Marken-Experte Scott Galloway:

„Facebook ist erfolgreicher als Gott“

24/12/2016
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Scott, heute scheint alles möglich. Aber viele Menschen verunsichert das, weil nicht klar ist, was die neue Technik mit uns macht.

Scott Galloway: Die moralischen, intellektuellen und philosophischen Konsequenzen dieser Ära mit ihren unglaublichen Veränderungen gehen über mein Vorstellungsvermögen hinaus. Manches kann man vielleicht absehen, etwa die aufkommende Bioethik, und wir werden uns schwierigen Entscheidungen bezüglich Privatsphäre und Datenschutz stellen müssen.

Halten Bedenken den technischen Fortschritt auf?

Scott Galloway:Die jungen Konsumenten bestimmen die Entwicklung mit ihrem Verhalten. Viele denken: ‚Solange es am Ende des Tages einen Gutschein gibt, sollen Unternehmen ruhig die Privatsphäre verletzen.‘ Sie wollen relevantere Werbung, bessere Angebote, und es ist ihnen egal, ob ihre E-Mails nach Schlüsselwörtern gescannt werden.

Die Verbraucher werden diese Methoden also nicht stoppen?

Scott Galloway: Natürlich wollen Menschen nicht gehackt werden. Aber in der Regel akzeptieren Konsumenten, wenn Unternehmen ihre Privatsphäre verletzen, solange es nicht bösartig ist und solange es einen Gegenwert gibt. Wer komplette Privatsphäre will, muss sich von allem trennen. Dazu sind Verbraucher nicht bereit.

Du bist Marken-Experte. Haben Marken in unserer sich schnell verändernden Welt eine Zukunft?

Scott Galloway:Marken sind so wichtig wie eh und je. Allerdings: Die klassische Markenbildung hat ihre beste Zeit hinter sich. Ein durchschnittliches Produkt in einer tollen Werbekampagne zu verpacken, über die entsprechenden Kanäle zu verbreiten, um dann haufenweise Bud Lights, Coke oder Nike-Schuhe zu verkaufen – ich glaube, diese Ära ist vorbei. Kunden haben mit Google, Amazon, Tripadvisor und Co. gute Möglichkeiten, um das für sie beste Produkt zu finden – dank Rezensionen und Bewertungen.

„Ich glaube, dass Apples Hauptvorteil gegenüber Samsung und anderen Playern ihr Investment in Geschäfte vor Ort ist“

Was bedeutet das für die Produktqualität?

Scott Galloway:Das Produkt rückt wieder in den Mittelpunkt. Schlaue Unternehmen verschieben Gelder aus traditionellen Radio- und TV-Kampagnen in das Einkaufserlebnis. Dass der stationäre Handel stirbt, ist ein Gerücht. Ich glaube, dass Apples Hauptvorteil gegenüber Samsung und anderen Playern ihr Investment in Geschäfte vor Ort ist. Zur Genius-Bar zu gehen, ein Produkt im Apple-Store zu kaufen, das ist ein komplett anderes Erlebnis als ein Samsung-Smartphone in einem Verizon-Store zu erwerben. Gute Unternehmen reduzieren ihre Werbeausgaben drastisch und gießen sie in verschiedene Content-Formen: bessere Vertretung auf Instagram, Ermutigung der Fans, darüber auf Facebook zu reden. So wird das Produkt auf eine authentische Weise entdeckt.

Gibt es weitere Veränderungen?

Scott Galloway: Marken von CPG (Consumer Packaged Goods, Anm. d. Red.), die vor allem auf Werbung basieren, befinden sich im Rückgang. 90 der größten 100 CPG-Marken in den USA haben im vergangenen Jahr Marktanteile eingebüßt, zwei Drittel kämpfen sogar mit Umsatzrückgang.

Bei seinen Vorträgen legt der Marketing-Professor nicht nur Wert auf Fakten, sondern auch auf Entertainment. (DLDconference/Youtube)

Auf der anderen Seite gibt es neue Verkaufsmodelle.

