EY Start-up-Barometer:

Mehr Deals, weniger Volumen

06/02/2017
header image

Kapital ist das Kerosin für neue Geschäftsmodelle, Innovation und Wachstum. Die USA mit ihrer beinahe paradiesischen Start-up- und Finanzierungskultur machen das tagtäglich vor. Doch wie sieht es in Deutschland aus? Das aktuelle Start-up-Barometer für 2016 von EY zeigt die neuesten Entwicklungen.

Seit 2014 misst das Start-up-Barometer Deutschland von EY, was sich in der Gründerszene in Deutschland bewegt, wie sich Investitionen, Strukturen und Inhalte verändern und wie sich die Finanzierung von Start-ups in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern entwickelt.

Die aktuelle Ausgabe für 2016 wartet auf den ersten Blick mit einer Überraschung auf. Denn beim Investitionsverhalten der Kapitalgeber gibt es zwei scheinbar gegensätzliche Entwicklungen: Einerseits stieg die Anzahl der veröffentlichten Risikokapitalinvestitionen im Jahr 2016 deutschlandweit auf 486 an. Das ist ein starkes Plus von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Andererseits ging aber der Gesamtwert der Investitionen um insgesamt 30 Prozent zurück. Während die Gründer 2015 bundesweit noch insgesamt 3,17 Milliarden Euro einsammeln konnten, waren es 2016 nur noch 2,23 Milliarden Euro.

Das sieht auf den ersten Blick negativer aus, als es in Wirklichkeit ist. Denn das hohe Investitionsvolumen im Jahr 2015 lag an acht Mega-Deals, von denen jeder ein Volumen von mehr als 100 Millionen Euro hatte. Und die daraus resultierenden insgesamt mehr als 1,3 Milliarden Euro blieben im Jahr 2016 aus. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Deals stammte aus dem Börsengang von Rocket Internet Ende 2014. Damit relativiert sich der zunächst sehr groß erscheinende Investitionsunterschied zwischen den beiden Jahren. Insgesamt lässt sich für 2016 eine positive Tendenz in allen Start-up-Ökosystemen über alle Bereiche feststellen.

„DIE ANZAHL DER INVESTITIONEN STIEG AN, IHR GESAMTWERT GING ZURÜCK“

Lange Zeit war Berlin der unangefochtene Spitzenreiter für Investitionen in Start-ups. Der Abstand zu den Verfolgern ist 2016 aber erheblich geringer geworden. Während im vergangenen Jahr das Investitionsvolumen in Berlin noch mehr als zwei Milliarden Euro betrug, ging es im aktuellen Berichtszeitraum – aufgrund der ausgebliebenen Mega-Deals – um 52 Prozent auf etwas mehr als eine Milliarde Euro zurück. Im Gegensatz dazu legten die Start-ups in Bayern und Nordrhein-Westfalen kräftig zu; sie erhielten 527 Millionen Euro (gegenüber 282 im Vorjahr) beziehungsweise 141 Millionen Euro (gegenüber 90 im Vorjahr) an Risikokapital.

Wenn man die Anzahl der finanzierten Unternehmen betrachtet, ergibt sich ein leicht anderes Bild. So nahm die Anzahl der geförderten Start-ups in Berlin von 212 auf 220 zu. Das ist – im Vergleich zum gesunkenen Investitionsvolumen – eine gute Nachricht für die Kreativhauptstadt: Der Start-up-Standort Berlin konnte in puncto Anzahl der Investitionsrunden das hohe Niveau des Vorjahres halten.

Aber auch aus den anderen Bundesländern gibt es gute Nachrichten. So legte die Anzahl der Finanzierungsrunden in Bayern von 75 auf 83 und in Nordrhein-Westfalen sogar von 23 auf 48 zu; das ist eine glatte Verdoppelung. Auch in Hamburg und Hessen wurden mehr Runden gezählt als im Vorjahr. Bis auf Baden-Württemberg und Sachsen gab es damit auch in den anderen Bundesländern mehr Finanzierungsrunden als im Vorjahr. Die Finanzierung von Start-ups steht also auf einer relativ breiten Basis.

Anzahl der Finanzierungsrunden nach Bundesländern (Quelle: EY)

E-Commerce in Seitwärtsbewegung

Erneut war der E-Commerce-Bereich der unangefochtene Favorit der Investoren. Während 2015 in die drei großen „F“ – Food, Fashion und Furniture – noch stolze 1,32 Milliarden investiert wurden, waren es 2016 nur noch 231,75 Millionen. Und mit Brillen und Sport haben sich 2016 zwei weitere E-Commerce-Bereiche vor Fashion geschoben. Andererseits stieg auch im Bereich E-Commerce die Anzahl der Finanzierungsrunden um 14 Prozent von 93 auf 106 an.

Eine ähnliche Entwicklung hat der Bereich Fintech genommen, der mit nur knappem Abstand auf E-Commerce folgt (413 Millionen Euro). Auch hier ebbte der Geldfluss aufgrund des Ausbleibens von Mega-Deals spürbar ab, aber die Anzahl der Transaktionen wuchs um stattliche 25 Prozent auf 55.

