Den kleinen Funksendern, die den Standort eines Smartphones und damit des Kunden ermitteln und mit diesem kommunizieren können, wurde eine große Wirkung zugeschrieben. Mittlerweile hat es die ersten Insolvenzen gegeben, zum Beispiel von Springers Shopnow.

Kappler schaut durch seine dunkel gerahmte Brille und sagt mit ruhiger Stimme: „In der Branche hat sich eine gewisse Ernüchterung eingestellt.“ Es sei viel Wunschdenken von Händlern und Marketingspezialisten im Spiel gewesen. „Viele Szenarien wurden versprochen, die nicht richtig für die Beacon-Technologie geeignet waren.“

Kappler ist für sein Unternehmen dennoch optimistisch. Er will demnächst fünf neue Mitarbeiter einstellen, ein Dutzend Menschen arbeiten bereits für sein Startup. Sie sitzen in den hellen Räumen eines denkmalgeschützten Gewerbehofs im Stadtteil Wedding zwischen roten Backsteinmauern und imposanten Gründerzeitfassaden. Beaconinside setzt auf Wachstum – und das, obwohl derzeit immer häufiger die Frage gestellt wird: Sind Beacons nun die versprochene Revolution des Offline-Geschäfts oder doch ein überflüssiger Hype? Woran liegt es, dass sich Beacons noch nicht wie gewünscht etablieren konnten?

„Szenarien wurden versprochen, die nicht richtig für die Beacon-Technologue geeignet waren.“
michael kappler, Beaconinside

Welche Chancen bietet die Technologie wirklich? Und was sollten Anbieter beachten? Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Die Reichweite ist noch gering

Fakt ist: Der große Durchbruch blieb bislang aus. Eine Umfrage des Instituts für Handelsforschung (IFH) in Köln zeigt, dass deutsche Verbraucher der Beacon-Technologie sehr zurückhaltend gegenüberstehen. „Mit durchschnittlich 4,6 von zehn Punkten sehen sie in Beacons und den damit verbundenen personalisierten Angeboten und Informationen nur einen geringen Nutzen“, schreibt Bettina Seul vom IFH. In Ländern wie Spanien oder den Niederlanden sei das anders. Ihre Erklärung: „Deutsche Konsumenten sind beim Thema Datenschutz sehr sensibel. Dass eine App installiert werden muss, um die Beacon-Technologie nutzen zu können, kann dabei schon eine Hemmschwelle sein.“

Die passende App ist nicht die einzige Hürde. Zudem muss der Konsument Bluetooth eingeschaltet und dem Empfang von Nachrichten zugestimmt haben, um Angebote zu erhalten. Kappler klappt seinen Laptop auf und öffnet eine Präsentation mit ein paar bunten Zahlen. „25 bis 30 Prozent haben momentan Bluetooth permanent aktiviert“, leuchtet auf dem Bildschirm.

Die meisten der rund 45 Millionen Smartphone-Besitzer in Deutschland können also gar nicht erreicht werden. Kappler nickt. „Noch haben Beacons keine unglaubliche Reichweite und sprechen nur eine kleine Nutzergruppe an.“ Das werde sich aber ändern. Durch Drahtloskopfhörer oder Wearables wie Smartwatches würden in Zukunft immer mehr Menschen Bluetooth aktiviert lassen – und dadurch potenziell für Beacon-Nachrichten erreichbar sein. Zudem ziehe die aktivierte Bluetooth-Funktion mittlerweile so gut wie keine Akkukapazität mehr. Kritiker bemängeln aber noch eine Schwachstelle.

„Nicht nur die Kundenreichweite, auch die technische Reichweite der kleinen Funksender ist begrenzt“, schreibt Tim Wiengarten von Rabbit Mobile in einem Beitrag für das Fachportal Location Insider. „Theoretisch liegt diese bei etwa 50 Metern, in der Praxis ist meist bei zehn bis 15 Metern Schluss.“ Das Funksignal sei außerdem störanfällig. Stahlbeton, Sicherheitsglas, andere Funkfrequenzen oder sogar Regen und zu viele Menschen könnten zu Unterbrechungen führen.

Kappler sind die Argumente bekannt. Noch sei das Signal ungenauer als gewünscht, aber auch daran werde gearbeitet. Beacons können bisher also noch nicht erkennen, dass eine Kundin schon seit fünf Minuten vor einer bestimmten Hose steht – und ihr über eine Push-Nachricht einen Rabatt anbieten, um sie zum Kauf zu ermuntern oder ihr ein passendes T-Shirt zu empfehlen.

