Telekom-Chef Tim Höttges:

„Wir brauchen eine andere Fehlerkultur“

09/12/2016
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Herr Höttges, was ist das innovativste Produkt der Telekom?

Tim Höttges: Da fallen mir einige ein. Der Hybrid-Router, der Festnetz und Mobilfunk verbindet. Das Puls-Tablet, ein Android-Gerät, in dem alle Services der Telekom für zuhause integriert sind – der zeitgemäße Ersatz für ein Festnetztelefon. Und Entertain, die komplett neue Content-basierte Fernsehplattform. Für mich ist aber am interessantesten, dass wir im Unternehmen immer mehr künstliche Intelligenz einsetzen, etwa bei der Optimierung unserer Netzes. Oder im Callcenter, hier arbeiten wir mit Eliza, einem Bot, der standardisierte Prozesse sprachbasiert aufbaut und bei dem man gar nicht mehr merkt, dass man mit einer Maschine spricht. Ein sehr spannendes Big-Data-Projekt ist Palantir, bei dem wir versuchen, den gesamten Planungs- und Finanzbudgetierungsprozess dank künstlicher Intelligenz in Zukunft besser vorherzusehen.

Wo entstehen die Innovationen?

Tim Höttges: Wir bekommen momentan sehr viel Input von außen über unsere Partnerschaften in der ganzen Welt. Dafür bin ich viel unterwegs: Im Silicon Valley, in Israel und in Fernost, um die jeweiligen Ökosysteme zu verstehen. Auch unsere Venture Capital Organisation ist weltweit verankert. Wir sind überall auf Messen vertreten. Dadurch kommen viele Ideen ins Unternehmen. Bei einigen denkt man ,vollkommener Quatsch‘ und bei anderen: ,Probier’s mal aus‘. Trotz allen guten Inputs von außen glaube ich, dass die Veränderungsbereitschaft vor allem aus dem Unternehmen selbst kommt.

„Wir fragen uns bei der Telekom:
Wie bekommen wir mehr grüne Elemente in die blaue Welt?“

Wie fördern Sie, dass auch verrückte Ideen geäußert werden?

Tim Höttges: Die größte unternehmerische Herausforderung für erfolgreiche Unternehmen ist eine Antwort auf die Frage zu finden, wie man die nächste Welle der Innovation schafft?. Auch bei Hightech-Unternehmen fangen Menschen auf einmal an, das erfolgreiche Geschäftsmodell zu schützen und das Neue nicht mehr zuzulassen. Die Professoren der Stanford University unterscheiden zwischen der blauen Welt, das ist die alte, erfolgreiche Welt, wo mit etablierten Geschäftsmodellen viel Geld verdient wird. Und den grünen Welten, das sind die Innovationswelten, die disruptiv sind zu der bestehenden Struktur. Wir fragen uns bei der Telekom: Wie bekommen wir mehr – wenn Sie so wollen – grüne Elemente in die blaue Welt? Das geht nur, wenn die alte Welt das will. Aber diese blaue Welt ist darauf trainiert, die bestehende Welt immer besser zu machen. Damit allein schaffen Sie aber keine grundlegenden Innovationen. Das zu ändern, daran arbeiten wir. Deshalb haben wir zum Beispiel für alle Führungskräfte die Zielesystematik geändert: Früher haben wir gefragt, was der einzelne Manager tun muss, um erfolgreich zu sein. Heute geht es daneben auch darum, wie er seine Ziele erreicht.

Fordert Innovation ein: Timotheus Höttges, seit Anfang 2014 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG (Foto: Jann Venherm)

Was müssen die Manager tun?

Tim Höttges:Wir haben drei Führungsprinzipien eingeführt: innovate, collaborate, empower to perform. Jeder Manager muss sich im Rahmen von 360-Grad-Feedbacks von Mitarbeitern und anderen Managern bewerten lassen: ‚Wie offen bist du bei der Zusammenarbeit mit anderen?‘, lautet beispielsweise eine der Fragen. Ich bin zutiefst überzeugt, Innovation entsteht nur dann, wenn diejenigen, die die große Maschinerie antreiben, Innovation wirklich permanent einfordern. Jeder in seinem Bereich kann sich kontinuierlich fragen: ‚Was tue ich, um mein Geschäft zu verändern?‘ Wenn dieser Mechanismus in den Köpfen der Menschen verankert ist, dann entsteht ein Pull-Effekt, eine starke Nachfrage nach Innovationen.

