Geld, Medien und Mode:

So tickt die Startup-Stadt New York

29/11/2016
header image

Jede Stadt hat ihre eigene DNA. Aus Sicht der Startup-Szene entwickeln sich Städte immer mehr zu Plattformen. Die richtige Wahl des Standortes und des damit verbundenen Umfelds kann über Erfolg und Misserfolg eines Unternehmens entscheiden. Das Team unseres Schwester-Magazins the Hundert verbrachte im Spätsommer 2016 acht Wochen in New York, um the Hundert New York zu produzieren.

Es war eine heiße Phase für New York, nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen. Der Präsidentschafts-Wahlkampf tobte und ein Bombenanschlag erschütterte Chelsea. Die New York Fashion Week sorgte für Glamour, Kevin Spacey investierte in Frame.io und Bill Murray mixte Cocktails in der Kneipe seines Sohns. Zeitgleich wurde im Guggenheim-Museum ein goldenes Klo ausgestellt. Kurzum: Die Stadt präsentierte sich so bunt, wie es die 170 hier gesprochenen Sprachen vermuten lassen.

Anything Goes

New York gilt als Welthauptstadt des Kapitals und gehört außerdem zur Weltspitze der informationsbasierten und Consumer-basierten Industrien. Zahlreiche Weltmarktführer in den Bereichen Finanzservices, Werbung, Marketing, Immobilien, Publishing, Entertainment, Einzelhandel, Mode und Design haben hier ihren Sitz. Die Liste ließe sich lange fortführen. Diese enorme thematische Bandbreite der Industrien bietet den Nährboden für eine extrem breite Startup-Szene, die ihren Markt quasi direkt vor der Haustür findet. „Insgesamt ist es eine sehr diversifizierte Szene, gekennzeichnet von extremer Offenheit – und freundlichen Leuten“, sagt Christian Busch, Geschäftsführer des German Accelerator. Auch David Aronoff, Partner bei Flybridge Capital Partners, beobachtet in der New Yorker Szene deutlich weniger Ellbogen-Mentalität als anderenorts: „Es gibt mehr als 350 verschiedene Meetup-Gruppen mit zigtausend Mitgliedern in New York, was ein Zeichen für eine gute Community ist.“

„BIS 2008 GAB ES HIER NUR EINE HANDVOLL STARTUPS“

(MATT TURCK, Partner bei Firstmark Capital)

Die besten und hungrigsten Menschen der Welt zieht es nach New York. Das war nicht immer so, besonders nicht in der Startup-Szene. Das Platzen der Tech-Blase im Jahr 2000 war ein tiefer Einschnitt für das Ökosystem. Vor dem Crash gab es in New York einige florierende Adtech-Unternehmen (etwa Doubleclick, 24/7 Real Media und Linkshare), Media-Unternehmen (etwa About.com, iVillage, Theknot), Online-Recruiter (etwa Dice, Hotjobs) und Fintech-Firmen (etwa Datek, Multex). Matt Turck, Partner bei Firstmark Capital, erinnert sich: „In den späten 1990ern gab es hier sehr viel Enthusiasmus. Dann ist das alles plötzlich zusammengebrochen, um sich dann Mitte der Nullerjahre langsam wieder zu berappeln. Bis ins Jahr 2008 gab es hier nur eine Handvoll Startups. Dafür gab es in den letzten Jahren eine Art Explosion. Es war sehr faszinierend, diese Entwicklungen zu beobachten.“

Einer der Gründe für diese Entwicklung war der Boom an gründerfreundlichen Investoren. Auf der anderen Seite beschlossen plötzlich einige aufregende Startups, in New York zu bleiben, nachdem sie gekauft wurden. Üblich war es bis dahin, dass Unternehmen aus New York nach der Akquisition durch ein Westküsten-Unternehmen auch an die Westküste umgezogen sind, was zu einer konstanten Abwanderung von Kapital und Talent geführt hatte. David Aronoff spricht in diesem Zusammenhang auch vom Doubleclick-Effekt. Das New Yorker Adtech-Unternehmen Doubleclick wurde im Jahr 2005 für 1,1 Milliarden Dollar an Hellman & Friedman verkauft und anschließend, im Jahr 2007, für 3,1 Milliarden Dollar an Google.