Scott Galloway: Genau. Die Zahl der CPG-Kategorien wächst. Menschen tendieren zum Handwerk, sie kaufen besseren Joghurt mit natürlichen Zutaten oder auf den Hauttyp abgestimmte Feuchtigkeitscreme. Man muss zwei Entwicklungen unterscheiden. Auf der Konsumgüter-Seite nimmt der Longtail zu, weil es mehr Produkt-Innovationen, neue Retail-Formate und neue Zugänge der Verbraucher zu Produkten gibt. Auf der anderen Seite gibt es die technologiegetriebene Branche mit dem Trend der Konsolidierung, weil es bei Technologie stark um Marktführerschaft geht.

Was bedeutet das für die Werbung?

Scott Galloway:In sich entwickelnden Märkten sind Rundfunk-Werbung und traditionelle Markenbildung noch immer stark. Aber der industrielle Werbekomplex wird in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren untergehen – sowohl in den USA als auch in Europa.

„Facebook ist erfolgreicher als Gott, Buddha, Jesus, Kommunismus, Kapitalismus oder die Kardashians“

Wie wird sich das Verhältnis zwischen Online- und stationärem Handel in Zukunft verändern?

Scott Galloway:Es geht nicht um online versus offline. Traditionelle Händler schließen vor Ort Läden und investieren in ihr Online-Geschäft, große Online-Händler – von Warby Parker bis Casper – weiten ihr Geschäft aus und eröffnen mit billigem Kapital Läden. Der Gewinner der Zukunft heißt Multi-Channel-Verkauf. Auch Amazon wird Geschäfte eröffnen.

Von Amazon zu Facebook: Wie sieht die Zukunft des sozialen Netzwerks aus?

Scott Galloway:Amazon oder Facebook werden in den kommenden zwei oder drei Jahren das erste Billionen-Unternehmen sein. Facebook ist die erfolgreichste Unternehmung in der Geschichte der Menschheit. Es gibt weltweit 1,1 Milliarden Katholiken, aber es gibt 2,5 Milliarden Menschen, die mit Facebook verbunden sind – sei es über Facebook selbst oder Whatsapp, Facebook Messenger, Instagram oder die Geschäftskunden-Plattform. Facebook ist erfolgreicher als Gott, Buddha, Jesus, Kommunismus, Kapitalismus oder die Kardashians. Facebook hat ein hervorragendes Management-Team, eine gute Unternehmenskultur und es ist gleichzeitig das wendigste Unternehmen der Welt.

Was meinst du mit wendig?

Scott Galloway: Facebook hat einen Pivot hingelegt: Noch vor dreieinhalb Jahren kam null Prozent des Umsatzes von Mobilgeräten, heute sind es 84 Prozent. Jeder sah, dass Mobile im Kommen war – Yahoo, Disney, IBM, wir alle. Keiner war in der Lage, mehr als zehn oder zwanzig Prozent des Umsatzes auf Mobilgeräten zu erwirtschaften.

Für den teuren Kauf von Instagram wurde Marc Zuckerberg kritisiert.

Scott Galloway: Ja, das war der vermeintlich erste Fauxpas des jungen CEO. Schätzungen gehen davon aus, dass Instagram heute zwischen 40 bis 60 Milliarden Dollar wert ist. Zuckerberg hatte lediglich eine Milliarde gezahlt.

Also ein genialer Schachzug?

Scott Galloway:Die Facebook-Führung hat gezeigt, dass sie strategisch denken kann. Die einzige Gefahr: Menschen, denen Facebooks Macht zu groß wird. Ich befürchte, die Chancen stehen gut, dass ein Kommissar – vermutlich ein europäischer – die Zerschlagung von Google oder Facebook verlangt.

Mobile hat jeder kommen sehen, nun sehen alle Virtual Reality als neuen Trend. Was denkst Du darüber?

Scott Galloway:Ich würde gegen die VR-Industrie wetten. Ich glaube, es ist die größte Täuschung der Technologie-Branche in den vergangenen zehn Jahren. Facebook, Samsung und andere, die dem Trend hinterherrennen, werden enttäuscht werden. Und: VR wird Venture Capitals in den USA und Europa ruinieren. VR findet seine Nische bei Spielen und Pornos – mehr nicht.

„Bei Google arbeiten mehr Menschen mit einem IQ über 130 als jemals bei irgendeiner Organisation“

Du hast einmal gesagt, es sei Amazons Strategie gewesen, die Vision vor den Profit zu stellen. Wie sieht es diesbezüglich mit Google aus? Hat Google noch Visionen, oder ist der Höhepunkt erreicht?