Und das dritte Prinzip?

Tim Höttges:Empower to perform. In der neuen Welt besteht die Rolle des Chefs nicht mehr nur darin zu kontrollieren. Man muss den Leuten auch Freiräume geben, um ihre eigenen Ideen zu verwirklichen.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwer, weil er eine Idee hatte, die gescheitert ist, seinen Arbeitsplatz verloren hat“

Wie gehen Sie bei der Telekom mit Fehlern um?

Tim Höttges:Wir brauchen bei der Telekom eine andere Fehlerkultur. Das heißt nicht, dass wir applaudieren, wenn etwas nicht funktioniert hat. Aber es darf keine Angst geben, Fehler zu machen. Wenn etwas schiefgeht, muss sauber aufgearbeitet werden, was schiefgegangen ist und was wir für den nächsten Fall daraus lernen können. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendwer in der Führungsmannschaft, weil er eine innovative Idee hatte, die gescheitert ist, seinen Arbeitsplatz verloren hat. Und verbunden damit ist eine Widerspruchskultur. Chefs müssen aushalten können, dass Mitarbeiter Nein sagen und andere Lösungen anbieten.

Wie viel grüne Welt steckt in der Telekom?

Tim Höttges: Die Deutsche Telekom ist und wird kein Startup-Unternehmen. Das wollen wir auch nicht. Wir haben eine eigene Identität, auf die wir stolz sind, und auf der entwickeln wir uns weiter. Für mich ist wichtig, dass wir dort, wo wir mit etablierten Geschäftsmodellen gutes Geld verdienen, dennoch Innovation einfordern. Jeder kann in seinem Bereich sein Geschäft neu erfinden und verändern. Eine Buchhaltung kann das mit modernen ERP-Systemen und Digitalisierung. Ist eine Kommunikationsabteilung heute noch dazu da zu kontrollieren, ist sie der Flaschenhals, der Pressemitteilungen freigibt oder befähigt oder ermutigt sie Mitarbeiter, im Sinne des Unternehmens in ihren Communities zu kommunizieren? Das sind sehr grundlegende Fragen, mit denen wir uns beschäftigen.

Wie setzen Sie das um?

Tim Höttges: Ich lerne ständig dazu und bilde mich weiter, unter anderem an der Stanford University. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Silicon Valley beschäftigt und ich ermutige auch meine Kollegen, das zu tun. Letzten Sommer sind wir mit 60 Top-Führungskräften hinübergeflogen und haben zugehört und gelernt. Diese Leute vermitteln ihre neu gewonnenen Kenntnisse an ihre Kollegen in Deutschland – unter anderem durch ihre Blogs aus dem Valley in unserem Enterprise Social Network, auf dem mittlerweile 120.000 Mitarbeiter registriert sind. So setzen sie einen Prozess der Veränderung in Gang. Wir bieten Kurse an, wir machen Vortragsreihen, wir probieren neue Formate aus: An unserem MOOC (Massive Open Online Course) in diesem Frühjahr haben mehrere 1000 Mitarbeiter teilgenommen. Design Thinking ist heute bei der Telekom kein Fremdwort mehr.

Und was kommt dabei heraus?

Tim Höttges:Bleiben wir bei Design Thinking: Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass das eine derartige Resonanz im Unternehmen findet. Wir waren noch nicht zurück in Bonn, da hatten sich schon die ersten Communities gegründet. Es gibt jetzt eine Gruppe von Mitarbeitern, die anderen Teams helfen, die Tools und Skills für Design Thinking zu lernen. In der Produktentwicklung, im Personalbereich, in der Kommunikation – in allen Bereichen etablieren sich zunehmend neue Denkweisen.

„Das hätte es vor zehn Jahren so nicht gegeben, dass sich jemand aus dem Vorstand mit den Programmierern hinsetzt und sagt: ,Erklärt mir mal, wie das funktioniert‘“

Reichen dafür zehn Tage in Stanford?

