Im Interview:

Die Gründer von ShareTheMeal

31/07/2015
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Sebastian und Bernd, bereits in den ersten sieben Tagen wurde Eure App knapp 100.000 Mal heruntergeladen und es wurden mehr als eine halbe Million Mahlzeiten geteilt. Habt Ihr mit diesem Erfolg gerechnet?

SEBASTIAN STRICKER: Das ist deutlich mehr, als wir realistischerweise erwarten durften. Insofern sind wir sehr glücklich.

Wie habt Ihr das erreicht?

BERND KOWATSCH: Wir haben bei ShareTheMeal eine Kampagne gestartet und hatten viele Unterstützer: berühmte Persönlichkeiten, Firmen, Blogger. Fast alles, was wir probiert haben, ist besser gelaufen als erwartet.

SEBASTIAN STRICKER: Auch unser Video auf Youtube ist mit mehr als 500.000 Views sehr gut angekommen. Und was man nicht vergessen darf: Auch die App-Stores haben uns geholfen.

Wie haben sie Euch unterstützt?

SEBASTIAN STRICKER: Sie haben die App relativ früh in ihren jeweiligen Kategorien als neu und bemerkenswert hervorgehoben – und sie haben uns Hinweise gegeben, wie man sich richtig präsentiert.

Worauf kommt es an?

SEBASTIAN STRICKER: Ganz wichtig ist der Text. Er muss die App treffend beschreiben und den Nutzen für den Kunden hervorheben. Dazu kommen die richtigen Screenshots, das Logo, das Video – es ist ein Portfolio an verschiedenen Hebeln, die man ziehen kann.

Wie viele Leute, die die App heruntergeladen haben, haben tatsächlich gespendet?

BERND KOWATSCH: Eine vergleichsweise hohe Zahl, die vom Tag und der Uhrzeit abhängt. Im Durchschnitt sind es 40 Prozent.

SEBASTIAN STRICKER: Wir glauben, dass wir die Zahl noch einmal deutlich steigern können. Wir bekommen viel positives Feedback von den Nutzern und Anmerkungen, was wir an der App verbessern können.

In welche Richtung geht das?

BERND KOWATSCH: Wir wollen das Spenden bei ShareTheMeal noch einfacher machen, und wir wollen mehr Feedback geben, was die Spenden tatsächlich bewirken.

Denkt Ihr auch über neue Länder nach? Bisher gibt es die App ja nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

SEBASTIAN STRICKER: Wir wollen die App natürlich global zur Verfügung stellen, das ist unser nächster großer Meilenstein.

Man könnte die App ja auch für andere Spendenziele nutzen oder sie anderen Organisationen zur Verfügung stellen. Plant Ihr das auch?

SEBASTIAN STRICKER: Wir wollen den Social Impact maximieren. Wir sind der Auffassung, dass Ernährungshilfe für Kinder eine der effektivsten Lösungen gegen Hunger und Armut ist, die es gibt. Dazu gibt es viele unabhängige Studien. Der Copenhagen Consensus sagt zum Beispiel, dass jeder Euro, den ich in die Ernährung von Kindern stecke, einen sozialen Return von 30 Euro hat.

BERND KOWATSCH: Wir entwickeln unser Kernprodukt weiter. Wir mit ShareTheMeal stehen ja noch ganz am Anfang. Bis jetzt gibt es keine vergleichbare mobile Fundraising-Plattform. Ob es Sinn macht, die Infrastruktur anderen Organisationen oder Zwecken zur Verfügung zu stellen, werden wir später sehen.

Wie groß ist das Team?

BERND KOWATSCH: Im Moment haben wir ein Team von zehn Mitarbeitern und Freiwilligen. Dass wir es geschafft haben, aus einem Startup eine UN-Initiative zu machen, wäre aber niemals möglich gewesen ohne eine Vielzahl von Firmen und Menschen, die uns finanziell und mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit unterstützt haben.

SEBASTIAN STRICKER: Dazu kommt noch das Team in Lesotho, das die Mahlzeiten verteilt, und die Unterstützung des UN-Welternährungsprogramms.

Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?

SEBASTIAN STRICKER: Startpunkt war der Gedanke, dass 40 Cent für die meisten von uns wirklich sehr wenig Geld ist, aber für ein Kind, das nichts zu essen hat, einen ganz großen Unterschied machen. Und wenn es einen einfachen Weg gäbe, wie man diese 40 Cent zur Verfügung stellen könnte, dann würden es mehr Leute machen. Dann haben wir angefangen, über die App nachzudenken. Immerhin gibt es 20-mal mehr Menschen mit Smartphone als Kinder, die Hunger leiden. Das Potenzial ist also da.

