Im Interview

Babbel Gründer Markus Witte

02/10/2015
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Wer sind Eure Wettbewerber?

MARKUS WITTE: Das kommt darauf an, wie man den Markt zuschneidet. Die großen traditionellen Anbieter wie Rosetta Stone gehören sicher dazu. Aber insgesamt ist es eine wilde Mischung. Der E-Learning-Markt ist sehr fragmentiert. Da hat sich international wenig Marktführerschaft herausgebildet. Für uns heißt es, den Markt, der sich neu formiert, zu beherrschen.

Wo liegen die Herausforderungen im US-amerikanischen Markt?

MARKUS WITTE: Die USA sind ein ganzes Stück fremder, als man denkt. Wir schauen die gleichen Filme, hören die gleiche Musik, die Sprache ist auch keine große Hürde. Kulturell aber sind die Unterschiede größer.

Aber die Amerikaner sind mobilen Diensten gegenüber doch sehr aufgeschlossen.

MARKUS WITTE: Absolut. Mobile Dienste und mobiles Bezahlen gehen besser, keine Frage. Aber das Thema Sprachenlernen ist nicht ganz so hoch aufgehängt wie in Europa. Hier will wirklich jeder irgendwann mal eine Fremdsprache lernen. In den USA wächst das Bedürfnis stark, aber es ist nicht so selbstverständlich und man hat mehr Angst davor.

Wenn Ihr den US-Markt erobern wollt, warum habt Ihr dann keinen US-Investor an Bord geholt?

MARKUS WITTE: Wir sind ja kein Frühphasen-Startup mehr, dem Investoren Tipps geben müssen.

Braucht Ihr keine Kontakte?

MARKUS WITTE: Das überschätzt man sehr gerne. Für uns ist wichtig, dass unsere Investoren das Business verstehen, lange Zeit hinter uns stehen, uns helfen, das Geschäft voranzubringen. Die Vorstellung, dass Investoren operative Probleme lösen können, ist in fast allen Fällen falsch. Aber wir sind in einer speziellen Situation. Wir sind seit 2011 profitabel. Wir haben uns immer dann Geld geholt, wenn wir es nicht zum Überleben gebraucht haben, sondern wenn es darum ging, uns neue Horizonte zu eröffnen.

Hat Babbel davon profitiert, eine der ersten Apps auf der Apple Watch gewesen zu sein?

MARKUS WITTE: Wir waren Launch-Partner der Apple Watch. Deutsche Partner gab es, glaube ich, nur zwei: BMW und uns. Es hilft schon, dass Apple dahintersteht. Wir passen sehr gut in die Produktpalette und auch sehr gut zu dieser Art von Device.

Inwiefern?

MARKUS WITTE: Unsere Versuche mit E-Learning auf der Watch sind auch für Apple spannend: Was kann man in 20 Sekunden kurzen Interaktionen tun? Flüge buchen wohl nicht, Fotos anschauen bin ich mir auch nicht sicher, aber einzelne Vokabeln lernen auf jeden Fall. Und wenn ich dann noch die Location miteinbeziehe und einen Spielefaktor reinbringe, dann ist das eine spannende Sache.

Wie viele Nutzer habt Ihr in den USA?

MARKUS WITTE: Das sagen wir nicht. Das Schöne ist ja, dass wir nicht börsennotiert sind und nicht über unsere Zahlen reden müssen.

Verratet Ihr, wie viele Mitarbeiter Ihr inzwischen habt?

MARKUS WITTE: Das gesamte Team hat derzeit 350 Leute.

Ihr seid stark gewachsen. Was muss man dabei beachten?

MARKUS WITTE: Das kommt darauf an, was für eine Art Firma man ist. Bei uns gibt es keine reinen Exekution-Aufgaben. Es ist nicht so, dass wir vorher wissen, so macht man das und wir brauchen jetzt Soldaten, die das umsetzen. Wir müssen ständig navigieren und herausfinden, was in der nächsten Stufe wichtig ist. Wir brauchen Leute, die mitdenken.

Wie wollt Ihr Euer Produkt in Zukunft weiterentwickeln?

MARKUS WITTE: Am Anfang ging es vor allem darum, ein Produkt zu machen, das funktioniert. Der nächste Schritt war, dem Ganzen ein Look-and-feel zu geben, das cool ist und Spaß macht. Joy of Use ist ein großes Thema. In der letzten Zeit arbeiten wir extrem daran, dem Kunden zu helfen, beim Lernen dabeizubleiben. Wir haben bereits eine durchschnittliche Kundenverbleibzeit von deutlich mehr als zwölf Monaten. Das ist richtig cool im Lernbereich. Aber da geht noch sehr viel mehr.