Tim Höttges:Wir suchen Inspiration und Ansatzpunkte, wie wir unsere Arbeit besser machen können: Wir haben die Vorstandssitzung verkürzt, um anschließend einen MOOC zu machen, Kurse über künstliche Intelligenz und Ambidextrie – das ist das Thema mit der blauen und der grünen Welt. Neulich erzählte mir unser Finanzchef Thomas Dannenfeldt beim Mittagessen, dass er in einer selbstorganisierten Gruppe Programmieren lernt. Das hätte es vor zehn Jahren bei der Telekom so nicht gegeben, dass sich jemand aus dem Vorstand mit den Programmierern hinsetzt und sagt: ‚Erklärt mir mal wie das funktioniert.‘

Welche Rolle spielt das T-Lab dabei?

Tim Höttges: Fast alle Innovationen, die wir momentan in unseren Betrieben einsetzen, kommen über die T-Labs. Die Labs probieren Ideen aus und versuchen, sie zu skalieren. Und wenn sie skalierbar sind, dann werden sie eingeführt, zum Beispiel unsere Kommu- nikationsplattform Immmr.

Der Hubraum in Berlin: Hier sitzen Startups und hier ist auch die Innovation Arena der Telekom. (Foto: Deutsche Telekom AG)

Warum starten Sie mit Immmr in der Slowakei?

Tim Höttges: Wir betreiben Netze in zwölf europäischen Ländern. Und bevor wir in einen großen Markt wie Deutschland gehen, wollen wir wissen, wie die Qualität und die Nutzung ist. Stichwort Design Thinking: Wir legen nicht alle Funktionalitäten von Anfang an fest, sondern wir lernen, welche Funktionalitäten wir perspektivisch brauchen. Wir bekommen sehr schnell Feedback von den Kunden. Wir fangen in der Slowakei an und dann skalieren wir das Thema.

Eine typische Startup-Herangehensweise. Sie haben aber vorher bereits zwei Jahre an dem Produkt gearbeitet. Das ist nicht Startup, sondern Corporate.

Tim Höttges: Sehe ich anders: Ich kenne Startups in Berlin, die seit sechs, sieben Jahren an ihrem Geschäftsmodell arbeiten, die Finanzierung steht, aber sie haben noch kein einziges Produkt herausgebracht. Und dabei handelt es sich um sehr, sehr erfolgreiche Gründer. Ich finde nicht, dass Geschwindigkeit per se ein Qualitätsmerkmal ist.

Nein, aber ich habe viele Produkte der Telekom erlebt, die sehr lange entwickelt wurden und dann wollte sie keiner.

Tim Höttges: Scheitern macht nie Spaß. Egal ob Sie ein Startup oder die Deutsche Telekom sind. Auch andere scheitern, das kriegen Sie gar nicht mit. Wenn die Telekom etwas macht und das nicht am Markt reüssiert, dann stellen Sie die Nachfrage. Vielleicht ist auch das ein Grund, dass wir mehr Angst vorm Scheitern haben als vielleicht ein kleiner Entwickler. Aber das, was wir den Startups zugestehen, sollten wir auch der Telekom zugestehen: Scheitern ist erlaubt.

„Der Dialog mit den Startups hilft uns, besser zu verstehen, wo wir uns ändern müssen, wo wir besser werden müssen“

Welche Rolle spielen Partner und Startups im Innovationsprozess der Telekom?

Partnerschaften sind für uns strategischer Imperativ! Der Dialog mit den Startups hilft uns, besser zu verstehen, wo wir uns ändern müssen, wo wir besser werden müssen. Die uneingeschränkte Fokussierung auf den Kundennutzen, ist zum Beispiel etwas, was wir uns von Startups abschauen können. Es wäre ein Trugschluss zu sagen: Die Telekom macht 72 Milliarden Euro Umsatz, also hat ein Startup mit 100 Millionen Funding – und das ist ja schon ein erfolgreiches – für uns keine Relevanz. Den Fehler hat die Industrie in der Vergangenheit gemacht und schmerzhafte Lehren ziehen müssen: Nehmen Sie Whatsapp. Das Unternehmen hat ein paar 100 Mitarbeiter und eine zugegebenermaßen ziemlich perfekte Plattform. Überheblichkeit hat die Industrie Milliarden gekostet.