Ihr habt Euch schon vorher mit dem Hunger auf der Welt beschäftigt?

BERND KOWATSCH: Ich war beim Welternährungsprogramm der UN ursprünglich im Management und habe dort an der Optimierung der Programme gearbeitet. Ich weiß sehr gut darüber Bescheid, wie Ernährungshilfe in Entwicklungsländern funktioniert und wie wir das verbessern können.

SEBASTIAN STRICKER: Ich war ebenfalls beim UN-Welternährungsprogramm, habe dort aber in der Abteilung gearbeitet, die die strategische Richtung festlegt und für ihre Implementierung sorgt.

Das klingt nach spannenden Jobs. Warum habt Ihr Euch entschlossen, ShareTheMeal zu machen?

BERND KOWATSCH: Wir waren beide von der Idee sehr überzeugt.

War es nicht möglich, die Idee im alten Job umzusetzen?

BERND KOWATSCH: Ursprünglich haben wir abends und am Wochenende an der Idee gearbeitet. Aber dann sind wir relativ schnell darauf gekommen, dass wir daran Vollzeit arbeiten wollen und müssen.

SEBASTIAN STRICKER: Mit dem Prototypen haben wir uns beim Axel Springer Plug and Play Accelerator beworben und sind als einziges Social Startup angenommen worden. Mit dem ersten Produkt haben wir dann eine Finanzierung bekommen, Social Venture Capital, wenn man so will.

Von wem?

SEBASTIAN STRICKER: Die Spender wollen nicht alle genannt werden, aber die Ergo Versicherung und Saeed Amidi, der Gründer des Plug and Play Tech Centers im Silicon Valley, gehören dazu.

Was bedeutet Social Venture Capital?

SEBASTIAN STRICKER: Wir sind eine Non-Profit-Organisation. Deswegen kann man bei uns keine Anteile erwerben und kein Geld verdienen. Für die Investoren ist es aber spannend, dass sie bei uns ihr Geld nicht einfach spenden, sondern es genauso investieren wie bei einem For-Profit-Startup, nur dass sie hier einen Social Return on Investment generieren. Die Mechanismen sind die gleichen, die die Investoren gewöhnt sind. Sie geben einen Euro nicht einfach in die direkte Ernährungshilfe, sondern in ein Startup, das versucht, diesen Euro zu multiplizieren.

Wie groß war die Finanzierung?

BERND KOWATSCH: 75.000 Euro.

Das ist nicht gerade viel.

BERND KOWATSCH: Auf Basis dieser Finanzierung, des bis dahin entwickelten Produkts und des Kunden-Feedbacks konnten wir dann unter anderen Ertharin Cousin, die Exekutivdirektorin des UN- Welternährungsprogramms, davon überzeugen, welches Potenzial ShareTheMeal hat. Seitdem sind wir ein Projekt des Welternährungsprogramms und haben von dort auch einen Innovations-Zuschuss bekommen, um die App-Entwicklung zu finanzieren.

Wie viel war das?

BERND KOWATSCH: Das können wir nicht sagen, aber wir hatten ein sehr begrenztes Budget für die App-Entwicklung. Wir hätten das nicht geschafft, wenn nicht so viele Freiwillige uns unentgeltlich unterstützt hätten.

SEBASTIAN STRICKER: Wenn jemand interessiert ist, ShareTheMeal zu unterstützen, wir sind sehr offen dafür.

Wie geht es jetzt weiter?

SEBASTIAN STRICKER: Wir sind gerade mitten in der nächsten Finanzierungsrunde.

Es sind allein in der ersten Woche mehr als 500.000 Mahlzeiten à 40 Cent gespendet worden. Das sind mehr als 200.000 Euro. Wo fließt dieses Geld hin?

SEBASTIAN STRICKER: Die operativen Kosten, der Aufbau der App – das wird alles von unseren Investoren und dem Zuschuss finanziert. Nichts davon wird also von den 40 Cent abgezogen. Es fallen aber reguläre Transaktionskosten an und der Verwaltungsaufwand der UN.

BERND KOWATSCH: Der Verwaltungsaufwand des UN-Welternährungsprogramms für individuelle Spenden liegt bei unter zehn Prozent. Das ist sehr effizient im Vergleich zu anderen Organisationen.

Verdient Ihr persönlich jetzt wieder Geld?

SEBASTIAN STRICKER: Alle haben hier ehrenamtlich mitgearbeitet. Aber irgendwann einmal muss man wieder etwas verdienen, um den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Rund ein Drittel des Teams hat bezahlte Verträge.

