Von null auf hundert Ideen

mit Design Thinking on Speed

15/04/2017
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Scheiße! Wie kommen wir jetzt in megakurzer Zeit auf ziemlich viele innovative Ideen zu einem Thema, von dem wir bisher so gut wie keine Ahnung haben? Mit dieser Frage quälte ich mich eines schönen Abends in meinem Hotelzimmer herum – wenige Stunden nachdem ein Pitch-Briefing mit strammer Deadline bei uns reingerauscht war. Es ging um eine Thematik, die weder ich noch meine Kollegen so wirklich kannten. Und um noch eine Schippe draufzulegen: Wir, die Outsider, sollten für bestehende Fans, also die Insider, knackige Social-Media-Formate für ihren Lieblingserzählkosmos entwickeln. Jo! Alles klar! Ich geh dann mal kurz brüllheulen. Doch gerade in diesen speziellen Phasen großen kreativen Leids belohnt mich mein Gehirn dennoch recht zuverlässig mit kreativen Befreiungsschlägen. So wie auch an diesem Abend.

„Wie kommen wir in megakurzer Zeit auf viele innovative Ideen zu einem Thema, von dem wir bisher so gut wie keine Ahnung haben?“

Da ich mich die Wochen zuvor in die Thematik „Design Thinking“ regelrecht reingefressen hatte (und dabei festgestellt habe, dass ich Design Thinking bereits jahrelang praktiziert habe, ohne es „Design Thinking“ zu nennen), kam ich auf die Idee den regulären Design-Thinking-Prozess so zu modifizieren, dass er meinen panischen Anforderungen gerecht wird: Also in minimaler Zeit und mit überschaubarer Anzahl von Menschen einen maximalen Output an Ideen zu ermöglichen.

Normalerweise zieht sich so ein klassischer Prozess über Tage oder Wochen hin, was vermutlich sogar geschickt oder wichtig ist, sofern man in die Tiefe gehen will und eine komplexe Aufgabe wie zum Beispiel „Wie kann ich Innovationsprozesse in bestehende Unternehmen implementieren?“ bearbeiten muss. Unsere Aufgabenstellung schien hingegen, trotz des vorherrschenden Zeitdrucks, durchaus überschaubar zu sein und so peitschte plötzlich ein Schlagwort durch meine leidenden Synapsen: Wir machen einfach „Design Thinking s Speed“. Basta!

Alles klar, das passende Buzzword-Label ist also schon mal da, aber wie könnte so etwas dann wohl ganz konkret aussehen? Und viel wichtiger: Würde das dann auch morgen Früh, also in wenigen Stunden, funktionieren?

Testen, testen, testen, bis der Arzt kommt

Normalerweise besteht Design Thinking aus vier Phasen, die jedoch stets zirkulär gedacht werden müssen: Analyse, Synthese, Kreation und Prototyping. In der Analysephase werden alle verfügbaren Daten zum Thema oder zu einer Aufgabenstellung gesammelt, es werden Interviews geführt, Personas angelegt, Feldforschung betrieben oder sonstige Methodiken angewendet – sofern sie am Ende dazu beitragen, der Aufgabenstellung sinnvoll auf den Grund zu gehen. Alle Ergebnisse der Recherchephase werden dann in einer Synthesephase auf ein Minimum zusammengedampft und für alle Teilnehmer des Prozesses sicht- und greifbar gemacht. Diese dienen dann nämlich im Anschluss als wichtige Inspirationsquelle für die nun folgende Kreationsphase.

„Design Thinking besteht aus vier Phasen: Analyse, Synthese, Kreation und Prototyping“

In der Kreationsphase werden dann so viele Ideen wie möglich mit unterschiedlichen Kreativitätstechniken ersponnen und – ganz wichtig – ebenfalls visualisiert. Natürlich gelten auch hier unsere obligatorischen Ideenfindungsregeln. Die Ergebnisse der Kreation werden anschließend geordnet, bewertet und nur die besten Ideen erhalten am Ende die Chance auf Weiterentwicklung in Form eines Prototypen.

Da Design Thinking ursprünglich von Ingenieuren erfunden wurde, denkt man bei Prototyping sofort an etwas maschinelles, etwas handfestes, also etwas wozu man eine Werkstatt oder so etwas braucht. Das ist in einigen Aufgabenstellungen sicherlich von Vorteil, doch im Fall von Content- und Formatentwicklung reichen auch andere Formen des Prototypings, zum Beispiel Storyboards, Scribbles, Mock-ups oder Photoshop-Montagen (obwohl bei mir mittlerweile auch sicherheitshalber zwei Kisten Lego rumstehen). Normalerweise werden diese Prototypen dann mit und an den Menschen getestet, für die sie ursprünglich mal entwickelt wurden.