Bluloc-Beacon von Favendo: Batterie soll bis zu vier Jahre halten. (Foto: Favendo)
Die Händler sind skeptisch

Immerhin habe man ein anderes technisches Problem bereits behoben, sagt Kappler: Die Laufzeit der Beacons sei mittlerweile viel höher, die Batterien hielten mindestens drei Jahre. Händler müssten sich nicht mehr alle paar Monate um die Wartung kümmern. Auch das hatte für Unmut gesorgt. Zudem bestand die Sorge, dass die Kompatibilität zwischen Hardware, Plattform und Device-Betriebssystem nicht gegeben sein könnte. Beaconinside setzt daher auf Rundum-Sorglos-Pakete und kümmert sich auch darum, die entsprechenden Apps Beacon-fähig zu machen. Wichtig sei es, dass die Händler sich um nichts kümmern müssten, außer um die passenden Inhalte.

„NICHT NUR DIE KUNDENREICHWEITE, AUCH DIE TECHNISCHE REICHWEITE DER KLEINEN FUNKSENDER IST BEGRENZT.“
TIM WEINGARTEN, RABBIT MOBILE

Die technischen Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz bessern sich also langsam. Doch wie steht es um die Bereitschaft von Händlern und Verbrauchern? Die Endverbraucher kennen Beacons zwar kaum, aber aufgeschlossen genug sind sie eigentlich. Eine aktuelle Studie der Gelben Seiten über „Location-based Services“ (LBS) ergab, dass die Nutzung kein Early-Adopter-Thema mehr sei, sondern die Realität des mobilen Internets. Das Fazit lautet: Smartphone-Besitzer nehmen LBS auf breiter Basis an. „Die Nutzer sind weiter als die Unternehmen“, sagt Nina Mülhens, Pressesprecherin der Gelben Seiten.

Das sieht auch Jürgen Seitz so, Professor für Marketing, Medien und Digitale Wirtschaft an der Hochschule der Medien (HDM) Stuttgart. „Die meisten Händler finden Beacons suspekt. Sie warten ab, was die großen Player machen, um zu sehen, ob es funktioniert.“ Man müsse den kleinen Händlern den direkten Nutzen für ihr Geschäft aufzeigen – und nicht mit allgemeiner Technik-Euphorie argumentieren, sondern mit konkreten Ideen und Vorschlägen.

Häufigste Gründe gegen die Nutzung standortbezogener Dienste (Grafik: Berlin Valley)

Geofencing als Konkurrenz

In einem Pilotprojekt habe das gut funktioniert. Gemeinsam mit den Gelben Seiten hat die HDM das Projekt „Digitales Durlach“ durchgeführt und an einem verkaufsoffenen Sonntag 50 Geschäfte, Behörden, Museen eingebunden. Wer die App installiert hatte, bekam an den Points of Sale Vergünstigungen, Aktionen und besondere Erlebnisse angeboten – über Push-Nachricht auf das Smartphone. Es gab unter anderem Coupons für einen Kaffee, Einladungen zu einer Lesung im Buchladen oder den Hinweis auf die Sonderausstellung im Stadtmuseum, die beim Vorzeigen der Nachricht kostenlos besucht werden konnte.

Allerdings: Bei dem Projekt kamen nur wenige Beacons zum Einsatz, die meisten Stationen funktionierten über Geofencing. Entsprechend hart ist die These von Professor Seitz: „Wir brauchen Beacons nicht. Sie sind eine überflüssige Hürde. Rund 90 Prozent der Anwendungsfälle lassen sich durch einfache Handy-Ortung durchführen, mit GPS, ohne Bluetooth.“ Auch in der Studie der Gelben Seiten lautet ein Fazit: „Eine erfolgreiche Umsetzung von LBS ist auch ohne flächendeckende Verbreitung von Beacons möglich.“ Sind die vielbeschworenen Wunderwaffen wirklich unnötig?

„Nicht ganz“, schränkt der Professor ein. Seine Vision für Beacons sei die Indoor-Navigation. „Beacons sind die technische Lösung für eine genaue lokale Ortung, hyperlokal sozusagen.“ Das könne im Museum wichtig sein, um zu erkennen, vor welchem Bild der Besucher steht, und ihm die passenden Informationen aufs Smartphone zu senden. Für die Kundenorientierung im Einkaufscenter. Oder unterwegs, um Menschen am Bahnhof bei Verspä- tungen automatisch zum Gleis mit ihrer nächsten Anschlussmöglichkeit zu lotsen.