Bürgermeister bis 2013: Michael Bloomberg hat viel für die Tech-Szene getan. (Foto: Center for American Progress/flickr)

Der Doubleclick-Effekt

Doubleclick hat die mit Abstand meisten CEOs, Gründer und Business Angels in New York hervorgebracht. Allein ungefähr 35 Startup-CEOs kommen von dort. Hier ist vor allem Kevin Ryan zu nennen, den Forbes 2013 als „Godfather of NYC Tech“ bezeichnete. Gemeinsam mit seinem Partner Dwight Merriman hat der frühere CTO von Doubleclick bei vielen heißen New Yorker Themen seine Finger im Spiel und hat unter anderem Gilt Groupe, Business Insider, 10gen und Zola Registry gegründet. Sein aktuelles Startup MongoDB gehört erneut zu den heißesten Unternehmen der New Yorker Gegenwart. Natürlich zogen auch andere Exits Wohlstand und Gründungen mit sich: Allein in den Jahren 2012, 2013 gab es drei Mega-Exits in New York: Die Recruiting-Plattform Indeed, die Reisesuchmaschine Kayak sowie das Social Network Tumblr wurden jeweils für mehr als eine Milliarde Dollar gekauft. Doch der Doubleclick-Exit hatte nach allgemeiner Auffassung die größten Auswirkungen.

Beflügelt wurde der Aufschwung der Startup-Szene durch den früheren Bürgermeister Michael Bloomberg (2001 bis 2013), der als wirtschaftsnah und techaffin galt. Auch die stetig sinkenden Setup-Kosten und Einstiegsbarrieren für Tech-Gründungen sorgten für eine neue Gründungswelle. Plötzlich konnten selbst nicht-technikaffine Gründer eine Firma mit Technologiefokus starten. Kreative Hipster mit Ideen, hochbegabte Hochschulabsolventen sowie Industrie-Veteranen ließen sich an, die unterschiedlichsten Industrien auf den Kopf zu stellen.

Die Kunden vor der Haustür

In diesem Zusammenhang konnte New York auch die Stärke seiner ansässigen Industrien ausspielen. Gründer aus Berlin wissen, wie schwierig sich die Wachstumsphase gestaltet, wenn die eigene Stadt kein Kundenpotenzial bietet. In New York ist das Gegenteil der Fall: Die Präsenz vieler Schlüsselkunden ist ein immenser Standortvorteil für das digitale Ökosystem von New York. Fast alle wichtigen Medienfirmen (zum Beispiel Hearst, 21st Century Fox, Viacom, CBS, News Corp, Advance Publications, Time Warner) haben ihren Hauptsitz in New York. Das Gleiche gilt für die Fashion-Industrie: Bloomingdale’s, Macy’s, Coach, Ann Taylor und zahlreiche andere globale Modeunternehmen haben ihre Zentrale in New York.

Der aktuelle Bürgermeister Bill de Blasio, den viele als deutlich weniger businessorientiert sehen als seinen Vorgänger, sieht folglich den Grund des schnellen Wachstums in New York vor allem in den sogenannten Hyphen-Tech-Firmen, also Startups, die sich um die großen Industrien ansiedeln: Fintech, Fashiontech, Mediatech und andere. Aber auch 3D-Printing ist mit circa einem Dutzend Firmen inzwischen ein sichtbares Segment, oftmals beheimatet in einem der unzähligen New Yorker Makerspaces. Schließlich haben auch der Foodtech- und der Immobilien-Sektor in den vergangenen Jahren eine Flut neuer Startups hervorgebracht.

