Im Interview

Udo Schloemer - der Gründer der Factory

04/05/2015
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Udo, im Juni 2014 habt Ihr die Factory offiziell gegründet, begonnen habt Ihr aber schon zwei Jahre zuvor. Welche Vision verfolgt Ihr mit Eurem Startup-Campus?

UDO SCHLOEMER: Ich will in Deutschland so viele Arbeitsplätze und für Startups so viel Raum wie möglich schaffen. Meine Vision ist, dass jemand als Ein-Mann-Unternehmen genauso Platz in der Factory findet wie ein Unternehmen mit 1.000 Leuten. Dazu werden wir in Berlin die Flächen auf mehrere hunderttausend Quadratmeter ausweiten, um hier ein europäisches Valley aufzubauen. Ziel ist es, den Leuten unabhängig von Laufzeiten und Miethöhe jederzeit den Raum zur Verfügung zu stellen, den sie brauchen. Wir wollen, dass die Gründer je nach Entwicklungsstadium sofort in nächstgrößere Büros umziehen können. Und wenn eine Firma irgendwann ein eigenes Haus nur für ihre Brand braucht, dann baue ich ihr das.

Mehrere hunderttausend Quadratmeter – das ist eine ganze Menge. Wie sehen Eure Wachstumspläne konkret aus?

UDO SCHLOEMER: Im Juli werden wir am Tempelhofer Ufer 17 eine zweite Factory offiziell eröffnen mit Mietern wie Relayr, Phonedeck und Unu. Um die Flächen so flexibel zu halten, damit man ohne lange Mietlaufzeiten immer in der optimalen Umgebung arbeitet, müssen wir einfach mehrere Standorte zur Verfügung haben. Ich sehe uns deshalb Ende dieses Jahres bei 40.000 bis 50.000 Quadratmetern, sofern unsere Pläne realisiert werden. Ende 2016 sehe ich uns dann bei 70.000 bis 80.000 Quadratmetern und 2019 bei 500.000 Quadratmetern Fläche. Dazu muss man wissen, dass wir künftig auch das Thema Wohnen für Talents und CEOs abbilden wollen. Wir merken, dass in diesem Bereich ein großer Bedarf besteht. Firmen können teilweise nicht mehr wachsen, weil sie zwar im Zweifel passende Mitarbeiter finden, aber nicht wissen, wo diese wohnen können. In Berlin besteht einfach eine Verknappung. Deswegen wollen wir beides anbieten: Wohnen und Arbeiten. Wir selber bezeichnen uns deshalb als ‚the future of work‘.

Fläche zum Wachsen für Startups ist eine Sache, aber was bezweckt Ihr noch mit der Factory?

UDO SCHLOEMER: Indem wir mehrere Begegnungsorte für Startups schaffen, entstehen verschiedene Kommunikationskanäle und ein Netzwerk. Beispiel Coworking Spaces: Ich stelle mir das wie einen Carsharing-Dienst vor: Ich gehe durch Berlin und sehe über eine App, wo noch ein Schreibtisch frei ist – anstelle eines Autos. Dadurch arbeite ich mal in Mitte, mal in Kreuzberg oder Friedrichshain und kann mich überall mit Leuten austauschen. Unser Kernanliegen ist außerdem, Old und New Economy mit der Wissenschaft und der Politik zu verbinden. Denn die etablierten Firmen brauchen die Schnittstelle zu Innovation und Kreativität, um auch in Zukunft noch am Markt zu bestehen. Umgekehrt ist es für Jungunternehmen wichtig, dass die Industrie endlich begreift, dass sie das Geld, das im Moment von amerikanischen Investoren nach Deutschland fließt, in einem noch viel größeren Umfang zur Verfügung stellen müssen. Unternehmen wie Bosch, Lufthansa oder Volkswagen müssten hunderte Millionen in Innovation investieren.

Wie willst Du Industrie und Startups zusammenbringen?