Wie?

MARKUS WITTE: Wir haben eine ähnliche Herausforderung wie Apps im Bereich Fitness. Wie können wir das Lernen in den Tag integrieren? Und natürlich lernen wir wie andere auch von der Games-Industrie. Unser Haupt-Produktmanager kommt von einer Games-Firma. Vorher hat er versucht, die Leute vom Spielen abhängig zu machen, jetzt setzt er sein Talent für etwas Nützliches ein.

Und das funktioniert?

MARKUS WITTE: Ja. Wir arbeiten bei Babbel sehr viel mit diesen Spiel-Konzepten. Das heißt aber nicht, dass wir ein Lernspiel bauen oder bunte Avatare gestalten. Es sind psychologische Mechanismen, die im Gaming-Bereich entwickelt wurden. Da gibt es eine große Zahl von Nutzern, und man kann sehr schön testen, was funktioniert. Daher wissen wir, dass kurze Sessions wichtig sind. Wenn es zu lange dauert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute wiederkommen, relativ klein. Und es gibt Belohnungen. Ich muss immer wieder an der richtigen Stelle die Bestätigung bekommen. Das Gleichgewicht zwischen Herausforderung und Erfolg ist wichtig.

Was macht Ihr anders als Rosetta Stone, Lingorilla, Duolingo oder Lengio?

MARKUS WITTE: Erstens sind wir unser eigener Verlag. Wir produzieren Sprachkurse in der Qualität, Breite, Geschwindigkeit und Effizienz wie niemand anders. Und wir produzieren sie für jede Lernsprache separat. Wir bauen Kurse immer für Sprachpaare. Das heißt, unser Italienisch-Kurs für Deutsche ist ein anderer als unser Italienisch-Kurs für Franzosen. Die Franzosen müssen vieles in der romanischen Sprache nicht lernen, was für uns relativ kosmisch ist.

Und zweitens?

MARKUS WITTE: Wir haben ein anderes Business-Modell. Wir sind die einzigen, die im Bereich Online-Sprachenlernen ein profitables Geschäft in Form eines Abo-Modells etabliert haben. Unsere Kunden sind die Lernenden, und an denen sind wir näher dran als alle anderen. Hinzu kommt noch unsere Größe. Klar, es gibt tausende kleine Portale, aber die meisten gehen dann irgendwann in Richtung Geschäftskundenmarkt.

Ist das für Babbel nicht auch interessant?

MARKUS WITTE: Dafür müssten wir eine große Vertriebsorganisation aufbauen. Klar würde ich gern an Daimler oder Siemens verkaufen, aber wenn die vorhätten, von uns 100.000 Lizenzen zu kaufen, würden sie sofort mit Sonderwünschen kommen. Wir müssten unser Produkt anpassen. Unsere Stärke ist, dass wir ausschließlich für die Nutzer arbeiten. Im Moment sehe ich unsere Aufgabe darum eher darin, unsere Kernmärkte zu adressieren. Da haben wir immer noch große Chancen.

Warum verkauft Ihr nicht an Schulen?

MARKUS WITTE: Weil unser Produkt auch nicht für Schüler gebaut ist. Wir müssten es also neu bauen. Unsere Kern-Nutzergruppe ist aber so groß und wächst auch so schnell, dass wir nicht parallel noch etwas für die Schule entwickeln können. Dann würden wir unseren Fokus verlieren. Und Fokus ist für ein Startup alles, solange du so schnell wächst.

Habt Ihr einen Nachteil gegenüber traditionellen Anbietern, die bereits funktionierende Vertriebsorganisationen haben?

MARKUS WITTE: Wir Gründer haben vorher in der Musiksoftware­Industrie gearbeitet. Da haben wir gesehen, dass die großen, alten Player nicht hinterherkommen. Das ist in der Musikindustrie genauso wie bei Verlagen und Hardwareherstellern, die den Wechsel in die digitale Welt nicht schaffen. Das liegt am Geschäftsmodell. Und die Umstellung ist schwierig und teuer. Blockbuster ist daher nicht das Unternehmen, das jetzt den Online-Video-Markt beherrscht. Den hat Netflix aus dem Nichts erobert.

Ihr seid also das Netflix des Sprachenlernens?

MARKUS WITTE: Ja.

Könnt Ihr die Plattform auch für andere Dinge nutzen?

MARKUS WITTE: Die Versuchung ist immer ziemlich groß. Und das sieht man ja oft bei Gründern, dass sie versuchen, ihr Wissen in neue Unternehmen zu übertragen. Das Risiko ist höher, als man denkt. Außerdem ist Sprache im Markt für privates Lernen der mit Abstand größte Sektor. Klar könnten wir eine Führerschein-App machen. Aber die Zeit stecke ich lieber in ein neues Feature für unser aktuelles Produkt.