Median-Bewertung von Early- und Late-Stage-Startups in Millionen Dollar, inflationsbereinigt. Innovations-Regionen in den USA 2013, 2014 und erstes Halbjahr 2015 (Quelle: SVCIP Partners/Pitchbook Data, Inc., Juli 2015)

Der aktuelle Compass Startup Ecosystem Report sieht New York weltweit auf Platz zwei (hinter dem Silicon Valley). Innerhalb der USA folgen nach New York die Startup-Ökosysteme von Los Angeles, Boston und Chicago. Für Matt Turck ist das keine Überraschung: „Das New Yorker Ökosystem ist breiter und tiefer geworden. New York hat sich von der Monokultur aus Medien und Adtech in den späten 1990er-Jahren emanzipiert.“ In den Jahren 2005 bis 2008 seien zahlreiche Unternehmen im Commerce-Umfeld entstanden oder soziale Unternehmen wie Foursquare, Tumblr, Delicious. Und seit 2011 gebe es eine dritte Generation an Unternehmen in verschiedensten Segmenten wie Fintech, Healthtech, Immobilientech und andere, während Commerce ebenfalls immer größer wurde. „Diese Entwicklungen machen das Ökosystem breiter“, sagt Turck. „Tiefer ist das Ökosystem geworden, weil es nun ein darunter liegendes Layer gibt, das all diese vertikalen Aktivitäten unterstützt. Besonders auffallend ist hierbei die Entstehung der Deep-Tech-Firmen in den letzten drei oder vier Jahren, zum Beispiel Unternehmen wie MongoDB oder Cockroach.“

„DIE STADT IST WIE EIN BRENNSTOFF FÜR REBELLEN, KREATIVE UND FREIDENKER“

(BILL DE BLASIO, Bürgermeister von New York)

Hinzu kommt ein neuer Trend: Unternehmen aus dem Silicon Valley eröffnen Büros in New York – und nicht nur für Sales. Sowohl Google als auch Facebook betreiben ihre Headquarters für künstliche Intelligenz in New York. Der Nebeneffekt ist sichtbar: Seit Jahren steigt die Zahl der Unternehmen aus dem Feld der Künstlichen Intelligenz. Auch Twitter, Amazon und Ebay unterhalten Büros in New York und ziehen verstärkt nationales und internationales Tech-Talent an.

Auch den ehemaligen Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat es nach New York verschlagen. Mit seinem Investment-Vehikel Spitzberg Partners hat er die hiesige Startupszene im Blick und einen guten Vergleich zu Deutschland: „Ich glaube, dass die Gründungswelle immer noch in einer stabilen Aufwärtskurve ist und sich auch relativ resistent gezeigt hat gegenüber globalen wirtschaftlichen Spannungen.“ Bürgermeister de Blasio drückt sich weniger gewählt aus und bezeichnet New York ganz einfach als „beste Stadt der Welt“. Und auch der Startup-Szene prophezeit er eine große Zukunft, da „die Digitalisierung der informationsbasierten New Yorker Industrien gerade erst begonnen hat“.

Bunter als das Silicon Valley

Natürlich muss sich die New Yorker Tech-Industrie den permanenten Vergleich mit dem großen Vorbild Silicon Valley gefallen lassen. Doch New York hat sich erfolgreich abgenabelt und zu einem eigenständigen und vollwertigen Ökosystem entwickelt – oder ist zumindest auf dem besten Weg dahin.
 18,9 Millionen Einwohner machen Greater New York zu dem mit Abstand größten und am dichtesten besiedelten Ort in den USA. New York City ist mit 8,55 Millionen Einwohnern mehr als doppelt so groß wie die nächstgrößere US-Metropole Los Angeles. Insgesamt 6000 Hochhäuser signalisieren in jeder Himmelsrichtung Gigantomanie. Auf den Straßen herrscht Betriebsamkeit zwischen Tacoständen und Yellow Cabs. Kurzum: Eine echte Großstadt, gegen die San Francisco mit seinen gut 800.000 Einwohnern fast dörflich wirkt. Und doch hat die Startup-Szene eine gute Größe, findet Matthew Hartman, Partner beim Company Builder Betaworks (mit 132 Investments in 111 Firmen ein ausgewiesener Kenner der Szene): „Die Szene hier ist groß genug, dass du ständig neue Leute kennenlernst, gleichzeitig aber klein genug, dass du die gleichen Leute wieder triffst.“