UDO SCHLOEMER: Das ist der Vorteil der Factory. Wenn du zum Accelerator-Programm gehst oder zu einem Inkubator, dann entscheidest du dich mit deiner Idee vorher schon, wer für dich der Partner ist. Das halte ich für falsch. Ich glaube, dass es Kreativität und Innovation nur so lange gibt, wie du sie aus deiner Überzeugung heraus entwickelst. Die Industrie muss lernen, dass sie sich hier bei uns integrieren kann, dass sie mit diesen Firmen zusammenarbeiten kann und dass sie investieren kann. Ein Unternehmen muss sich frei entscheiden können, an wen es sich bindet. Aber ja, es dauert. Wir verfolgen bei der Factory eine Vision von 20, 30 Jahren. Ich meine es ernst, wir wollen aus Berlin das europäische Valley machen. Deshalb finde ich es auch nicht wichtig, wem Immobilien gehören. Ich betreibe auch fremde Immobilien und bin bereit, andere Bauträger zu beraten. Wir brauchen schnelles Wachstum für die Firmen.

Ihr eröffnet im Juni einen neuen Coworking Space. Kannst Du dazu schon etwas verraten?

UDO SCHLOEMER: In Summe haben wir knapp 800 Quadratmeter und 80 Tische, Besprechungsräume, ein eigenes Café und eine Selbstversorgerküche. Das sind alles Eckpunkte, die man auch von anderen hört. Aber die Qualität der Möbel, der Ausstattung und der Beleuchtung sind so, wie man es von absoluten Profi-Arbeitsplätzen kennt. Was die Ausstattung betrifft, wird unser Coworking Space unvergleichlich sein. Wir nehmen da sehr viel Geld in die Hand, weil wir wollen, dass die Leute sich ausschließlich auf ihr Produkt konzentrieren. Dazu gehört auch, dass wir einen Assistenten-Service anbieten. Es wird einen Kopier- und Druckraum geben, Carsharing und noch mehr.

Wen adressiert Ihr?

UDO SCHLOEMER: Wir sprechen damit das an, was uns künftig am wichtigsten wird, nämlich die Community zwischen dem Gründer und den Etablierten. Wir haben deshalb auch ein Preismodell entwickelt, bei dem Gründer deutlich günstiger einen Schreibtisch mieten können als ein etabliertes Unternehmen. Trotzdem werden für die Etablierten maximal 25 Prozent der Fläche verfügbar sein. Denn uns geht es nicht um Gewinnmaximierung. Der Fokus liegt auf dem Gründer. Der Old Economy wollen wir die Chance geben, sich bei uns mit der Startup-Welt auszutauschen. Wir beschränken uns dabei auf einige wenige ausgewählte Produktpartner aus der Industrie.

Du hast die Factory unter anderem mit Simon Schäfer gegründet. Jetzt will Schäfer international solche Orte wie hier aufbauen, Du übernimmst die Leitung des Berlingeschäfts. Ein paar Veränderungen hast Du schon angesprochen. Welche weiteren Pläne hast Du?

UDO SCHLOEMER: Wir werden nach wie vor Hochkaräter wie Günther Oettinger oder Eric Schmidt zu uns holen und auch weiterhin mit Vorständen und Kapitalgebern reden. Wir werden auch nach wie vor die Firmen ansiedeln, die andere motivieren. Unser Ziel ist es zum Beispiel, dass eine Firma wie EyeEm, in die jetzt Peter Thiel eingestiegen ist, Teil des Ökosystems Factory wird, um andere junge Gründer anzutreiben, gleiche Geschäftsmodelle zu etablieren. Umgekehrt hilft es Firmen wie SoundCloud und EyeEm, sich vor Augen zu halten, wie sie gestartet sind, um nicht zu strukturiert zu werden. Ich stelle mir das Coworking so vor, dass jedes Ein-Mann-Unternehmen bei uns durch das Factory-Netzwerk und den Austausch von Talenten untereinander die Power von fünf, sechs Menschen besitzt. Aus diesem Austausch können sich neue Ideen und Firmen herauskristallisieren – deswegen auch das neue Thema Wohnen: Ich will WGs schaffen, über die Leute sich kennenlernen können. Und wir planen einen Klub mit ganz geringen Beitragssätzen, in dem sich die Leute treffen können, auch wenn sie keinen Büroplatz in der Factory haben, und in dem sie sich unabhängig von Einkommen und Position zum Beispiel mit dem Vorstand der Deutschen Bank auf Augenhöhe austauschen können.

