Social Startups

Was macht einen Sozialunternehmer aus?

10/12/2015
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Warum Sozialunternehmer keine Träumer sind

Wer heute über Sozialunternehmer lächelt, könnte morgen weg vom Fenster sein. Jedenfalls könnte das etablierten Unternehmen passieren, wenn man der Argumentation von Felix Oldenburg folgt. Der 39-Jährige ist Deutschland- und Europa-Chef des Sozialunternehmer-Netzwerks Ashoka. „Es gibt eine ganze Klasse von Innovationen, die Milliardenmärkte ausgelöst haben, bei denen die Unternehmer nicht angetreten sind, um viel Geld zu verdienen, sondern um ein gesellschaftliches Problem zu lösen“, sagt Oldenburg. Dies verändere das gesamte Wettbewerbsumfeld – und das bekommen eben auch die etablierten Firmen zu spüren.

Den Begriff des Social Entrepreneurs hat Ashoka-Gründer Bill Drayton vor 30 Jahren geprägt: Er beschreibt Menschen, die gesellschaftliche Probleme mit innovativen unternehmerischen Ansätzen lösen wollen. Sie sammeln keine Spenden. Sie wollen mit ihrer Geschäftsidee erfolgreich sein, aber nicht um reich zu werden. Die Gewinne investieren sie wieder in das Projekt, damit es wächst und möglichst viele Nachahmer findet. Oldenburg hat einige Beispiele für seine These parat. Den Wikipedia-Gründer Jimmy Wales etwa, der das Wissen der Welt allen Menschen zugänglich machen wollte – und mit seiner freien Online-Lösung den Lexikon-Verlagen ihre Geschäftsbasis entzogen hat. Oder Casey Fenton, der mit Couchsurfing Übernachtungsangebote für Menschen geschaffen hat, die sich kein Hotel leisten konnten. Oder die Erfinder der ersten Carsharing-Angebote .

Couchsurfing und Carsharing wiederum haben mit Airbnb und Uber inzwischen zwei profitorientierte Nachahmer gefunden, die sehr deutlich machen, welches zerstörerische Potenzial Innovationen von Sozialunternehmen auf etablierte Unternehmen haben können. Aus den „Changemaker“ seien unbeabsichtigt Wegbereiter von Milliardenmärkten geworden, sagt Oldenburg.

Aus Kunden werden Mitmacher

Bisher habe es ausgesehen, als ob Sozialunternehmer von der Wirtschaft lernen müssten. Nun ist es anscheinend umgekehrt. Drei Gründe nennt der Ashoka-Deutschland-Chef dafür. Erstens geben Sozialfirmen den Menschen neue Rollen: aus Konsumenten werden Mitanbieter. So übernimmt der Leser bei Wikipedia die Rolle des Autoren, beim Carsharing werden Autobesitzer Mobilitätsanbieter und bei Couchsurfing Mieter Hoteliers. Beim Crowdfunding kann jeder Investor werden. Das Internet gibt immer mehr Menschen die Möglichkeit, aktiver Teil der Wertschöpfungskette zu werden.

Zweitens fällt es Sozialunternehmern leichter, Mitstreiter für ihre Ideen zu finden. „Sie versprechen mehr für alle statt nur mehr für sich selbst“, sagt Oldenburg. Und sie haben auch nichts dagegen, dass ihre Idee von anderen kopiert wird, denn ihnen ist ja daran gelegen, dass sie sich möglichst schnell und weit verbreitet. „So lassen sich Märkte viel eher skalieren.“

Drittens verbinden Sozialunternehmer immer öfter ihre Non-Profit- mit einer For-Profit-Organisation. Die gemeinnützige Einrichtung wird durch eine kommerzielle Schwesterorganisation ergänzt. „Die Grenze zwischen beiden Organisationsformen macht für diese Klasse von Unternehmen keinen Sinn mehr“, meint Oldenburg. So müssen sich die Sozialunternehmer nicht mehr entscheiden, ob sie ihr Wachstum mit Spenden oder über Investitionen finanzieren wollen. Sie können beides nutzen.Zum einen sieht Oldenburg die etablierten Unternehmen durch die Innovationen sozialer Unternehmen bedroht, aber sie könnten die Kraft auch nutzen. „Jedes Unternehmen könnte handeln wie ein Sozialunternehmen“, sagt er. So könnte sich bei Unternehmen die Fragestellung ändern: Wie viel Kapital brauche ich, um eine Idee groß zu machen? wandelt sich zum Beispiel in: Wie viele Menschen, die mitmachen, brauche ich dafür?

