Point-Nine-Mitgründer Pawel Chudzinski im Interview

01/07/2015
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von Rocket und Zalando – das sieht die Welt. Die VCs müssen nur kommen, und das tun sie allmählich auch.

Aber ist das nicht auch Konkurrenz für Euch?

Pawel Chudzinski: Wir sind mit Point Nine noch in einer Phase, in der Konkurrenz gut ist. Wenn du der Einzige im Dorf bist, gibt es keinen Markt. Die Frage ist ja: Willst du einen kleinen Kuchen, der dein eigener ist, oder willst du einen Riesenkuchen schaffen und etwas davon abhaben. Wir glauben, das Zweite ist besser.

Euer Portfolio zeigt, dass Ihr ein sehr gutes Händchen bei der Auswahl habt. Wie geht Ihr dabei vor, und warum entscheiden sich diese Unternehmen für Euch?

Pawel Chudzinski: Wir sind sehr fokussiert auf Software as a Service (SaaS) und digitale Marktplätze. Gründer finden es gut, wenn du spezialisiert bist. So sammelst du sehr viel Erfahrung auf diesem Feld und bist dadurch ein wertvoller Sparringspartner. Ein fokussiertes Portfolio ermöglicht zudem Synergien, die aus der Vernetzung der Firmen untereinander entstehen können. Darüber hinaus hilft uns die Expertise, die Geschäftsgrundlage dieser Firmen besser einzuschätzen.

Sollte sich nicht jeder Investor spezialisieren?

Pawel Chudzinski: Klar. Aber du kannst dich als Berliner Investor positionieren und sagen: Ich investiere nur in Berlin, und dafür will ich jeden kennen und alles hören. Oder man macht es wie wir: thematisch. Das sollten aber nicht zu viele Bereiche sein. Wenn jemand zehn Spezialisierungsbereiche nennt und hat 15 Portfolio-Companies, dann ist jede Company in einem anderen Bereich. Was auch nicht funktioniert: innerhalb Europas länderspezifisch zu agieren.

Wieso habt Ihr in Kitchen Stories investiert? Die sehe ich derzeit weder als Software as a Service noch als Marktplatz.

Pawel Chudzinski: User-generated Content wie bei Kitchen Stories ist am Ende des Tages eine Community, was bei uns in die Kategorie Marktplatz fällt. Und mobile Communities sehen wir als großen Trend in der ganzen Marktplatzdynamik.

Welche Trends seht Ihr noch?

Pawel Chudzinski: Wir sehen bei Point Nine Capital zwei marktübergreifende Trends. Zum einen geht die Software in die Cloud. Jeder Markt hat Software, und unsere These ist, dass alles auf cloudbasierter Software laufen wird. Und der andere Trend sind die Marktplätze. Davon kann jede Industrie profitieren. Das hat im Consumer-Bereich mit Ebay angefangen und geht immer mehr in andere Bereiche.

[bctt tweet=”„Wenn du der Einzige im Dorf bist, gibt es keinen Markt.“ Pawel Chudzinski, Mitgründer Point Nine Capital”]

Ihr habt vor Kurzem Euren dritten Fonds in Höhe von 55 Millionen Euro bekannt gegeben. Wie kam es dazu, und warum ist der Fonds nicht größer?

Pawel Chudzinski: Der Ursprung dieses Fundraisings war, dass wir sehr zufrieden mit dem vorherigen Fonds waren. Deshalb wollten wir das Gleiche noch mal machen. Alle bestehenden Großinvestoren sind wieder dabei und auch ein paar neue. Einen noch größeren Fonds wollten wir aber nicht, da der dich automatisch in andere Deals zwingt. Wenn du plötzlich 150 Millionen zu investieren hast, machst du keine 200k-Tickets mehr, da sehr kleine Investments für die Größe des Fonds irrelevanter werden.

Und die müssen dann investiert werden?

Pawel Chudzinski: Die müssen, das ist der Punkt. Fondsmanagement ist eine sehr komplexe Disziplin. Ein Schlüsselpunkt ist, keine Cross-Investments zwischen den Fonds zu machen. Bei einem Fonds-Investment benötigst du Reserven für Folge-Investments. Die Kunst ist es zu erkennen, wie viel Geld das sein könnte. Schlecht ist, wenn das Geld im Fonds ausläuft oder bei einem Fonds zu viel Geld für Folgerunden eingeplant ist und am Ende nur 70 Prozent wirklich investiert werden. Die Investoren zahlen aber Fees unter der Annahme, dass du den ganzen Fonds investierst, und reservieren ihrerseits Geld für den Fonds. Bei unserem zweiten Fonds wissen wir noch nicht: Haben wir jetzt zu viel oder zu wenig Reserven? Wir lernen noch und betrachten uns bei Point Nine selbst noch als ein Startup.

Wenn ein Unternehmen sehr schnell mit 30 Millionen bewertet wird, scheint das kein Schnäppchen mehr. Wie entscheidet Ihr, was ein guter Preis ist?

Pawel Chudzinski: Natürlich ist ein Schnäppchen cool, aber „there is no free lunch“. Es ist immer besser, einen fairen Preis für eine gute Company zu zahlen, statt einen Schnäppchenpreis in eine schlechte Firma zu investieren. Am Ende ist es eine Mischkalkulation: Wir wissen, dass in unserem Portfolio nicht alle Investments erfolgreich sein können und ein Großteil davon nicht die erhofften Returns generieren wird. Deshalb müssen die erfolgreichen Investments für die anderen mitbezahlen, damit wir am Ende einen Return im Gesamtpaket haben.