Das ist der Kampf der grünen gegen die blaue Welt?

Tim Höttges: Exakt. Den haben wir dauerhaft. Das ist die größte unternehmerische Fragestellung, die jede Industrie hat. Welche Bedeutung spielen für uns die Partner? Erstens: Die Innovation ist der Schmierstoff für das etablierte Geschäft. Wenn wir keine Innovation haben, haben wir keine Zukunft. Das gilt für jede Industrie. Wenn sich das erfolgreiche Modell immer nur wiederholt, wird der Kunde irgendwann sagen: ,Wo ist eigentlich die Zukunft in diesem Unternehmen?‘ Und deswegen sind Startups für uns extrem wichtig. Das Zweite ist, wir machen Startups von innen, aber wir brauchen die Dynamik und die Kraft von außen. Wir brauchen das Ökosystem, wir müssen als verlässlicher Partner gesehen werden, der eine Win-Win-Situation kreiert. Unser Anspruch ist zum Beispiel, standardisierte Schnittstellen zu haben. Das sind zum Beispiel Abrechnungs- oder Authentifizierungsmöglichkeiten. Weil wir hier standardisiert haben, können wir schneller mit Startups kooperieren. In sechs Wochen sind sie bei uns im Ökosystem drin.

Wo ist der Eingang zu Ihrem Ökosystem?

Tim Höttges:Der Eingang ist das Partnermanagement. Wir haben eine große Partnerorganisation mit Büros in Palo Alto, Tel Aviv, Berlin und Osteuropa.

Welche Rolle spielt der Hubraum in Ihrer Strategie?

Tim Höttges: Wir haben alle Phasen der Wertschöpfung von Innovation besetzt. Der Hubraum ist Early Stage. Es gibt ihn übrigens nicht nur in Berlin, sondern auch in Tel Aviv und Krakau. Er hilft uns, Unternehmen in der Frühphase zu unterstützen: mit Seed-Finan- zierung, Experten-Know-how und Zugriff auf die Infrastruktur der Telekom, um ihre Services auszuprobieren. Da ist noch nicht sicher, ob das jemals ein Unternehmen wird.

Das Telekom Creation Center (Foto: Deutsche Telekom AG)

Peter Borchers, der Gründer, hat den Hubraum gerade verlassen. Wie geht es weiter?

Tim Höttges: Ich finde es völlig normal, dass es in dieser Szene Wechsel gibt. Peter Borchers hat das super gemacht. Von daher wundert es nicht, dass andere auf ihn aufmerksam werden. Er war fast 20 Jahre bei der Telekom und hat ein tolles Angebot von der Allianz bekommen. Was Vergleichbares hätten wir ihm aktuell nicht bieten können. Ein Nachfolger ist momentan in der Auswahl, aber noch nicht spruchreif.

Was ist die strategische Ausrichtung von DT Capital Partners?

Tim Höttges: Es ist der größte Venture-Capital-Fonds, den es momentan in der Industrie gibt: DT Capital Partners in Hamburg hat zwei Milliarden Euro unter Management. Die Investments dort folgen zu einem viel späteren Zeitpunkt als beim Hubraum.

Siemens hat Next47. Die waren bei Ihnen und haben abgeguckt?

Tim Höttges:Jedes große Unternehmen hat heutzutage einen Venture-Fonds. Unser Venture-Arm gehört aber zu 51 Prozent dem Management und nur zu 49 Prozent der Deutschen Telekom. Wir finanzieren einen Teil des Fonds, aber das Management muss sein persönliches Geld mitinvestieren. Jede Investition ist mit einem persönlichem Commitment verbunden. Wir haben die gleichen finanziellen Anreize wie Sequoia, Andreessen Horowitz, Accel oder Softbank. Und dadurch haben wir nicht mehr die Gefahr, dass ein Corporate Corporate-Geld ausgibt, sondern es geht hier um eine hohe, unternehmerische Leistung bei der persönliches Kapital involviert ist. Und das ist eine ganz andere Qualität.

