Rocket Internet:

Eine Anleitung für die Rakete

31/10/2015
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Wenn etwas nicht gut läuft, nennen die Amerikaner es eine Herausforderung. Oliver Samwer (CEO Rocket Internet) nennt es anders. „Ich sehe keine Herausforderungen, ich sehe Probleme“, sagt er. Und eines der Probleme von Oliver Samwer ist, dass er immer wieder erklären muss, was Rocket Internet ist, – und mindestens genauso oft, was es nicht ist. Rocket Internet ist schwer zu durchschauen.

Vor allem für die Börse muss der Chef von Rocket Internet noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Denn der Kurs der Rocket-Aktie dümpelt derzeit deutlich unter dem Emissionspreis dahin. Die Anleger sind nicht überzeugt. Zur Vorlage der jüngsten Quartalszahlen hat das Unternehmen darum gleich zweimal Aktiennalysten für je einen ganzen Tag eingeladen – zuerst in London und am Folgetag in New York. Für manchen mag dies eine Strapaze über mehrere Zeitzonen sein, für Oliver Samwer kein Problem. Deutschlands berühmtestem und wohl umstrit­tenstem Internet-Unternehmer fällt das nicht schwer. Ihm fällt es schwer zu ertragen, dass andere mit seinem Tempo oft nicht mithalten können.

„Wir spielen nicht Einstein“

Kapitalmarkttage in den großen Finanzzentren sind dazu da, die Fragen der Analysten zu beantworten, damit sie ein Unternehmen verstehen, bewerten und – im besten Fall – durch ihre Empfehlung einer Aktie ein wenig Schub geben. Die Schwierigkeit bei der Einschätzung von Rocket Internet ist, dass es mit keinem anderen börsennotierten Unternehmen auf der Welt zu vergleichen ist. Keiner hat das Gründen von Firmen so industrialisiert wie Rocket. Zehn Unternehmen pro Jahr, das ist der Plan. Samwers Botschaften an die Finanzwelt lauten: „Wir spielen nicht Einstein.“ „Rocket Internet ist keine Finanzholding.“ Und: „Unsere Strategie hat sich nicht verändert.“

„Wir spielen nicht Einstein“, bedeutet dabei, dass Rocket Internet allein auf „erprobte“ Geschäftsmodelle setzt. Das vermindert das Risiko, das mit der Gründung von Unternehmen verbunden ist. Es bringt den Rocket-Managern zwar immer wieder den Vorwurf ein, als Kopisten nur von den guten Ideen anderer zu leben. Rocket nimmt jedoch für sich in Anspruch, in der Umsetzung innovativ zu sein. So sagt es Vorstand Alexander Kudlich im Interview.

Braucht Rocket Internet noch mehr Kapital?

Doch Anfang des Jahres kamen erste Zweifel an der reinen Lehre auf: Rocket Internet steckte mehr als eine halbe Milliarde Euro in die Beteiligung an Delivery Hero. Setzt das Unternehmen nun doch auf Zukäufe, um zu wachsen? Schwächelt die Fließbandmethode? Die Übernahme sei eine sinnvolle Ergänzung des Portfolios gewesen, lautet Rockets Erklärung. Rocket hantiert gern mit großen Summen und hat einen enormen Kapitalhunger: Nachdem der Börsengang im vergangenen Oktober 1,4 Milliarden Euro in die Kasse brachte, sammelte das Unternehmen bereits im Februar dieses Jahres weitere fast 600 Millionen Euro frisches Kapital ein.