Ihr beiden auch?

BERND KOWATSCH: Ja, wir sind seit vergangenem August wieder im Dienst der UN, seit das Projekt ein Innovationsprojekt der Vereinten Nationen ist. Nur, dass wir jetzt in unserem Startup arbeiten. Das ist auch innerhalb der UN ein Novum. Wir zeigen, wie wir innerhalb und außerhalb der Vereinten Nationen Innovationen beschleunigen können.

Inzwischen gibt es einen World Food Programme Innovation Accelerator.

BERND KOWATSCH: Ja, zuerst gab es ShareTheMeal. Auf dieser Basis ist die Idee für den Accelerator entstanden. ShareTheMeal ist das erste Pilotprojekt, es wird aber weitere geben.

Wo wird der Accelerator aufgebaut?

BERND KOWATSCH: Es muss nicht nur ein Standort sein, gerade wenn man sich überlegt, wo es überall Hunger auf der Welt gibt. Einer der ersten Standorte, den wir momentan in Betracht ziehen, ist München.

Warum München?

BERND KOWATSCH: Wir suchen nach Orten, wo es Verbindungen zwischen Startups, großen Unternehmen, Universitäten und Thinktanks gibt. Da kommen das Silicon Valley, London und auch München in Frage. Und da das UN-Welternährungsprogramm seinen Sitz in Europa – in Rom – hat, wird es wohl München werden.

Ihr habt die UN also auf den Geschmack gebracht?

BERND KOWATSCH: Ja.

SEBASTIAN STRICKER: Das entwickelt sich gerade.

Und wie entwickelt Ihr Euch weiter?

SEBASTIAN STRICKER: Bei jedem Innovationsprojekt kommt irgendwann der Punkt, an dem sich abzeichnet, ob es Potenzial hat oder nicht. Wir setzen uns verschiedene Meilensteine. Konkret: Wir wollen bis Ende des Jahres wissen, ob das hier ein Werkzeug sein kann, mit dem man effizientes Fundraising machen kann oder nicht. Davor sollten wir global aktiv sein.

BERND KOWATSCH: Wir wollen wissen, ob das hier effizient ist und den Kuchen vergrößert. Was wir nicht wollen, ist anderen Zwecken oder Organisationen Mittel wegnehmen. Wenn das gewährleistet ist, wird es hier auch weitergehen.

SEBASTIAN STRICKER: Das sind ähnliche Kriterien, wie man sie bei einem For-Profit-Startup anlegt. Wir müssen uns auch um Finanzierung bemühen, und wenn wir die Investoren nicht überzeugen können, dass das eine sinnvolle Sache ist, dann sollten wir unsere Zeit für andere Dinge einsetzen.

Wofür wollt Ihr die nächste Finanzierung einsetzen?

SEBASTIAN STRICKER: Für den globalen Rollout, und wir werden sehr bald wissen, ob wir den stemmen können.

Wo wollt Ihr anfangen?

SEBASTIAN STRICKER: Entweder alle Länder gleichzeitig, also tatsächlich global, oder sequenziert. Dann wären die nächsten Länder USA, Japan und Korea. Da spielen viele Faktoren eine Rolle: die Art der Finanzierung, unsere Partner, unsere eigene Kapazität.

Mit Euren Spenden finanziert Ihr Schulmahlzeiten in Lesotho. Was kommt danach?

SEBASTIAN STRICKER: In Lesotho ist noch einiges zu tun. Wir müssen zuerst einmal dafür sorgen, dass die Versorgung mit Schulmahlzeiten dort auf Dauer gesichert ist.

Wie lange wird das dauern?

SEBASTIAN STRICKER: Nach einer Woche können wir das noch nicht sagen. Wir haben Modelle gebaut, aber die schwanken natürlich. Wenn wir hier eine seriöse Aussage machen wollen, brauchen wir mehr Zeit. Es gibt so eine mobile Fundraising-Plattform noch nicht, also auch keine Vergleichsmöglichkeiten.

Ist Euer Startup auch auf Dauer angelegt?

SEBASTIAN STRICKER: So wie bei jedem anderen Startup. Wir wollen das hier so groß wie möglich machen. Aber gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass wir an einem sozialen Projekt arbeiten. Es macht nur dann Sinn, wenn wir glauben, dass wir hier effizient sozialen Impact generieren können. Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass wir Zeit und Ressourcen anderswo effizienter einsetzen können, haben wir die moralische Verpflichtung, das zu tun.

Das Gespräch führte Corinna Visser.