Rocket-Vorstand Alexander Kudlich:

„Operativ schwierig, das liegt uns“

25/11/2016
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Alexander, in wie vielen Ländern ist Rocket aktiv?

Wir sind als Gruppe mit rund 36.000 Mitarbeitern in mehr als 110 Ländern vor Ort vertreten.

Wie seid ihr vorgegangen?

Wir haben Rocket von Anfang an als internationales Unternehmen ausgerichtet. Die erste Firma, die wir in viele Länder gebracht haben, war Citydeal/Groupon. Dabei haben wir gelernt, wie sich 38 unterschiedliche Märkte verhalten, welche überhaupt schon reif für E-Commerce sind. Man sammelt schnell Erfahrungen. Die erste Firma in Indonesien aufzubauen ist noch sehr schwierig, die zweite, dritte, vierte ist dann relativ einfach.

Was braucht man vor Ort?

Es gibt zwei Arten von Geschäftsmodellen: Die einen kann man vom Schreibtisch aus aufbauen. Und für die anderen braucht man Leute vor Ort. Das ist immer dann der Fall, wenn physische Prozesse ablaufen. Wir haben in Ländern wie Indonesien, Myanmar und Nigeria Online-Shops für Elektronik, Mode und weitere Produkte aufgebaut – da hängt Infrastruktur dran. Von Warenhäusern und Callcentern bis hin zu Zustellung und Bezahlmöglichkeiten kümmern wir um alles. Unsere Devise ist: Wir machen so viel zentral wie wir können, und so viel lokal wie wir müssen.

Über Rocket und die Welt: Alexander Kudlich im Gespräch mit Berlin-Valley-Chefredakteurin Corinna Visser (Foto: Jann Venherm)

Was kann man vom Schreibtisch aus machen?

Alle Tätigkeiten, die man mit Computer und Telefon erledigen kann. Dazu gehören unter anderem IT, Produkt, Performance-Marketing und Finanzen. Wenn man diese Aufgaben zentral bündelt, entstehen zudem oft Effizienzvorteile.

Wann fällt die Entscheidung zur Internationalisierung?

Das ist eine Frage von drei Faktoren. Erstens: Lässt es die Wettbewerbssituation zu, noch etwas zu warten? Zweitens: Ist die Firma in der Lage, mit der höheren Komplexität umzugehen? Drittens: Habe ich die finanziellen Mittel dafür?

Wie stark passt Ihr die Geschäftsmodelle an die Gegebenheiten an?

Wir halten uns eher fern von globalen Phänomenen, die viral über alle Ländergrenzen hinweg wachsen, dazu zählen etwa Twitter oder Facebook. Wir sind dann gut, wenn es tatsächlich lokale Unterschiede gibt, auf die man achten muss.

Rockets Welt: Die Firmen sind auf allen Kontinenten vertreten.

Wie groß ist der lokale Anteil?

Es gibt immer circa 40 Prozent regionale Unterschiede. Wobei es wichtig ist, hier die Balance zu finden. Man muss diese Unterschiede ernst nehmen, kann aber auch nicht auf jeden Wunsch eines Countrymanagers eingehen. Regionale Besonderheiten allein können nicht die Begründung dafür sein, wenn etwas nicht läuft. Über die Jahre bekommt man ein ganz gutes Gespür dafür.

Braucht ihr lokale Mitarbeiter?

Wenn wir vor Ort sind: ja. Auch die Führungsteams kommen häufig aus dem jeweiligen Land.

Holt ihr die lokalen Mitarbeiter je nach Berlin?

Wir haben regelmäßige Knowledge-Calls, bei denen alle Länder eines Unternehmens zusammengeschaltet werden. Jedes Land berichtet: Hey, das haben wir diese Woche gelernt. So werden die Erfahrungen zwischen den Ländern austauscht. Das machen wir nicht nur per Telefon, sondern auch bei Rocket im Headquarter. So laden wir beispielsweise einmal im Jahr die CTOs all unserer Firmen nach Berlin ein, um im Rahmen eines mehrtägigen Summits alle wichtigen Trends zu diskutieren. Dasselbe machen auch unsere Firmen mit ihren Länderteams.

Balanceakt: Man kann nicht auf jeden Wunsch eines Countrymanagers eingehen. (Foto: Jann Venherm)

Was sind die größten Probleme?

Die Herausforderung ist es, den gleichen hohen Anspruch in allen Märkten umzusetzen, und überall die Firmenkultur zu vermitteln. Wie treffen die Teams vor Ort von Brasilien bis Singapur die richtigen Entscheidungen, ohne dass man direkt daneben sitzt? Aber das kriegt man hin.