Euer Investment Kreditech könnte demnächst vor einem IPO stehen. Was passiert, wenn dort jetzt schon ein Return kommt? Wird das Geld wieder reinvestiert oder schon ausgeschüttet?

Pawel Chudzinski: Im Fondsgeschäft ist es ja so: Du hast Kosten und Managementgebühren, die zunächst der Fonds bezahlt. Die Exits, die zuerst zurückkommen, werden dann so lange reinvestiert, bis die 100 Prozent des Fonds angelegt sind. Unser erster Fonds beispielsweise macht keine Investments mehr. Fonds zwei macht noch Folge-Investments, und Fonds drei investiert neu. Die Investment-Zeit währt zwei bis vier Jahre, die Gesamtlaufzeit ist eher zehn bis 15 Jahre.

Wie bist Du in der Startup-Szene gelandet?

Pawel Chudzinski: Ich bin in Polen aufgewachsen und mit 17 Jahren nach Deutschland zum Studieren gekommen. Hier habe ich Lukasz Gadowski und Kolja Hebenstreit kennengelernt, die damals bereits Startups gegründet und investiert haben. Neben meinem ersten Job im Banking habe ich mit Lukasz mein erstes Angel-Investment in Polen gemacht. Aus diesem Hobby wurde dann eine Full-Time-Beschäftigung, und ich half Lukasz dabei, Team Europe mitaufzubauen. Nachdem wir immer mit den gleichen Leuten investiert hatten, haben wir mit diesen Leuten Ende 2009 den ersten Fonds von sechs Millionen Euro gepoolt.

Wie ist die Startup-Szene in Polen?

Pawel Chudzinski: Du hast in Polen das Problem, was Deutschland vor Berlin hatte. Keiner weiß so richtig, wohin man fahren soll, wenn man Startups treffen möchte. Du kannst nach Warschau, Breslau oder Krakau. Überall ist was los, aber es fehlt überall an kritischer Masse. Krakau hat ein bisschen das Zeug dazu, ein lokaler Hub zu werden.

Siehst du Synergie-Chancen?

Pawel Chudzinski: Der Unterschied von ganz Osteuropa zu Berlin ist: Die Tech- und Produktleute sind teilweise sehr gut und voller kreativer Ideen, aber es mangelt an Commercial Talent, also Management, Marketing, Sales. Das sind die Schwächen in Osteuropa und wiederum die klaren Stärken der BWL-Gründer hier in Berlin, die wissen, wie man ein Business wirklich aufbaut und verkauft. Sie haben ein sehr gut durchdachtes Geschäft, aber wenn man sich Produkt und Technik anschaut, ist es nicht immer so stark – ich glaube, da kann es viele Synergien geben.

Die ja entstehen könnten, wenn diese Gründer nach Berlin zum Fundraisen kämen. Ist der Politik ausreichend bewusst, dass wir hier mehr Investoren brauchen?

Pawel Chudzinski: Keine Ahnung, ob die Politiker das verstehen oder sich damit beschäftigen. Fakt ist, dass in Berlin die Szene ohne oder trotz der Politik gewachsen ist. In Polen haben sie versucht, die Startup-Szene mit öffentlichen Geldern voranzutreiben. Dadurch betreuen Leute das Geld, die sehr oft nicht genügend Erfahrung haben. Aber es würde schon helfen, wenn die Rechtsgrundlage hierzulande stabiler wäre. Das wäre auch wichtiger als ein Staatsfonds.

Wie sieht die Zukunft von Point Nine Capital aus?

Pawel Chudzinski: Wir denken viel darüber nach, was in zehn, zwanzig Jahren sein wird. Wir wollen das führende Team für Early-Stage-Investments in Europa aufbauen, vielleicht sogar global führend bei SaaS und Marktplätzen. Dazu werden wir neue Fonds haben und wahrscheinlich mehr Leute. Wir sind bereits stark gewachsen von sechs Millionen Euro im ersten Fonds auf 39 Millionen im zweiten und nun der Sprung auf 55 Millionen. Wir fühlen uns gut mit der Art und Weise, wie wir die Sache angehen. Aber es ist ein sehr dynamisches Umfeld, man muss sich laufend anpassen.

Ihr seid auch in den USA und Kanada aktiv. Warum?

Pawel Chudzinski: Das liegt an unserem SaaS-Fokus. Die USA sind strategisch wichtig für uns. Mehr als die Hälfte der globalen Software-Ausgaben werden dort getätigt. Deshalb musst du, wenn du etwas Globales im Software-Bereich aufbauen willst, dort aktiv sein.

Für welche europäischen Startups ist der amerikanische Markt interessant?

Pawel Chudzinski: Das ist abhängig vom Geschäftsmodell. Bei Marktplätzen expandierst du von einem Land zum anderen. Darin sind die Europäer die besten der Welt, da brauchst du nicht unbedingt über die USA nachzudenken. Bei SaaS ist das anders. Hier musst du aufpassen, dass in den USA nicht jemand das Gleiche oder etwas Ähnliches startet wie du. Durch die Größe des Marktes kann der amerikanische Wettbewerber schneller skalieren als du hier. Und weil die Corporates drüben aufgeschlossener für Innovationen sind, gewinnt er schneller Kunden. Dadurch hat er mehr Geld und am Ende ein besseres Produkt. Wenn er dann rüberkommt, kann es ganz schnell vorbei sein für dich. Für Startups hier bedeutet das: Du kannst starten, wo du willst, aber du musst den US-Markt im Auge behalten. Und du musst an einen großen Hub angeschlossen sein, denn die Menge an Leuten, die du irgendwann brauchst, wirst du im Niemandsland nicht finden. Das sind die Regeln, die wir für uns definiert haben.