Scott Galloway:Google arbeitet an fantastischen Sachen. Bei Google arbeiten mehr Menschen mit einem IQ über 130 als jemals bei irgendeiner Organisation.

Was bringt Google diese Intelligenz?

Scott Galloway: So viele schlaue Menschen unter einem Dach zu haben, ist ein riesiger Vorteil. Niemand kann gegen Google gewinnen. Was aber gegen Google spricht: Mobile passt nicht zum Kern-Geschäftsmodell. Wir verbringen 80 Prozent der Zeit auf dem Smartphone, in Apps, da ist eine webbasierte Suche unwahrscheinlich. Die Suche aber macht 90 Prozent des Umsatzes und 120 Prozent des Gewinns von Google aus. Auf der anderen Seite: Wenn jemand eine Lösung für dieses Problem findet, dann vermutlich Google.

Wie schätzt Du Uber ein?

Scott Galloway:Uber ist sehr interessant. Es ist das am schnellsten wachsende Unternehmen der Welt – in kurzer Zeit von null auf 50 Milliarden Dollar. Die Bewertung liegt momentan bei 60 Milliarden Dollar. Kaum ein anderes Unternehmen an der globalen Spitze hat mehr Einfluss auf unser Leben als Uber. Wenn ich in Singapur lande, geht meine erste Anfrage an Uber – das haben sie in weniger als einer Dekade geschafft. Das ist unglaublich!

Wie haben sie den schnellen Aufstieg geschafft?

Scott Galloway: Sie haben das wohl beste Verbraucher-Angebot in der Business-Geschichte geschaffen – auch auf der letzten Meile, der Auslieferung, wo DHL und Fedex mit Uber große Konkurrenz bekommen. Es gibt aber auch Probleme, die dem Unternehmen beim Wachstum im Weg stehen könnten.

Welche?

Scott Galloway:Auf der einen Seite bietet Uber seinen Fahrern Flexibilität und Zusatzeinkommen. Auf der anderen Seite kreiert Uber eine Arbeiterklasse ohne Rechte und Sozialversicherung. Uber ist ein Unternehmen mit nur 5000 Angestellten. Dem stehen 1,1 Millionen Fahrer gegenüber, die ohne Gewinnbeteiligung oder Unternehmensanteile sind. Während General Motors ein paar Millionen Angestellte hat, die am Unternehmen beteiligt sind, profitieren bei Uber lediglich 0,1 Prozent der Menschen von der Unternehmensentwicklung. Ich glaube, das wird noch für einige Probleme und Kontroversen sorgen.

„Es wird in Zukunft keine Kraftfahrer, Piloten, eventuell sogar weniger Lehrer geben. Wir werden alle mehr Zeit haben. Die Frage ist: Werden wir noch Arbeit haben?“

Weniger Rechte und Unterbezahlung – sieht so die Gesellschaft der Zukunft aus?

Scott Galloway:Ich glaube schon, und ich finde das nicht gut. Prinzipiell ist die Entwicklung gut für Beschäftigte. Frührentner oder Studierende, die eigentlich keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, bekommen diesen, sie brauchen lediglich ein Smartphone. Es gibt viele Möglichkeiten, kurzfristig und flexibel Arbeit zu finden. Die andere Seite der Medaille: Diese Unternehmen teilen die Gewinne nicht, und sie bieten keine Absicherung. Viele der Jobs, die sie ersetzen, hatten diese Vorteile.

Auf der anderen Seite: Macht der technische Fortschritt nicht auch viele stupide Arbeiten überflüssig, wodurch die Menschen mehr Zeit haben werden?

Scott Galloway:Es wird in Zukunft keine Kraftfahrer, Piloten, eventuell sogar weniger Lehrer geben. Wir werden alle mehr Zeit haben. Die Frage ist: Werden wir noch Arbeit haben?

Brauchen wir die denn noch?

Scott Galloway:Das Ende der Arbeit ist ein interessanter Gedanke. In den USA speist sich vor allem bei Männern das Selbstbewusstsein aus der Arbeit. Selbst wenn wir mit einer Art Grundeinkommen ein normales Leben führen könnten, ist das für unser Selbstwertgefühl und Glück schlecht. Ich denke, Arbeit ist eine gute Sache.