Wie kriegt man das hin?

Wir haben die besten Leute an Bord und sie haben verstanden, worauf es bei dem jeweiligen Unternehmen ankommt. Zudem erhalten sie sehr viel Unterstützung über die Rocket-Plattform, also Zugang zu guten Leuten und Systemen. Jedes Unternehmen hat nach ein paar Monaten seine eigene Kultur, aber die Arbeitsweise ähnelt sich stark.

Ihr seid in die Türkei gegangen und schnell wieder raus. Was ist da schiefgelaufen?

Im konkreten Fall ging es damals um unsere E-Commerce-Modelle. Im Rückblick haben wir da vielleicht sogar zu früh die Reißleine gezogen. Wir hatten diese Modelle damals in viele Märkte gleichzeitig übertragen. Also konnten wir gut vergleichen. Wir haben viele wichtige KPIs und die überprüfen wir sehr engmaschig. In der Türkei hatten wir insbesondere ein Margenproblem. Deswegen haben wir die Ressourcen lieber auf erfolgreichere Märkte verteilt.

„In China, Japan und Indien gibt es ein sehr starkes lokales Unternehmertum und viel verfügbares  Investitionskapital. Das sind mit Abstand die schwierigsten und kompetitivsten Märkte.“

Wer misst die KPIs?

Hier gibt es eine große Transparenz, denn das spornt an. Alle Länder, in denen ein Unternehmen vertreten ist, sehen die wichtigsten KPIs der anderen.

Warum geht ihr nicht nach China?

In China, Japan und Indien gibt es ein sehr starkes lokales Unternehmertum und viel verfügbares  Investitionskapital. Das sind mit Abstand die schwierigsten und kompetitivsten Märkte. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir in anderen Ländern größere Chancen für uns.

Wie ist es mit Afrika, ist das auch schwierig?

Afrika ist ein gutes Beispiel, denn es gibt zwei Arten von schwierig. Operativ schwierig, das liegt uns. Solche Schwierigkeiten können wir lösen und damit Wert schaffen. Afrika ist operativ sehr komplex, aber es gibt kaum Wettbewerb im Online-Segement. In fast allen Ländern Afrikas sind wir erfolgreich mit Jumia unterwegs. Unter dieser Dachmarke sind zehn verschiedene Marken gebündelt, die vom Online-Jobportal über Hotelbuchungen bis zum Essensliederdienst alles bieten. Dann gibt es wiederum Märkte, die schwierig sind, weil sie sehr kompetitiv sind. CityDeal hatte damals in Deutschland circa zehn Wettbewerber, in der Türkei etwa 50 und in etwa China 200. Wenn dann noch schwierige Rahmenbedingungen hinzukommen, dann ist es kein interessanter Markt für uns.

Kudlich: „Es geht darum, sein Geschäft im Ausland nachhaltig aufzubauen.“ (Foto: Jann Venherm)

Was sind die größten Fehler, die man vermeiden sollte?

Manche Firmen gehen ins Ausland, ohne weit genug dafür zu sein. Wachstum ist international auf jeden Fall schwieriger, als sich erst einmal auf das eigene Land zu konzentrieren.

Wann ist man reif dafür?

Zuerst sollte man sein Geschäft im Land im Griff haben. Es macht keinen Sinn, ein Minimal Viable Product (MVP) in 17 Märkten auszurollen, und dann an 17 verschiedenen Orten gleichzeitig das Produkt zu reparieren. Denn durch den Schritt ins Ausland steigt die Komplexität um ein vielfaches.

Welche Fehler habt ihr dabei gemacht?

Uns ist es auch schon passiert, dass wir zu früh in zu viele Länder auf einmal gegangen sind. Oder dass wir zu viele Funktionen in andere Länder verlagert haben, die wir besser zentral gesteuert hätten. Unser Ansatz heute ist ganz klar: Es geht nicht primär darum, als Schnellster in einen Markt einzutreten, sondern sein Geschäft im Ausland nachhaltig aufzubauen.

Hast du noch einen Rat?

Bei der Internationalisierung musst du als Unternehmen darauf achten, authentisch zu sein. Der Kunde merkt das. Du musst jeden Markt so behandeln, als sei es dein Heimatmarkt, sonst kannst du nicht gegen den lokalen Wettbewerber gewinnen.

Das Gespräch führte Corinna Visser

ist Group Managing Director im Vorstand von Rocket Internet. Der 36-Jährige hat BWL an der Uni St. Gallen und Philosophie am University College London studiert. Von 2005 bis 2011 arbeitete er bei Axel Springer, unter anderem als Assistent von Mathias Döpfner.