Im Juli kam noch eine Wandelanleihe im Volumen von mehr als einer halben Milliarde Euro dazu. Was die Analysten in London daher vor allem wissen wollten, war: Wird der Kapitalbedarf weiter steigen? „Das war die große Sorge“, sagt ein Teilnehmer. Die habe Oliver Samwer zerstreut. Er nannte klare Ziele, an denen er sich und sein Unternehmen messen lassen wolle. Die wichtigsten: Die Verluste der größeren Unternehmen (Proven Winners) werden zusammengenommen nicht weiter steigen. Drei von den zwölf Unternehmen in dieser Kategorie werden in den kommenden 24 Monaten die Gewinnschwelle erreichen. Und sollte das Kapitalmarktumfeld so bleiben wie es ist, wird in den kommenden 18 Monaten eines der Unternehmen an die Börse gehen. Diese Zusicherungen mögen zwar nicht allzu ambitioniert klingen, dennoch waren sie ein wichtiges Signal an den Markt, dass Rocket seinen Kapitalhunger künftig zügelt. Und ein Versprechen löst er bereits ein: Der Börsengang von Hellofresh ist eingeleitet. Der Rocket-Chef versprach den Anlegern außerdem: dass es in den kommenden drei Jahren keine weiteren Emissionen mehr geben wird, die ihre Anteile weiter verwässern, und dass auch keine signifikanten Zukäufe mehr geplant sind. „Es ist genug Geld da“, sagte Oliver Samwer. 1,7 Milliarden Euro Cash liegen in der Kasse.Name: Rocket Internet

Rocket Internet Vokabular

Last Portfolio Value

Was ist ein Unternehmen wert? Ein Anhaltspunkt ist die Marktkapitalisierung an der Börse. Ein weiterer ist der Gewinn. Bei Übernahmen etwa werden Unternehmen in der Regel mit einem Vielfachen ihres Gewinns bewertet. Doch welchen Maßstab legt man bei jungen Wachstumsunternehmen an, die weder an der Börse notiert sind noch Gewinne machen? Rocket verwendet für die Annäherung an den Unternehmenswert eine Hilfskonstruktion, den Last Portfolio Value (LPV). Dieser Wert wird auf Basis des Preises berechnet, den ein Dritter zuletzt für Anteile an einem Unternehmen bezahlt hat. Er spiegelt also im jeweiligen Fall womöglich nur die Einschätzung eines einzelnen Investors wider. „Wenn Sie nicht an das Unternehmen glauben, ist der Last Portfolio Value nichts wert“, erklärt Oliver Samwer den Analysten in London.

Proven Winners

Auch das ist eine Definition aus dem Hause Rocket. So nennt die Startup-Fabrik ihre größten und am weitesten entwickelten Unternehmen. Sie sind in der letzten Finanzierungsrunde mit mehr als 100 Millionen Euro bewertet worden, seit mindestens zwei Jahren im Geschäft oder haben mehr als 50 Millionen Euro Umsatz. Zwölf Unternehmen zählen zu dieser Kategorie, unter anderem Hellofresh, Home24 und Westwing. In 24 Monaten, erklärt Oliver Samwer in London, würden mindestens drei Proven Winners die Gewinnschwelle erreicht haben.

Emerging Stars

Das ist die nächste Kategorie von Firmen im Rocket-Portfolio. Die Emerging Stars sind kleiner als die Proven Winners, haben aber bereits die erste Finanzierungsrunde nach der Gründungsfinanzierung durchgeführt, machen Umsatz und können messbare Leistungskennziffern liefern, die ein signifikantes Wachstum zeigen. Aktuell gehören noch acht Firmen zu dieser Kategorie, darunter Helpling und Lendico. Eine weitere Kategorie sind die Concepts.

Concepts

Als Concepts bezeichnet Rocket Internet die jüngsten Firmen in seinem Portfolio, die sich gerade im Launch-Prozess befinden und noch nicht in allen Fällen eine externe Finanzierung bekommen haben. Zu den Konzepten gehören Bonativo, Carspring, Caterwings und Zipjet.

Execution

Bei Rocket wird viel Wert auf Execution gelegt. Viele ehemalige Mitarbeiter berichten, dass sie vor allem das bei Rocket gelernt haben. Hinrichtung ist damit jedoch nicht gemeint, sondern die Fähigkeit, Dinge umzusetzen. Und genau darin sieht Rocket seine besondere Stärke. Alexander Kudlich erklärt im Interview: „Unsere Innovationen liegen eher in der Umsetzung.“ Rocket hält sich nicht lange mit Problemen auf: Wenn es zum Beispiel in einem Land keinen zuverlässigen Zustelldienst gibt, ohne den E-Commerce nicht funktioniert, baut Rocket kurzerhand einen auf, so geschehen in Indien oder Russland.