Christian Busch sieht in dem Größenvorteil jedoch auch eine Verpflichtung: „Man muss verstehen, dass Beziehungen in New York das A und O sind. Sowohl mit Unternehmern als auch mit potenziellen Mitarbeitern oder Investoren. Diese Beziehungen muss man aufbauen und man muss viel Zeit investieren.“ Diese Zeit muss eingeplant werden. Die Vorstellung, mal für ein paar Monate hierher zu kommen und fünf Millionen Euro einzusammeln, sei falsch. „Die meisten Investoren warten leider nicht darauf, dass man bei ihnen vor der Tür steht.“

Seit 2013 Bürgermeister von New York: Bill de Blasio (Foto: John Caballero/flickr)

Voller Energie

Dass New York ein guter Standort zum Gründen eines Startups ist, dürfte ein offenes Geheimnis sein. Im Gegensatz zu San Francisco ist New York sehr divers und glänzt dank unterschiedlichster Strömungen wie Fashion, Kunst, Kultur mit einer hohen Lebensqualität. Der amtierende Bürgermeister Bill de Blasio ist überzeugt: „Es gibt keine stärkere Energie als die New Yorker Energie. Die Stadt ist wie ein Brennstoff für Rebellen, Kreative, Freidenker. Sie bietet ihnen das Umfeld, das man braucht, um großartige Firmen zu erschaffen.“ Matthew Hartman ergänzt, dass die New Yorker Startups vor allem aus dieser Vielfältigkeit ihre Vorteile ziehen: „Ich denke, die verschiedenen Branchen sind New Yorks Geheimrezept“, sagt Hartman. Als Beispiele nennt er Tumblr, das in der Mode-Community angefangen hat. Oder die boomende Fashion Community Bloglevel.

„BROOKLYN HAT SICH ZUM HIPSTER-ZENTRUM DES UNIVERSUMS ENTWICKELT“

(DAVID ARONOFF, Partner bei Flybridge Capital Partners)

Natürlich fließt immer noch der Großteil des US-Risikokapitals ins Silicon Valley. Das Westküsten-Tech-Epizentrum ist im Gegensatz zu New York jedoch eine eindeutige Core-Tech-Monokultur und steht immer mehr in der Kritik. Während in San Francisco fast kein Tag ohne offenen Beschwerdebrief über die steigenden Mieten vergeht, profitiert New York von den überhöhten Lebenshaltungskosten im Valley und kann gegenüber dem Valley konstant aufholen. Auch David Aronoff sieht einen klaren Trend zur Rückkehr nach New York: „Brooklyn hat sich zum Hipster-Zentrum des Universums entwickelt und ist heute sehr attraktiv. Die Mieten auf der Upper Eastside sind günstiger geworden. Selbst die Büroflächen in den teuersten Flächen in New York sind immer noch 20 Prozent günstiger als im Silicon Valley.“

Für Matt Turck lautet die Frage jedoch nicht, ob New York größer wird als das Silicon Valley, denn „das ist sehr unwahrscheinlich. Aber ich glaube, dass Tech in New York im Hinblick auf die Anzahl der Angestellten mindestens genau so groß werden wird wie die Wall Street.“ Das scheint umso zutreffender zu sein, da immer mehr Unternehmen von ehemaligen Wall-Street-Jungs gegründet würden, wie David Aronoff bestätigt.

Auch im War of Talent steht die New Yorker Tech-Szene inzwischen mit den großen Kanzleien oder Banken im direkten Wettbewerb um die besten Hochschulabsolventen. Ein Glück nur, dass New York eine größere Studentenbevölkerung als jede andere amerikanische Stadt besitzt. Obwohl die Universitätslandschaft sehr vieles abdeckt, fehlt es doch an eindeutigen Engineering-Research-Universitäten wie Stanford oder MIT. Gegenwärtig größter Hoffnungskandidat, um diese Lücke perspektivisch zu füllen, ist wahrscheinlich das TechnionCornell Institute auf Roosevelt Island, das 2017 eröffnet.