Wie groß ist Dein Team, mit dem Du diese Pläne verwirklichen willst?

UDO SCHLOEMER: Ich habe hier in den letzten Wochen ein Team von 15 Leuten aufgebaut, das sich um die Produktentwicklung kümmert und das die Versprechen, die wir in der Vergangenheit nicht eingelöst haben, jetzt einlösen soll. Dieses Team kümmert sich gemeinsam mit mir und meinem bisherigen Team um das Thema Standortentwicklung. Wir sehen uns als Startup und Innovationsagentur.

Ist das Thema Startups in der Immobilienwelt schon angekommen?

UDO SCHLOEMER: Null. Wir halten sogar Vorträge vor Banken. Der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), der einflussreichste Verband für Immobilien in Berlin, hat jetzt eine Tagung bei uns in der Factory gemacht. Weil er die klassische Immobilienentwicklung im Stadtzentrum mit Shoppingcentern durch E-Commerce bedroht sehen, ist der Verband auf der Suche nach Alternativen. Ich sehe die Factory als das Modell der Zukunft, in der Ideen Freiraum haben. Das herkömmliche Büro will heute keiner mehr.

Startups und junge Unternehmen wird es immer geben, aber für Euch ist ja die Frage entscheidend: Wie sind die finanziert? Ihr habt jetzt einen Quadratmeterpreis von 14 bis 15 Euro nettokalt etabliert, den sich ein Startup erst ab einem bestimmten Punkt leisten kann.

UDO SCHLOEMER: Deshalb haben wir beschlossen, das System künftig zu verändern. Wir wollen auch Raum schaffen, der jungen Gründern umsonst zur Verfügung gestellt wird. Das wollen wir gegenfinanzieren lassen, indem wir etablierte Unternehmen auffordern, die Miete für Gründer zu übernehmen, die wir aussuchen, und im Gegenzug bekommen sie mit diesen Startups fünf Mal im Jahr ein Event. Das ist eine unserer Visionen. Wir standen vor Kurzem vor der Entscheidung, machen wir zwei, drei Factorys mit 25.000 Quadratmetern und bleiben wir dieser kleine, exklusive Soho-Kreis, um bestimmten Unternehmen eine Plattform zu bieten, oder öffnen wir uns den Markt und entscheiden uns, Berlin als Plattform zu nutzen. Wir haben uns für die große Vision entschieden. Die drei Factorys zu bauen und zu verwalten, wäre wirtschaftlich im Zweifel das sichere Modell gewesen. Was wir jetzt machen, kann weh tun. Aber die Leute verplempern im Moment wahnsinnig viel Zeit damit, Büroräume zu finden, und jeder Umzug kostet Geld und Zeit. Ich kann mir vorstellen, dass die Factory in zwei, drei Jahren dafür steht, dass ein Unternehmen mit 500 Mitarbeitern in ein fertig eingerichtetes Gebäude umziehen kann.

Schaut man sich Eure Politikerbesuche an, hat man den Eindruck, dass Ihr lokal gut vernetzt seid. Hast Du selbst auch politische Ambitionen?

UDO SCHLOEMER: Dazu fehlt mir die Diplomatie. Wir werden Politiker hier weiterhin stark einbinden, um sie zu informieren. Aber um das zu bewegen, was die Startup-Branche braucht, ist die Politik zu langsam. Die Probleme, die wir heute haben, müssten eher morgen schon gelöst sein. Statt politisch selbst aktiv zu werden, will ich erreichen, dass junge Unternehmen sich mit etablierten Mittelständlern und DAX-Unternehmen und Politikern wie Wissenschaftlern austauschen können, damit daraus ein nachhaltiger, neuer Mittelstand und eine neue Industrie entstehen können. Wir haben die Verantwortung, darüber nachzudenken, ob wir in 30 Jahren auch weiterhin Weltelite sind, wenn wir heute den Anschluss verlieren.

