Im Interview

Rocket-Vorstand Alexander Kudlich

30/10/2015
header image

Alexander Kudlich erläutert die Strategie von Rocket Internet

Alexander, Ihr habt inzwischen mehr als 70 Ventures in mehr als 110 Ländern. Wir haben mehr als 420 URLs gefunden, wahrscheinlich sind es noch mehr. Wird Rocket Internet langsam zu komplex?

ALEXANDER KUDLICH: Jede Firma, die wir neu aufbauen, muss eigenständig erfolgreich sein – mit eigenen Leuten, eigener Technik, eigener Marke. Sie wird von einem starken Managementteam geführt, das zu einhundert Prozent auf diese eine Company fokussiert ist. Bei Rocket wiederum sind die Teams nicht nach Firmen, sondern nach Funktionen organisiert. Christian Hardenberg und Ronny Rentner konzentrieren sich zum Beispiel darauf, dass die beste Technik rauskommt, Hootan Mahallati sorgt für das beste Produkt. Jeder ist auf sein eigenes Thema fokussiert, sodass es nicht unbedingt komplexer wird, wenn unser Netzwerk wächst und wir mehr Firmen unterstützen.

Trotzdem kümmert Ihr Euch um immer mehr Themen. Fintech ist noch dazugekommen. Wird das nicht zu viel?

ALEXANDER KUDLICH: Nein. Jede Firma funktioniert zunächst einmal auch eigenständig. Das ist die Grundvoraussetzung. Darauf aufbauend schaffen wir zusätzlichen Wert durch zentrale Unterstützung unserer Experten sowie durch das enge Netzwerk zwischen unseren Firmen. Allein die Tatsache, dass sie sich gegenseitig entlang aller Dimensionen konstant vergleichen können, ist ein enormer Wettbewerbsvorteil gegenüber Firmen außerhalb des Netzwerks. Wenn du als Unternehmer allein unterwegs bist, kannst du nicht in die Bücher anderer Unternehmen schauen und zum Beispiel deine Stückkosten vergleichen. Bei uns geht das. Die Firmen helfen sich gegenseitig. Das sind positive Netzwerkeffekte, keine negativen.

[bctt tweet=”„Es gibt kaum billige Modelle, die groß werden.“ Alexander Kudlich, Rocket-Vorstand”]

Die Vorteile überwiegen also?

ALEXANDER KUDLICH: Auf jeden Fall. Ich sehe auch die große Komplexität nicht. Ob das jetzt ein Online-Modegeschäft in Malaysia ist oder ein Online-Möbelshop in Deutschland – wenn man die internetspezifischen Komponenten betrachtet, ist das zu 90 Prozent das Gleiche. Natürlich sind es unterschiedliche Märkte, unterschiedliche Kunden, und man muss sich immer jedes Modell separat anschauen.

Wie entscheidet Ihr, welche Geschäftsmodelle Ihr umsetzt?

ALEXANDER KUDLICH: Bevor wir uns für ein Geschäftsmodell entscheiden, wird sehr viel Vorarbeit geleistet. Für die Entscheidung haben wir konkrete Kriterien. Welche das genau in welcher Gewichtung sind, ist unser Geheimnis, das kann ich nicht ausführen. Es gibt verschiedene Faktoren, die über Erfolg oder Misserfolg einer Firma entscheiden. Erstens das Geschäftsmodell: Wir machen nur erprobte Geschäftsmodelle. Zweitens das Team: Das muss exzellent und stabil sein. Drittens die Finanzierung: Viele Firmen gehen pleite, obwohl sie gut sind, weil sie keinen Zugang zu Kapital haben, wenn es darauf ankommt. Das Vierte ist das Umsetzungsrisiko, sprich die hundert kleinen Details, die man jeden Tag aufs Neue richtigmachen muss. Unsere Plattform ist dafür da, alles Nötige bereitzustellen. Aber bevor wir loslegen, geht es um die Idee. Da sind wir total rigoros. Auch wenn es sich noch so sinnvoll anhört, wenn es nicht erprobt ist, machen wir es nicht. Wir machen keine Experimente bei Geschäftsmodellen.

Kannst Du „erprobt“ definieren?

ALEXANDER KUDLICH: Es gibt verschiedene Indizien, die man für sich selbst bewerten muss. Es geht ja meistens nicht um börsennotierte Unternehmen. Wir haben ein Set von 40 bis 50 Kriterien, die wir uns anschauen. Die geben uns Rückschluss darauf, ob die Firma erfolgreich ist oder nicht. Alle Modelle, die wir auswählen, haben das Potenzial zu skalieren und wirklich groß zu werden, auch das ist uns sehr wichtig.

Wenn zum Beispiel Airbnb eine große Finanzierung bekommt, schaut Ihr Euch dann an, ob das ein Modell ist, das hier auch funktioniert?

ALEXANDER KUDLICH: Eine große Finanzierung ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt, aber nicht der einzige. Einerseits muss es erprobt sein, andererseits muss es auch zu dem passen, was wir gut können. Es gibt viele Geschäftsmodelle, die erprobt sind, und wir machen sie trotzdem nicht.

Was würdet Ihr nie machen?