Wie steuern Sie das?

Tim Höttges:Bis zu 75 Millionen Euro kann DT Capital Partners allein investieren, darüber muss es in den Vorstand, respektive den Aufsichtsrat der Telekom.

„Unser großes Vorbild ist Softbank, mit dem wahrscheinlich erfolgreichsten Corporate Venture, das es bisher in der Welt gibt“

Was waren die entscheidenden Investments der letzten Zeit?

Tim Höttges:Der Start der DT Capital Partners war sehr gut, deutlich besser als erwartet. Die Firma ist für die nächsten drei Jahre finanziert, komplett. Es gab zwei große Exits: Nexmo, eine Plattform für Messaging-Service, und Replay Technology, eine israelische Firma, die eine dreidimensionale Videotechnik entwickelt hat. Hier wird ein sehr aktives Portfoliomanagement betrieben. Unser großes Vorbild ist Softbank, mit dem wahrscheinlich erfolgreichsten Corporate Venture, das es bisher in der Welt gibt.

Höttges: „Firmen, an denen wir uns beteiligen, sollten innerhalb der Telekom eingesetzt werden.“ (Foto: Jann Venherm)

Der Fonds agiert unabhängig. Werden die strategischen Investitionen dann in einer anderen Abteilungen der Telekom gemacht?

Tim Höttges: Nein, DT Capital Partners hat Wachstumskapital für einen Fokusbereich im Medien-, Technologie- und Telekommunikationssektor, der sich an unserem Geschäftszweck und unseren Interessen ausrichtet. Natürlich ist es ideal, wenn eine Firma, an der wir uns beteiligen, innerhalb der Telekom eingesetzt beziehungsweise über uns vermarktet wird.

Gibt es dafür Beispiele?

Tim Höttges: Ja klar! Nexmo ist ein gutes Beispiel. Wir haben 2015 investiert und 2016 mit Gewinn an Vonage verkauft. Gleichzeitig macht das Unternehmen weiter Geschäft mit der Telekom. Die Telekom hat durch den Erlös und die Innovationskraft profitiert. Umgekehrt war es gut für das Unternehmen mit uns einen starken Partner an seiner Seite zu haben, der den Verkauf unterstützt hat – und für ihren Umsatz war und ist die Zusammenarbeit mit uns auch nicht schlecht.

„Wir brauchen diese dritte Dimension der kleinen agilen Unternehmen, die Regeln fundamental infrage stellen“

In Deutschland funktionieren Exits und Partnerschaften noch nicht optimal. Wie kann man diesen Teil stärken?

Tim Höttges: Das Ökosystem ist ja kein Selbstzweck, sondern Ergebnis. Und die Deutsche Telekom tut etwas, um für ihre Kunden innovative Dienste anbieten zu können, um Wettbewerbsvorteile, Differenzierungsvorteile zu realisieren. Unsere Innovationsleistung ist nur mit Startups möglich. Wir können uns nicht allein auf unsere eigene Kraft und die großen Ausrüster verlassen, sondern wir brauchen diese dritte Dimension der kleinen agilen Unternehmen, die Regeln fundamental infrage stellen. Die Telekom tut das für ihren unternehmerischen Erfolg. Wir wollen unseren Kunden nützliche Produkte anbieten und natürlich wollen wir auch Geld verdienen

Es ist aber ein Standortfaktor. Auch die Telekom lebt in dem Ökosystem.

Tim Höttges:Ich bin zutiefst überzeugter Europäer. Und ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Wohlstand der Generation unserer Kindern von der Digitalisierung abhängen wird. Wenn wir in Europa nicht die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, dann werden wir zur Kolonie. Zur Datenkolonie von amerikanischen und asiatischen Unternehmen. Die Raffinerie, die Veredelung der Daten findet dann außerhalb von Europa statt und damit auch die Wertschöpfung. Wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen – das ist ein politischer Appell. Europa ist überreguliert. Wir können nicht für jedes Anwendungsszenario die Gesetze vorher antizipieren, definieren, europäisch standardisie- ren und dann hoffen, dass die Unternehmer sich da entsprechend draufsetzen. Wir brauchen mehr Freiheiten, auch für die Startups, gerade in dem Bereich von Analytics und Machine Learning, um die Kraft dieser Innovationsleistung hier zu realisieren.