Emissionserlöse der Börsengänge in Innovations-Regionen in den USA 2010 bis November 2015 (Quelle: SVCIP Partners/CB Insights)

Die Investorenlandschaft

Viele Startup-Unternehmer sind überzeugt: Die USA sind das Land, in dem Milch und Honig fließen und Hühner goldene Eier legen. Kapital gibt es hier im Überfluss. Und es wird mit vollen Händen investiert. Die sechs führenden Startup-Metropolen der USA (San Francisco, San José, Boston, New York, Los Angeles und San Diego) stehen für etwa 45 Prozent der globalen Venture-Capital-Investments. Gut für New York: Der Branchendienst CB Insight hat ermittelt, dass in den 18 Monaten vom ersten Quartal 2015 bis zum zweiten Quartal 2016 insgesamt 21,5 Milliarden Dollar in 2207 Deals in New York platziert wurden. Zum Vergleich: In Berlin waren es 2,93 Milliarden in 283 Deals. Im Jahr 2015 gab es in New York insgesamt 286 Exits, unter anderem die IPOs von Ondeck Capital (Ende 2014, Bewertung 1,32 Milliarden Dollar) und Etsy (1,8 Milliarden Dollar).

Venture Capital ist traditionell eng mit New York verbunden. Wenigen ist bekannt, dass es hier erfunden wurde: 1951 vom Intel-Gründer Arthur Rock. Christian Busch – selbst auch als Investor aktiv – bestätigt, dass es in New York sehr viel investierbares Kapital gibt. Dieses Kapital sei sehr intelligent, zeitgleich seien die Investoren sehr zugänglich: „Man muss verstehen, dass es ihr Job ist, heiße Startups zu finden, bevor andere sie finden. Deshalb wird man von einem US-VC nie das Wort Nein hören. Du wirst höchstens mal hören „maybe not right now“.

Neben einer großen Gruppe an Angel-Investoren, Syndikaten und kleinen Fonds existiert in New York sehr viel industrierelevantes Kapital. So finden sich beispielsweise im Immobilienbereich mehrere Dutzend sehr reiche Familien, die natürlich auch als Investoren aktiv sind. So etwa der Fonds Venrock (der Name setzt sich zusammen aus Venture und Rockefeller), der seit 1969 investiert und sich inzwischen in der zehnten Fonds-Generation befindet. Intel, Apple und Doubleclick sind nur einige der Investments, die Venrock in seiner 47-jährigen Laufzeit getätigt hat. Laut Crunchbase hat Venrock insgesamt 2,8 Milliarden Dollar „under Management“ und insgesamt 469 Investments in 241 Portfolio-Unternehmen getätigt.

Ähnliche Rahmenbedingungen – wenn auch einige Nummern kleiner – findet man auch im Fashionoder im Sport-Segment, zum Beispiel durch die Gründer der Equinox-Fitnessstudios. Christian Busch schätzt, dass wahrscheinlich um die 50 Early-Stage-Fonds in New York beheimatet sind sowie ein paar Dutzend Bulge Bracket Funds, die hier Offices oder Headquarters haben. Zusätzlich sieht man eine zunehmende Zahl an Syndikaten, bei denen mehrere Investoren gemeinsam bis zu 250.000 Dollar in eine Pre-Seed-Runde investieren – einfach um zu sehen, ob die Idee, die hier verfolgt wird, erfolgversprechend ist.

Ein New Yorker Startup muss also heutzutage nicht mehr quer durchs Land reisen, um sich Kapital zu besorgen. Auch Union Square Ventures, einer der weltweit erfolgreichsten Venture-Fonds der letzten Jahre, sitzt in New York. Union Square bringe „gefühlt jedes Jahr ein Unicorn hervor“, sagt Urs Cete, Managing Director von Bertelsmann Digital Media Investments.