ALEXANDER KUDLICH: Wir nennen sie immer „die 100 Prozent digitalen, globalen Winner-takes-it-all-Modelle“. Die würden wir nicht machen. So wie zum Beispiel Twitter oder Facebook, wo man – überspitzt gesprochen – die Website in eine andere Sprache übersetzt und schon ist man im nächsten Land. Wir mögen die Komplexität, die aus lokalen Unterschieden entspringt. Das Gute ist, die Welt besteht eben nicht nur aus sieben Ländern mit je einer Milliarde Menschen. Es sind viele komplizierte, kleine Länder. Und wir mögen die Geschäftsmodelle, bei denen man in jedem Land etwas neu aufbauen muss. Egal, welches Geschäftsmodell das ist. Im Onlinehandel gibt es lokal verschiedene Marken, verschiedene Styles, verschiedene Jahreszeiten. Das heißt, du musst lokal einkaufen, lokal ausliefern und lokale Zahlungsmethoden anbieten. Bei Marktplätzen auch: Wenn du 10.000 Restaurants hast, musst du in jeder Stadt die Restaurants physisch anbinden. Das ist die Gemeinsamkeit.

Kann sich das mal ändern?

ALEXANDER KUDLICH: Sag niemals nie. Aber das ist für uns ein wichtiges Kriterium, weil wir sehr gut darin sind, lokale Unterschiede zu verstehen. Es ist für uns eher vorteilhaft, wenn es kompliziert ist, als wenn es jeder könnte. Und das zweite Thema, das wir vermeiden, ist, wenn es zu sehr Richtung Patente geht. Wir mögen einfache, klare Geschäftsmodelle. Wir haben drei große Hypothesen: Die erste ist, dass jeder Lebensbereich irgendwann vom Internet digitalisiert wird. Zweitens sagen wir, dass die Geschichte sich wiederholt. Alles was in dem einen Land, also etwa in Amerika passiert, passiert ein paar Jahre später woanders auch. Bei den meisten Modellen verhalten sich die Länder eher ähnlich, als dass sie sich unterscheiden. Und drittens ist es möglich, systematisch als Startup-Fabrik Firmen aufzubauen. Insofern mögen wir die Modelle, die ein klares Offline-Modell haben und die jetzt online wandern. Wir müssen eben herausfinden, was das korrespondierende Online-Geschäftsmodell zu diesem Lebensbereich ist.

Ihr habt einen sehr guten Zugang zu Kapital und macht sehr kapitalintensive Geschichten wie Hellofresh zum Beispiel. Bevorzugt Ihr solche Geschäftsmodelle, bei denen viel Geld fließen muss?

ALEXANDER KUDLICH: Wenn du den Gesamtmarkt beobachtest, wirst du feststellen, dass fast alle großen erfolgreichen Firmen mit nur wenigen Ausnahmen hohe Investitionen gebraucht haben, um so weit zu kommen. Marktplätze sind vielleicht ein bisschen weniger kapitalintensiv als E-Commerce-Modelle. Aber auf dem Weg zu einem großen Unternehmen braucht man relativ viel Kapital, um das Wachstum zu finanzieren. Das hat die Geschichte gezeigt. Wir glauben an eine enge Abhängigkeit zwischen Wachstum und Geschwindigkeit: Man kann es langsamer machen, aber dann hat man das Risiko, dass man am Ende viel kleiner wird, weil andere schneller waren als man selbst. Wenn man sagt, man möchte ein großes und erfolgreiches Business aufbauen, und man nimmt sich dafür nur fünf bis acht Jahre Zeit, bis es profitabel und am Markt etabliert ist, dann ist es einfach kapitalintensiv. Das wissen wir vorher. Ich würde aber nicht sagen, dass wir uns nur teure Modelle aussuchen. Ich würde fast so weit gehen und sagen, es gibt kaum billige Modelle, die groß werden. Wenn es welche gibt, würde ich die gern sehen.

Ist es Euch wichtig, dass Ihr in vielen Ländern vertreten seid, oder ist es wichtiger, in wenigen Ländern und dann richtig groß zu sein?

ALEXANDER KUDLICH: Jedes Geschäftsmodell muss sich erstmal den Investoren gegenüber behaupten. Dann ist die Frage, ist der Markt groß genug? Viele Geschäftsmodelle muss man dabei nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Städteebene beurteilen. Viele Marktplätze sind nun mal Städtemodelle. Dann kommt das Thema Reife. Wie hoch ist das Bruttosozialprodukt pro Kopf, ist die durchschnittliche Bestellmenge groß genug, dass es sich überhaupt rechnen kann. Dann kommt die Frage nach dem Zeitfenster. Ist das Zeitfenster noch offen oder schon offen? Manche Modelle kommen vielleicht zu früh für gewisse Märkte. Und wie ist die Wettbewerbssituation? Kann man da noch eine Nummer eins bauen? Es wird immer schon irgendwen geben, kann man den noch einholen?

Ist das die wichtigste Frage: Kann es die Nummer eins werden?

ALEXANDER KUDLICH: Überall, wo wir reingehen, sind wir zuversichtlich, dass wir dafür noch ein paar Jahre Zeit haben.

Das Gespräch führten Jan Thomas und Corinna Visser.[td_block_text_with_title custom_title=”Alexander Kudlich”]ist Group Managing Director im Vorstand von Rocket Internet. Der 35-Jährige hat BWL an der Universität St. Gallen und Philosophie am University College London studiert. Von 2005 bis 2011 arbeitete er bei Axel Springer, unter anderem als Assistent von Mathias Döpfner.