Da brauchst du nicht 30 Jahre warten, um den Anschluss zu verlieren.

UDO SCHLOEMER: Natürlich können es auch nur fünf Jahre sein. Aber die Kassen sind so voll – bis die DAX-Unternehmen vollständig verschwinden, kann es schon 20 Jahre dauern.

Das kann schon sein. Im Silicon Valley dagegen erhalten Startups eine ganz andere Förderung. Dort gibt es Workshops, wo sie den Leuten zeigen, wie sie DNA umprogrammieren. Google hat ganze Hangar-Hallen, wo einfach nur geforscht wird. Das gibt es in Deutschland nirgendwo.

UDO SCHLOEMER: Die deutsche Industrie muss endlich lernen, dass sie die Liquiditätsreserve, die sie hat, nicht in ihr vorhandenes Produkt steckt, sondern dafür sorgt, dass ihr Produkt dauerhaft durch Einbindung von Innovation und kreativen Modellen platziert wird. Deshalb will ich die Talente, die unternehmerisch tätig sein wollen, nach Berlin holen. Unsere Strategie ist es, die Stadt zum europäischen Valley zu machen. Einer der großen Vorteile vom Silicon Valley ist doch, dass dort Know-how, Geld und Wissenschaft an einem Ort sind. Dass Google heute genauso wissenschaftlich unterwegs ist wie unternehmerisch, halte ich für richtig. Es ist richtig, dass Unternehmen, die wirtschaftlich erfolgreich sind, Geld investieren, um die Lebensqualität aller Menschen auf diesem Planeten zu verbessern.

Ihr habt eine klare Marschroute, aber Eure Stimme allein wird nicht reichen. Welche anderen wichtigen Player siehst Du außer Euch in Berlin?

UDO SCHLOEMER: Wir haben eine wichtige Stimme mit Rocket Internet. Egal wie man die Samwer-Brüder einschätzt: Was sie für die Stadt tun, ist unbezahlbar. Eine weiterhin große Rolle werden Christophe Maire als Business Angel und Dario Suter spielen. Und dass Klaus Hommels entschieden hat, sich mit Lakestar in Berlin niederzulassen, ist eine Adelung für den Standort. Auch die amerikanischen Investoren werden eine Rolle spielen. Wenn es am Ende dazu führt, dass Google und die nächste Firma XY gemeinsame Ziele verfolgen: toll! Diese Brücke über den Teich halte ich für wichtig, um in Berlin etwas zu bewegen. Aber um unabhängig zu sein, muss die deutsche Industrie jetzt endlich ein paar Milliarden auf den Tisch legen, und zwar ohne Verwendungszweck als Forschungsetat für Startups.

Die Brücke nach Amerika ist wichtig. Bei der Old Economy in Deutschland muss aber erst noch ein Mindset Change passieren. Du willst mit einem Ökosystem doch nicht darauf warten, dass die deutsche Industrie in zwei Jahren gemütlich aufwacht, oder?

UDO SCHLOEMER: Wir sind eine Plattform, die für alle offen ist, auch für amerikanische VCs. Und ja, es ist ein Mindset Change für die deutsche Industrie. Aber es muss nur einer damit anfangen und schon fragen sich die anderen Manager: Warum investiert das Unternehmen XY in SoundCloud und nicht wir? Meine Aufgabe wird für die nächsten zwei Jahre sein, einen der Großen zu knacken.

Das klingt nach einer spannenden Mission. Das bedeutet aber auch, dass es ein kapitalintensives Jahr für Euch wird, oder?

UDO SCHLOEMER: So ist es. Wir haben dieses Jahr schon richtig viel Geld in die Hand genommen. Schaut man sich die anderen Immobilien für Startups an, hat keiner so eine Vision wie wir. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Factory wie ein Startup positionieren. Im Moment stemmen wir alles aus Eigenkapital. Es ist Zeit, dass wir uns selbst mit einer Series A auf dem Markt in Stellung bringen.

Das Gespräch führte Jan Thomas. 

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