„Prototypen werden mit und an den Menschen getestet, für die sie ursprünglich entwickelt wurden“

Letzteres ist meines Erachtens sowieso die wichtigste Eigenschaft des Design Thinkings: Eine konsequent nutzerzentrierte Haltung. Man schaut sich das Problem oder die Aufgabe stets konsequent aus der Perspektive derjenigen Menschen an, die das Problem haben und für die man Lösungen entwickeln möchte. Allein wenn man diese Haltung zu jeder Zeit beherzigt, ist man grundsätzlich auf einem sehr guten Weg auch passgenaue innovative Produkte, Lösungen oder Content zu entwickeln. Zudem bieten heutige Tools ein vielfaches mehr an Feedback. Wir können testen, testen, testen bis wahlweise der Arzt kommt (um den Stecker zu ziehen) oder ein wunderbares Einhorn erscheint und uns alle mit Glitzerstaub glücklich macht. Dieser iterative Prozess, das zirkuläre Denken, das konsequenten am und mit dem Nutzer arbeiten, macht den Großteil des Erfolgs aus. Je mehr Schleifen, desto besser.

Telefontermin mit Insider

Doch für Schleifen war für meine Aufgabe leider nicht viel Zeit, also bastelte ich folgende Agenda für den nächsten Morgen:

  • 10:00 Uhr Briefing und Verteilung der „Research Missions“
  • 14:00 Uhr Präsentation der Research-Ergebnisse
  • 15:00 Uhr Ideengenerierung auf Basis der präsentierten Ergebnisse

Um 10 Uhr standen sechs Menschen im Raum: Zwei Autoren, eine Konzepterin, eine Redakteurin und ein Designer. Am Abend vorher hatte ich noch in Windeseile 20 sogenannte „Research Missions“ formuliert. Das waren Aufgaben, die in etwa in folgende Richtung gingen: „Erkläre Menschen, die XYZ nicht kennen anhand eines Schaubildes in fünf Minuten dessen Erzählkosmos“ oder „Erstelle ein Moodboard zum Thema XYZ“ oder „Welche Technologien sind derzeit ,en vogue‘ um XYZ zu transportieren?“ oder „Führe ein Interview mit einem Superfan von XYZ“ und so weiter.

Jeder im Raum durfte sich so viele Aufgaben mitnehmen, wie er oder sie zu schaffen vermochte. Wichtig dabei war, dass alle um 14 Uhr wieder zusammen kommen, um die Ergebnisse in der großen Runde zu präsentieren. Also musste recherchiert, gemalt, Post-its geklebt oder Ausdrucke angefertigt werden, um all die gewonnenen Erkenntnisse an die Wände im Briefing-Raum zu klatschen und sie somit für alle verständlich zu visualisieren. Außerdem besorgte ich kurzfristig noch einen Telefontermin mit einem absoluten Insider, den man zum Thema entsprechend intensiv ausquetschen konnte. Qualitative Insights aus erster Hand sind Gold wert!

„Qualitative Insights aus erster Hand sind Gold wert!“

Nach 15 Minuten Briefing trennte sich die Gruppe und jeder für sich ging an die Arbeit. Als wir uns um 14 Uhr wieder versammelten, hat es mich völlig umgehauen. Der ganze Raum hing voller Ergebnisse, die bereits auf ein Minimum reduziert waren. Der Zeitdruck und die Ansage schnell an synthetisierte Ergebnisse für alle zu gelangen, trug offenbar Früchte. Der enorme Zeitdruck zwang die Leute, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Innerhalb von 45 Minuten hatte die gesamte Gruppe das Wissen aller Einzelnen ausgetauscht und kollektiv eingesaugt. Wir waren nun alle auf dem gleichen Wissensstand und das in weniger als vier Stunden.

Ermutigung weiter zu experimentieren

Außerdem organisierte einer der Teilnehmer noch einen internen Insider, der unsere Recherche ergänzte oder bestätigte und sogleich auch bei der anschließenden Ideengenerierung teilnahm. Und das Ergebnis übertraf meine Erwartungen. Ich sah mich noch am Abend zuvor verzweifelt in der Embryohaltung kauern und nun hingen da plötzlich 100 qualifizierte Ideen verteilt auf zwei Boards. Krass!

„Der enorme Zeitdruck zwang die Leute sich auf das Wesentliche zu konzentrieren“

Danach waren alle Beteiligten allerdings auch völlig im Eimer. Wir waren komplett leer, ausgesaugt und abgemolken. Aber ich war dennoch super happy. Der spontane Plan eines „Design Thinking on Speed“ ging für mich auf und es ermutigt mich immer weiter, mit verschiedenen Methoden zu experimentieren und nicht nur eine bestimmte Methode nach Schema F anzuwenden und dabei zu bleiben. Es gibt eben nicht DAS Design Thinking oder DAS Brainstorming oder DAS agile Dingsbums. Es gibt so viel mehr und was nicht zu uns passt, wird eben von uns passend gemacht.