Was sind weitere Tech-Trends der nächsten zehn Jahre?

Scott Galloway: Wir werden uns von Tastaturen weg und zu Sprache hin entwickeln. Zu Amazons Alexa sagst du einfach: ‚Bestelle mir ein Uber!‘ oder ‚Bestelle mir ein Sixpack Bier!‘ Sprache wird eine Menge Nischen-Industrien, -Anwendungen und -Technologien hervorbringen – ein spannendes Feld. Der andere Zukunftsbereich ist Messaging: Es wird darum gehen, zu verstehen, wie man als Medienunternehmen mit Messaging kommuniziert, wie man mit Messaging Produkte verkauft.

Welche Rolle werden Distributoren wie Younow spielen, die keine eigene Website haben, sondern auf anderen Kanälen wie Whatsapp, Facebook, Instagram sind?

Scott Galloway:Die wichtigen Kanäle sind Buzzfeed, Snapchat oder Facebook. Und darin liegt eine Gefahr: Wenn es nur wenige Player gibt, die den Zugang zu den Nutzern kontrollieren, werden sie Wege finden, den größten Gewinn aus der Wertschöpfungskette zu ziehen. Das zeigt die Vergangenheit: Kabelunternehmen ging es nur so gut, weil sie in effektiv regulierten Monopolen lebten. Die haben den Inhalte-Produzenten gerade noch genug Geld zum Überleben gelassen, den Großteil der Gewinne aber selbst eingestrichen. Uns steht eine großartige Zeit für vielfältige Inhalte bevor, aber die echten Gewinner werden die Gatekeeper sein.

Was sind in technologischer Hinsicht die Unterschiede zwischen Deutschland und Europa auf der einen und den USA auf der anderen Seite?

Scott Galloway:Europa hinkt ohne Frage hinterher. Vor 20 Jahren hatten 16 bis 17 der 50 wertvollsten Unternehmen der Welt ihren Hauptsitz in Europa. Jetzt sind es noch sechs. Europa entwickelt sich, im Vergleich zu den USA, strukturell zurück.

Was sind die Gründe?

Scott Galloway:Innovationen werden in den USA viel mehr beachtet und finanziell unterstützt. So sind globale Unternehmen entstanden, die wiederum in anderen Ländern Marktanteile erobert haben, vor allem in Europa. Aber auch China hat viele innovative Unternehmen. Fragt man jemanden, er soll innovative Unternehmen nennen, die in den letzten zehn Jahren in Europa gegründet wurden, hört man vielleicht Zalando und ein paar andere. Die Liste ist ziemlich kurz. Es gibt wenige, die eine Marktkapitalisierung von 100 Milliarden US-Dollar erreicht haben. Davon gibt es in den USA 20 bis 30. Noch eine Zahl: Es gibt weltweit 141 Unicorns, davon sind alleine 100 in den USA, China folgt auf Platz zwei, die Nummer drei ist Europa. Europa hat Probleme in dieser von Innovationen getriebenen Wirtschaft.

Unicorns, also Jungunternehmen, die mit mindestens einer Milliarde US-Dollar bewertet werden, sind nicht gleichbedeutend mit Innovation, oder?

Scott Galloway:Es bedeutet immerhin, dass der Markt davon überzeugt ist, dass ein Unternehmen mehr als eine Milliarde US-Dollar wert ist. Berlin ist vermutlich eines der heißesten Tech-Hubs in der Welt, wahrscheinlich knapp hinter San Francisco, New York, Schanghai, Tel Aviv. Aber Europa scheint nicht gut darin zu sein, große Tech-Unternehmen zu kreieren.

Das Gespräch führte Jan Thomas.

[td_block_text_with_title custom_title=”SCOTT GALLOWAY”]Scott Galloway lehrt und forscht als Marketing-Professor in New York an der renommierten NYU Stern School of Business. Seine Firma L2, die ihren Sitz ebenfalls im Big Apple hat, berät andere Unternehmen in Sachen digitale Strategie. Vom Weltwirtschaftsforum wurde er als „Global Leader Of Tomorrow“ ausgezeichnet.

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