Tim Höttges im Gespräch mit Berlin-Valley-Chefredakteurin Corinna Visser (Foto: Jann Venherm)

Amazon plant hierzulande ein TV-Angebot mit Internetzugang. Hat Amazon sich schon bei Ihnen gemeldet, um die Netzleistung einzukaufen?

Tim Höttges: Wir haben exzellente Beziehungen zu Amazon und ich finde Amazon ist eines der eindrucksvollsten Unternehmen in der Digitalisierungsindustrie – siehe Echo und die Kompetenz, ein sprachbasiertes Portal aufzubauen. Die Kundenorientierung, die hinter jedem Angebot steckt und diese enorme Kostendisziplin ist beeindruckend. Wir sind in dem Ökosystem – auch der großen Digitalisierer – jemand, mit dem man gerne spricht. Von daher sind wir auch ständig im Gespräch mit Amazon. Was das TV-Produkt angeht, da kenn ich auch nur die Spekulationen aus der Zeitung.

Wenn ich Startups frage, wo sie ihre Produkte hosten, antworten fast alle: in der Amazon-Cloud. Ärgert Sie das nicht?

Tim Höttges:Nein. Erstens ist die Amazon-Cloud ein sehr gutes Produkt und mit Abstand weltweiter Marktführer. Aber wir können es besser und wir können es sicherer. Bei unserem Open-Telekom-Cloud-Produkt, das wir jetzt bauen, werden die Daten immer hier in Deutschland gehostet. Wir arbeiten daran, die gleiche Funktionalität, Skalierbarkeit und Applikationen anzubieten. Und wir können das Produkt günstiger als der Marktführer anbieten. Wir glauben, dass wir zusammen mit unserem Partner Huawei perspektivisch einen Teil des Kuchens abbekommen. Es kann nicht nur einen geben. Wettbewerb tut auch Amazon gut.

Was ist noch gut für den Wettbewerb?

Tim Höttges:Ich hoffe, dass wir politische Rahmenbedingungen haben werden, die noch mehr Kraft von allen Beteiligten in dem Ökosystem freisetzen werden. Ich sehe viele gute Entwicklungen. Die Idee der Startup-Finanzierung halte ich für einen richtigen Schritt. Dass man Verlustvorträge weiter nutzen kann, auch wenn ein Unternehmen gescheitert ist, kommt jetzt hoffentlich. Wir haben eine Datenschutzgrundverordnung, die zumindest die Rahmenbedingungen regelt, unter denen wir Big Data machen für die 28 Länder in Europa. Die möglichst einheitliche Ratifizierung und die Umsetzung müssen jetzt noch erfolgen. Es passiert etwas. Und wir sind auf dem Weg. Aber es muss natürlich noch schneller gehen. Wenn es uns gelingen würde, die Telekommunikationsmärkte zu deregulieren und wirklichen Infrastrukturwettbewerb zu schaffen, ohne regulierten Wettbewerb wäre das der größtmögliche Innovationstreiber.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

Timotheus Höttges

ist seit Januar 2014 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG. Im Konzernvorstand sitzt er bereits seit 2009, wobei er zuvor das Ressort Finanzen und Controlling verantwortete. Zur Telekom kam der 54-Jährige im Jahr 2000 als Geschäftsführer der Mobilfunktochter T-Mobile. Höttges hat in Köln Betiebswirtschaftslehre studiert

DEUTSCHE TELEKOM AG

NAME:Deutsche Telekom AG
GRÜNDUNG: 1995
GRÜNDERIN: Bundesrepublik Deutschland
MITARBEITER: 225.243 (Dezember 2015)
STANDORT: Bonn
SERVICE: Die Deutsche Telekom ist in mehr als 50 Ländern weltweit vertreten mit aktuell rund 156 Millionen Mobilfunkkunden sowie 29 Millionen Festnetz- und mehr als 18 Millionen Breitbandanschlüssen.