„NEW YORKER INVESTOREN SCHAUEN ETWAS MEHR AUFS GELD“

(URS CETE, Managing Director BDMI)

Ein anderer Star der New Yorker Investment-Szene ist dank 275 Investments das Investoren-Team Lerer Hippeau Ventures. Diese Investoren sind Leuchttürme einer sich stetig professionalisierenden Szene. Das Gerücht, dass man in New York nur einen Businessplan auf eine Serviette schreiben muss, um ein Millionen-Investment zu bekommen, ist fern der Realität, sagt Christian Busch: „Im Unterschied zum Silicon Valley sind New Yorker Investoren sehr Marketing- beziehungsweise Traction-driven. Sie wollen Umsatz sehen und Geschäftsmodelle verstehen, während Investoren im Silicon Valley eher diese binären – ‚Entweder es wird was, oder nicht‘ – Moonshot-Investments vorziehen.“ Auch Urs Cete bestätigt diese Wahrnehmung: „Im Vergleich zur Westküste schauen New Yorker Investoren etwas mehr aufs Geld, das heißt auf das Geschäftsmodell und die Profitabilität.“ Ohne von Überhitzung zu sprechen, geht Karl-Theodor zu Guttenberg perspektivisch davon aus, dass die „teilweise obszönen Überbewertung von einigen Unternehmen irgendwann ein Regulativ erfahren werden, weil es auf diesem Niveau nicht bleiben kann“.

Veränderung der Bildungsabschlüsse pro 10.000 Einwohner in den Innovationsregionen der USA 2012 bis 2014 (Quelle: SVCIP Partners/Collaborative Economics)

Die Brücke nach Berlin

Es gibt viele Theorien, zu welchem Zeitpunkt ein Startup internationalisieren sollte und in welcher Reihenfolge man Märkte erschließen sollte. Google-Chef Eric Schmidt ist beispielsweise davon überzeugt, dass ein Startup so früh wie möglich internationalisieren solle. Je nach Business können die USA als direkter Markt nach dem Heimatmarkt Deutschland Sinn ergeben. Das Beispiel Zalando zeigt, dass im E-Commerce wahrscheinlich der europäische Binnenmarkt einfacher ist, da man Lagerhäuser zentral aufbauen kann und das Steuersystem recht harmonisch ist. Doch wenn man Marktpotenzial in den USA sieht und der Markt hier nicht zu kompetitiv ist, können die USA als zweiter Markt durchaus Sinn machen, insbesondere bei Themen wie SaaS oder Consumer Tech.

Und in der Tat rücken die Startup-Szene der USA und Europa immer näher zusammen. Christian Busch bestätigt: „Die großen amerikanischen Fonds schauen bereits mit einem Auge nach Europa. Allerdings gibt es klare Anforderungen an ein Auslandsinvestment: Es muss sich um ein stark wachsendes Unternehmen mit sehr großem Markt und hohen Ambitionen handeln. Als Beispiele nennt er Researchgate und Soundcloud. Und ergänzt, dass es für New Yorker VCs wegen der Distanz schon schwierig sei, ein Investment im Silicon Valley zu machen. Außerdem sitzen die guten VCs ohnehin schon in einem halben Dutzend Boards und müssen sich um den Dealflow kümmern. Wenn man dann viermal pro Jahr für ein Board-Meeting nach San Francisco fliegen muss, dann ist das wegen des sechsstündigen Flugs ein echter Aufwand. Entsprechend zurückhaltend sei man bei Europa, insbesondere wegen der deutschen Rechtsstrukturen. „US-VCs hassen es, in GmbHs zu investieren“, ist Busch überzeugt. Auch dass man vor einem möglichen Einstieg durch einen US-Investor unbedingt eine US-Inc gründen sollte, in die man das Intellectual Property einbringt. Sonst wird das Investment wegen der Strukturen (Legel, Accounting, Compliance, Tax) eher schwierig.

Hinzu kommt, dass US-Investoren vor allem Unternehmen suchen, die den US-Markt beherrschen können und in den USA wachsen. Daher ist die klare Erwartung, dass die Unternehmen nach dem Investment in die USA expandieren. Zusätzlich wird bei US-Investoren ein Dollar US-Umsatz wesentlich höher bewertet als ein Dollar Umsatz außerhalb der USA. Das mag rational wenig Sinn machen, liegt aber an den Exitkanälen, denn die meisten amerikanischen Exitkanäle wollen US-Umsatz kaufen.