Das Bild, das Oldenburg von einem Sozialunternehmer zeichnet, hat jedenfalls wenig mit einem Träumer zu tun. Im Gegenteil, für viele etablierte Unternehmen können erfolgreiche Social Businesses durchaus zum Albtraum werden, etwa für Banken, wenn sich künftig alle Kunden untereinander Geld leihen (Peer-to-peer Lending), oder für große Energieversorger, wenn immer mehr Kunden ihren Strom selbst erzeugen. Eine gemeinsame Studie von Ashoka und der Unternehmensberatung McKinsey kommt zu dem Ergebnis, dass die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, einer Branche oder eines Landes immer mehr davon abhängt, ob und wie soziale Innovatoren und Social Entrepreneurs als entscheidende Treiber für Innovationen und neue Geschäftsmodelle erkannt, unterstützt und eingebunden werden.

Ideen für Flüchtlinge

Die EU hat 2011 eine Initiative für soziales Unternehmertum gestartet. Ziel der Social Business Initiative ist es, die Entwicklung von Sozialunternehmen als Schlüsselakteure sozialer Innovationen zu unterstützen. Der Plan umfasst eine Reihe von Maßnahmen aus drei Themenbereichen: den Zugang zu Finanzmitteln für soziale Unternehmen zu erleichtern, die Sichtbarkeit des sozialen Unternehmertums zu erhöhen und das rechtliche Umfeld für soziale Unternehmen freundlicher zu gestalten.

Norbert Kunz gehört der Expertenkommission der EU zur Social Business Initiative an. Er war schon Sozialunternehmer, als das Internet noch keine Rolle in der Wirtschaft gespielt hat. Seit einigen Jahren baut der Geschäftsführer von Social Impact eine Infrastruktur für soziale Innovationen auf und unterstützt Social Startups. Das jüngste Projekt: „Ankommer. Perspektive Deutschland“, ein achtmonatiges Stipendium für sozial-innovative Ideen und Projekte, die geflüchteten Menschen eine soziale und ökonomische Perspektive geben.

Zum Stipendium gehören Coaching, Fachberatung, Workshops und ein Coworking-Arbeitsplatz im Gegenwert von 12.500 Euro. „190 Bewerbungen für zwölf Plätze sind eingegangen“, berichtet Kunz. Und weil so viele gute Ideen dabei waren, starteten im November sogar 14 statt der geplanten zwölf Teams in dem Programm. Insgesamt hat das Social Impact Lab derzeit an seinen Standorten in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Leipzig, Duisburg und Potsdam 60 Projekte in der Betreuung.

Das Team des Social Impact Labs beobachtet einen regelrechten Hype. „Viele Menschen in Deutschland fühlen sich von der Flüchtlingskatastrophe angesprochen und wollen einen Beitrag zur Lösung leisten“, berichtet Kunz. Auch abgesehen von den aktuellen Ereignissen ist der Andrang groß. „Als wir 2011 mit dem Inkubator für soziale Ideen gestartet sind, haben uns viele gesagt, dafür gebe es zu wenig Interesse. Und wir waren selbst skeptisch.“ Nun starten vier Teams alle drei Monate, und pro Platz kommen acht bis zehn Bewerbungen.

„Ob alle, die in Berlin gründen, tatsächlich Unternehmer sind, bezweifle ich“, sagt Kunz. Viele wollten einfach mit einer schönen Idee viel Geld verdienen – und schnell verkaufen. „Die Leute, die hier im Social Impact Lab gründen, wollen ein Unternehmen etablieren“, erläutert er. Er hat einen Wertewandel beobachtet. Persönliches Engagement und unternehmerisches Leben, beides sei für die jungen Leute wichtig. „Und sie wollen gut davon leben können“, sagt der 56-Jährige. Das sei legitim. „Wir achten darauf: Wirtschaftlich nachhaltig ist eine Sache nur, wenn man gut davon leben kann.“

Was ist Deine Innovation? Warum ist das nachhaltig? Was motiviert Dich? Diese Fragen muss beantworten, wer ein Stipendium im Social Impact Lab bekommen will. „Sechs von zehn Gründern sind in ihrer Biografie selbst betroffen von dem Problem, das sie lösen wollen“, sagt Kunz. Eine andere Gemeinsamkeit: „eine gewisse materielle Sicherheit“. Sie können es sich erlauben, acht Monate ins Labor zu gehen, nicht nur, weil ihre Familie sie unterstützt und sie Ersparnisse haben. „Hier sitzen High Potentials“, hat Kunz beobachtet. „Sie finden auch anderswo einen hoch qualifizierten Job.“

Die meisten müssen sich keinen anderen Job suchen: Von den rund 150 Teams, die seit 2011 im Lab waren, haben nur gut 20 ihr Geschäft eingestellt. Bereits im ersten Jahr haben die Unternehmen fünf bis sechs Mitarbeiter. „Hier werden Arbeitsplätze geschaffen“, das ist Kunz wichtig und, dass soziale Innovation kein Widerspruch zu technischen und geschäftlichen Innovationen sei. An einem arbeitet er noch: „Wenn es gelingt, dass Sozialunternehmer einen höheren Anerkennungswert erreichen, als wenn sie ein Internetunternehmen gründen, dann finden es alle cool.“

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