Beaconinside setzt diese Vision gerade um. Für das niederländische Verkehrsunternehmen Connexxion wurde der öffentliche Nahverkehr mit mehr als 1000 Beacons ausgestattet. Mit der passenden App Stappover – Umsteigen – wird der Fahrgast exakt einem Verkehrsmittel zugeordnet. Wenn es Verspätungen gibt, bekommt er angezeigt, ob er seinen Anschluss schafft. Falls nicht, werden alternative Strecken individuell berechnet. Über die App kann der Kunde seinen Umsteigewunsch angeben. Bei dem Fahrer des anschließenden Ver- kehrsmittels leuchtet dann die Information „Bitte auf Fahrgast warten“ auf seinem Display. „Wir wollen zeigen, dass Beacons für mehr als spamverdächtige Werbepushs nützlich sind“, sagt Kappler. Ein weiteres Projekt ist deshalb Bluebulletin, ein digitaler Lesezirkel. In Cafés, Restaurants, Hotels, die ein Beacon installiert haben, können die Kunden digital und kostenlos Magazine und Zeitungen lesen – ganz ohne Registrierung. Dafür kooperiert das Startup mit dem Axel Springer Verlag.

Viel Spam, wenig Mehrwert

Vielleicht wurden Beacons bisher wirklich zu einseitig gedacht und zum Hilfsmittel für die Schnäppchenjagd degradiert. Branchen-Insider warnen jedenfalls davor, die Nutzer mit Benachrichtigungen zu überschwemmen. Wer will schon neben den Mitteilungen von Facebook, Whatsapp und Email-Programmen auch noch im Einkaufscenter an jedem Geschäft zugespammt werden? Selbst wenn es um Rabatt-Coupons geht, kann das zum Überdruss führen. Ganz zu schweigen von unnötigen Mitteilungen wie „Schau doch mal in unserem Geschäft vorbei“. Unternehmen sollten Beacons wirklich nur dort einsetzen, wo es sinnvoll ist.

Eva Stüber vom IFH sagt: „Entscheidend ist immer, dass der Kundenmehrwert vorhanden ist.“ Die Technik dürfe nicht zum Selbstzweck eingesetzt werden. „Der Kanal kann sehr schnell vom Nutzer abgeschaltet werden, wenn Push-Nachrichten Überhand nehmen“, sagt auch Fried Große-Dunker, Mitgründer von Home eat Home, der Süddeutschen Zeitung. Das Berliner Startup setzte zur Neukundenakquise Beacons ein. Aber nur knapp fünf Prozent der Besucher, die durch Push-Nachrichten über die reichweitenstarke App Barcoo auf Home eat Home aufmerksam gemacht wurden, klickten tatsächlich auf die Werbebotschaft.

„Beacons sind kein Allheilmittel“, sagt sogar Kappler auf dem Ledersofa zwischen den roten Backsteinmauern. „Sie sind eine Technik, um Kunden anzusprechen. Aber auf welche Weise sie mit Leben gefüllt werden, ist Aufgabe des Marketings. Wird da die falsche Wahl getroffen, darf für das Scheitern nicht die Technologie verantwortlich gemacht werden.“

Die Global Player kommen

Nachdem die vergangenen Jahre im Zeichen der Pilotprojekte standen, wird „2016 das Jahr der Entscheidung sein“, sagt Richard Lemke, Geschäftsführer des Startups Favendo, im Fachportal Location Insider. Zu dieser Annahme hat er guten Grund. Der Digital-Vermarkter Ströer will in Kooperation mit Favendo ein flächendeckendes Beacon-Netzwerk in Deutschland aufbauen. Insgesamt 50.000 Beacons sollen noch in diesem Jahr in allen deutschen Großstädten auf Werbeträgern angebracht werden. Das Interesse bei Agenturen und Werbetreibenden sei groß. Man wolle das Internet der Dinge für den Konsumenten erlebbar machen und diese Innovation in die breite Öffentlichkeit tragen, heißt es. „Wir glauben an die Attraktivität von Beacon-Lösungen“, sagt Pressesprecher Marc Sausen.