„US-VCS HASSEN ES, IN GMBHS ZU INVESTIEREN“

(CHRISTIAN BUSCH, Leiter German Accelerator)

Matt Turck ist überzeugt, dass New York für alle europäischen Unternehmen, die in die USA kommen wollen, ein großartiger Platz ist, um hier ihr US-Hauptquartier aufzuschlagen. „Es ist perfekt, weil die Zeitzone näher an Europa ist und weil es ein starkes Ökosystem ist mit einer kulturellen Nähe zu Europa. Als Deutscher kannst du hier mit Deutschen, als Franzose in einer rein französischen Umgebung leben, wenn du das möchtest. Außerdem ist New York sehr inspirierend, vor allem für Entrepreneure. Vieles von dem, was in New York passiert, passiert auch in Berlin, nur ein paar Jahre später. Genau wie hier vor ein paar Jahren siehst du auch in Berlin einen klaren Netzwerkeffekt, der das Talent in sich hineinsaugt. Die vielen Leute, die Rocket Internet verlassen, haben dort gelernt und machen jetzt ihr eigenes Ding. Ebenso siehst du all diese jungen McKinsey oder Goldman-Sachs-Leute, die sich professionelle Fertigkeiten antrainieren, um dann die Beratung zu verlassen und ihr Wissen im eigenen Unternehmen anzuwenden.“

Urs Cete ergänzt: „Natürlich ist die Standortwahl für ein europäisches Startup wichtig, wenn es in die USA gehen will. Man muss sich fragen, was einem wichtiger ist: die Nähe zu den großen Plattformen wie Google und Facebook oder die Nähe zu deinen Kunden. Ein weiterer Faktor könnte die Frage sein, wer dich hinterher kaufen soll. In New York findet man auch potenzielle M&A-Partner.“ Das bestätigt auch Christian Busch: „Als Deutscher muss man sich mit der amerikanischen Mentalität anfreunden. Deutsche Gründer sind hier am Anfang oft zu ehrlich. Wenn ein US-Startup über seine drei Kunden spricht, wird er wahrscheinlich von 300 Prozent Wachstum berichten, weil er im letzten Monat nur einen Kunden hatte. Ein deutsches Startup hingegen würde eher sagen „wir haben nur drei Kunden, brauchen aber 300“.

Der Erfinder des Venture Capitals: Intel-Gründer Arthur Rock (Foto: Singhaniket255/Wikipedia)

Eine gute Schule

Zu Guttenberg sieht in New York eine gute Schule: „Was man in New York lernt, ist Sales und Pitching. Die Amerikaner bringen etwas mit, was mir bei deutschen Unternehmen fehlt. Nämlich die Kunstfertigkeit, einen begeisternden Pitch zu machen, der diesen Begriff auch verdient. Auftreten und wie man eine Idee oder ein Produkt vermarktet, kriegt man hier oft schon in der Schulausbildung mit.“ Entsprechend einfach ist der Pitch de Blasios für New York: „Wenn Du ein Startup bist, das im Segment Fashion, Fintech, Real Estate, Publishing oder Retail Spaces aktiv ist, kommst du an New York nicht vorbei. Für all diese Startups ist New York das Zentrum der Innovationen. Die großen Fische schwimmen alle hier. Wenn du Kundenkontakt suchst, wirst du verstehen, wie vorteilhaft es ist, wenn deine Kunden nur eine U-Bahn-Fahrt entfernt sitzen.“

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Christian Busch betont, dass New York ein sehr teures Pflaster ist, was vielen Glücksrittern offensichtlich nicht bewusst ist. „Die Stadt zieht Menschen aller Branchen an, die sehr ambitioniert hierherkommen. Und nach ein oder zwei Jahren haben sie entweder ihren Pfad gefunden oder sie werden wieder ausgespuckt.“Zuerste erschienen in Berlin Valley 10-11/2016