Welche Features könnten das sein?

MARKUS WITTE: Da sind zum Beispiel die Wearables. Die Technik rückt immer näher an den Körper ran und wird überall verfügbar. Der Trend wird immer stärker werden. Wenn ich Lernen in meinen Alltag integrieren will, ist das eine Riesenchance – genauso wenn mein Kühlschrank im Internet ist. Dann habe ich eine neue Möglichkeit der Interaktion. Mein Kühlschrank könnte mir zum Beispiel sagen, was Milch auf Schwedisch heißt. Es geht darum, viele kleine Kontaktpunkte zu schaffen.

Ihr entwickelt jetzt auch Kühlschrank-Apps?

MARKUS WITTE: Klar. Wir sehen uns tatsächlich jeden Bereich an, wo ich mit neuen Devices in Kontakt komme. Und wenn der Toaster im Internet ist, machen wir auch eine Toaster-App. In dem Moment, in dem ich ein Display habe, will ich natürlich auch Babbel anbieten. Dazu kommt parallel das Thema Paid Content. Auch das wird immer größer. Das Internet wird immer mehr Teil unseres Lebens und ist kein Spielzeug mehr. Darum sind wir immer mehr bereit, dafür auch Geld zu bezahlen.

Ist das so?

MARKUS WITTE: Ja. Die Bereitschaft, für Content Geld auszugeben, steigt massiv.

Was wünscht Ihr Euch von der Politik?

MARKUS WITTE: Wenn man sich anschaut, wie Startup-Ökosysteme funktionieren, dann spielen Unis meist eine große Rolle. Aber man braucht nicht nur eine gute Uni, sondern sie muss auch in das System eingebunden sein. Wir haben zwar sehr gute Unis in Berlin, aber die Einbindung in das Startup-System ist total unterentwickelt.

Dabei rühmt sich Berlin für seine Vernetzung von Hochschulen mit der Gründerszene.

MARKUS WITTE: Die Vernetzung ist zu gering. Wir werden zum Beispiel als Ressource von den Unis nicht genutzt, und das geht anderen Startups genauso. Wir wollen ja was von denen, und dafür würden wir auch etwas geben.

Was wollt Ihr?

MARKUS WITTE: Gut ausgebildete Menschen. Und wir bieten Expertise dafür. Wir können erzählen, wie es ist, in einem Startup zu arbeiten, oder wie man konkrete technische Probleme löst, wie man Content erzeugt, wie man Marketing macht – und das fast in jeder beliebigen Tiefe. Für Studierende ist das total spannend. Man muss sich nur ansehen, wie die großen US-Unis das machen. Stanford zum Beispiel ist eng vernetzt mit den ganzen Tech-Firmen. Die schicken Leute dahin, um Vorträge zu halten.

Woran scheitert das in Berlin?

MARKUS WITTE: Es gibt keinen Dialog. Wir sind immer die Bittsteller, die fragen, ob wir mal mit den Absolventen sprechen dürfen. Ich sage nicht, dass das fürchterlich ist, aber es ist ein Riesenpotenzial, das liegengelassen wird. Hier kann die Politik der Mittler sein. Es geht darum zu verstehen, dass die Integration in das Ökosystem ein Erfolgsfaktor ist.

Sind Angebote für Flüchtlinge für Euch ein Thema?

MARKUS WITTE: Für uns ist das ein wichtiges Thema. Vielfalt ist einer unserer Kernwerte, gehört zu unserer Firmenkultur. Denn Sprachen verbinden Menschen unterschiedlicher Herkunft. Zudem arbeiten bei uns Kollegen aus fast 30 Nationen. Wir sind ein ziemlich menschlicher Haufen und keine Turbo-Kapitalisten, die nur aufs Geld schauen. Darum unterstützen wir diverse Flüchtlingsprojekte mit Freicodes für Babbel und sprechen zusätzlich mit diversen Organisationen, die Flüchtlingen vor Ort Sprachen beibringen. Hier können wir nachhaltig helfen. Babbel-Codes an Flüchtlinge zu verteilen ist ja nur zum Teil sinnvoll, weil wir zum Beispiel Arabisch nicht als Referenzsprache haben und
das auch nicht innerhalb von Monaten aus dem Boden stampfen können. Ich glaube, dass in diesem Bereich die Förderung von Präsenzunterricht eine bessere Lösung ist.

Das Gespräch führte Corinna Visser.