Zustimmung zu Trends im Bereich Location-Based Services (Grafik: Berlin Valley)
Ähnlich sieht es die Modemarke Esprit. Gemeinsam mit Beaconinside hat der internationale Konzern alle Filialen in Österreich mit insgesamt 150 Beacons ausgestattet. Über die Esprit-App und einen Beacon-Trigger wird eine Omni-Channel-Brücke zwischen Store und E-Shop geschlagen. Dadurch können Konsumenten über die sogenannte Scan&Shop-Funktion nicht im Laden verfügbare Größen einfach über einen Barcode-Scanner online in der richtigen Größe bestellen.

In Deutschland hat Sportscheck in Kooperation mit Barcoo alle Filialen mit Beacons ausgestattet. Jedes Geschäft hat mindestens einen Funksender am Eingang, einen weiteren zentral im Laden. Letzterer soll messen, ob die Ansprache durch das erste Beacon erfolgreich war. Verteilt werden hauptsächlich Online-Gutscheine und Werbung für ein spezielles Sortiment. Sportscheck probiert derzeit verschiedene Kampagnen-Modelle aus. Aktuelle Zahlen gibt es noch nicht. Bei dem Testlauf, der bis April 2015 in Köln, München und Leipzig stattfand, lag die durchschnittliche Öffnungsrate der Push-Nachrichten bei 22 Prozent. 15 Prozent der Menschen besuchten dann tatsächlich den Laden.

Barcoo nutzt übrigens grundsätzlich neben Beacons auch Geofencing, um Kunden zu erreichen. Bei genauer Betrachtung schließen Geofencing, Beacons und NFC-Chips einander gar nicht aus, sondern können sich ergänzen – jede Technik hat ihre eigenen Stärken. Man muss sie nur richtig einsetzen. Chuck Martin von der Mediapost und Autor des Buches „Mobile Influence“, sagt es so: „Beacons sind von gestern“ – zumindest wenn man sie einzeln denkt. Aber im Zusammenspiel mit anderen LBS, wie WLAN und GPS werden sie funktionieren. „Beaconing wird Teil des Marketing-Ökosystems.“ Die Vision für 2016 scheint sich also zu erfüllen: Die Global Player kommen und verankern Beacons im Alltag.

„WIR GLAUBEN AN DIE ATTRAKTIVITÄT VON BEACON-LÖSUNGEN.“
MARC SAUSEN, STRÖER

Dazu dürfte ein besonders großer Player entscheidend beitragen: Google. Im vergangenen Jahr brachte der Konzern Eddystone als Alternative zu Apples iBeacons auf den Markt und löst gleich mehrere der bisherigen Probleme. Die Open-Source-Plattform unterstützt sowohl Android als auch iOS und ist sicherer, denn sie nutzt Ephemeral Identifiers (EID), die häufig wechseln und nur von autorisierten Clients decodiert werden können. Vor allem aber funktionieren die Beacons auch direkt über den Browser, ohne App. Werbeanzeigen oder Informationen können im Web dargestellt werden. Die Nutzer werden also nicht mehr mit Push-Nachrichten befeuert, sondern ziehen sich ihren Mehrwert selbst heraus: Sie bekommen angezeigt, wo es ortsrelevanten Content gibt und greifen auf Wunsch aktiv auf diesen zu.

Die Beacon-Technologien iBeacon und Eddystone im Vergleich (Grafik: Berlin Valley)

Beaconinside hat schon reagiert – die Beacons können sowohl den Push-Standard liefern, als auch für das Pull-Szenario des Physical Webs verwendet werden. Alles in allem könnten die kleinen Funksender also doch bald erfolgreich werden – nicht als Wunderwaffe, aber als einer der Bausteine zur Verknüpfung von On- und Offline-Welt.Keine schöne Vorstellung, auf der Geschäfts- oder Urlaubsreise den Koffer zu verlieren. Samsonite will der Sorge ein Ende machen und Beacons zum Aufspüren des Gepäcks einsetzen. Dabei setzt der Hersteller auf Googles Eddystone-Lösung. Vorteil: Durch die Eddystone-EID kann nicht nur die breite Masse angefunkt werden, sondern einzelne Smartphone-Nutzer, ohne dass Unbefugte Zugriff auf das Signal haben. Die ersten mit der Track&Go-Funktion ausgestatteten Koffer sollen Ende 2016 auf den Markt kommen. Die Beacons „Harald“ kommen vom belgischen Hersteller In the Pocket.

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