„2016 HAT EINE BEWEGUNG IN DIE BREITE STATTGEFUNDEN“

An dieser Entwicklung zeigt sich auch, dass sich der Fokus der Investitionen verändert. Ist die Digitalisierung im Bereich Handel und Finanzdienstleistungen bereits im vollen Gange und wird durch Start-ups weiter vorangetrieben, werden nun auch Start-ups in anderen Industriebereichen verstärkt finanziert. Bereiche wie Mobility, Health, Software & Analytics und Energy konnten kräftig zulegen und sind bei ihren Investitionsvolumen den beiden Spitzenreitern sogar eng auf den Fersen. Dieser positive Investitionstrend unterstreicht die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die momentan beispielsweise die innovativen Mobilitätskonzepte im Blick hat. So sammelten die Start-ups aus diesem Bereich mehr als doppelt so viel Geld ein wie im Vorjahreszeitraum. Der Schwenk hin zu einer veränderten Mobilität hinterlässt auch hier seine Spuren.

Positiv ist auch zu werten, dass bei den Verfolgern nicht nur das Gesamtfinanzierungsvolumen, sondern auch die Anzahl der Finanzierungsrunden anstieg. Spitzenreiter ist weiterhin E-Commerce mit 106, gefolgt von Software & Analytics (84), Health (60), Fintech (55) und Mobility (41). Erfreulich ist auch die Größe der Finanzierungsrunden. Zwar blieben, wie bereits erläutert, die Mega-Deals mit einer Größe von mehr als 100 Millionen aus, dafür gab es aber viel mehr kleine und mittelgroße Deals mit einem Umfang von bis zu zehn Millionen Euro. Deren Zunahme von 206 auf 304 bedeutet ein Plus von knapp 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Damit fanden deutlich mehr Investitionen in Start-ups statt, die sich in den ersten Wachstumsphasen befinden und denen Investoren weiteres Wachstum zutrauen. Diese Entwicklung nährt die Hoffnung, dass es in Zukunft weitere, auch größere Finanzierungsrunden gibt.

Finanzierungssummen je Sektor in Deutschland (Angaben in Millionen Euro; Quelle: EY)

Bei den Top-Fünf-Risikokapitaltransaktionen in Deutschland 2016 liegt Hellofresh aus Berlin an der Spitze. Der Versender von Kochboxen sammelte immerhin 85 Millionen Euro ein. Mit 80 Millionen Euro folgt Heliatek. Die sächsischen Gründer stellen organische Solarfolien her. Die Liste geht weiter mit Sonnen (76 Millionen) und Flixbus aus Bayern (72 Millionen) sowie Goeuro aus Berlin (63 Millionen).

Beim Vergleich mit dem Vorjahr zeigt sich deutlich, wie viel weniger Geld 2016 an die erfolgreichsten Unternehmen geflossen ist: Allein der damalige Spitzenreiter Delivery Hero sammelte 2015 in drei Finanzierungsrunden 586 Millionen Euro ein und damit mehr als die letztjährigen Top-Fünf zusammen. Insgesamt zeichnet das Start-up-Barometer 2016 ein positives Bild. So überzeugt vor allem die weiter steigende Zahl der Unternehmen, die Risikokapitalgeber anlockt.

Anzahl und Wert der Finanzierungsrunden in Deutschland (Quelle: EY)

Deutsche Start-ups sind für Investoren attraktiv wie nie zuvor. Diese Entwicklung bestätigt, dass sich das Klima für Gründer in den letzten Jahren nachhaltig verbessert hat. Dazu tragen die etablierten Strukturen für junge Unternehmen bei. Eine wichtige Rolle spielen die Ökosysteme mit ihren vielen Playern wie Universitäten, Unternehmen, Förderern und Risikokapitalgebern, ebenso aber auch Coworking Spaces und Accelerator-Programme. Sie erleichtern die ersten Schritte und schaffen die Voraussetzung für die Bildung von lebendigen Start-up-Szenen auch abseits der Hauptstadt – eine elementare Voraussetzung, damit der Standort Deutschland auch weiterhin auf Erfolgskurs bleibt. Es sind die Kreativschmieden, die mit ihren Ideen (auch rund um Industrie 4.0) die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft global stärken.

Mit der größeren Anzahl von geförderten Gründerfirmen und der immer schnelleren Entwicklung vom erfolgreichen kleinen Start-up zum Global Player wächst zudem die Chance, dass sich Start-ups zu großen und erfolgreichen Unternehmen weiterentwickeln. Je stärker die Basis, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das nächste Facebook oder Uber eventuell auch aus einem der deutschen Start-up-Ökosysteme kommt. Warten wir es ab.

Mehr Informationen finden Sie im EY Newsroom, bei der EY Start-up-Initiative sowie auf dem EY Facebook-Account. Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an peter.lennartz@de.ey.com.